"Etta" ‒ beloved enemy

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"Etta" ‒ beloved enemy
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Inhalt

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2020 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-011-5

ISBN e-book: 978-3-99107-012-2

Lektorat: Mag. Eva Reisinger

Umschlagabbildung:

© 2020 Aleksandar Reba – Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Lara Kästel,

Bild 1: Rolf Stahl, Hauptstraße 165, 76297 Stutensee

www.novumverlag.com

Wichtiger Hinweis
Vorwort
Eine persönliche Reflexion

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Etta ist ganz unscheinbar in mein Leben getreten. Anfänglich war sie kaum zu bemerken. Das erste Zeichen von Ettas Erscheinen war starke Müdigkeit, gepaart mit gelegentlichen Störungen beim Temperaturempfinden.
Inzwischen weiß ich, dass es sich bei Letzterem um das sogenannte Uhthoff-Phänomen handelt. Es wird bei mir vor allem immer dann spürbar, wenn die Außentemperaturen steigen. Nichts, wovon ich gleich Panik bekommen hätte. In meinen Augen ein lästiger Zustand, aber kein besorgniserregender. Erst im Laufe der Jahre, als die Beschwerden stärker wurden und neue hinzukamen und auch für meine Mitmenschen sichtbar wurden, begann ich zu erahnen und zu verstehen, dass ein Prozess im Gange war, der alles andere als harmlos war.
Es trafen mich Blicke, die mich zuvor nie getroffen hatten: mitleidige, hilflose, aber auch sehr unangenehme neugierige Blicke. Bis heute fällt es mir nicht leicht, damit umzugehen und jederzeit angemessen darauf zu reagieren.
„Etta, wie kann ich dich erklären? Man kann dich nicht greifen, hören oder sehen, am allerwenigsten aber verstehen. Nach deinem ersten Besuch bist du einfach nicht mehr gegangen. Zugegeben, ich kann viel von dir lernen. So schulst du durch deine hochgradige Sensibilität meine Fähigkeit zu unterscheiden, was wirklich wichtig ist und was nicht.
Und im Hinblick auf meine Konzentrationsfähigkeit zwingst du mich geradezu zu Höchstleistungen, indem du immer wieder meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit einforderst.
Das Problem ist, dass Etta aufdringlich, unnachgiebig und mitunter ziemlich unhöflich ist. Eigentlich könnte man sie als asozial bezeichnen, denn sie hat kein Gefühl dafür, ob ihre Dominanz gerade toleriert werden kann oder nicht. Wann immer sie will, meldet sie sich und macht Terror wie ein trotziges Kind, das nicht sofort seinen Willen bekommt. Das vorzugsweise immer dann, wenn ich gerade anderweitig gefordert bin und sie unmöglich an meiner Seite brauchen kann. Wahrscheinlich ist sie in solchen Situationen eifersüchtig und deshalb besonders zickig, unnachgiebig und gemein.
Dann rast sie wie ein D-Zug in meinen Alltag hinein, bremst mich in meinen Aktivitäten aus, bestimmt das Tempo und übernimmt unaufgefordert das Kommando. Mit einer unbeschreiblichen Penetranz fordert sie auf der Stelle meine Aufmerksamkeit ein und lässt sich durch nichts besänftigen.
Mir bleibt in einem solchen Fall keine Wahl: Ich bin gezwungen, augenblicklich jegliche Aktivität zu beenden, um mich um Etta zu kümmern.
Etta ist jetzt seit 25 Jahren an meiner Seite. Im Laufe dieser Zeit sind 60 % meines Körpers „pelzig“ geworden. D. h. diese Stellen fühlen sich wie eingeschlafen an. Meine Finger beispielsweise spüre ich wie durch einen Handschuh, was meinen Tastsinn erheblich einschränkt. Auch habe ich ein ganz spezielles Temperaturempfinden. Immer wieder stelle ich fest, dass mein Temperaturregler offenbar defekt ist. Heiß nehme ich oft als kalt wahr und umgekehrt. Meine Füße fühlen sich meistens richtig heiß an, gelegentlich aber auch wie Eisklötze. Je kälter es draußen wird, desto massiver tritt Etta in Erscheinung. Wie bei einem Insekt scheint dann jeder Muskel meines Körpers zu erstarren. Als Folge wird mein Gang unsicherer und meine Sprache undeutlicher. Jeder Laut kommt verwaschen aus meinem Mund, wie bei einem Betrunkenen. Glücklicherweise legt sich dieser Zustand wieder sobald ich in warme Räumlichkeiten komme.
Manchmal meldet sich Etta mit einem unsagbaren Schwindel, der selbst das Staubsaugen zu einer olympischen Disziplin werden lässt. Dabei fällt mir Ettas Unbarmherzigkeit immer besonders auf.
Mit ihrer Dominanz bestimmt sie meinen Alltag. Jeder noch so kleine Versuch, sie milde zu stimmen, wird im Keim erstickt. Wenn sie gerade in ihrer Ego-Phase ist, habe ich keine Chance.
Etta nimmt negative Einflüsse viel schneller wahr als ich – seien es schlechte Umweltfaktoren, ungute Gefühle, zu starke körperliche Anstrengungen oder auch Menschen, die mir nicht guttun. Oft weiß ich noch gar nicht, was gerade mit mir passiert, da vermeldet Etta schon irgendwelche Beschwerden bevor ich die Situation richtig realisiert und eingeschätzt habe. Diesbezüglich ist sie sehr zuverlässig. Ich bin häufig überrascht, was mir mein Körper erzählt. Instinktiv prüfe ich dann mein ganzes Umfeld, das Essen, die Situation, die Stimmung und meistens finde ich auch den Auslöser. Wenn ich mir das alles so richtig bewusst mache, staune ich über das sensible Frühwarnsystem in meinem Körper. Mit welch grandiosem Mechanismus ich doch ausgestattet bin! Was für wahnsinnige Sensoren ich noch habe, und wie überaus komplex und intelligent sie funktionieren! Solange der Mensch gesund ist, glaubt er, es als „intelligentes Wesen“ besser zu wissen. Er neigt dazu, leise Botschaften seines Körpers einfach zu ignorieren, als hätte er es nicht nötig, darauf zu hören. Dabei vergisst er allzu leicht, dass er sich zwar gegebenenfalls ein neues Auto kaufen kann, aber keinen neuen Körper.
Etta lässt es nicht zu, dass ich ihre Hinweise einfach übergehe. Wenn ich das auch nur im Ansatz versuche, beherrscht sie mich voll und ganz.
Sie sagt mir dann ganz deutlich, dass ich mit meinen Kräften sowohl physisch als auch psychisch schlecht hausgehalten habe. Vielleicht wird mir die Sprache weggenommen, vielleicht beiße ich mir auf die Zunge oder verschlucke mich. Möglicherweise sehen meine Augen Doppelbilder oder ich ziehe ein Bein nach. Dies sind nur ein paar Beispiele von Ettas Unbarmherzigkeit. Sie ist da unheimlich phantasievoll. Wenn Etta richtig sauer ist, hat sie viele Möglichkeiten, sich zu behaupten und mir das Leben schwer zu machen. Frei nach dem Motto: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Unter allen Umständen will Etta den Ton angeben.
Man könnte Etta vieles nachsagen, aber langweilig wird es mit ihr nie. Das Leben mit ihr ist immer spannend wie ein Krimi. Jeder Tag ist anders. Was heute geht, geht morgen nicht mehr und übermorgen vielleicht irgendwie anders doch wieder. Ständig lausche ich in mich hinein und spüre mit der Zeit Dinge, die Gesunde noch nicht einmal ansatzweise wahrnehmen würden. Das Problem hierbei ist, dass ich mir vor lauter Feinfühligkeit manchmal selbst nicht mehr vertraue. Deute ich richtig, was ich empfinde oder bilde ich es mir am Ende nur ein?
Solche Gedanken machen mir gelegentlich geradezu Angst, weil sich dann und wann auch zwangsläufig die Frage aufdrängt: Will Etta auch meine Psyche angreifen und beherrschen und nicht „nur“ meinen Körper?
Zur weiteren Verunsicherung tragen gut gemeinte Ratschläge meiner Mitmenschen bei. Ungefragt habe ich bestimmt tausend Tipps bekommen, was ich unbedingt tun oder lassen müsste. Inzwischen habe ich den Eindruck gewonnen, diese Art von Unterstützung hilft den Ratgebern mehr als mir. Sie scheinen sich dadurch selbst besser zu fühlen. Schließlich haben sie etwas getan und nicht nur zugeschaut. Vermutlich können sie die Hilflosigkeit einfach auch nicht ertragen, was ich gut nachvollziehen kann. Im Gegenzug erwartet man dann natürlich, dass ich diese Hinweise als „guter“ Kranker auch interessiert annehme, sie würdige und ausprobiere. Schließlich wäre der Ratgeber der absolute Held, wenn sein Impuls mir Besserung oder sogar Heilung bringen würde!
Meine Reaktion kann je nach Tagesform sehr unterschiedlich ausfallen. Vielleicht bringe ich ein fröhliches „Danke, dass du mir helfen willst“ über die Lippen und habe sogar einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Es kann aber auch passieren, dass ich mir vor lauter Erschöpfung in diesem Moment gerade gar nichts Neues mehr vorstellen kann und mit einem „Lass mich einfach in Ruhe“ antworte – wohlwissend, dass ich meine Mitmenschen in diesem Moment verunsichert oder sogar verärgert habe. Es ist einfach so unsagbar anstrengend, immer und immer wieder zu erklären, dass ich keine weitere Enttäuschung mehr erleben möchte.
Folgende beispielhafte Symptome können zusätzlich zu den zahlreichen permanent wahrgenommenen Missempfindungen an einem ganz normalen Tag auftreten. Ob sie nur wenige Minuten andauern oder doch einige Stunden oder ob sie für immer bleiben werden? Man weiß es nicht.

 Stechen im Kopf

 Jucken der Gesichtshaut, verbunden mit dem Gefühl der Trockenheit, obwohl ich gerade meine beste Feuchtigkeitscreme benutzt habe

 Unruhe, verbunden mit dem Gefühl, dass alles zu lange dauert

 Der Kaffee schmeckt irgendwie anders

 Die Haut am Körper fühlt sich an, als hätte ich offene Wunden, jeder Windzug schmerzt

 Die Haut brennt wie durch eine Berührung mit Brennnesseln

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