Pädagogik

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

UTB 8644

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

A. Francke Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden

Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK/Lucius · München

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol

Waxmann · Münster · New York


Studienbücher für soziale Berufe; 12

Hrsg. von Prof. Dr. Roland Merten, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Prof. Dr. Cornelia Schweppe, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, und Prof. Dr. Stephan Sting, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Prof. Dr. Anke Spies, lehrt Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Pädagogik und Didaktik des Elementar- und Primarbereichs an der Universität Oldenburg.

Prof. Dr. Gerd Stecklina, lehrt Geschichte und Theorie Sozialer Arbeit an der Hochschule München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 8644

ISBN 978-3-8252-8644-6

© 2015 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Cover unter Verwendung einer Illustration von Mauri Jakob Spies

Satz: ew print & medien service gmbh, Würzburg

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Einleitung: Pädagogische Ausgangslagen und intradisziplinäre Schnittstellen

1 Nachdenken über das pädagogische Handwerkszeug – Ein Fallbeispiel

2 Schlüsselbegriffe im pädagogischen Diskurs

2.1 Grundbegriffe in pädagogischer Tradition

2.1.1 Pädagogisches Handeln

2.1.2 Erziehung

2.1.3 Erziehungspartnerschaft

2.1.4 Bildung

2.1.5 Sozialisation

2.1.6 Lernen

2.1.7 Lebenswelt

2.2 Maximen im pädagogischen Alltag

2.2.1 Bedürfnisse

2.2.2 Lehren, Helfen, Begleiten und Rehabilitation

2.2.3 Verstehen – Diagnose, Fallverstehen und Förderung

2.2.4 Förderung

2.2.5 Prävention

2.2.6 Beratung

2.2.7 Partizipation

2.2.8 Integration und Inklusion

2.2.9 Netzwerke und Kooperation

3 Intersektionale Perspektiven

3.1 Diversität

3.2 Genderfragen im Bildungssystem der Migrationsgesellschaft

3.3 Transitionen – Übergänge im Bildungssystem intersektional betrachtet

3.3.1 Transitionen von der Kita bis zur Sekundarstufe I

3.3.2 Lebensplanerische Entwürfe und Verunsicherungen am Übergang von der Schule in Erwerbstätigkeit

3.4 Perspektiverweiterung: Anerkennung, Handlungsfähigkeit und Agency

4 Disziplinäre Schnittstellen und pädagogische Handlungsfelder in der Bildungslandschaft

4.1 (Kommunale) Bildungsverantwortung in der Bildungslandschaft

4.2 Settings der frühen Förderung und Elementarbildung in der Bildungslandschaft

4.2.1 Familienbildung als Rahmen für das System der Frühen Hilfen in der Bildungslandschaft

4.2.2 Familienhebammen als interdisziplinärer Baustein des Gesundheitswesens im System der Frühen Hilfen

4.2.3 Elementarbildung für Kinder bis zum sechsten Lebensjahr – Kindertagesbetreuung in Krippe, Kindergarten und in der Tagespflege

4.3 Die Schule – Das pädagogische Handlungsfeld der Weichenstellung für gesellschaftliche Teilhabechancen

4.3.1 Die Primarstufe zwischen schulischer Eigenverantwortlichkeit, individueller Förderung und traditionellen Ansprüchen

4.3.2 Neue Bildungskonzepte im alten System – Erwartungen und Anforderungen an ganztägige Schulformate in Primar- und Sekundarstufe I

4.3.3 Ganztagsbildung

4.4 Schnittstellen in der Bildungslandschaft – Das Handlungsfeld Schulsozialarbeit

4.5 Jugendhilfe – Das pädagogische Handlungsfeld zur Sicherung von gesellschaftlichen Teilhabechancen

4.5.1 Jugendhilfe muss geplant werden

4.5.2 Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit

4.5.3 Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe

4.5.4 Hilfen zur Erziehung

4.5.5 Kindeswohlsicherung – Inobhutnahme

4.5.6 Gemeinwesenarbeit

4.6 Erwachsenenbildung und Weiterbildung

5 AdressatInnen pädagogischer Arbeit – Entwicklungen und kritische Reflexion

5.1 Zwischen Haltung und Hilfe – Der Begriff der AdressatInnen

5.2 Zwischen Managementstrukturen und Ordnungsauftrag – Die Beziehung zwischen Förderung und Kontrolle

6 Zwischen Vergangenheit und Zukunft – Entwicklungsperspektiven und Reflexionsbedarfe

Literatur

 

Sachregister

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuchs


Verwendung der Icons
Fallbeispiel
Zusammenfassung
Zum Weiterdenken
Zum Weiterlesen

Einleitung: Pädagogische Ausgangslagen und intradisziplinäre Schnittstellen

Wenn Bildung sowohl die berufliche Qualifikation für die Arbeitswelt als auch die Herstellung von Autonomie und sozialer Verantwortung umfasst, leisten viele Bereiche des alltäglichen Lebens einen Beitrag hierfür und erfordern folglich von Wissenschaft und pädagogischer Praxis die Überschreitung der Binnenlogiken von Bildungsinstanzen und -verständnissen (Giese/Wittpoth 2014; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010).

Diese Einführung möchte – ähnlich wie die beiden Türme auf dem Titel – teildisziplinäre Perspektiven miteinander verbinden, die zwar eigene Eingänge und separate Turmspitzen haben, aber die tragenden Elemente des Gebäudes und das Fundament miteinander teilen.

Uns ist bewusst, dass beispielsweise jeder einzelne Grundbegriff und jede Maxime einen eigenen Grundlagenband für sich beanspruchen kann. Für Unterkapitel, wie z. B. Schulentwicklung, Kinder- und Jugendhilfe, liegen bereits komprimierte Zusammenfassungen im Handbuchformat sowie auch weiter differenzierende Abhandlungen in vielen einzelnen Studien oder thematischen (Sammel-)Bänden vor. Zu diesen möchte unser Studienbuch einen Zugang ebnen.

Über unsere Fragen zum Weiterdenken möchten wir Studierenden auf ihrem Weg in eine künftige, stärker intradisziplinäre Auseinandersetzung Anregungen bieten, sich innerhalb der Diskurse der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen genauer einzuarbeiten. Über die Tipps zum Weiterlesen möchten wir zur weiteren, eigenaktiven Vertiefung anregen. Mit unserem Konzept der Fragen und Vertiefungstipps wollen wir vor allem neugierig darauf machen, sich so viel wie möglich an den Grundlagen und Gegebenheiten zu „reiben“, um einerseits die eigenen pädagogischen Handlungsspielräume zu entdecken und zu erweitern, aber auch andererseits die institutionellen Beschränkungen nicht unhinterfragt hinzunehmen, sondern an strukturellen Veränderungen mitzuwirken.

Innerhalb der einzelnen Kapitel verweisen kursiv gesetzte Begriffe auf zuvor oder im weiteren Verlauf erläuterte Begriffe. Sie werden von den Marginalien am Rand des Textes ergänzt. Diese studienpraktischen Hinweise machen jeweils die Grenzen des Buchkonzepts sichtbar, das vieles anregen kann, nur weniges ausführlicher erläutert und nichts abschließend zu erklären mag.

Andreas Gruschka (1996) war mit seiner Sammlung von Positionen zur Frage „Wozu Pädagogik?“ der „Zukunft bürgerlicher Mündigkeit und öffentlicher Erziehung“ auf der Spur und hat über die Kontextualisierung der Beiträge eine intra- und interdisziplinäre Zusammenschau von Antworten aus u. a. bildungstheoretischer, sozialpädagogischer, bildungssoziologischer und rechtssystematischer Perspektive vorgelegt. Wir haben gleichfalls eine Auswahl jener Positionen und Argumentati-onen zusammengetragen, die wir Studierenden gerne als Anregung für ihren Weg in die pädagogische Zukunft mit geben möchten. Wir denken also an jene LeserInnen, die ihre „Lust am Werden von Menschen oder an sich entwickelnden Verhältnissen“ (Thiersch 2005) durch ihr Studium fachlich fundieren wollen, die in der Schule Kindern und Jugendlichen aus der Begeisterung für ein Schulfach heraus etwas beibringen möchten, die aus Interesse an sozialen Zusammenhängen und im Anliegen einer chancengleichen Gerechtigkeit „Lust am Umgang mit etwas schwierigen und mühsamen Kindern“ (Thiersch 2005) haben oder sich vorstellen können, im Weiterbildungsbereich auch mit Erwachsenen zu arbeiten oder sich von den Herausforderungen der institutionellen Managementaufgaben angezogen fühlen.

Im auf die Einleitung folgenden ersten Kapitel setzen wir uns mit dem Erfordernis der Überwindung der auch 15 Jahre nach der Jahrtausendwende existenten Trennung zwischen Schulstrukturen und den sich an Familienförderung und begleitendem Hilfesystem orientierenden sozialpädagogischen Bildungsstrukturen anhand eines Fallbeispiels auseinander.

Im nachfolgenden zweiten Kapitel diskutieren wir aus intradisziplinärer Perspektive pädagogische Begrifflichkeiten und die damit verbundenen Themen, Aufgaben und Fragestellungen. Dafür treffen wir eine Unterteilung in Grundbegriffe in pädagogischer Tradition (Kap. 2.1) und Maximen im pädagogischen Alltag (Kap. 2.2), die als Grundsätze des Wollens und Handelns innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Diskurse in unterschiedlicher Intensität und Zugangsweise thematisiert werden. Wir beginnen mit dem pädagogischen Handeln, weil neben der zuvor genannten „Lust“ auch die Bereitschaft vorhanden sein muss, sich Kindern und Jugendlichen „als Sparringpartner zur Verfügung [zu] stellen“, weil deren „Groß-Werden […] auch Kampf, Auseinandersetzung“ beinhaltet. Dies bedeutet, dass PädagogInnen sich darauf einlassen wollen müssen und es zu ihrer Rolle gehört, auch bekämpft zu werden (Thiersch 2005). Thiersch folgert aus dem für die pädagogische Praxis notwendigen Verständnis, das „Leben in der Auseinandersetzung“ zu deuten, dass PädagogInnen in ihrem Selbstverständnis „nicht nur wohlmeinend und hilfreich“ sind, sondern „in der Auseinandersetzung um Lebensbewältigung“ agieren, ihre Position in Auseinandersetzung und Kampf gewinnen müssen. Dazu ist es notwendig, dass sie ein reflexives Verhältnis („Reflexibilität“) aufbauen, um ihr pädagogisches Handeln zu klären und sich auf „das Werden“ einlassen zu können (Thiersch 2005).

Welchen Anteil Erziehung, Bildung und Sozialisation sowie Lernen und Lebenswelt an diesem „Werden“ haben, wo die Begriffe verankert sind und wo ihre z. T. fließenden Übergänge dennoch sichtbar gemacht werden können, versuchen wir unter Rückgriff auf die pädagogische Tradition dieser Begriffe zu klären. Unser Anspruch kann weder der Ersatz des einen noch die Erweiterung des anderen sein, sondern soll vielmehr das systematische, begriffliche Fundament umreißen, das sich spätestens mit dem Lernbegriff und dem Lebensweltkonzept differenziert: In sozialpädagogischen Diskursen werden nur sehr selten der schulische Lernbegriff und in schulpädagogischen Diskursen so gut wie nie die sozialpäd-agogische Lebensweltorientierung diskutiert. Wir gehen davon aus, dass u. a. die gegenseitige Berücksichtigung von Lernbegriff und Lebensweltkonzept nicht nur hilft, gemeinsame pädagogische Konzepte zu formulieren und darin auch die Grenzen der Gemeinsamkeit zu markieren, sondern den fachlichen Perspektivrahmen z. B. für den Inklusionsdiskurs erheblich erweitern kann, aber auch eine Reihe kritischer Reibungspunkte beinhaltet und zugleich der Berücksichtigung sonderpädagogischer Fachkultur bedarf.

Für die „Maximen im pädagogischen Alltag“ gilt Ähnliches: Hier haben wir Stichworte zusammengefasst, die bislang teilweise als Grundbegriffe (z. B. Beratung, Hilfe) und teilweise als Diskurse (z. B. Partizipation, Kooperation) thematisiert werden, aber unseres Erachtens für jegliches pädagogisches Handeln als Reflexionshintergrund dienlich sind.

Sowohl die Grundbegriffe als auch die Maximen sind unserer Ansicht nach Schlüsselbegriffe, um pädagogische Diskurse zu erschließen und hinsichtlich ihrer Konnotationen und Abgrenzungen oder Besonderheiten zugänglich zu machen, um die pädagogische Bandbreite der erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzung in intradisziplinärer Perspektive weiter zu betrachten und Maßstäbe für die zuvor genannte Reflexivität zu ermitteln.

Der zweite Teil des Kapitels erweitert den Blick um die Begriffe, die pädagogische Analysen unter den Bedingungen der Migrationsgesellschaft verhandelbar machen (Diversity), sich mit Übergängen in Biografie und Bildungssystem befassen (Transitionen), ressourcenorientiert in anerkennender Absicht (Handlungsfähigkeit) individuelle Biografien in gesellschaftlichen Kontextualisierungen betrachten helfen und deren institutionelle Gebundenheit thematisieren.

Die intersektionalen Perspektiven des dritten Kapitels heben die gegenseitige, offenkundige oder verdeckte Bezogenheit der perspektivischen Teilbereiche hervor und subsumieren schulpädagogisch derzeit gebräuchliche Begriffe wie Heterogenität und Vielfalt unter dem international gültigen Verständnis von Diversity. Zugleich wollen sie Zusammenhänge aufzeigen, die den Rahmen für pädagogische Betrachtungen und Tätigkeiten vorgeben, mit denen die pädagogisch gewollten, tragfähigen Bindungen und sozialen Fertigkeiten gefördert, die Bewältigung kreativer und produktiver Aufgaben vermittelt sowie die Sinnerfüllung in einem selbstständigen Leben unter dessen lebensplanerischen Anforderungen ermöglicht werden sollen. Dafür klären wir zunächst den Zusammenhang zwischen Diversität und Erziehung und kommen exemplarisch zu Genderfragen im Bildungssystem der Migrationsgesellschaft, die wir entlang der Übergänge im Bildungssystem vertiefen. Aus der biografischen Perspektive gelangen wir von der Kindertagespflege bis zur Erwerbstätigkeit und münden im sozialpädagogischen Konzept der Handlungsfähigkeit, das aus anerkennungstheoretischer Perspektive die Ressourcen der Individuen in deren biografischem Verlauf in den Mittelpunkt stellt, deren mögliche temporäre Unterstützungsbedarfe von den normativen Prozessverläufen und Hilfeverständnissen der Vergangenheit abzugrenzen versucht und sich dafür auch der intersektionalen Perspektiven bedient. Hier soll deutlich werden, dass traditionelle und zu Beginn des 21. Jahrhunderts verwendete pädagogische Begriffe und Orientierungen eng miteinander verwoben sind und sich gegenseitig aufeinander beziehen.

Das vierte Kapitel kann, trotz seiner Ausführlichkeit, die gesamte Bandbereite der pädagogischen Handlungsfelder und ihren Entwicklungsbedarf nur andeuten und Ahnungen von Entwicklungsherausforderungen geben. Hier gehen wir auf die relativ neue Konstruktion der (kommunalen) Bildungslandschaft ein, in deren Rahmen die Settings der pädagogischen Angebote und Aufgaben angesiedelt sind und sich vernetzen sollen. Als Bestandteile der Bildungslandschaft stellen wir die Settings der frühen Förderung und Elementarbildung vor und skizzieren Schule als pädagogisches Handlungsfeld der Weichenstellung für gesellschaftliche Teilhabechancen. Als institutioneller Kontext, der föderalistisch geregelt ist, folgt sie biografisch auf die vorschulische Lebensphase. Die flankierenden Möglichkeiten zur Förderung individueller Bildungsverläufe durch die Jugendhilfe und deren Position im Gefüge der Bildungslandschaft werden anschließend erläutert. Dieser Abschnitt endet mit Hinweisen auf die Position der Erwachsenenbildung und einem Einblick in das sozialpädagogische Handlungsfeld der Gemeinwesenarbeit, die beide die vorangegangenen Handlungsfelder in der Praxis quasi flankierend einrahmen.

Im folgenden fünften Kapitel diskutieren wir die Frage der AdressatInnen pädagogischer Arbeit und erläutern das Aneignungskonzept des Diskurses. Damit sind wir in einem originär sozialpädagogischen Begriffskontext angekommen. Denn sowohl die AdressatInnen als auch die Aneignungsperspektive sind zentrale Bezugspunkte des sozialpädagogischen Diskurses und werden im schulpädagogischen Kontext noch nicht als solche reflektiert – wenngleich hier das Konzept des „adaptiven Lernens“ und des adaptiven Unterrichts möglicherweise Anknüpfungspunkte bieten könnte, weil beide Kontexte sich darauf beziehen, dass sich pädagogisches Handeln in seinen Konzepten und Absichten an seine AdressatInnen anpassen muss, um zu nachhaltigeren Wirkungen zu gelangen. Auch die Überlegungen zur pädagogischen Position innerhalb von Managementaufgaben und Ordnungsaufträgen ist im Kern zunächst eine sozialpädagogische Positionsbestimmung entsprechend des tradierten Mandats zwischen den Polen Hilfe und Kontrolle (Kessl 2006; Seifert 2013; Sengling 1996). Aus schulpädagogischer Perspektive bildet sich hier aber auch der ähnlich spannungsreiche und widersprüchliche Bogen zwischen Förderung und Disziplinierung ab, der die AdressatInnenschaft der SchülerInnen betrifft, die der Schulpflicht im selektiv agierenden institutionellen Rahmen unterworfen sind, damit sie gesellschaftliche Teilhabechancen erwerben können.

 

Wir schließen unsere Überlegungen im sechsten Kapitel mit einem Blick auf die sichtbaren pädagogischen Diskursperspektiven hinsichtlich der AdressatInnen, deren momentane Situation sich aus Traditionen und Visionen speist: Sie müssen sich zwischen diesen Polen positionieren – und haben nach dem Verständnis des lebenslangen Lernens kaum eine biografische Chance, den lebensalterübergreifenden, pädagogisch begründeten Visionen um ihr Wohlergehen zu entgehen, für das von ihnen Bildungsbereitschaft im Sinne von Motivation und Befähigung zum selbstorganisierten Lernen innerhalb gegebener Strukturen erwartet wird. Für diese Bildungsprozesse halten professionelle PädagogInnen Organisations- und Hilfekonzepte bereit, die Menschen bei der ständigen Anpassung und Erweiterung ihres Wissens begleiten wollen.

Die Ausführungen des Bandes verfolgen je nach Begriff und Kontext mal die sozialpädagogische und mal die schulpädagogische Perspektive, erweitern diese, wo es hilfreich scheint, um sonderpädagogische oder erwachsenenbildnerische Aspekte und müssen an vielen Stellen dort Halt machen, wo die Grenzen der teildisziplinären Zugänge sichtbar werden. Insofern steht die Betrachtung aus intradisziplinärer Perspektive noch ganz am Anfang ihrer Möglichkeiten und wird sich für diesen Band mit der Suche nach den Anschlussmöglichkeiten zufrieden geben müssen. Dafür haben wir entlang der tradierten Begriffe, der Maximen und neueren fachlichen Entwicklungen die künftigen Diskussionsstränge „aufzufädeln“ versucht – auch wenn dabei der (traditionelle) rote Faden nicht immer auf Anhieb sichtbar ist. Uns ist daran gelegen, die Kontexte von bildungs- und sozialpolitischen Zusammenhängen und deren biografische Konsequenzen für (vor allem junge) Menschen mit derzeit weit auseinanderklaffenden gesellschaftlichen Teilhabechancen sichtbar zu machen, weil diese jungen Menschen, die als AdressatInnen von Jugendhilfe und/oder Schule innerhalb des Bildungs- und Hilfesystems und seiner Institutionen „auf dem Weg“ sind, auf die Qualität und die Reflexivität des pädagogischen Handelns angewiesen sind.

Wir haben von der explizit historischen Perspektive Abstand genommen und nur auf vereinzelte Zugänge verwiesen – in der Hoffnung, dass auch so das Interesse an den weiteren historischen Kontexten geweckt werden mag. Rechtliche Grundlagen haben wir dort, wo sie nach unserer Ansicht von Belang sind, einfließen lassen, aber auf rechtssystematische Grundlegungen zugunsten der Darstellung von Diskurssträngen oder Kontroversen verzichtet – und hoffen, dass dennoch deutlich wird, wie wichtig die rechtliche Verortung für das Verständnis der pädagogischen Tätigkeiten ist. Manche Diskursbezüge müssen wir ohne Vertiefung in die studienpraktischen Hinweise verlagern, wie beispielsweise den Armutsdiskurs, die Frage nach den Entwicklungsaufgaben, den Resilienzdiskurs oder die internationalen Aspekte des Dargestellten.

Wir hoffen, dass unsere Angebote der Perspektiverweiterung zu interessanten Reflexionen anregen, der pädagogischen Theorie ebenso wie der pädagogischen Praxis, und deren Verhältnis vielleicht nützliche Impulse bieten kann und den Professionalisierungsprozess künftiger KollegInnen auch ohne die explizite Darlegung dessen, woran pädagogische Professionalität gemessen werden kann (Nike 2002), befördern mag.