Germany´s next Topmutti

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Germany´s next Topmutti
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Anja Lerz (Hrsg.)

Germany’s next

TOPMUTTI

Das Mama-Manifest –

ein Hoch auf die Unvollkommenheit


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86506-875-0

© 2016 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: Pretty Vectors fotolia

Der Text „Guter Hoffnung in die Krise und mit Chance wieder heraus“ von Helen Heinemann ist dem Band „Eltern werden –

Liebespaar bleiben. 50 Tipps, damit die Liebe überlebt“ entnommen.

Erschienen 2012 im Westfalen Verlag, Frankfurt am Main.

Satz: Brendow Web & Print, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Anja Lerz

Die zehn Gebote der Kindererziehung

Nicole Vogel

Rollbraten

Anja Schäfer

Unsere Freiheit, ganz anders zu leben. Oder auch nicht …

Bettina Kammer

Eine Rabenmutter macht Party

Veronika Smoor

Zeitnischen

Inken Weiand

Alles ganz perfekt

Annekatrin Warnke

Wer will schon „Supermutter“ sein?

Schlechtes-Gewissen-Bingo für Rabeneltern

Karla Schniering

Letztendlich entscheidet das Herz

Nicole Vogel

Kein Grinsekatze

Helen Heinemann

Guter Hoffnung in die Krise und mit Chance wieder heraus

Ingrid Neufeld

Eltern ticken immer richtig – auch wenn sie völlig überdreht sind

Ines Emptmeyer

Wäre die Welt, widdewiddewie sie mir gefällt!

Die Autorinnen

Weitere Bücher

Die zehn Gebote der Kindererziehung

Anja Lerz

1. Kinder brauchen Routinen und Rituale. Am besten, man folgt jeden Abend dem gleichen Muster, das fördert das Gefühl von Sicherheit und führt zu gesundem Schlaf. Folgt man jeden Abend dem gleichen Muster, kann das allerdings auch zu zwanghaftem Verhalten führen. Das weiß jeder, der einmal die Reihenfolge der Strophen von „Weißt du, wie viel Sternlein stehen?“ durcheinandergebracht hat. Wer bei seinem Kind bleibt, weil es nicht schlafen kann, lässt sich unterjochen, hat kein Rückgrat und schadet ihm fürs Leben. Wer sein Kind schreien lässt, bis es von alleine zur Ruhe findet, nimmt Traumata in Kauf und schadet ihm fürs Leben.

2. Kinder brauchen Nähe. Babys sollten im Bett der Eltern schlafen, weil sie ganz viel Liebe brauchen (Eltern brauchen keinen Schlaf). Aus Sicherheitsgründen sollten Babys jedoch in einem Beistellbett neben dem Elternbett schlafen. Um Klammern zu vermeiden und einen unabhängigen, starken Menschen großzuziehen, ist es empfehlenswert, schon Babys in einem eigenen Zimmer schlafen zu lassen. Selig sind die, die alle drei Dinge unter einen Hut bekommen.

3. Stillen ist das Beste für ein Baby. Stillen ist das Natürlichste der Welt. Mach doch einfach. Stillen ist eine Wissenschaft für sich. Wenn Dein Kind schlecht schläft, häufig trinkt, Bauchweh bekommt oder dumm aus der Wäsche guckt, hast Du es Dir wohl zu einfach gemacht. Vielleicht solltest Du es mit der Flasche versuchen.

Wenn Dein Kind schlecht schläft, häufig trinkt, Bauchweh bekommt oder dumm aus der Wäsche guckt, solltest Du es vielleicht mit einer anderen Flasche versuchen.

Es liegt auf jeden Fall an Dir und nicht daran, dass Babys manchmal schlecht schlafen, häufig trinken und Bauchweh bekommen. Dumm aus der Wäsche gucken mögen vielleicht andere Babys, aber Deins auf gar keinen Fall.

4. Du sollst Deinem Kind ausreichend gutes Essen geben. Aber gib ihm bloß nicht zu viel, sonst wird es zu dick, und zu wenig wäre natürlich auch schlecht. „Die wissen schon, was sie brauchen“, sagen die einen, „lass Dir bloß nicht auf der Nase herumtanzen“, sagen die anderen. Keine Extrawürste, und der Teller wird leergegessen. Aber auch auf das Kind einstellen und den Bedürfnissen einfühlsam begegnen, ist klar. Wer jetzt schon zum Essen gezwungen wird, landet nämlich garantiert irgendwann bei den Gewichtsbeobachtern; wer darf, was er will, strebt hingegen schon morgen nach der Weltherrschaft. Am besten Bio, das ist am gesündesten. Keinesfalls nur Bio, sonst läuft man Gefahr, beschuldigt zu werden, einer besserwisserischen Ersatzreligion zu frönen und sich somit den Ärger der Kitamütter zuzuziehen.

5. Du sollst Dein Kind nicht überfordern. Packe den Kalender nicht zu voll. Kinder brauchen Freiräume, Zeit und Platz für Fantasie. Kinder müssen sich langweilen dürfen. Aber vergiss nicht, dass das musikalische Gefühl in jungen Jahren noch schön gefördert und geformt werden kann. Es ist daher unbedingt zu befürworten, sich beizeiten der örtlichen Musikschule anzuschließen. Auch die Motorik-Förderung ist wichtig. Also ab zum Kinderturnen. Und das Elternfrühstück der Kirchengemeinde ist auch ein unbedingt empfehlenswertes Angebot. Außerdem ist es doch erschreckend, wie wenige Kinder heutzutage schwimmen können. Ein Seepferdchen-Kurs ist Pflicht. Möglichst natürlich vor der Einschulung. Nur kein Druck. Bloß nicht überfordern. Aber denke daran: Vernachlässigung ist auch keine Lösung.

6. Du sollst Deinem Kind Dinge zutrauen. Lass es auf Bäume klettern. Lass es in Matschpfützen spielen. Zeig ihm, wie man mit Gefahren umgeht. Sonst bist Du eine Helikoptermutter, die unter Kontrollzwängen leidet.

Bereite Dich aber innerlich schon einmal darauf vor, Fragen zu blauen Flecken, Prellungen, Schürfungen, Schnittwunden, Rotznasen und laufend verschmutzter Kleidung zu beantworten. Gefährdest Du Dein Kind über die Maßen? Setzt Du es ständig Naturgewalten (Herbstwinden, Schnee, Aprilwetter, Sommerregen) aus, denen sich kein erwachsener Mensch stellen würde? Trinkst Du etwa Kaffee und sprichst mit Erwachsenen, während Dein Kind kopfüber an der Turnstange hängt und den Salto mortale übt?

Liegt da etwa keine Gummimatte unter dem Klettergerüst, ist da kein Sicherheitsnetz um das Trampolin gespannt? Ist das Messer scharf? Brennt auf dem Adventskranz eine echte Kerze?! Warum hast Du überhaupt ein Kind, wenn Du sein Leben ständig so skrupellos aufs Spiel setzt?! Vielleicht hast Du ja den Satz am Anfang falsch gelesen. Sprich bitte laut nach: „Zeig Deinem Kind, wie man Gefahren umgeht.“ Ja, so ist es richtig.

7. Du sollst konsequent sein. Keiner mag lasche, liberale Eltern, deren unflätige Rotzlöffel ohne Manieren und mit viel zu viel Selbstbewusstsein ihre Umgebung schikanieren. Wichtig ist dabei: Keiner mag die Eltern. Keiner mag die Kinder. „Mögen“ ist das Schlüsselwort. Ob es den Kindern oder den Eltern gutgeht oder nicht, ist zweitrangig. Wichtig ist lediglich der Beliebtheitsgrad.

Brülle Dein Kind deswegen nicht (und auf gar keinen Fall in der Öffentlichkeit) an. Drohe ihm nicht. Bleibe freundlich, aber streng. Lächle. Möchte Dein Kind beispielsweise bei -10 °C lieber ohne Mütze, Schal und Jacke herumlaufen, so ist es keine Option, es, sagen wir mal, vor der Ausgangstür eines Kaufhauses in die Kleidungsstücke zu zwingen. Es ist allerdings auch keine Option, das Kind einfach gehen zu lassen. In beiden Fällen ist mit Unmutsbezeugungen des Publikums zu rechnen.

Weil Du den Anfall ignoriert hast. Denn dadurch lernt Dein Kind, dass Du es nur lieb hast, wenn es nett ist.

Weil Du auf den Anfall reagiert hast. Denn dadurch lernt Dein Kind, dass es Aufmerksamkeit bekommt, wenn es sich danebenbenimmt.

Weil Du Deine körperliche Überlegenheit eingesetzt und das Kind in die Kleider gezwungen hast – willst Du etwa den Willen Deines Kindes brechen?!

 

Weil Du Dein Kind verantwortungslos in die Kälte hinauslässt. Schäm Dich!

Besser, Ihr bleibt einfach von vorneherein zu Hause.

Dass Kinder Wutanfälle hinsichtlich elterlich ausgewählter Textilien (wahlweise austauschbar: Essen, Freizeitgestaltung oder Wetter) bekommen, und zwar vorzugsweise in der Öffentlichkeit und unabhängig von Konsequenz und Autorität der Eltern, ist ein Phänomen, das Menschen offenbar völlig fremd erscheint, sobald ihre eigenen Kinder die Volljährigkeit erreicht haben. Wenn Eltern darauf selbst mit Frustration, Lautwerden oder gar – jetzt kommt‘s – Wut! reagieren, so sind das stets bedauerliche Einzelfälle, die nie hätten passieren dürfen. Wären die Kinder konsequenter und mit strengerer (aber liebevoller!) Hand erzogen, würden sich solche Szenen nie ereignen. Niemals.

8. Du sollst eine entspannte Mutter sein, die selbstverständlich alles gut und richtig macht. Lächle. Du bist als Frau zur Welt gekommen, also liegt es auf der Hand, dass Deine mütterlichen Instinkte a) vorhanden und b) richtig sind. Außer natürlich, wenn das nicht der Fall ist. Dann nicht.

Das ist dann schade.

Dass Deine Instinkte nicht richtig sind, merkst Du daran, dass Du Dich zu wichtig nimmst (wie gesagt, Egoismus ist ganz schlecht). Oder Dich zu sehr aufopferst (wer sich nur über sein Kind definiert, belastet die kleine Seele!).

Wie auch immer, hör bloß nicht auf zu lächeln.

9. Sei gelassen. Lass Dir bloß nicht reinreden. Denke an Deine Instinkte (siehe oben). Glaube nicht jedem Guru. Tue, was Du für richtig hältst. Lächle über andere Mütter, die Ratgeberartikel lesen.

Für Expertenmeinungen interessieren sich nur Menschen, die sich im Kern ihres Wesens (also ihrer Identität als Mutter) unsicher sind. Du solltest Dir also unbedingt noch ein paar Expertenmeinungen anhören. Selbst, wenn sich alle anderen sicher sind bei dem, was sie tun: Das, was Du machst, könnte falsch sein. Bleibe kritikfähig. Informiere Dich und bleib auf dem neuesten Stand. Es gibt schließlich Pädagogen, die kennen sich aus. Gut, sie haben vielleicht selbst keine Kinder, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie die Profis sind (Du nicht).

10. Vergiss bis auf Weiteres das Wort „Komfortzone“. Forscher haben herausgefunden, dass man sich den meisten Stress sowieso selber macht. Der Stress erwächst sozusagen aus der übersteigerten Erwartung, man könnte auch sagen: Sehnsucht, nach der Wunschvorstellung eines gelungenen Tages, nach Ruhe, Ausgeglichenheit und solcherlei Kinkerlitzchen.

Einen oder mehrere kleine/​n Menschen mit (wie es scheint) erschreckend wenig ausgeprägtem Selbsterhaltungstrieb am Leben, gefüttert, gewaschen und gekleidet zu halten ist ein Minimalziel, das es jeden Tag wieder zu erreichen gilt. Alles darüber hinaus? Pah. Wir sind nur im Stress, weil wir zu viel erwarten. Reduziere Deine To-do-Liste auf ein Minimum. Streiche als Erstes den Punkt „Pause“. Werde endlich erwachsen, höre auf zu jammern und bilde Dir nicht ein, es gehe hier um Dich. Du willst die Klotür hinter Dir abschließen? Wie egoistisch!

Erstelle stattdessen eine „Erledigt!“-Liste. Das baut auf, das motiviert. Zugegeben, an neun von zehn Tagen bist zwar vermutlich Du selbst die Einzige, die erledigt ist, aber was soll’s.

Rollbraten

Nicole Vogel

Mütter unter sich. Oje, oje, oje. Als ich das erste Mal zu diesem ominösen Malibu-Kurs fuhr, der eher nach einem Sommer-Sonne-Party-Treff klang als nach einer Krabbelgruppe, hatte ich Bauchschmerzen. Einerseits, weil ich das Autofahren mit einem Baby noch nicht gewohnt war und mich immer noch oft so fühlte wie bei meinen Fahrstunden damals. Ich klebte selbst im Januar vor Schweiß am Sitz fest, durch die Winterjacke hindurch. Nach über fünfzehn Jahren seit der Führerscheinprüfung dachte ich zum ersten Mal wieder intensiv über die Verkehrsregeln nach, nahm die Kurven nicht mehr so steil wie sonst und bremste nicht mehr quietschend ab. Da war ja immerhin ein schutzloses Lebewesen in meinem Auto, für das ich jetzt am Steuer ganz alleine verantwortlich war. Das machte mir alles einen scheiß Stress.

Hinzu kam noch, dass ich so absolut keine Lust auf diesen Mutti-Kurs hatte. Gelinde gesagt. Mein Körper schrie mir durch den Magen zu: „Hau ab! Sieh zu, dass du Land gewinnst! Nix wie weg!“ Mag ja sein, dass andere Mamas das spannend finden, ihre neue Lebenssituation mit anderen Müttern zu teilen, aber ich war noch nie ein Vereinstyp gewesen und hatte mit dem neuen, kleinen Menschen in unserem Leben schon genug an den Hacken – da musste ich mich nicht auch noch auf die Lebenswelten von anderen Muttertieren einlassen. Echt nicht.

Denn bevor Frau ein Kind hat, ist sie meistens nur Frau, Ehefrau, Freundin und Kollegin. An diese Rollen werden auch schon einige Erwartungen gestellt, aber keine Rolle ist so überbelastet mit Erwartungen wie die „Mutter“. Ist man das dann, prasseln nicht nur die Erwartungen der Gesellschaft und der Familie, sondern auch die eigenen an diese Mutterrolle auf einen ein – und die der anderen Mütter. Da rollen so viele Mythen und Stereotypen von Mamas durch die Gegend, dass man davon nur überrollt werden kann. Egal, was Mutter macht – irgendwer hat immer was zu meckern, weil eine gute Mutter das anders gemacht hätte. Manchmal hätte ich statt der vielen Mutterrollen lieber ein paar Speckrollen mehr. Und das will schon was heißen, weil ich davon bereits ein paar auf Lager habe.

Blöderweise gehörte zu meiner persönlichen Vorstellung einer „guten“ Mutter, dass ich wenigstens einmal mit der Lütten zu solch einem Babykurs gehe. Einfach mal, damit die Lütte auch andere Babys trifft. Wie ich dann da in diesem Kurs erfuhr, interessiert das die kleinen Pupsis, Hasis, Knutschis und Mottis überhaupt nicht, welche anderen Mausis, Bärchen und Herzis noch da sind. Eigentlich ist das nur was für die Muttis, um eben irgendwie ihre Mutterrolle zu finden. Eigentlich hätte ich an diesem Punkt das Weite suchen können, aber da war es schon zu spät. Da war ich schon mittendrin in diesem Mutti-Kosmos.

Denn obwohl es nicht zwingend erwähnt und die Zielgruppe als „junge Eltern“ definiert wurde, saß da kein einziger Vater auf dem Boden und krauchte mit seinem Nachwuchs herum. Mein Mann hatte sich noch überlegt, ob wir uns mit den Kursterminen abwechseln, aber als er hörte, dass da nur andere Mütter dran teilnehmen, die auch noch regelmäßig ihre Brüste zum Stillen ihrer Kinder rausholen, hat er seine Meinung schnell geändert. Ich kann das verstehen. Ich wäre auch gerne weggeblieben.

Nix gegen Brüste. Aber dieses „Welche-Mami-istdie-beste“-Gehabe war nicht meine Welt. Das erinnerte mich an die Sportfeste von damals, wo man nur etwas wert war, wenn man gewann. Selbst der zweite Platz war nicht gut genug – es war ja nicht der erste. Manche liebten dieses Kribbeln, diese Aufregung, ob man es nicht vielleicht dieses Jahr aufs Treppchen schaffte. Meine Einstellung zu dieser Schweiß-und-Stress-Veranstaltung war nur: Augen zu und durch. Die Leibesertüchtigungen, wie manche es nannten, hätten mir vielleicht noch Spaß gemacht, aber ich mochte das Leistungsgerangel nicht. Höchstens bei Brettspielen, aber da war es manchmal auch Glückssache, wer gewann. Das gefiel mir. Ich war eben schon immer eher der Gemeinschafts- statt der Wettkampftyp. Und jetzt musste ich mich diesen Mama-Wettkämpfen stellen. Ich hasste es.

Da war zum Beispiel diese eine Mutter, die von den anderen angehimmelt wurde wie ein Popstar. In gewisser Weise war sie das auch. Ihr sah man die Schwangerschaft nicht an, kein Bäuchlein, keine zerrissene Haut, nix – obwohl es ihr zweites Kind war, wie sie betonte. Sie kam immer pünktlich, trug Schuhe mit Absätzen, war geschminkt und immer gut gelaunt. Ihr Sohn konnte als Erster krabbeln und überrannte die anderen Babys, zog sie an den Haaren und bewarf sie mit Rasseln, aber sie blieb die Ruhe selbst und lächelte nur. Dieses Lächeln – ich träumte nachts davon, wie ich es ihr aus dem Gesicht boxte, aber es verschwand nicht!

Im Gegensatz zu ihr kamen die meisten anderen Mütter, wie ich auch, abgekämpft und übermüdet dort an. Irgendein Baby hatte immer die Kotzerei, Kackerei oder schrie die ganze Zeit während des Kurses. Irgendeine Mutter hatte immer zerzauste Haare oder einen Milchfleck auf dem Shirt, der Hose oder am Hals. Und irgendwer war immer mal schlecht gelaunt oder konnte sich nicht konzentrieren wegen des Schlafmangels. Bis auf eine Mutter, deren Tochter schon von Beginn an durchschlief. So richtig zwölf Stunden am Stück. Sie wusste nicht, was sie tat, als sie das beiläufig erzählte, denn danach haben wir sie alle still und heimlich gehasst. Ein bisschen zumindest. Am meisten aber, wenn uns unsere Lütten alle zwei Stunden in der Nacht anbrüllten, als würden wir sie fressen wollen.

Mit der Zeit wurde aber deutlich, dass wir alle mit der neuen Rolle unsere Schwierigkeiten hatten. Sogar unsere Promi-Mami packte irgendwann ihre Horrorgeschichten aus, als sie sich in unserer Runde sicher fühlte. Dass ihr Sohn schnell mobil war, hatte nämlich auch seine Schattenseiten. Plötzlich war er auf ein Gatter zur nächsten Weide geklettert und nahm Kontakt mit den Jungbullen auf. Gar nicht gut. Irgendwann war er mal wieder verschwunden, und sie fanden ihn auf dem Dach wieder. Er war über einen Holzstapel an der Wand hochgeklettert und hatte sich an der Regenrinne hochgezogen. Kein Witz. Es gab sogar Beweisfotos.

So war das mit dem Höher-Schneller-Weiter. Irgendein Kind war immer mal oben auf dem Treppchen, aber uns allen war klar: Das kann auch nach hinten losgehen. Die erste bange Frage war: Wann drehen sich die Lütten auf den Bauch? Wann lächeln sie uns das erste Mal an? Unsere Lütte fiel zu diesem Zeitpunkt dadurch auf, dass sie sehr wach war und alles wahrnahm. Da ahnten wir schon, was die Kursleitung dann auch ansprach: Die Lütte ist wahrscheinlich hochsensibel. Kann man sich drüber freuen. Muss man aber nicht, weil man dann auch mehr Pausen braucht. Kinder und Pausen? Äh: nö.

Dann kam das Krabbeln. Ein großes Thema. Denn es sorgte schon für Unruhe, wenn manche Lütten noch sich windend am Boden lagen, während andere sich rubbeldiekatz durch den Raum schoben. Letztendlich lernten es alle – oder fingen gleich an zu laufen. Danach kamen das Hochziehen und Stehen und schließlich für alle das Laufen. Und damit auch die Wertediskussion: Laufwagen, ja oder nein? Bei anderen Müttern fing das schon bei den Windeln an: Pampers oder die vom Discounter oder doch Stoffwindeln? Spätestens mit dem Wetteifer: Wer ist als Erstes trocken?, hört das dann aber wieder auf, und es geht weiter mit dem: Wer kann ohne Schnuller, sich als Erstes an- und ausziehen und mit Messer und Gabel essen?

Mittlerweile haben fast alle unsere Kinder die ersten Vergleichsmarathons hinter sich, und es stellen sich verschiedene Schwerpunkte heraus. Das eine Kind kann schon seit dem ersten Geburtstag ganze Sätze sprechen, interessiert sich aber nicht die Bohne für die Toilette. Das andere Kind nuschelt nur ein paar Worte, braucht aber schon lange keine Windeln mehr. Auch hier gibt es wieder Abstufungen: Manche benutzen ein Töpfchen, andere einen Klo-Thron, wieder andere nur einen Hocker und eine kleinere Klobrille oder auch gar nix und lassen das Kind in der Dusche Pipi machen. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Manche Kinder malen den ganzen Tag, andere können den Takt bei der Musik halten, andere singen, wieder andere tanzen, die nächsten klettern und turnen, wieder andere schauen sich stundenlang Bücher an oder spielen mit ihren Stofftieren und Puppen Szenen nach. Als Nächstes erwartet uns dann das Schreiben. Man könnte meinen, bei fast Dreijährigen gebe es bis dahin mal eine Verschnaufpause vom „Mein-Kind-kann-Schon“, aber auch dieses Siegertreppchen ist schon erklommen worden – ein Mädchen konnte schon mit fast zwei Jahren seinen Namen schreiben und bildet jetzt erste Sätze mit Magnetbuchstaben am Kühlschrank. Auch eine Fähigkeit, die anstrengend sein kann, wenn andere Kinder das erst in einigen Jahren lernen.

Auch wenn wir unsere Kinder mit ihren Fähigkeiten immer mal wieder vergleichen, gab es bei uns Malibu-Muttis bisher keinen richtigen Wettkampf um die beste Mutti aller Zeiten. Vielleicht gerade, weil wir alle so verschieden sind, dass der Vergleich nicht möglich ist. Wir sind wie eine von gewieften Marketingstrategen zusammengestellte Girlgroup. Eine Muddi-Band ohne musikalische Fähigkeiten mit Stereotypen für jeden Geschmack. Ich nenne uns die Spice-Mums:

Da gibt es also unsere Promi-Mama, die tatsächlich mal bei einem gemeinsamen Essen ohne unsere Kinder in einem Restaurant um ein Autogramm gebeten wurde, weil man sie für eine Teilnehmerin von „Germany‘s next Topmodel“ hielt. Tatsächlich passiert. Immer gut gestylt, immer schlank, Fan von Serien wie „Shopping Queen“. Am anderen Ende der Skala befindet sich unsere Rockability-Mama: eine fast komplett tätowierte Veganerin, deren Haarfarbe wöchentlich wechselt und die alle Kleidungsstücke für ihre Tochter selber näht. Sie lebt mit Geckos zusammen und schaut am liebsten „The Walking Dead“.

 

Dazwischen gibt es die stille Büro-Mami, die perfekte Gastgeberin mit dem ordentlichen Haus, die mit ihren Kollegen aber auch regelmäßig kostümiert die Schlagerpartys der Region unsicher macht und trinken kann, ohne betrunken zu werden. Ihre Freundin unter den Spice-Mums ist die Sport-Mama, die am liebsten in ihrer Siedlung dafür sorgt, dass alles so ist, wie sich das gehört, mit ihrem Mann zusammen läuft und läuft und läuft – aber auch mal fluchen kann wie ein besoffener Bauarbeiter, wenn sie sich ärgert.

Die letzten drei Mamis haben sie nicht mehr alle. Eine davon bin ich. Die Psycho-Mama. Klingt schlimm. Ist es wahrscheinlich auch. Und das nur, weil ich in einer Beratungsstelle arbeite und in einem alten Haus mit wildem Garten wohne. Eine, die sich um zu viel einen Kopf macht und auf der anderen Seite anderen Muttis mit ihrer entspannten Art richtig Angst einjagen kann: „Ich lass das Kind auf den Baum klettern. Dann weiß es wenigstens, wie es geht. Wenn es runterfällt, weiß es, wie es nicht geht.“ Voll Psycho eben.

Die anderen zwei sind die Lehrer-Mama, die so viel für die Schule arbeitet, dass sie neben dem Kirchenvorstand, den sie auch noch sehr gewissenhaft leitet, nie Zeit hat, außer für den Posaunenchor. Ihre Lieblingssendung: die Tagesschau. Und dann wäre da noch die Eso-Mama, die in einem Landhaus hinterm Deich wohnt, zwei „Waldkinder“ hat, gut backen kann und oft zu spät kommt. Sie ist kreativ und chaotisch, und ihre Lieblingssendung ist irgendwas Spirituelles oder mit Gefühl.

Dass Jesus es schafft, die verschiedensten Typen zusammenzubringen, sowohl in der Bibel als auch in Kirchengemeinden – sofern für Vielfalt Platz ist und man nicht als Christ genormt wird, aber das ist ein anderes Rollenproblem –, das kannte ich schon, und das liebte ich. Aber dass ausgerechnet die so überfrachtete Mutterrolle es fertigbringt, so verschiedene Lebensstile miteinander in Berührung zu bringen, hatte ich nicht geahnt. Heute bin ich froh, dass ich mich damals trotz brüllenden Bauchs auf den Weg zu diesem Kurs gemacht habe. Da hat sich das Schwitzen mal gelohnt, auch, ohne Nummer eins auf dem Siegertreppchen zu sein.

Mittlerweile ist der Kurs schon fast zwei Jahre vorbei, und wir treffen uns immer noch regelmäßig, mit Kindern oder auch ohne. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wir in die Lebensstile der anderen Mamas hineinschauen können und uns zwar auch eine Meinung bilden und mal diskutieren, aber die anderen stehenlassen können. Denn hätten wir alle die gleiche Mamarolle, wäre das doch sehr langweilig, und wir hätten uns kaum was zu erzählen außer „Ja, sehe ich auch so“.

Das ist für mich ein Geschenk. Denn ich kenne noch ganz andere Mutterkämpfe, wo sie wie Hähne aufeinander eindreschen und sich hacken, bis alle flügellahm sind. Das betrifft vor allem die „Vollblut-Mamas“. Die haben jede Menge Stress, weil sie meistens nur noch Mamas sind und alle anderen Facetten mit der Geburt des Kindes abgelegt haben. Die Mutterrolle wird dann verteidigt bis aufs (Voll-)Blut, weil ja sonst nix mehr übrig bleibt. Kann ich nachvollziehen. Wer will schon ein Nichts sein?

Mit ihnen tauschen möchte ich aber um nichts auf der Welt oder Unterwelt. Denn genau davor hatte ich Angst, als ich das erste Mal zum Malibu-Kurs fuhr: dass mich ein Haufen Vollblut-Mamas knebelt und fesselt und so lange mit ihren Mama-Mantras bequatscht, bis ich auch eine Vollblut-Zombie-Mama werde. Dass ich vor lauter „Miteinander-den-Anfang-liebevoll-und-individuell-begleiten-und-Unterstützen“ (dafür steht „Malibu nämlich“, und das ist ja durchaus auch eine schöne Sache) gezwungen werde, alles andere aufzugeben: Arbeit, Freunde, Freizeit. Vollblut-Mamas sind nämlich unglaublich stolz darauf, alles für ihr Kind zu opfern. Notfalls auch die Ehe. Und wer da nicht mitmacht, ist keine gute Mutter. Also nur eine Halbblut-Mutter.

Was uns Spice-Mums ausmacht, ist wahrscheinlich, dass wir alle Halbblut-Mamas sind. In unserem Organismus gibt es noch mehr als unsere Kinder. Unser Halbblut ist es, was uns verbindet. Was aber auch andere ausschließt. Vollblut-Mamas zum Beispiel. Das ist keine von uns. Jede von uns kennt aber eine Vollblut-Mama, die überheblich auf uns Halbblut-Mamas herablächelt. Vollblut-Mamas würden nämlich auch gar keinen größeren Kontakt mit uns haben wollen – außer wir würden auch zu Vollblut-Müttern mutieren. Dafür sind wir aber zu würzig, zu sehr Spice-Mums. Vollblut-Mütter sind nur versalzen, wir haben noch Curry, Chili, Kardamom, Zimt und Pfeffer im Gepäck. Hier verläuft also eine klare Gewürzgrenze.

Genauso wie zu den anämischen Müttern, die noch nicht mal Salz haben. Davon hatten wir auch eine in unserem Malibu-Kurs, und wir haben anschließend lange überlegt, woran es lag, dass diese eine Mama zum Rest der Gruppe den Kontakt abgebrochen hat. Mittlerweile glaube ich, so ganz Psycho-Analyse-Mama, dass es daran lag, dass sie eine Mama mit Blutarmut ist. Ihr fehlte oft ein Feingefühl für ihr Kind oder auch Einsicht oder ein gewisses Verständnis. Das allgemeine Credo der Spice-Mums lautet: Urteile nie über eine andere Mama, denn du weißt nicht, was gerade bei ihr los ist oder wie es in ihrem Leben aussieht. Eigentlich.

Denn so manche Aktionen von anämischen Mamas haben uns doch das (Halb-)Blut in den Adern gefrieren lassen. Rauchen während der Schwangerschaft zum Beispiel? Geht gar nicht. Sich von einer Kuh in den Schwangerschaftsbauch treten lassen und nicht zum Arzt gehen? Geht gar nicht. Das Kind hat deutliche Entwicklungsverzögerungen, aber nicht zur Vorsorge gehen? Geht gar nicht. Das Kind fällt aus dem Laufstall, weil es dafür zu groß ist, und danach den Laufstall nicht runterstellen, sodass es gleich wieder rausfällt? Geht gar nicht. Das Kind die ganze Zeit nur anbrüllen? Geht gar nicht.

Auch Spice-Mums können also ihre Prinzipien haben und andere ausschließen. Die können auch auf andere herabsehen, die Spice-Mums. Nicht nett. Gar nicht nett. Typisch Halbblut-Mütter eben. Für mehr Sympathie ist kein Blut mehr da. Sollen sich doch die Vollblut-Mütter um die anämischen Mütter kümmern, denken die Halbblut-Mütter. Die einen können auf die anderen so richtig tief herabsehen. Und die anderen können zu den richtig guten Mamis hinaufsehen und sie anhimmeln. So hat jede Mama ihre Rolle und ihren eigenen Geschmack. Rollbraten eben. Den kann man auf verschiedenste Arten zubereiten. Sogar vegan.

Letztendlich leiden aber alle Mütter unter diesem Mama-Profisport. Außer sie sind eine Super-Mama, aber von denen hört man immer nur. Ich habe bisher noch keine getroffen. Vielleicht gibt es sie wirklich irgendwo, aber ich halte das für einen Mythos, ein Märchen, eine Metapher. Mag sein, dass manche an sie glauben, die Supermama. Vor allem die Vollblut-Mamas, die diesem Ideal hinterherjagen. Aber ich kenne nur Loser-Mamas. Denn das sind wir alle irgendwann mal. Meistens dann, wenn wir unseren eigenen Vorstellungen von der Mutti, Mutter, Mama, Mudda, Mum, Mami nicht gerecht werden. Die schlimmsten Mama-Verurteiler stecken nämlich in uns selbst. In unserem eigenen Rollbraten, egal, wie lange wir ihn schmoren lassen.

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