Anleitung für Simulanten

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Gisbert Roloff

Andrzej Angielczyk

Barbara Zoeke

Anleitung für

Simulanten

Reiseführer ins Schummelland

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gisbert Roloff

Andrzej Angielczyk

Barbara Zoeke

Anleitung für Simulanten

Reiseführer ins Schummelland

E-Book (pdf): ISBN 978-3-86374-154-9

E-Book (epub): ISBN 978-3-86374-155-6

(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-153-2, 1. Auflage 2014)

Mankau Verlag GmbH

Postfach 13 22, D – 82413 Murnau a. Staffelsee

Im Netz: www.mankau-verlag.de

Internetforum: www.mankau-verlag.de/forum

Lektorat: Caren Hummel, Augsburg

Endkorrektorat: Susanne Langer M. A., Traunstein

Umschlag: Andrea Barth, Guter Punkt GmbH & Co. KG, München

Layout Innenteil: Sebastian Herzig, Mankau Verlag GmbH

Schaubilder: Grafikstudio Heike Brückner, Regensburg, nach Handskizzen von Ligia Teryks, Berlin

Fotos: Ramona Heim - Fotolia.com (11), Tim T. - Photocase.com (17), Mathias Osvath (19), Counting Estrelas (105), jabbox1 - Fotolia.com (113) Energ. Beratung: Gerhard Albustin, Raum & Form, Winhöring

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Wichtiger Hinweis des Verlags:

Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch sind sorgfältig recherchiert und geprüft worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den hier erteilten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Die vorgestellten Hilfestellungen und Therapievorschläge sollen den Besuch beim entsprechenden Facharzt und/oder Fachpsychologen nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Inhalt

Vorwort

1. Wir Simulanten

Kapitel 1: Die große Simulanten-Parade

Kapitel 2: Die große Promi-Parade

Kapitel 3: Wir ganz normalen Simulanten

2. Simulanten in der ärztlichen Sprechstunde

Kapitel 1: Das Kreuz mit Rücken und Kreuz

Kapitel 2: Wenn die Schultern nicht so wollen

Kapitel 3: Von Sechskantschlüsseln, Computermäusen und Golfschlägern

Kapitel 4: Wie schmerzhaft ist dies Händchen?

Kapitel 5: Muskelalarm

3. Simulanten in der Sprechstunde gegen Armut und Angst

Kapitel 1: Von Stress, Traumen und Krisen

Kapitel 2: Hässliche Geschichten aus schönen Ländern

Kapitel 3: Erdrückende Lasten

4. Gebrauchsanweisung für Ärzte und andere Professionelle

Kapitel 1: Von Meeren, Savannen und Märkten

Kapitel 2: Über die unterschiedlichen Formen von Tapferkeit

Kapitel 3: Gediegene Sätze – alte Weisheiten

Anhang

Berühmte Simulanten in deutschsprachigen Romanen

Effi Briest und die simulierten Kreuzschmerzen (Lumbalgie)

Felix Krull und die vorgetäuschte Blödheit (Pseudodemenz)

Erläuterungen wissenschaftlicher Begriffe

Verwendete und weiterführende Literatur

Adressen von Organisationen/Einrichtungen

Danksagung

Zu den Autoren

Stichwortregister

Vorwort

Wie sagte Groucho Marx, der große amerikanische Komiker? Das Geheimnis des Lebens besteht aus Ehrlichkeit und fairem Verhalten. Wenn man das vortäuschen kann, hat man es geschafft.

Leichtfüßig und witzig formuliert, aber schwer zu realisieren: das eine wie das andere, das faire Verhalten ebenso wie das vorgetäuschte.

Warum schreiben wir darüber? Weil das jeder kennt. Weil Ärzte von ihren Patienten berichten, Lehrer von ihren Schülern, Rechtsanwälte von ihren Klienten, Professoren von ihren Studenten.

Und wie steht es mit der anderen Seite? Mit den Studenten, den Schülern? Haben sie ihre Lehrer, ihre Professoren nie beim Blaumachen, nie beim Täuschen ertappt? Und erkundigen Sie sich mal bei Steuerberatern oder gar bei Finanzbeamten. Auch die Versicherungen wären ein dankbares Feld für ganz spezielle Geschichten. Und, und, und…

Aber ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie laienhaft simuliert wird? Keinen Schauspieler ließe man mit solch einer miserablen Vorbereitung auf die Bühne. Nicht mit mir, möchte man rufen. Wenn Sie mich schon auf den Holzweg führen wollen, dann doch bitte mit etwas Niveau. Auf Augenhöhe, wie man heute gerne sagt. Als Wettkampf, als Gesellschaftsspiel. Hier ist eine Nachschulung dringend notwendig. Also: An die Arbeit!

Dieses Buch besteht aus vier Teilen. Der erste Teil ist als Marktplatz gedacht, als Treffpunkt für alle Leser. Hier geht es um Täuschung in ihren vielen Varianten. Da kann sich jeder nochmals davon überzeugen, dass selbst Lebewesen mit einem einfachen Strickleiter-Nervensystem zu allerhand Lug und Trug in der Lage sind. Wie viel mehr trifft dies dann auf Mensch und Menschin zu.

Der zweite Teil befasst sich mit dem, was viele erwarten: der kleineren oder größeren Inszenierung bei Ärzten und Gutachtern.

Der dritte Teil behandelt die Probleme von Traumatisierten, ein eher bedrückendes, aber sehr aktuell gewordenes Thema. Denken Sie an unsere Soldaten in Afghanistan, aber auch an die Flüchtlinge, die vor Bürgerkriegen und Katastrophen Schutz suchen müssen. Bei Traumatisierten gibt es Täuschungen in zweierlei Richtungen: Die einen täuschen Normalität vor, weil sie über den erlebten Schrecken nicht reden wollen und können; die anderen übertreiben.

Der vierte Teil schließlich wendet sich an die Gegenseite im Spiel. Wer täuscht wen wie lange und mit welchem Erfolg? Eine besondere Form des Fingerhakelns, vielleicht auch des Florettfechtens, jedenfalls des Streits mit offenem Ausgang.

Und zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte


Gisbert RoloffAndrzej AngielczykBarbara Zoeke



Wir Simulanten

Simulieren, täuschen, tricksen,

anderen etwas vormachen:

Sie doch nicht!

Oder doch?

Dann schau’n wir mal,

was so läuft…

Kapitel 1:

Die große Simulanten-Parade

Sie haben noch nie simuliert? Wirklich nicht? Vielleicht irritiert Sie nur der Begriff? Würde „täuschen“ besser passen? Oder „jemandem ein bisschen was vormachen“?

Fragen wir doch einmal konkret nach: Wie war das damals, als die Mathearbeit ohne Sie geschrieben wurde? Hatten Sie sich nicht beim Freund Ihres Vaters, einem verständnisvollen Hausarzt, ein Attest besorgt? Waren Sie wirklich erkältet oder war Ihnen einfach flau im Magen, weil Sie nicht genug gelernt hatten? Oder wollten Sie gar mit Ihrer neuen Liebe endlich einen Tag ins Grüne, in „ein Bett im Kornfeld“?

Jedenfalls wussten Sie schon damals sehr genau, mit welchen Symptomen bei Ihrem Arzt ein Attest zu ergattern war. Wofür gibt es schließlich Google & Co? Und wofür Thomas Manns Roman über den Hochstapler und Simulanten Felix Krull oder Theodor Fontanes Dreiecksgeschichte über Effi Briest und ihre vorgetäuschten Kreuzschmerzen?

Zwar verlangen die Zehn Gebote, der Katechismus und Kants Kategorischer Imperativ, dass wir nicht lügen, täuschen, tricksen. Allerdings: Die bloße Existenz dieser Vorschriften zeigt, dass Menschen sogar in erheblichem Maße gerade dazu neigen.

Wie der Mensch, so das Tier

Täuschung ist nicht einmal ein Privileg von ausgefuchsten Betrügern, Fälschern und Schwindlern. Sie gehört zur Grundausstattung jedes Menschen; sie ist ein Ergebnis der Jahrmillionen alten Evolution. Ob es sich nun um Schwindel, Irreführung, Betrug, Fälschung, Mogelei, Lüge, Bluff, Tricks, Finten oder Fassaden handelt, etwas davon kann jeder, und es gibt niemanden, der nicht das eine oder andere schon einmal zu seinem Vorteil genutzt hätte. Machen wir uns nichts vor: Schon sechs Monate alte Babys können es. Sie täuschen gänzlich amoralisch, wenn sie bei Mami und Papi mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung erreichen wollen. Und jeder hat schon amüsiert zugeschaut, sei es im Supermarkt oder im Zug, wie so ein kleiner Fratz seine besorgten Eltern vorführt. Aber, um das Verhalten unserer Kids noch zu toppen: Selbst Tiere können täuschen, sogar solche, die nur über ein Strickleiter-Nervensystem verfügen. Wir Menschentiere sind keineswegs allein, wenn es darum geht, jemandem etwas vorzumachen.

 

Die Tricks unserer Kleinen: Goldköpfchen schreit, als ginge es um sein Leben. Geht es aber nicht. Allerdings: Mami soll endlich, endlich nachgeben.

Biologen und Soziobiologen haben längst nachgewiesen, dass Täuschung und Tarnung als Überlebensprinzipien auf der gesamten Stufenleiter des Lebendigen anzutreffen sind. Die Manöver dienen immer dem gleichen Zweck, irreführende Signale an andere Lebewesen zu senden, um damit Vorteile zu ergattern, sei es bei der Futterbeschaffung, der Reviernahme, bei Partnerwahl und Fortpflanzung oder bei der Flucht vor dem Fressfeind. Der Soziobiologe Robert Trivers zeigt in seinem interessanten Buch „Deceit and Self-Deception“ („Betrug und Selbstbetrug“) an überraschenden Beispielen, wie allgegenwärtig das Prinzip Täuschung waltet. Einige Proben seiner umfangreichen Sammlung sollen hier gegeben werden.

Mimikry – und was dazu gehört

Viele Tierarten besitzen Möglichkeiten der Tarnung als Grundausstattung. Daher müssen sie sich nicht ausschließlich durch bestimmte Verhaltensweisen schützen. Ihr bloßes Aussehen, ihr Fell, ihr Gefieder, macht sie in ihrer natürlichen Umwelt für den Fressfeind nahezu unsichtbar.

Jeder hat im Biologieunterricht von Chamäleons und von Mimikry gehört. Und dass wir im übertragenen Sinn manche sehr anpassungsfreudige Erwachsene als Chamäleon bezeichnen, ist hinreichend bekannt. Aber ist Ihnen auch geläufig, dass das Unsichtbarwerden – vergleichbar mit dem Effekt einer Tarnkappe in Sagen und Märchen – zu den häufigen Täuschungsmethoden gehört? Um natürlichen Feinden zu entgehen oder als Jäger nicht erkannt zu werden, haben zum Beispiel die Bewohner des ewigen Eises gerne ein weißes Fell. So der Eisbär einerseits, seine Beutetiere, die weißen Robbenbabys, andererseits; sie sind aus größerer Entfernung nicht vom Untergrund zu unterscheiden und haben dadurch eine gute Chance, dem hungrigen Bären zu entkommen. In Afrikas Savannen dagegen sind jagende Löwinnen aufgrund ihrer hellbraunen Färbung zwischen den bräunlichen Steppengräsern ihrer Jagdreviere kaum auszumachen. So können sie sich bei günstigem Wind nah an eine Gazellenherde heranschleichen und die ahnungslosen Tiere überraschen.

Geradezu Unglaubliches leisten allerdings einige Meerestiere, so etwa die Karnevalstintenfische. Sie haben kein schützendes Gehäuse, sind aber dick und schmackhaft. Neben Tintenwolken und Bissen verteidigen sie sich gegen ihre Fressfeinde mit einer raffinierten Tarnung. Je nach Gefahrensituation nehmen sie die Form einer Flunder, einer Seeschlange, eines Stachelrochens, einer Schnecke oder eines Rotfeuerfisches an. Solange sie auf Nahrungssuche am Sandboden entlanggleiten, können sie bis zu 1.000 Mal am Tag ihre Färbung dem jeweiligen Untergrund anpassen, von sandhell bis schwarz; bei Gefahr verwandeln sie sich z.B. in eine Flunder und schießen pfeilschnell davon.

Und selbstverständlich kennt auch der Homo sapiens solche Täuschungsmanöver. Der Volksmund weiß zum Beispiel von „Wölfen im Schafspelz“. Und man denke nur an die Tarnung durch Unauffälligkeit und Normalität bei den sogenannten „Schläfern“, Spionen in Wartestellung. Meist führen sie ein ganz alltägliches Leben mit einem gängigen Beruf und einer plausiblen Biografie.

Ähnliches erlebt man bei Terroristen von links und rechts, wie die kürzlich enttarnte rechte Terrorgruppe von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe erneut belegt. Jeder ihrer Nachbarn in der Zwickauer Frühlingsstraße hielt die drei Verbrecher mit den beiden Katzen für vollkommen harmlose Zeitgenossen; Diddl-Maus wurde Beate Zschäpe geradezu liebevoll genannt.

Und um die mächtigen religiösen Bewegungen nicht zu vergessen: Wer hat sich noch nie über die Undercover-Agenten Gottes geärgert, die Theologie in Psychodeutsch auflösen und in betont juvenilem Räuberzivil auftreten? Und über die christlichen Verführer, die sich im Schutz ihrer Soutanen an Kinder heranmachen? Von den als Studenten getarnten Killerkommandos islamischer Fundamentalisten, die die westliche Welt in Schrecken versetzen, gar nicht zu reden.

Täuschen – und wer das alles kann

Einige Tierarten verschaffen sich Vorteile mit angeborenen Verhaltensweisen, die zwar automatisch und stereotyp abgespult werden, also ohne bewusste Täuschungsabsicht, aber Feinde und Artgenossen erfolgreich austricksen können. Nur ein Beispiel, das Sie vielleicht noch nicht kennen: Glühwürmchen, die den angelockten Partner fressen. Paarungsbereite Glühwürmchen finden sich über die Leuchtsignale, die Männchen wie Weibchen aussenden. Das nutzen Weibchen einer nah verwandten Art zum Beutefang. Sie imitieren das Leuchtintervall der begehrten Verwandten, locken damit deren Männchen an und verspeisen die sexbereiten Tölpel unverzüglich, anstatt sich mit ihnen zu paaren.

Und noch eine unglaubliche Geschichte: Wussten Sie, dass die Raupen mancher Schmetterlingsarten gnadenlose Untermieter in einem Ameisenbau werden können? Tja, diese Raupen ziehen als Nutznießer ein, obwohl die Bauten streng bewacht werden. Wie der Trick aussieht, den sie benutzen? Ziemlich raffiniert. Jede Raupe kann sich zu einem Ball rollen und den Duft von Ameisenlarven verströmen. Und die vom Duft betörten Ameisen tragen die simulierende Raupe in den Bau. Dort imitiert sie die Laute einer Ameisenkönigin, die um Futter bettelt. Sofort wird sie gefüttert, als sei sie die echte Königin. Sie wird auch bevorzugt fortgetragen, falls dem Bau die Zerstörung droht. Ganz schön bescheuert, diese Ameisen, oder nicht?

Und der Homo sapiens? Hat nicht die Geschichte der falschen Zarentochter Anastasia, die 1920 in Berlin auftauchte und sich als die jüngste Tochter von Zar Nikolaus II. ausgab, der Boulevardpresse viele Jahrzehnte hinreichend Stoff geliefert? Und den Historikern, Schriftstellern, Drehbuchautoren ein fabelhaftes Thema? Allein acht Filme sind dazu entstanden.

Und was war mit dem Schuster Voigt, der sich in Potsdam eine Uniform kaufte und als Hauptmann von Köpenick unsterblich wurde? Aus diesem Täuschungsmanöver sind hervorgegangen: ein Theaterstück von Carl Zuckmayer, zwei Verfilmungen, ein Museum und jeden Samstag in Köpenick noch einmal das ganze Spektakel für die Touristen.

Es hat auch seine Gründe, dass ein Lieblingsspiel unserer Jüngsten „Komm, wir verkleiden uns“ heißt, dass an Regentagen von Berlin bis Einödhausen Prinzessinnen, Seeräuber und Indianer die Kinderzimmer bevölkern. Und was ist mit dem Rausch des Kostümierens, wenn für die Erwachsenen die „fünfte Jahreszeit“ anbricht? Das Spiel des Tarnens und Täuschens, das wir alle zu gern spielen, weil wir dann besser, schöner, bedeutender scheinen, als wir sind. „In jedem von uns steckt ein kleiner Hochstapler oder Blender“, schreibt Franziska Lamott in ihrem Aufsatz über „Hochstapler, Gauner und andere Ganoven“, und wir werden ihr nicht widersprechen.

Und hätte der Homo sapiens nicht sein herausragendes Talent zu variabler Mimikry und zur Imitation von Verhalten, wo blieben all die Verkleidungsorgien, die Oper, Theater, Kabarett erst möglich machen? Von den Schauspielern und Spaßmachern ganz zu schweigen.

Jammervoll wird es erst, wenn einsame Frauen von Heiratsschwindlern hereingelegt werden, wenn vertrauensselige Menschen an ihrem Lebensabend das Ersparte an Aktienbetrüger verlieren und so fort.

Aber noch ein anderes Beispiel aus unserem Alltag: Schlagen Sie die Zeitung auf, lesen Sie von Steuersündern und Steuerparadiesen, als hätte Gott mit diesen Formen des Betrugs zu tun, ja, als wäre er es, der Orte einrichtet, die umfangreiche kriminelle Machenschaften erlauben. Semantische Mimikry nennen die Fachleute diese beschönigenden sprachlichen Formulierungen, und wenn Sie in Zukunft beim Zeitunglesen darauf achten, werden Sie merken: Es gibt sehr viele. Zum Beispiel geben wir zu, etwas geschummelt zu haben, wenn wir beim Lügen erwischt werden. Wir sagen einschlafen und meinen sterben, wir sprechen vom Lebensabend und meinen das Alter, wir sagen Seniorenresidenz und haben das Altersheim um die Ecke im Sinn. Totengräber gehören heute zu einem Grüfte-Team, das kräftige Wort Gottesacker haben wir erst in den Friedhof und jetzt in einen Ruhewald verwandelt; Urnen werden sogar in einem Rosen- oder Apfelhain vergraben. Und wie lauten die Sprachregelungen unserer Afghanistan-Kämpfer? „Wir haben sie gehört, aber wir konnten nicht auf sie einwirken..“ Ahnen Sie, was das heißt? Im Klartext: Wir konnten nicht auf sie schießen.

Der Rabe, der mit der geklauten Beute abhaut. Klauen konnte er nur, weil er seinen rangtieferen Kumpanen getäuscht hat.

Tricks als Werkzeug, um mehr vom Kuchen zu ergattern

In der Hirnentwicklung höher stehende Tiere – und selbstverständlich auch wir Menschen – sind in der Lage, auf die jeweilige Situation mit Werkzeuggebrauch, mit Intelligenz und Lernen zu reagieren. Entsprechend vielfältig und ausgeklügelt sind dann die Täuschungsmanöver.

Von diebischen Elstern weiß die deutsche Sprache, auch von klauenden Raben. Dass letztere sich untereinander Nistmaterial stehlen, ist schon länger bekannt. Aber sie bestehlen sich nicht nur, sie tricksen sich auch gegenseitig aus, um das Futterversteck des anderen zu plündern. Raben, die aus einem fremden Futtervorrat etwas stibitzen wollen, locken den Besitzer fort, indem sie irgendwo abseits auf dem Weg picken, so, als hätten sie selbst Futter gefunden. Der getäuschte Tor fliegt herbei, vertreibt den Trickser und untersucht die Stelle am Weg. Der Trickser wiederum fliegt schleunigst zum Platz des Ausgetricksten und frisst, was er dort findet. Nun gut, Mundraub, werden Sie sagen. Oder auch: Betrogene Betrüger.

Aber wissen Sie, was unsere nächsten Verwandten, Schimpansen und Gorillas, alles treiben? Dass sie einander mit Wurfgeschossen traktieren, und zwar erst dann, wenn das auserkorene Opfer nichts Böses mehr vermutet? Solange der Artgenosse ihnen zuschaut, halten die Angreifer das Wurfgeschoss hinter dem Rücken; sie holen es blitzschnell hervor, wenn der andere sich abgewandt hat. Soll auch Zoobesuchern schon passiert sein. Also seien Sie bei Ihrem nächsten Gang in den Zoo vorsichtig!

Mit einem anderen Trick locken Gorillas ihre Rivalen in einen Kampf. Sie werfen ein Fundstück so gegen einen Baum, dass der Rivale sich erschreckt und wie gewünscht in ihre Richtung und ihnen in die kampfbereiten Arme rennt. Und dann gibt es mächtig Prügel.

Tja, und um Paarungsverhalten und Sex nicht zu vergessen: Manch Verführer unter den Schimpansen präsentiert seinen erigierten Penis, der sich schön rot vom dunklen Fell abhebt, so geschickt hinter vorgehaltener Hand, dass er zwar sehr wohl von einem Weibchen bemerkt wird, nicht aber vom Pascha der Gruppe. Entdeckt jedoch der Pascha, dass da ein Rangniederer eines von seinen Weibchen besteigt, erzeugt der Schlingel sofort Konfusion, indem er seinerseits einen im Rang noch tieferen angreift. Und da die Ejakulation bei Schimpansen in wenigen Sekunden erledigt ist – eine längere Zeitspanne wäre viel zu gefährlich –, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unser tricksender junger Freund zum Zuge kam.

Fazit: Schimpansen und Gorillas täuschen oft und intelligent.

Erst Steine sammeln, dann werfen: Der Schimpanse Santino, ein Star der vergleichenden Intelligenzforschung, mitten in einer seiner Aktionen. Gleich wird er sich blitzschnell umdrehen und die Steine, die er sich vorher zurechtgelegt hat, auf die gaffenden Menschen schleudern. Kann man ein bisschen nachfühlen, oder nicht? Manchmal täuscht er besonders raffiniert, weil er an einem Apfel kauend auf die Gaffer zugeht. Näheres finden Sie bei Mathias Osvath in seinem 2012 erschienenen Artikel.

Und Homo sapiens? Homo sapiens verfügt über ein reiches Spektrum von Täuschungsmanövern. Er kann sich tarnen, unsichtbar machen, sich in einen anderen verwandeln, imitieren, Aufmerksamkeit verlagern, sich dumm stellen, die anderen austricksen, alles im Kampf um die größten Reviere, die besten Futterplätze (sprich: Geld), um die besten Partner für die Fortpflanzung, die höchsten sozialen Ränge, die größte Aufmerksamkeit, und in existenziellen Gefahrensituationen auch schlicht um das eigene Überleben.

 

Das fängt schon bei den Babys an. Bereits mit sechs Monaten können sie Weinen gezielt als Mittel einsetzen, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen. Bewusst eingesetztes Weinen kann abrupt unterbrochen werden - Sie haben das schon viele Male erlebt –, wenn das Kind kontrollieren will, ob sein Weinen auch beachtet wird. Unsere unschuldigen Kleinen können ihr Verhalten sehr gut modifizieren, je nachdem, wie die Erwachsenen darauf reagieren.

Und wer lacht nicht über die Pseudoblödheit von Felix Krull (alias Horst Buchholz), der mit seiner gut einstudierten Nummer wehruntauglich geschrieben wurde? (Einen Auszug aus dem berühmten Roman von Thomas Mann finden Sie im Anhang.) Und über Jack Lemmon und Tony Curtis, die in Billy Wilders unsterblicher Komödie Manche mögen’s heiß (siehe Kasten auf der nächsten Seite) in Frauenkleidern der Mafia entkamen? Und so weiter und so fort.

Täuschen und Tricksen macht schlau

Was bringt es nun, das Täuschen und Tricksen, wenn man sich die Evolution ansieht und zunächst darauf verzichtet, ein moralisches Problem daraus zu machen?

Der Soziobiologe Trivers formuliert hierzu eine ebenso überraschende wie einleuchtende Antwort. Täuschen führt zu immer besser entwickelter Intelligenz. Denn wer täuscht, um dem Fressfeind zu entkommen, wird sich häufiger fortpflanzen können als derjenige, der sich fressen lässt. Und gleichzeitig zwingt der Trickser den Fressfeind, seinerseits ausgefuchstere Strategien der Jagd zu entwickeln, sonst kann er sich weder ernähren noch fortpflanzen. Und wer den Artgenossen täuscht, um sein Futter oder sein Weibchen zu ergattern, hat wiederum bessere Chancen, zu überleben und Nachkommen zu zeugen.

Gerade bei sozial lebenden Tieren – zu denen auch das Menschentier gehört - bedeutet dies, dass nicht nur der körperlich Starke, sondern auch der besonders Gewitzte sich und seine Gene durchzusetzen weiß. Und wer die Geschichte menschlicher Sozietäten betrachtet, wird schnell bemerken, dass die Alphatiere längst nicht mehr die körperlich Stärksten sein müssen; an die Spitze rücken die, die tausend und einen Trick beherrschen.

Auf niederer animalischer Ebene sorgt das Gesetz vom Fressen und Gefressenwerden für die Entstehung nützlicher Varianten.

Flucht in Frauenkleidern

Sie haben Billy Wilders Film „Manche mögen’s heiß“ noch nicht gesehen? Dann sollten Sie sich diesen Genuss bald gönnen. Denn allein den letzten Dialogsatz „Nobody is perfect“ wird man für immer im Gedächtnis behalten. Die Story ist schnell erzählt: Zwei Musiker werden unfreiwillig Zeugen eines Mafia-Massakers. Sie fliehen aus Chicago in Frauenkleidern und schließen sich einer Damenkapelle an, die in einem Hotel in Florida aufspielt. Tony Curtis und Jack Lemmon sind die männlichen Helden mit Lippenstift, Ohrringen und Strapsen. Und Marilyn Monroe singt im tiefsten Dekolleté, das Sie sich vorstellen können. Nur ein hauchdünner Schleier bedeckt den damals weltberühmten Busen. Ein Reigen der Täuschung beginnt, und wer da wen austrickst, macht das Hauptvergnügen dieses Komödienklassikers aus. Mehr wird nicht verraten…

Auf der Ebene der höheren Hirnleistungen fördert Täuschung die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten – sowohl bei den Getäuschten als auch bei den Täuschern. Untersuchungen an Affen und Kleinkindern zeigen übrigens einen engen Zusammenhang zwischen Täuschung und Intelligenz. Je aufgeweckter zum Beispiel ein Baby ist, um so mehr täuscht es auch.

Simulation, simulieren

Der Begriff Simulation kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: Heuchelei, Verstellung, Vorwand, Schein, Täuschung. Das dazu gehörige Verb simulieren steht für: ähnlich machen, darstellen, abbilden, nachbilden, nachahmen, vorgeben, heucheln, vorspiegeln, so tun, als ob.

In der medizinischen und psychologischen Fachsprache bedeutet simulieren das Vorgeben einer Beeinträchtigung. Wird eine vorhandene geringfügige Störung übertrieben, spricht man dagegen von aggravieren, aus dem Lateinischen für etwas schwerer machen. In beiden Fällen soll ein Vorteil ergattert und/oder einer Verantwortung aus dem Weg gegangen werden.

In der Alltagssprache spricht man je nach Kontext von: schwindeln, mogeln, flunkern, schummeln oder kohlen, aber auch von Camouflage oder kaschieren. Immer soll damit gesagt werden, dass jemand aus zweckdienlichen Gründen mehr oder weniger von der Wahrheit abweicht.

Beispiele:

Eine Krankheit vortäuschen, um die Schule zu schwänzen, Gerichtsverfahren zu vermeiden, die vorzeitige Verrentung durchzusetzen und vieles mehr.

Fazit und Trost: Täuschen macht auf Dauer schlau, und zwar den Täuscher wie den Getäuschten.

Dissimulation, dissimulieren

Das lateinische Herkunftswort dissimulatio bedeutet Verkleidung, Maskierung, Verstellung, Schein, Verheimlichung. Das Verb dissimulare steht für unähnlich machen, unkenntlich machen.

In der medizinischen und psychologischen Fachsprache bezeichnet Dissimulation das absichtliche Herunterspielen oder Verbergen von Beeinträchtigungen, um für gesund und einsetzbar gehalten zu werden. In der Rechtsprechung kann es auch darum gehen, die Kenntnis von Verbrechen und/oder die Mittäterschaft herunterzuspielen, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.

In der Alltagssprache bedeutet dissimulieren: sich verstellen, etwas verbergen, etwas verheimlichen, um sich Vorteile zu verschaffen.

Beispiele :

Ein Kind verschweigt seine Halsschmerzen, um an der Klassenfahrt teilnehmen zu dürfen. Ein Berufskraftfahrer verheimlicht einen epileptischen Anfall, um seinen Arbeitsplatz zu behalten. Homosexuelle Politiker, Sportler, Geistliche präsentieren der Öffentlichkeit eine „normale“ sexuelle Identität und verbergen ihre tatsächliche sexuelle Orientierung.