Maria - Fräulein der Friesen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Maria - Fräulein der Friesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Andreas Scheepker



Maria – Fräulein der Friesen



Historischer Roman









Zum Buch



Friesland 1531 Der Jurist Lübbert Rimberti kommt in kaiserlichem Auftrag nach Jever. Er soll im Konflikt um die Herrschaftsrechte über Jever vermitteln. Dort muss sich Fräulein Maria, die Tochter des letzten Häuptlings von Jever, gegen die Herrschaftsansprüche der machtbewussten Grafen von Ostfriesland zur Wehr setzen und sich gegen Intrigen behaupten, während ihr kleines Land von plündernden Landsknechten überfallen wird.



Als einer von Marias erbitterten Gegnern einem Giftanschlag zum Opfer fällt, beschuldigen die Grafen von Ostfriesland das Fräulein und machen sich bereit, Jever zu besetzen. Schließlich muss Lübbert Rimberti den Fall aufklären, um den Verdacht von Maria abzuwenden. Rimberti gerät schon bald in die Machtkämpfe um das kleine Land und begibt sich in große Gefahr. Gemeinsam mit seinem Freund Ulfert Fockena nimmt er die Spur eines geheimnisvollen Verbrechens auf, das anderthalb Jahre zuvor geschah.



Andreas Scheepker, Jahrgang 1963, ist gebürtiger Ostfriese. Nach dem Abitur am Ulrichsgymnasium in Norden studierte er Evangelische Theologie und später Literaturwissenschaft, Geschichte und Pädagogik. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Aurich, wo er als Schulpastor am Gymnasium Ulricianum als Studienleiter und in der Arbeitsstelle für Evangelische Religionspädagogik tätig ist. Scheepker hat mehrere Kriminalromane und Erzählungen verfasst, die in Ostfriesland spielen. Sein besonderes Interesse gilt der Regionalgeschichte. Darum stehen oft Themen der ostfriesischen Geschichte im Hintergrund seiner Bücher.




Impressum



Immer informiert



Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie



regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.



Gefällt mir!







Facebook: @Gmeiner.Verlag



Instagram: @gmeinerverlag



Twitter: @GmeinerVerlag



Besuchen Sie uns im Internet:





www.gmeiner-verlag.de





© 2021 – Gmeiner-Verlag GmbH



Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch



Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0



info@gmeiner-verlag.de



Alle Rechte vorbehalten



Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt



Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht



Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart



unter Verwendung der Bilder von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maria_von_Jever_1572.jpg und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Atlas_Van_der_Hagen-KW1049B10_073-TYPVS_FRISIAE_ORIENTALIS.jpeg



Das Originalgemälde befindet sich im Schlossmuseum Jever.



ISBN 978-3-8392-6932-9




Vorwort



Den Wunsch, einen Kriminalroman über die Geschichte Fräulein Marias von Jever zu schreiben, habe ich schon seit vielen Jahren. Von 2002 bis 2007 lebten wir als Familie in Asel an der »Goldenen Linie« zwischen Wittmund und Jever. Unzählige Male haben wir in dieser Zeit das Schloss mit dem sehenswerten Museum in Jever besucht. In den vergangenen Jahren habe ich viel über Fräulein Maria und ihre Zeit gelesen und an diesem Krimi geschrieben.



Das vorliegende Buch ist keine Biografie über Fräulein Maria und auch kein Sachbuch über die Geschichte Jevers im 16. Jahrhundert. Dazu gibt es inzwischen etliche Bücher und Aufsätze, die diese Themen auf heutigem wissenschaftlichem Stand anschaulich vermitteln.



Das vorliegende Buch ist ein Kriminalroman. Die Handlung dieser Erzählung entstammt wie die meisten Personen meiner Fantasie. Auch die Romanfiguren, denen eine historische Persönlichkeit zugrunde liegt, habe ich mit Charaktereigenschaften, Gefühlen und Verhaltensweisen ausgestattet, wie ich sie für diese Erzählung einsetzen wollte.



Leserinnen und Lesern, die mit den geschichtlichen Hintergründen vertraut sind, werden bemerken, dass in diesem Roman nicht alle historischen Fakten korrekt wiedergegeben werden. Ich habe zum Beispiel Ereignisse, die sich über mehrere Jahre abgespielt haben, in einem Bild zusammengefasst. Mir war dabei wichtig, die historischen Ereignisse nicht nur als Hintergrundkulisse zu nutzen, sondern in die Handlung einzubeziehen. Auch wenn nicht alles »stimmt«, habe ich mich doch bemüht, ein einigermaßen stimmiges Bild dieser Zeit zu gestalten.



Im Anhang gebe ich einige Informationen über historische Personen, Orte und Stichworte, die in diesem Buch wichtig sind. Danach führe ich Bücher und Aufsätze auf, die mir geholfen haben, Einblicke in die Geschichte Fräulein Marias und Jevers im 16. Jahrhundert zu bekommen. Wenn in Leserinnen und Lesern das Interesse entsteht, sich intensiver mit dieser interessanten Persönlichkeit und ihrer Zeit zu befassen, liegt das durchaus im Sinne des Autors.



Ich danke der Programmleiterin, Frau Claudia Senghaas, und dem Team vom Gmeiner Verlag für die angenehme und verlässliche Zusammenarbeit.



Herzlich danke ich Professorin Antje Sander, Leiterin des Schlossmuseums Jever. Sie konnte mir bei vielen einzelnen Fragen weiterhelfen, und ihre Veröffentlichungen waren genauso wie die Biografie von Doktor Wolfgang Petri ständige gute Wegbegleiter bei der Arbeit an diesem Buch.



Einen besonderen Dank möchte ich meinem lieben Kollegen Doktor Matthias Bollmeyer aussprechen. Er hat mit seinem umfangreichen Fachwissen den Anhang dieses Buches korrigiert, berichtigt und ergänzt und mir noch viele zusätzliche Informationen und Einblicke vermittelt. Diese Hinweise werden vielleicht noch einmal eine Idee für einen weiteren Krimi abgeben.



Widmen möchte ich dieses Buch meinen drei Kolleginnen in der Arbeitsstelle für evangelische Religionspädagogik Ostfriesland (ARO):



Doktor Ute Beyer-Henneberger,



Jutta Renken-Sprick,



Sonja Skoczylas.



Auf diesem Wege möchte ich ihnen für die sehr gute und freundschaftliche Zusammenarbeit danken.




Personenverzeichnis



Am Hof von Königin Maria, Statthalterin des Kaisers



Lübbert Rimberti, Jurist am kaiserlichen Hof in Brüssel



Kobus Temmen, Lübbert Rimbertis Schreiber



Graf Christian von Wittenvelde, Rat am kaiserlichen Hof in Brüssel



Hauptmann Burkert, Offizier im kaiserlichen Dienst



Aus der Herrschaft Jever:



Fräulein Maria, Tochter des letzten Häuptlings von Jever



Fräulein Anna, Tochter des letzten Häuptlings von Jever



Folpt Middens von Sassenhusen, Häuptling und Regent des Jeverlandes



Beeke und Jabina Middens von Sassenhusen, Schwestern von Häuptling Folpt Middens, Nonnen im früheren Kloster Annenwolde



Jelto Middens von Sassenhusen, Sohn von Häuptling Folpt



Keno Middens, Häuptling von Garssum, Neffe von Folpt Middens



Take Middens, Bruder von Häuptling Folpt, lebt verarmt auf seinem Alterssitz



Tjard Middens, Sohn von Take Middens, Vetter von Keno und Jelto Middens



Folkert Hedden, Dorfvorsteher und Kirchenältester in Grootewarden



Remmer von Seediek, Pfarrer von Seediek und Verwalter in Jever



Hinrich Kremer, Pfarrer an der Sankt Marienkirche in Jever



Aimo Herkens, Burgschreiber in Jever



Idbertus aus Eilsum, Ibo Eilers, Neffe des Propstes und neuer Deichrichter



Aus der Grafschaft Ostfriesland:



Enno und Johann Cirksena, Grafen von Ostfriesland und Söhne von Graf Edzard



Ulfert Fockena, Häuptling und Offizier



Boing von Oldersum, Häuptling und ostfriesischer Drost in Jever



Aiko Onninga, Häuptling und Rat bei den ostfriesischen Grafen



Isko Onninga, nachgeborener Sohn von Aiko Onninga, Offizier



Ubbo Scriver, durch die Ostfriesen eingesetzter Verwalter von Jever



Weitere Personen



Junker Balthasar von Esens, Häuptling des Harlingerlandes



Ewert Owelacker, Anführer einer Truppe von Landsknechten



Grit, Novizin



Schwester Katharina, Nonne im Kloster Thedinga, früher im Kloster Annenwolde



Schwester Meta Hallenga, Nonne im Kloster Thedinga




Im Herbst 1529



Am Tag vor Michaelis 1529 trafen Reisende auf der Friedeburg ein. Es waren zwei betagte Nonnen aus dem Kloster Annenwolde in der Nähe von Lübeck, die beiden Schwestern Beeke und Jabina Middens von Sassenhusen. Der Landesherr hatte das Kloster aufgelöst und die ausgedehnten Besitzungen des Klosters eingezogen. Die meisten Nonnen stammten aus wohlhabenden und mächtigen Familien. Die Angehörigen hatten ihren Einfluss geltend gemacht, sodass der Landesherr allen Bewohnerinnen des Klosters eine angemessene Abfindung zahlen musste.



Häuptling Folpt Middens von Sassenhusen hatte seine beiden Schwestern vor einem Jahr besucht und mit ihnen über ihre Zukunft gesprochen. Dann hatte er Erkundigungen über die verbleibenden Klöster auf der ostfriesischen Halbinsel eingeholt und schließlich das angesehene Kloster Thedinga als mögliche Heimstatt für seine Schwestern in Augenschein genommen. Vor einem halben Jahr war Folpt Middens erneut in Annenwolde gewesen, um seinen Schwestern vorzuschlagen, im Kloster Thedinga ihre letzten Lebensjahre zu verbringen. Sie hatten dem Vorschlag zugestimmt, zumal eine ihrer Mitschwestern dort ebenfalls unterkommen würde. Folpt Middens hatte noch einmal Thedinga aufgesucht, um dort die Aufnahme seiner beiden Schwestern zu verhandeln und zu beschließen. Er hatte dann die Reise seiner Schwestern organisiert und ihnen die Einzelheiten in einem Brief mitgeteilt, auf den er einige Wochen später auch Antwort erhalten hatte.

 



Beeke und Jabina Middens von Sassenhusen führten die stattliche Geldsumme, die der Landesherr ihnen hatte auszahlen lassen, in einem Kästchen bei sich. Das Geld war für das Kloster Thedinga bestimmt.



Auf der letzten großen Reise ihres Lebens wollten die beiden Schwestern einen Umweg machen. Sie hatten den Wunsch, nach mehr als 50 Jahren den Familiensitz in Sassenhusen noch einmal wiederzusehen. Bei dieser Gelegenheit wollten sie ihrem Bruder Folpt für seine Hilfe danken. Und es war ihr Wunsch, ihren Neffen Keno nach dessen Rückkehr in die Heimat auf seinem Hof zu besuchen. Er hatte sie während seiner Dienstzeit auf einem Rittergut in der Nähe des Klosters hin und wieder besuchen können.



Die Familie hatte ihnen einen Reitknecht mit Pferden geschickt, um die beiden Schwestern zu begleiten. Er war schon vorgeritten, um dem Drosten der Friedeburg die Ankunft der Schwestern anzukündigen.



Da Folpt Middens ein angesehener Häuptling und einer der Regenten des Jeverlandes war, tat der Drost sein Möglichstes, um den beiden Schwestern den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Das große Gästezimmer wurde aufs Beste hergerichtet, und zum Nachtmahl lud der Drost die Schwestern in den Speiseraum der Burg, wo ein einfaches, aber gutes Mahl serviert wurde.



Auf alle Versuche des Drosten, höfliche Konversation zu machen, antworteten die Schwestern freundlich, aber reserviert. Mit dem Hinweis auf die anstrengende Reise zogen sie sich gleich nach dem Essen in ihr Quartier zurück. Die Novizin, die sie begleitete und sich um sie kümmerte, übernachtete in der Kammer neben dem Gästezimmer. Der Reitknecht wurde beim Burggesinde untergebracht.



Kurz nach dem Morgengrauen wurde der Drost durch lautes Klopfen geweckt. Eine der Burgmägde sollte die Gäste bei beginnendem Tageslicht wecken. Sie hatte die drei Frauen tot in ihren Betten aufgefunden. Sofort schickte der Drost Männer los, um einen flüchtigen Mörder zu suchen. Der musste sich noch in der Fes-tung verborgen halten, da die Tore noch geschlossen waren. Der Drost verbot den Torwächtern, jemanden aus der Friedeburg herauszulassen. Außerdem ließ er den Reitknecht der beiden Schwestern herbeiholen, der im Stall schon die Pferde für die Weiterreise bereitgemacht hatte.



Bei der Untersuchung der Toten fand man bei keiner der Frauen eine Spur von Gewaltanwendung. Als man sie für die Aufbahrung vorbereiten wollte, entdeckte man, dass die Novizin noch lebte. Mit Mühe gelang es, sie aus einem tiefen Schlaf wieder ins Leben zurückzuholen. Sie bezeugte, dass sie bei ihrer Rückkehr in ihrem Gästezimmer einen Krug mit gewürztem Wein und zwei Becher vorgefunden hatten. Sie waren davon ausgegangen, dass der Drost den Wein hatte bringen lassen. Die Schwestern hatten davon getrunken und sich dann zur Ruhe begeben. Die Novizin hatte danach heimlich den kleinen Rest zu sich genommen.



Das kleine Kästchen mit dem Geld der Schwestern war verschwunden. Von dem Geld konnten außer den beiden Nonnen nur die Novizin und der Knecht wissen. Die Habseligkeiten beider wurden durchsucht, und die beiden Wachsoldaten der Burg bezeugten dass niemand in der Nacht das Gesindehaus verlassen hatte.



Der Drost ließ die Burg durchsuchen. Ein weiterer Reisender, der Rechtsgelehrte Doktor Lübbert Rimberti, war mit seinem Schreiber auf der Friedeburg zu Gast. Er war nach einem Aufenthalt in Ostfriesland und in Jever unterwegs zum Hof der Statthalterin in Flandern. Der Drost befragte ihn, aber Rimberti hatte fest geschlafen und nichts von dem Verbrechen mitbekommen. Der Drost hielt es für wenig wahrscheinlich, dass der Gast mit dem Verbrechen etwas zu tun hatte, zumal er von seiner Kammer aus nicht in die Räumlichkeiten der Schwestern hätte gelangen können, ohne von den Torwachen bemerkt zu werden. Dann sandte er einen Boten mit der Nachricht zu Häuptling Folpt Middens nach Sassenhusen.



Der Häuptling kam am nächsten Tag auf die Friedeburg und ließ sich vom Friedeburger Drosten ausführlich berichten. Der unglückliche Tod seiner Schwestern betrübte ihn. Auch wenn beide inzwischen im siebten Lebensjahrzehnt waren, erfreuten sie sich doch einer guten Gesundheit und hatten ein solch trauriges Ende nicht verdient.



Middens hatte nur anderthalb Jahre zuvor seinen Bruder und dessen Sohn durch die Pest verloren. Er selbst war dem Tod durch diese Krankheit nur knapp entronnen.



Folpt Middens ließ seine Schwestern zum Kloster Thedinga bringen und dort bestatten. Dann kehrte er ins Jeverland zurück. Einige Wochen später erhielt er einen Besuch vom Friedeburger Drosten, der ihm mitteilte, dass alle Befragungen und Untersuchungen zum Tod der Schwestern nichts erbracht hätten. Man müsse davon ausgehen, dass der Mörder auf unerklärliche Weise von der Reise der Schwestern und der mitgeführten großen Geldsumme erfahren haben musste. Er musste unentdeckt in die Burg eingedrungen sein und diese ebenso wieder verlassen haben. Der Drost sprach dem Häuptling noch einmal seine Anteilnahme aus und versicherte, auch weiterhin Untersuchungen zum Tod der beiden Schwestern anzustellen.




  Im Frühsommer 1531




1



Lübbert Rimberti stolperte durch das Dickicht. Sein linker Fuß schmerzte. Wie lang irrte er schon im Wald umher? Eine Stunde? Oder noch länger? Er verspürte Durst. Er brauchte eine Rast. Aber er musste weiter.



Was er zum Essen und Trinken brauchte, befand sich in seiner Satteltasche. Und sein Pferd war mitsamt dem Sattel davongelaufen. Vielleicht hatte eine Kreuzotter am Wegesrand es zum Scheuen gebracht. Rimberti wusste es nicht. Sein Sturz vom Pferd war hart gewesen, seine linke Seite schmerzte. Er hoffte, dass sein Fuß nicht ernsthaft verletzt war.



Er humpelte weiter durch das Unterholz. Zweimal hatte er sein Pferd für einen Moment gesehen, bevor es wieder zwischen den Bäumen verschwunden war. Es war keine gute Wahl gewesen, auf den Wirt zu hören und die Abkürzung durch den Wald zu nehmen. Und es war auch keine gute Entscheidung gewesen, seinen Schreiber Kobus Temmen mit dem Packpferd vorauszuschicken, damit er schneller am Ziel eintreffen und vor Ort schon für das Quartier sorgen konnte. Aber Kobus war nun einmal der bessere und schnellere Reiter, und Rimberti liebte es, wenn sein Schreiber bei seinem Eintreffen schon das Quartier vorbereitet hatte.



Rimberti seufzte und setzte sich für einen Moment auf einen Baumstamm, den ein Sturm mitsamt Wurzelwerk umgerissen haben musste. War er nicht vorhin schon einmal hier gewesen?



Vermutlich würde sich auch seine Entscheidung, den Auftrag in Jever anzunehmen, als unglücklich erweisen. Bei seinen letzten Reisen nach Ostfriesland hatte Rimberti es verstanden, sich die ostfriesischen Grafen und ihre Gefolgsleute zu Gegnern zu machen. Auf ein Wiedersehen mit ihnen verspürte er wenig Lust, zumal der Rechtsstreit um Jever eine in jeder Hinsicht schwierige Angelegenheit war.



Plötzlich hörte er das Schnauben eines Pferdes. In einiger Entfernung sah Rimberti zwischen den Bäumen ein helles Grün hervorleuchten. Eine Lichtung. Vorsichtig näherte er sich. Er blieb im Schatten der Bäume. Mitten auf der kleinen Wiese stand sein Pferd und graste friedlich. Vielleicht konnte er hier einfach stehen bleiben und warten, bis sein Pferd zu ihm kommen würde.



Tautropfen funkelten auf dem frischen grünen Gras. Erst jetzt nahm Rimberti das Vogelgezwitscher wahr. Er blinzelte in die Sonne, die ihm hell und warm durch die Blätter ins Gesicht schien. Für einen Moment fiel der ganze Unmut von ihm ab. Der schmerzende Fuß, die missliche Suche nach dem Pferd und die Sorge um die bevorstehenden Aufgaben in Jever schob er einfach beiseite. Für einen Augenblick fühlte er eine Klarheit und eine Frische, die er sonst selten verspürte.



Dann kam der Schlag.



Als Rimberti wieder zu sich kam, zerrten kräftige Hände an ihm. Er konnte nichts sehen, man hatte ihm die Augen verbunden. Ein schneidender Schmerz durchfuhr ihn, als man ihm die Hände fesselte. Er zuckte zurück, aber er konnte sich nicht aus den eisernen Griffen befreien. Dann verspürte er einen kräftigen Stoß, und er wurde mitgezogen.



Unbeholfen stolperte er mit den anderen dahin. Wer waren sie? Hatten sie es auf sein Pferd abgesehen? Dann hätten sie ihn doch einfach liegen lassen können. Hatten sie es auf ihn abgesehen? Warum hatten sie ihn dann nicht gleich an Ort und Stelle getötet, statt ihn durch den Wald zu zerren? Und außerdem, wer wusste überhaupt von ihm und von seinem Auftrag?



Die Schmerzen in seinem Fuß holten ihn aus seinen Gedanken. Gebrochen war er sicher nicht, sonst hätte Rimberti nicht so fest auftreten können. Aber jeder Tritt tat weh. Immerhin hatten sie sein Pferd eingefangen und führten es mit.



Vielleicht waren die Männer, die ihn mitschleppten, nur gewöhnliche Wegelagerer, die ein Lösegeld erpressen wollten. Rimberti hatte davon gehört, dass ein Haufen von Landsknechten aus dem Oldenburgischen die Gegend unsicher machte.



Die Jeverschen Fräulein Maria und Anna hatten die kaiserliche Statthalterin in Brüssel um Vermittlung gebeten. Sie waren die beiden noch lebenden unverheirateten Töchter des letzten Häuptlings von Jever, der vor 20 Jahren verstorben war. Die Ostfriesen hatten Jever besetzt, und Graf Enno ließ das Jeverland durch seinen Drosten verwalten.



Königin Maria, die Schwester Kaiser Karls V., nahm für ihren Bruder die Regierungsgeschäfte im nordwestlichen Teil des Reiches, in dem die Sonne niemals unterging, wahr. Sie hatte einen der Juristen der kaiserlichen Regierung, Lübbert Rimberti, nach Jever geschickt, um die Situation vor Ort rechtlich prüfen zu lassen.



»Nicht so trödeln«, raunzte ihn jemand von der Seite an und gab ihm einen Stoß.



Rimberti stolperte. Reflexartig wollte er mit seinen Händen und Armen den Sturz abfangen. Aber in dem Moment, in dem ihm bewusst wurde, dass er gefesselt war, schlug er schon auf.



Helles Sonnenlicht blendete Rimberti, als man ihm unsanft die Augenbinde vom Kopf riss.



»Sag deinem Grafen Enno, dass er das nächste Mal bessere Spione zu uns schicken soll.«



Der diese Worte zu ihm sprach, stand im Gegenlicht, sodass Rimberti die Augen zukneifen musste, um ihn sehen zu können: ein kleiner, kräftiger Mann mit struppigen blonden Haaren auf dem Kopf und im Gesicht. Er hielt Rimbertis Pferd am Zaum.



»Warum erledigen wir ihn nicht gleich an Ort und Stelle?«, fragte ein schwarzhaariger Mann ungehalten. »Graf Enno hat ihn geschickt, um unser Lager auszukundschaften. Jetzt weiß er Bescheid über uns. Fackelt nicht lange, sonst entkommt er uns noch.«



Rimberti packte die Angst. Sollte dies das Ende seines Lebens werden? Erschlagen von Wegelagerern im Wald? Alle Muskeln spannten sich gleichzeitig an. Hoffentlich merkte niemand, dass er zitterte.



Er versuchte, so ruhig und selbstbewusst wie möglich zu sagen, was er vorbringen konnte. »Schaut in meiner Packtasche nach, und ihr erfahrt, wer ich bin.«



Der Bärtige nickte dem Schwarzhaarigen zu. Der ging zum Pferd. Rimberti sah sich um. Seine Augen hatten sich wieder an das Licht gewöhnt. Sie standen im Wald inmitten einer kleinen Ansammlung geduckter Hütten. Die Wände waren aus Flechtwerk gebaut und mit Lehm verschmiert. Direkt um die Hütten waren Büsche gepflanzt, sodass sie bald vollständig eingewachsen sein würden. Ein seltsames Dorf mitten im Wald, dachte Rimberti. Nur eine Handvoll Männer stand hier mit ihm, Frauen und Kinder sah er nicht.



Der Schwarzhaarige gab dem Bärtigen Rimbertis Packtasche. Umständlich holte der die lederne Schreibmappe hervor und sah konzentriert auf die wenigen Dokumente, die sie enthielt. Darunter war ein Brief des kaiserlichen Staatsrates Christian von Wittenvelde, der ihn im Namen von Königin Maria mit der Reise nach Jever beauftragte.



Der Bärtige war offensichtlich des Lesens kundig, denn er studierte sorgfältig Wittenveldes Brief und die beigelegten Abschriften von Briefen aus Jever. Dann legte er die Papiere aus der Hand und sah Rimberti ins Gesicht. »Ich glaube, wir müssen uns bei Euch entschuldigen, Doktor Rimberti.«



Er verstaute die Unterlagen wieder in der Packtasche und erklärte: »Wir haben allen Grund, misstrauisch zu sein. Überall sind Graf Ennos Männer unterwegs. Sie benehmen sich so, als ob ihnen das Jeverland schon gehörte.«

 



Rimberti spürte, dass der Bärtige misstrauisch blieb. Offensichtlich handelte es sich bei der Ansammlung von Hütten um das Versteck, von dem vorhin gesprochen worden war. Verbargen sich hier Männer, die von Graf Ennos Leuten gesucht wurden? Wurden hier Waffen und Vorräte für einen Aufstand gegen die ostfriesische Besatzung versteckt?



»Folkert Hedden«, stellte sich der Bärtige vor. »Folkert Hedden aus Grootewarden. Freier Bauer im Jeverland, so, wie die anderen hier es auch noch sind.«



»Noch?«, fragte Rimberti.



»Noch!«, erwiderte Hedden mit Nachdruck. »Graf Ennos Männer haben die Hälfte meiner Kühe und Schweine mitgenommen, weil ich angeblich meine Abgaben nicht bezahlt habe. Sie wollten ein Exempel statuieren. Ich bin Vorsteher und Kirchvogt von Grootewarden und habe meine Abgaben an den Hof von Jever entrichtet. Aber der alte Drost, den Graf Enno e