Jiddisch im Berliner Jargon

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Jiddisch im Berliner Jargon
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Herzlicher Dank gilt Lilli Johannson und

Robert Nachama für redaktionelle Mitarbeit.

Editorische Notiz:

Hebräische und Jiddische Worte sind nach dem

Transkriptionsprinzip des Jüdischen Lexikons geschrieben.

Andreas Nachama

Jiddisch

im Berliner Jargon

Jaron Verlag

Dieses Buch erschien erstmals 1994.

3. Auflage dieser Ausgabe 2012

© 2005 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: LVD GmbH, Berlin

Satz und Lithographie: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

ISBN 9783955521905

Inhalt

Cover

Dank

Titel

Impressum

Einleitung

1. Versuch: Sprachgeschichtliche Anmerkungen

2. Versuch: Hebraismen

3. Versuch: Jiddisch im Berliner Jargon von A bis Z

Anmerkungen

Einleitung

An einem schönen Frühsommertag des Jahres 1993 war ich in ein Studio des RIAS-Berlin eingeladen. Wie bei Studiogesprächen üblich, kam ich nicht nur einige Minuten früher als bestellt, sondern es blieb auch Zeit für ein kleines Vorgespräch. Natürlich versicherte mir meine Gesprächspartnerin, die anlässlich des 45. Dienstjubiläums meines Vaters eine lange, ausführliche Gesprächssendung mit Estrongo gemacht hatte, wie eindrucksvoll sie seine Stimme fände, und fragte mich, ob ich denn auch sänge. Nein, mein Vater und ich haben schon vor Jahrzehnten einen Pakt geschlossen, er, der Oberkantor, schreibt keine Aufsätze, und ich, der Historiker, singe nicht. Aber meine Kinder sind nicht nur musikalisch, sondern singen auch gerne …

Warum ich von dieser Begebenheit erzähle? Das Gespräch nahm plötzlich eine Wendung, die mit dem, was hier erörtert werden soll, in einem unmittelbaren Zusammenhang steht. Die Moderatorin zeigte sich nämlich äußerst verwundert darüber, dass ich die deutsche Sprache so gut beherrschte, und erkundigte sich, ob wir denn zu Hause vorwiegend Hebräisch sprächen.

An dieser Stelle zeigte sich, dass die Journalistin nichts verstanden hatte. Ihr, die eine einstündige Interviewsendung anlässlich des 75. Geburtstages meines Vaters gemacht hatte, war entgangen, dass mein Vater, der aus Saloniki stammt, Griechisch als Heimatsprache und Ladino, einen judeo-spanischen Dialekt, als Muttersprache in seine Wahlheimat gebracht hatte, wo er eine deutsche Jüdin heiratete, die eine echte Berlinerin ist. Dass die Berliner Juden seit den Tagen Moses Mendelssohns hochdeutsch sprechen, sollte eine Rundfunkmoderatorin eigentlich wissen. Aber hinter der Unterstellung, Juden sprächen als Muttersprache Hebräisch, steckt eine besondere Vorstellung. Nämlich Juden seien im Ausland lebende Israelis, befreundete Ausländer also. Und so war ich denn auf einmal ausgebürgert, obwohl Juden seit dem dritten Jahrhundert in Deutschland leben. Deren »Judendeutsch« war weitgehend identisch mit dem Hochdeutschen. Was man heute als Jiddisch bezeichnet, ist die Sprache der Juden Osteuropas. Seit dem von Moses Mendelssohn initiierten Aufbruch aus dem Ghetto sprechen die in Deutschland lebenden Juden deutsch – und zwar nicht nur im Geschäftsverkehr, sondern auch zu Hause …

Besagte Moderatorin war bass erstaunt, dass es sich nicht so verhielt, wie sie gedacht hatte, und bemerkte etwas spitz, dass es doch traurig sei, wenn alte Herkommen vernachlässigt würden. Davon, dass hier nichts vernachlässigt wird, dass Hebräisch sowieso nicht die Umgangssprache der Juden in ihren verschiedenen Lebenswelten war, wird im ersten der drei Versuche die Rede sein. Der zweite Versuch behandelt aus Bibelübersetzungen in die deutsche Umgangssprache eingegangene Hebraismen, während im dritten dann schließlich das skizziert wird, was man als das Jiddische im Berliner Jargon bezeichnen könnte.

Es ist nicht schwer, Jüdisches und jüdische Menschen auszugrenzen, denn überall auf der Welt überlebten und überleben jüdische Lebenswelten nur im Spannungsfeld zwischen Integration und Separation. Aber sie existieren nicht nur für sich; denn zu diesem Spannungsfeld gehört auch die Umgebungsgesellschaft und die jeweilige Kultur. Wenn also vom Beitrag des Hebräischen oder Jiddischen am Deutschen oder am Berliner Jargon die Rede ist, geht es nicht um etwas Fremdes, Eingesetztes, sondern um Teilhabe, einen aktiven Anteil an der Sprachentwicklung.

Das hier beschriebene Idiom, das Jiddische im Berliner Jargon, ist allen Berlinern geläufig; die Beschreibungen in diesem Buch versuchen aus Kenntnissen des Hebräischen sprachliche Querverbindungen herzustellen: Nicht alles ist bierernst gemeint, aber vom Autor nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt, in der Absicht, die sprachlichen Verbindungen im Alltagsleben zu erläutern. Und Hand aufs Herz: Wenn ich Sie, verehrte Leserin oder verehrter Leser, das nächste Mal treffe, dann frage ich Sie nicht, ob Sie zu Hause Jiddisch mit Ihren Kindern sprechen, sondern ob Sie letztlich mal mit Ihrer Mischpoche gedibbert haben, um womöglich etwas auszubaldowern …

Diese Versuche gehen einigen ganz alltäglichen Worten nach, deren Ursprung jedoch die wenigsten kennen. Auf die Idee, diese sprachgeschichtliche Skizze zu unternehmen, kamen Autor und Verleger durch das Beispiel des Büchleins »Französisch im Berliner Jargon«.1 Jüdische Spuren in unserer Sprache sind auf verschiedenen Sprachebenen zu finden, klassisch sind die Hebraismen, im Gegensatz dazu steht das Rotwelsch aus der Gangster- und Ganovenwelt. Legt man strenge wissenschaftliche Kriterien an, mag das eine oder andere hier in seiner Entstehungsgeschichte hergeleitete Wort möglicherweise falsch platziert sein, denn die Hebraismen z. B. sind nicht Teil des Berliner Jargons, sondern der deutschen Sprache. Es schien aber wichtig, wenigstens einen Einblick in die verschiedenen Schichten des sprachlichen Einflusses zu geben, den die jüdischen Lebenswelten Mittel- und Osteuropas auf unsere Kultur gehabt haben; auch ist der Berliner Jargon ungleich dem Dialekt eines oberbayerischen Gebirgstals nicht irgendeine sprachliche Manifestation des Deutschen, sondern die Sprache der einstigen preußischen Haupt- und Residenzstadt, der vormaligen Hauptstadt des Deutschen Reiches und der jetzigen Bundeshauptstadt. Hier wird versucht, in der Umgangssprache vorhandene Spuren dieses Spracheinflusses aufzuzeigen, freilich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.

Gibt es das wirklich? Jiddisch im Berliner Jargon? Müsste es nicht vielmehr heißen »Hebraismen«, »Rotwelsch«, »jüdisch-deutsche« oder »westjiddische« bzw. »ostjiddische« Worte? Die Meinungen hierüber gehen auseinander. Der Begriff »Jiddisch« geht auf die englische Form »Yiddish«2 zurück, die erst im letzten Jahrhundert aufgekommen ist. Zunächst setzte sich die Bezeichnung Jiddisch nur als Bezeichnung der Sprache der osteuropäischen Juden durch, wurde jedoch dann auch in der Wissenschaft rückwirkend auf alle sprachlichen Erscheinungen der Juden ausgedehnt, die in Mittel- und Osteuropa ihren Ursprung haben.3

Mit wem haben wir es eigentlich zu tun, wenn von jiddischsprachigen oder Jiddisch sprechenden Personen die Rede ist? Im Sinn des Buches werden nur die Worte untersucht und dargestellt, die von Personen, die nicht Jiddisch sprechen, also von Berlinern im Allgemeinen, benutzt werden. Dieser Spracheinfluss geht aber im engeren Sinn von Menschen aus, die Jiddisch sprechen und als Juden, Israeliten, Israelis, deutsche Staatsbürger jüdischen oder mosaischen Glaubens bezeichnet werden. Es gibt viele Bezeichnungen für diese Personengruppen; Juden sind sie alle, Israeliten waren ihre biblischen Ahnen, aber wer vermag schon seine Familiengeschichte über 2000 Jahre zurückzuverfolgen? Israelis sind nur die Juden, die ihren Wohnsitz im Staat Israel genommen haben, also z. B. nicht mehr deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens sind. Die Bezeichnung einer Person jüdischer Herkunft als mosaisch ist eine Christologie. Hier wird Moses als Religionsschöpfer Jesus Christus gleichgesetzt – eine im Judentum religionsgeschichtlich nicht gedeckte Auffassung.4 Die verschiedenen jiddischsprachigen Personengruppen sind in sich nach Herkunft und sozialem Status differenziert.

Eine grundsätzliche Unterscheidung ist die zwischen Aschkenasim und Sephardim. Als Aschkenasim werden die Juden Mittel- und Westeuropas sowie die von ihnen abstammenden Juden in Amerika und Israel bezeichnet. Aschkenas heißt auf Hebräisch Deutschland. Sie werden unterschieden von sephardischen Juden: Sepharad heißt auf Hebräisch Spanien. Gemeinsam ist Sepharden und Aschkenasim ihre Herkunftsbestimmung innerhalb der jüdischen Lebenswelten nach Ländern, aus denen sie im Mittelalter verbannt (Spanien) oder zu einem großen Teil vertrieben wurden (Deutschland). Eine dritte Gruppe sind die orientalischen Juden, die bis in dieses Jahrhundert hinein ihre Heimat im Jemen, in Äthiopien, Persien oder Indien hatten.

 

Jiddischsprachig waren zunächst und vor allem die Juden Osteuropas. So wie die Juden anderer jüdischer Lebenswelten hatten sie ihre eigene Sprache, die aus der Sprache der Umgebungskultur, von ihnen in hebräischen Schriftzeichen notiert, und einigen oft zufälligen Sprachelementen bestand. Die deutsch-jüdische Sprache, die heute rückblickend auch als Jiddisch bezeichnet wird, unterschied sich wesentlich vom Ostjiddisch polnischer oder russischer Provenienz. Ob es sich hierbei überhaupt um ein Idiom handelte, kann durchaus bezweifelt werden.

Was aber ist ein Idiom? Gibt es denn überhaupt einen eigenen Berliner Dialekt? »Berlin hat im Laufe seiner mehr als siebenhundertjährigen Geschichte eine durchaus eigenständige Mundart entwickelt. Sie ist keine reguläre, charakteristische Abwandlung des Hochdeutschen, sondern hat in ihrem niederdeutschen Kern, dem märkischen Platt, ein gut Teil fremdländischer Wörter und Redewendungen in sich aufgenommen, so z. B. aus dem Polnischen Großkotz, Kabache, Pachulke, Pennunze, Pomade, dalli, […] aus dem Lateinischen Animus, Lokus, Moneten, Palaver, Pelle, Pulle, Tempo, famos, fatal, intus, kapieren, kolossal, simulieren usw.«5

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