Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt

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Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt
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Andreas Kagermeier

Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt

Einführung

2., überarbeitete und erweiterte Auflage


UTB-Nr.: 4421

Umschlagabbildung: © sArhange1 | iStock

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-8252-5452-0 (Print)

ISBN 978-3-8463-5452-0 (ePub)

Inhalt

  Vorwort zur 2. Auflage

 1. Freizeit und Tourismus als transdisziplinäres Arbeits- und Forschungsfeld1.1 Einordnung, Definitionen und Ansatzpunkte der geographischen Freizeit- und Tourismusforschung1.1.1 Tourismus als multidimensionales Phänomen1.1.2 Einordnung der tourismusgeographischen Herangehensweise1.1.3 Einige Begriffsklärungen1.2 Historische Entwicklungslinien und theoretische Konzepte1.2.1 Historische Entwicklungslinien1.2.2 Theoretische Konzepte

 2 Grundlagen Nachfrageseite2.1 Quantitative Entwicklung des Volumens und der Orientierungen auf der Nachfrageseite2.1.1 Boomfaktoren des Reisens2.1.2 Nationale Nachfragekenngrößen2.1.3 Internationale Nachfragekenngrößen2.2 Zunehmende Ausdifferenzierung der Nachfrageseite2.2.1 Reisemotive2.2.2 Wertewandel in der Phase der Postmoderne2.2.3 Flexible und hybride Nachfragemuster2.3 Subjektive Rahmenbedingungen der Nachfrageseite und deren Messung2.3.1 Der Reiseentscheidungsprozess2.3.2 Das Einstellungsmodell2.3.3 Das GAP-Modell2.3.4 Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren

 3 Grundlagen Angebotsseite3.1 Die touristische Leistungskette3.1.1 Reiseveranstalter3.1.2 Übernachtungsbetriebe3.1.3 Verkehrsträger am Beispiel des Luftverkehrsmarktes3.1.4 Reisevertrieb3.2 Marketing im Tourismus3.2.1 Grundlagen des Marketings im Tourismus3.2.2 Grundsätzliche Herangehensweisen des (strategischen) Marketings3.2.3 Markenbildung3.2.4 Social-Media-Marketing

 4 Marketing und Management von Destinationen4.1 Der Begriff „Destination“4.2 Grundprinzipen des Destinationsmanagement4.3 Ansätze zur Steuerung von Destinationen4.3.1 Vom Management zur Governance4.3.2 Leadership-Ansätze im Kontext der Destinationsnetzwerkanalyse4.4 Herausforderungen im Destinationsmanagement4.4.1 Größenzuschnitte von DMOs4.4.2 Finanzierung4.4.3 Flexible Formen der Kooperation

 5 Tourismus und Nachhaltigkeit5.1 Grundlagen der Nachhaltigkeitsdiskussion im Tourismus5.2 Klimawandel und LuftverkehrTourismus als Quelle der CO2-EmissionTourismus als Betroffener des Klimawandels5.3 Ansätze für ein Nachhaltigkeitsmanagement im Tourismus

 6 Deutschlandtourismus: Marktsegmente, Akteure und Produktentwicklung6.1 Räumliche Grundmuster der touristischen Nachfrage6.2 Akteure im DeutschlandtourismusAkteure der TourismuspolitikDeutsche Spitzenverbände auf Bundesebene6.3 Städtetourismus – ein dynamisches Wachstumssegment6.3.1 Städtetourismus: Versuch einer begrifflichen Fassung6.3.2 Quantitative Basisdaten zum Städtetourismus6.3.3 Dynamik von qualitativen Veränderungen im Städtetourismus6.4 Wander- und Fahrradtourismus – Die Wiederentdeckung der aktiven Langsamkeit6.4.1 Der neue Wanderer und die Redynamisierung des Wandertourismus6.4.2 Fahrradtourismus: Stagnation oder Diversifizierung6.5 Wellness-Tourismus: Hoffnungsträger und Wachstumsbringer?

 7 Ausgewählte Aspekte des internationalen Tourismus7.1 Grundlagen des internationalen Tourismus7.2 Tourismus im Mittelmeerraum7.2.1 Grundstrukturen des Tourismus im Mittelmeerraum7.2.2 Grenzen des Wachstums und Diversifizierungsansätze auf Mallorca7.2.3 Zypern als Beispiel für die Notwendigkeit neuer Steuerungsansätze7.3 Tourismus und EntwicklungsländerWeltpolitische Grundkonstellationen als Hintergrund des Entwicklungsländertourismus7.3.1 Grundsätzliche Aspekte des Entwicklungsländertourismus7.3.2 Lösungsansätze7.3.3 Governance und Performance am Beispiel Kenia

  8 Perspektiven und Ausblick Hypothesen zu Tendenzen auf der Nachfrageseite Herausforderungen auf der Angebotsseite Implikationen für die Tourismus- und tourismusgeographische Ausbildung Anmerkungen zum Arbeitsmarkt für Tourismusgeographen

  Literaturverzeichnis

  Register

Vorwort zur 2. Auflage

Tourismus ist nicht nur auf dem Weg, eine der Leitökonomien des 21. Jahrhunderts zu werden, sondern auch ein vielschichtiges Phänomen, das in den letzten Jahrzehnten zum Gegenstand unterschiedlichster Disziplinen geworden ist. Dieses Studienbuch widmet sich dem Tourismus als kultureller Praxis aus dem Blickwinkel der (Human-)Geographie. Damit wird ein Ansatz verfolgt, der einerseits aus sozialwissenschaftlicher Sicht die handelnden Akteure in den Mittelpunkt stellt, und andererseits die Tourismuswirtschaft integriert in den übergeordneten Kontext der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen behandelt. Mit der raumwissenschaftlichen Grundorientierung ist auch verbunden, dass der Blickwinkel stärker auf den Destinationskontext als auf einzelbetriebliche Aspekte gerichtet ist. Die tourismusgeographische Herangehensweise an das Phänomen Tourismus als anwendungsorientierte Disziplin in kompakter und verständlicher Form darzustellen ist das Ziel dieses Studienbuches.

Mit dem Ziel einer kompakten Darstellung verbunden ist, dass eine Vielzahl von Facetten und Detailaspekte nur gestreift und angedeutet werden können. Damit will das Buch auch neugierig machen auf die darüberhinausgehende, vertiefende Einarbeitung in dieses Themenfeld.

Der Fokus liegt weniger auf einer Vielzahl von tagesaktuellen – und damit auch bald wieder überholten – Zahlen; diese sind im Zeitalter des Internets dort besser abrufbar. Vielmehr ist die Intention, die Grundprinzipien und grundlegenden Entwicklungslinien kompakt und so verständlich darzustellen, dass Studierende zu Beginn des Studiums die zentralen Konturen des Faches nachvollziehen können. Die – notgedrungen nur selektive – Erwähnung von Beispielen dient weniger der idiographischen Vorstellung, sondern die Auswahl wurde immer auch vor dem Hintergrund getroffen, allgemeinere, grundsätzlichere Entwicklungen und Zusammenhängen an konkreten Einzelfällen fest zu machen. Die exemplarische Veranschaulichung, nicht die umfassende kompilatorische Darstellung ist damit das zentrale Leitmotiv. Bei einer zu treffenden Auswahl muss unvermeidlich vieles an Themenbereichen und regionalen Spezifika unberücksichtigt bleiben.

Damit handelt es sich mit dem vorliegenden Band explizit nicht um eine „Reiseverkehrsgeographie“ mit systematischer länderkundlicher Darstellung einzelner Destinationen. Der Band fokussiert auch nicht primär auf reine Standortfragen – wie z. B. derjenigen, wo in einer Stadt ein Hotel sinnvollerweise zu bauen wäre. Vielmehr wird ein geographischer Blickwinkel auf Akteure, Rahmenbedingungen und Strukturen gerichtet. Entsprechend dem humangeographischen Grundverständnis wird versucht, das Handeln der einzelnen Akteure eingebettet in übergeordnete Bezüge darzustellen.

Die Abbildungen sollen dabei nicht nur der simplen Illustration und Veranschaulichung dienen. Sie sind oftmals auch für ergänzende Details und ein vertiefendes Verständnis gedacht, das teilweise über den kompakten Text hinausführt.

 

Die Inhalte des Bandes stellen eine Erweiterung der Erstsemestervorlesung für Bachelor „Einführung in die Tourismusgeographie“ an der Universität Trier dar. Dementsprechend wendet sich der Band vor allem an Geographiestudierende in der ersten Hälfte des Bachelorstudiums. Dabei besteht eine gewisse Zweiteilung.

Der erste Teil ist mehr auf die Darstellung der Grundlagen des Tourismus aus tourismusgeographischer Perspektive gewidmet. Das Ziel ist es, die grundlegenden Begriffe und Elemente des Systems Tourismus sowie die zentralen Konzepte und Herangehensweisen der Tourismuswissenschaften für Geographiestudierende aus geographischem Blickwinkel aufzubereiten. Damit kann dieser erste Teil auch anderen, an den Grundprinzipien des Tourismus Interessierten einen kompakten Überblick bieten.

Der zweite Teil ist dann stärker auf spezifische tourismusgeographische Herangehensweisen bei der Destinationsanalyse ausgerichtet. Dort finden vor allem auch diejenigen, die einen Einblick in die destinations- und akteursorientierten Ansätze und Herangehensweisen der Tourismusgeographie gewinnen möchten, eine kompakte Darstellung mit exemplarischen Fallbeispielen.

Beim Verfassen eines solchen Studienbuches besteht die Herausforderung in der Kunst des Weglassens, ohne dadurch die zentralen Argumentationsrichtungen und Inhalte zu sehr zu verkürzen. Bei der Lektüre besteht demgegenüber die Herausforderung an die Leserinnen und Leser auch darin, trotz der kompakten, scheinbar runden Darstellung zu erkennen, dass es sich lediglich um einen ersten Einstieg in viele Themen handelt, die hier angerissen werden und sich dementsprechend auf die über eine Einführung hinausgehende Vertiefung der Themen mit ihren vielschichtigen Facetten einzulassen. Um das Einlassen auf eine vertiefende und differenziertere Auseinandersetzung mit den Themen zu erleichtern, sind am Ende der einzelnen Kapitel jeweils weiterführende Literaturhinweise aufgeführt. Dabei wurde insbesondere auch versucht, auf leicht im Internet zugängliche Quellen abzuheben, um die eigenständige weitergehende Auseinandersetzung mit den Einzelthemen zu ermöglichen.

Neben Aktualisierungen von Daten und Abbildungen wurde vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion der Aspekt Luftverkehr und Klimawandel etwas erweitert sowie das Overtourism-Phänomen neu aufgenommen.

Freising, im Frühjahr 2020 Andreas Kagermeier

1. Freizeit und Tourismus als transdisziplinäres Arbeits- und Forschungsfeld

Lernziele

In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:

 Welche wechselseitigen Bezüge bestehen zwischen dem Freizeit- und Tourismusmarkt und anderen Feldern bzw. Wissenschaftsdisziplinen?

 Was zeichnet die spezifische Herangehensweise der Tourismusgeographie aus?

 Wie kann der Begriff Tourist und der Freizeitbegriffs definitorisch gefasst werden?

 Welche prinzipielle Herangehensweise zeichnet die Anwendung grundlegender angebotsseitiger und nachfrageseitiger theoretischer Konzepte aus?

Die Tourismuswirtschaft ist auf dem Weg, zu einer der Leitökonomien des 21. Jahrhunderts zu werden. Sowohl hinsichtlich der Wertschöpfung, d. h. dem Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt als auch der Beschäftigungswirkung hängt sowohl weltweit als auch in Deutschland größenordnungsmäßig etwa jeder zehnte Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Tourismus ab. Die touristischen Aktivitäten tragen in etwa gleichem Umfang auch zur Wertschöpfung bei.

Gleichzeitig ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Tourismus und Freizeit relativ jung und beginnt im Wesentlichen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Tourismuswissenschaft ist damit keine seit Jahrhunderten etablierte akademische Disziplin wie die Theologie, die Philosophie, die Medizin oder die Rechtswissenschaften. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Tourismus und Freizeit wird aktuell gespeist aus unterschiedlichen Disziplinen, die jeweils spezifische Blickwinkel zu Analyse, Deutung und Gestaltung einbringen.

Die im ausgehenden 20. Jahrhundert stattgefundene intensivere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Tourismus und Freizeit resultiert wohl aus der zunehmenden Verbreitung dieses Phänomens und dessen Bedeutung in unterschiedlichen Feldern. Gleichzeitig steht dahinter sicherlich auch die zunehmende Ausdifferenzierung der Nachfrage sowie die Tatsache, dass Tourismus Ende des 20. Jahrhunderts vom Anbietermarkt (die Nachfrage ist größer als das Angebot) zum Nachfragemarkt (das Angebot ist größer als die Nachfrage) geworden ist. Immer anspruchsvollere Kunden mit sich kontinuierlich ausdifferenzierenden Interessenslagen werden von einem zunehmenden Angebot umworben. Damit genügt es eben nicht mehr, dass Übernachtungsbetriebe „fließend kaltes und warmes Wasser“ anbieten, wie dies Mitte des 20. Jahrhunderts als Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal oftmals an Übernachtungsbetrieben angepriesen worden ist, um Kunden anzusprechen. Das Wissen um die Bedürfnisse der potentiellen Kunden sowie die Fähigkeit zur Erarbeitung von Angeboten, die diese adressieren, sind inzwischen entscheidende Wettbewerbsmerkmale für den erfolgreichen Markteintritt bzw. die Positionierung in einem sich akzentuierenden Wettbewerb geworden. Damit werden eben auch zunehmend gut ausgebildete Beschäftigte im Tourismusgewerbe benötigt, die sich den wechselnden Herausforderungen erfolgreich stellen können.

Mit der Entwicklung des Tourismus zum „Massen“-Phänomen verbunden sind aber auch negative Konsequenzen, wenn die Tragfähigkeit von Destinationen erreicht oder überschritten wird. Die „Grenzen des Wachstums“ betreffen dabei sowohl ökologische Aspekte als auch soziale Gegebenheiten. Vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdiskussion besteht die Herausforderung darin, dass die (erwünschten) positiven ökonomischen Effekte nicht nur breit in den Destinationen streuen, sondern auch (unerwünschte) ökologische und soziale Effekte möglichst geringgehalten werden.

1.1 Einordnung, Definitionen und Ansatzpunkte der geographischen Freizeit- und Tourismusforschung
1.1.1 Tourismus als multidimensionales Phänomen

Freizeit- und TourismusforschungDie Vielzahl der Aspekte, die vom Tourismus berührt werden und von denen die touristische Entwicklung beeinflusst wird, hat FREYER in sechs Dimensionen zusammengefasst (vgl. Abb. 1).

An vorderster Stelle sind dabei sicherlich die wirtschaftlichen Gegebenheitenwirtschaftliche Gegebenheiten zu nennen. Das wirtschaftliche Niveau einer Gesellschaft (und auch die Art der Verteilung der ökonomischen Potentiale) ist eine zentrale Stellgröße für den Umfang und die Ausgabevolumina der touristischen Nachfrage. Aber auch das Niveau der Angebotsqualität und die Möglichkeiten zur Ausdifferenzierung des Angebotes werden von den ökonomischen Möglichkeiten in den Destinationen mit beeinflusst. In den hochindustrialisierten Ländern sind die Möglichkeiten der Aufbereitung von touristischen Potentialen im Allgemeinen deutlich größer als in den sog. Entwicklungsländern (vgl. Kap. 7)Entwicklungsländer. Gleichzeitig wird eine touristische Inwertsetzung – insbesondere in peripheren Räumen – oftmals als Möglichkeit gesehen, volkswirtschaftliche Impulse zu setzen und mangels anderer wirtschaftlicher Aktivitäten durch den Tourismus positive Einkommenseffekte zu generieren.

Abb. 1:

Freizeit und Tourismus als interdependente Phänomene (Quelle: eigene Darstellung nach FREYER 2011a, S. 46)

Die Rahmenbedingungen für Reisemöglichkeiten werden durch das Feld der PolitikPolitik mit beeinflusst. Dies betrifft nicht nur die Frage von Reisebeschränkungen (z. B. durch eine entsprechende Visapolitik), sondern auch die Möglichkeiten zu grenzüberschreitenden Investitionen in Form von ausländischen Direktinvestitionen oder die Vergabe von Fördermitteln (wie z. B. die europäischen Interreg-Fördermittel) bzw. steuerliche Rahmenbedingungen (Mehrwertsteuersatz für touristische Leistungen, Kerosinsteuer) und Abgaben (Luftverkehrsabgabe). Neben den übergeordneten politischen Zielen (z. B. Sicherheitsbedürfnis, Terrorismusabwehr) einer politischen Einheit sind die direkt auf den Tourismus bezogenen Zielsetzungen im Grundsatz einerseits darauf gerichtet, die Rolle des Tourismus als Wirtschaftsfaktor positiv zu begleiten und andererseits negative Auswirkungen des Tourismus zu vermeiden. Tourismuspolitik ist damit oftmals als ambivalent anzusehen.

Der Blick auf das IndividuumIndividuum bedeutet, dass dessen soziale und psychologische Disponiertheit als relevant für Nachfragepräferenzen angesehen wird. Gleichzeitig spielen die subjektiven Aspekte aber auch auf der Angebotsseite eine relevante Rolle, wie etwa die Einstellungen gegenüber übergeordneten Nachhaltigkeitsaspekten oder der Grad der Risikobereitschaft bzw. die Innovationsbereitschaft oder Kreativität bei der Produktentwicklung.

Mit der Dimension RaumRaum wird einerseits der evidente Aspekt berührt, dass Tourismus immer auch mit Bewegungen im Raum verbunden ist, wenn sich Touristen aus den Quellmärkten in die Zielgebiete begeben. Die Frage nach Einzugsbereichen und der Bewältigung der Verkehrsströme sind damit offensichtlich relevant bei der Beschäftigung mit touristischen Phänomenen. Da touristische Angebote aber im Allgemeinen nicht abgelöst von den Destinationen als „Foot Loose Industry“ geschaffen werden, sondern an ganz konkrete räumlich verortete Potentiale gebunden sind, können aus der (intendierten oder realisierten) touristischen Inwertsetzung oder Nutzung auch Raumnutzungskonflikte mit anderen Nutzungsansprüchen (z. B. Landwirtschaft oder Wohnen) resultieren. Die kann die Ressource „Raum“ als Flächeninanspruchnahme genauso betreffen wie z. B. die Konkurrenz um die Ressource „Wasser“ (insbesondere in Gebieten mit prekären hydrologischen Regimen). Im positiven Sinne kann touristische Erschließung aber auch als Faktor der Regionalentwicklung gewünscht sein oder fungieren.

Der Bezug zwischen der ökologischenÖkologie Dimension und dem Tourismus besteht offensichtlich darin, dass die touristische Nutzung immer auch mit der Inanspruchnahme von Ressourcen bis hin zu deren ÜbernutzungÜbernutzung verbunden ist. Die sog. TragfähigkeitsgrenzeTragfähigkeitsgrenze (Carrying Capacity) kann damit auch einen limitierenden Faktor für die touristische Inwertsetzung darstellen. Dies betrifft nicht dabei nicht nur z. B. Trittschäden in sensiblen Ökosystemen oder die negativen Auswirkungen der Erschließung von alpinen Regionen für den Skitourismus. In einem weiteren sozial-ökologischen Sinn kann hierunter auch eine von den Einwohnern als negativ empfundene Konzentration von Touristen im städtischen Raum subsummiert werden (Crowding bzw. Overtourism). Das Verhindern des Überschreitens von physischen oder perzeptionellen Tragfähigkeitsgrenzen bzw. eine möglichst verträgliche Nutzung von natürlichen Ressourcen ist – im Wechselspiel mit der politischen Dimension – eines der Zielsetzungen von nachhaltigenNachhaltigkeit Tourismuskonzepten.

Gleichzeitig kann eine touristische Nutzung aber auch zum Schutz von Ökosystemen beitragen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn in den sog. Entwicklungsländern die touristische Nachfrage nach (Foto-)Safaris dazu führt, dass die lokale Bevölkerung den Wert des Schutzes von Wildtieren indirekt dadurch erkennt, dass diese eine Erwerbsgrundlage darstellen, weil Besuche internationaler Touristen Einkommen generieren. Aber auch die Kulturlandschaft mit traditionellen ökologisch angepassten landwirtschaftlichen Praktiken (Streuobstwiesen, Wacholderheiden oder bestimmte andere Sukzessionsstadien) wird teilweise aufgrund der touristischen Nachfrage geschützt, da diese einen Attraktivitätsfaktor z. B. für den Wandertouristen darstellt.

Dass die Normen einer GesellschaftGesellschaft die Wertigkeit von Freizeit im Verhältnis zur Arbeitsethik mit beeinflussen, ist ebenfalls offensichtlich. Die Bezeichnung Deutschland als „kollektiver Freizeitpark“ durch den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl bei seiner Regierungserklärung am 21. Oktober 1993 ist zum geflügelten Wort dafür geworden, dass aus seiner Sicht der Stellenwert der Freizeit in der Gesellschaft zu hoch sei und der Stellenwert der Erwerbsarbeit wieder gesteigert werden sollte. Fragen der Work-Life-Balance und der Stellenwert von freier Zeit schlagen sich nicht nur in konkreten Tarifvereinbarungen nieder, sondern beeinflussen auch den Umfang und die Art der Freizeitgestaltung. Gleichzeitig ist die gesellschaftspolitische Diskussion, welchen Stellenwert wir dem Schutz der natürlichen Umwelt oder Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit zumessen, auch eine relevante Größe. Aber auch die Frage, wie eine Gesellschaft mit dem (materiellen und immateriellen) kulturellen Erbe umgeht, kann durch die touristische Nutzung beeinflusst werden, sei es dadurch, dass materielles kulturelles Erbe (auch) aufgrund der touristischen Nachfrage erhalten oder restauriert wird, oder dass bestimmte Praktiken und Riten wegen ihrer Anziehungskraft auf Touristen gepflegt werden. Umgekehrt kann die touristische Nachfrage durch die Kommerzialisierung und Folklorisierung von gesellschaftlichen Praktiken aber auch zu deren Degradierung und Kommodifizierung beitragen. Gleiches gilt auch für soziale Normen und Verhaltensweisen. Insbesondere im Kontext des sog. „Entwicklungsländertourismus“ wird die Frage nach den negativen Auswirkungen der touristischen Erschließung auf traditionelle Normensysteme intensiv diskutiert.

 

Insgesamt gesehen handelt es sich beim Phänomen Tourismus um eine gesellschaftliche Praxis, die eine Vielzahl von Wechselbeziehungen mit unterschiedlichsten Feldern aufweist (die untereinander ebenfalls in Bezug stehen). Dementsprechend verwundert es nicht, dass sich eine Vielzahl unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Das Spektrum reicht dabei von Wirtschaftswissenschaften (mit dem betriebswirtschaftlichen und dem volkswirtschaftlichen Blickwinkel), der Soziologie und den Politikwissenschaften über die Pädagogik und Psychologie, die Ethnologie bzw. Kulturanthropologie bis hin zu Jura, Kunstgeschichte, Umweltwissenschaften und der Mobilitätsforschung. Dabei bringt jede (Mutter-)Disziplin ihre spezifischen Blickwinkel und Ansätze in die jeweilige Freizeitpädagogik oder Tourismussoziologie mit ein. Gleichzeitig stehen die unterschiedlichen Teildisziplinen in einem intensiven Wechselspiel und Austausch. Tourismus wird von einem Tourismussoziologen eben nicht nur aus rein soziologischer Sicht betrachtet und analysiert, sondern der tourismussoziologische Blickwinkel steht im Wechselspiel mit den spezifischen Analyseansätzen von Freizeitpädagogen, Tourismuspsychologen oder eben auch Tourismusgeographen. In der Tourismusforschung verschwimmen die traditionellen Disziplingrenzen, sodass von einem transdisziplinären Feld gesprochen werden kann. Ob sich aus diesem Konglomerat unterschiedlicher disziplinärer Ansätze der „Mutter-Disziplinen“, der aktuell mit dem Terminus „TourismuswissenschaftenTourismuswissenschaften“ beschrieben wird, mittelfristig eine eigenständige Disziplin, die Tourismuswissenschaft entwickeln oder ob das Phänomen Tourismus auch längerfristig als Gegenstand aus den „Mutter-Disziplinen“ heraus behandelt wird, ist eine offene Frage.