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Andreas Belwe, Thomas Schutz

Smartphone geht vor

Wie Schule und Hochschule mit dem Aufmerksamkeitskiller umgehen können

ISBN Print: 978-3-0355-0086-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-0199-5

Gestaltung und Satz: tiff.any GmbH, Berlin

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:

http://mehr.hep-verlag.com/smartphone

Inhalt

Vorwort

1Wir leben in exponentiellen Zeiten

1.1Unser Gehirn passt sich plastisch den exponentiellen Zeiten an

1.2Digitale Technologien prägen die Generationen Y und Z seit ihrer Geburt

2Generation Y & Z: Ist Konzentration eigentlich noch möglich?

2.1X, Y, Z: Generationen als Kollektive mit partiellen Gemeinsamkeiten

2.1.1Generation X (Gen X) – »Live to work«

2.1.2Generation Y (Gen Y) – »Work to live«

2.1.3Generation Z (Gen Z) – »Work while living«

2.1.4Gen X & Gen Y & Gen Z: Die heutige XYZ-Ära

2.2Studien zeigen, digital Lernende haben geringe Aufmerksamkeitsspannen

2.2.1Aufmerksamkeit ist der Ausschluss uninteressanter Information

2.2.2Konzentration ist auf interessante Information fokussierte Aufmerksamkeit

2.3Studien zeigen: Gen Y/Gen Z haben höhere Erwartungen an das Leben und Arbeiten

2.4Leistung ? Ja, schon – aber!

2.4.1Woraus setzt sich Leistung zusammen?

2.4.2Leistung mit Freude und Sinn

2.4.3Fit im Studium – Fit für die Leistungsgesellschaft

3Wie kommunizieren und lernen digital Lernende – wie traditionell Lernende?

3.1Wozu Lesen? – Ein Plädoyer mit anschließendem Praxisbericht

3.2Lernen, Prüfen, Vergessen – ein kurzfristiges Erfolgsrezept

3.3Merkmale von geeigneten didaktischen Elementen für digital Lernende

3.4Gaming Generation – sie will ja »nur« spielen?

4Herausforderungen bei der Entwicklung geeigneter Didaktikkonzepte

4.1Erste Herausforderung: Industriell geprägte Bildungssysteme im digitalen Zeitalter

4.2Zweite Herausforderung: Traditionell Lernende als Lehrende für digital Lernende

4.3Dritte Herausforderung: Kompetenzbasiertes Lehren und Prüfen

5Erprobte Lehrstrategien im digitalen Lern-/Lehrprozess

5.1Das Skillset digital Lernender beinhaltet auch Stärken!

5.2Das Skillset traditionell Lehrender aber auch!

5.3Die Phasen im Lehr-/Lernprozess in der XYZ-Ära

5.4Konzeptfragen, Peer Instruction und Just-in-time Teaching

5.5An realen Problemen lernen: Problem-based Learning

5.6Forschendes Lernen und Lernen in Projekten

6Einfache Praxisbeispiele universitären Lehrens für digital Lernende

6.1Der Dozent als Coach für das akademische Lernen

6.1.1Der Dozent als aktivierender Lernprozessbegleiter

6.1.2Kontinuierliches Feedback während des gesamten Lernprozesses

6.1.3Die Dozentensprechstunde als Ort individueller Lernberatung

6.1.4In Zahlen: Themen beim Lern-Coaching

6.2Der Dozent als Coach für das wissenschaftliche Arbeiten

6.2.1Schreiben als Krise

6.2.2Themenwahl statt Themenvergabe

6.2.3Planungsphase

6.2.4Spielerische Elemente im Schreibprozess

6.2.5Schreibtipps

6.2.6Midterm Paper

6.2.7Bewertungskriterien

7Fazit
Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Über die Autoren

Vorwort

Erst das Smartphone, dann die Liebe? Wenn es permanent vom Partner ablenkt, ergeben sich in der Tat Folgen für das Beziehungsleben. Edward und Sue Hallowell warnten bereits 2011 in ihrem Buch Liebe in Zeiten der Ablenkung: Ohne Aufmerksamkeit ist emotionale Nähe unmöglich. – Zwei Menschen sitzen einander im Restaurant gegenüber und essen schweigend, während sie unauffällig immer wieder aufs Display schielen. Auch während des Gesprächs mit dem Partner wird das Smartphone nach Belanglosigkeiten abgestreichelt. Wie mag das nach dem Essen weitergehen? Das können wir nicht sagen. Wir wissen nur, dass 39 Prozent der zwischen 18- und 29-jährigen Deutschen ihr Smartphone mit auf die Toilette nehmen und jeder zweite am Phantomklingeln, also am eingebildeten Klingelton leidet. (vgl. DIE ZEIT vom 14.08.2013)

Aber auch der Arbeitsplatz ist von der permanenten Ablenkung durch E-Mails und (oft überflüssige) Netzaktivitäten betroffen. Deshalb gibt es mittlerweile digitalen Arbeitsschutz. Computerprogramme wie Freedom oder Anti-Social sollen helfen, Selbstdisziplin und Aufmerksamkeit von Büroarbeitern zurückzuerobern.

Liebe, Toilette und Arbeitsplatz – warum sollten Schule und Hochschule verschont bleiben? Auch hier ist festzustellen: Smartphone geht vor. Mit Einführung des iPhone 2007 brach eine Welle los, die besonders jüngere Menschen in den Bann zieht. Dabei zeigt sich folgendes Bild: Lehrer und Dozenten erläutern Fakten und Zusammenhänge, klicken von einer Folie zur nächsten, dazwischen schreiben sie etwas an die Tafel. Das scheint die Schülerinnen und Schüler bzw. Studierenden nicht sehr lange zu interessieren. Immer wieder tippen und wischeln sie auf ihren Smartphones herum. Ermahnungen, aufmerksamer zu sein, verhallen. Hilflose Versuche, die Geräte aus dem Klassenzimmer oder Hörsaal zu verbannen, scheitern. Warum? Die nahezu permanent von ihren Smartphones absorbierten jungen Menschen sind keine »Smartphone-Junkies«, wie vordergründig behauptet wird, die man nur mal auf »Entzug« setzen müsste. Sondern sie können nicht anders, weil sie damit aufgewachsen sind.

 

Digitale Technologien, wie das Internet, internetfähige Smartphones, iPod, iPad, Facebook, Twitter, WhatsApp und Co., haben die Art und Weise des Kommunizierens, Lernens und Arbeitens grundlegend und unwiderruflich verändert. Aber die größten Veränderungen sind nicht die Technologien an sich, sondern die Tatsache, dass die Generationen und ihre Gehirne durch jeweils neue Technologien und Medien unterschiedlich geformt wurden und werden.

Hat die Generation X (Gen X) noch im Schlagwortkatalog geblättert, Informationen aus Büchern bezogen, auf der elektronischen Schreibmaschine oder auf frühen Computermodellen geschrieben und den Tageslichtprojektor für Medieneinsatz gehalten, so ist die Generation Y (Gen Y), geboren zwischen 1980 und 1995, umfassend geprägt von Internet und mobiler Kommunikation. Sie weist eine technologieaffine Lebensweise auf und bedient spielerisch gleichzeitig mehrere Medienkanäle (transmedia). Dadurch entwickeln sich andere Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, die weniger kontinuierlich und fokussiert, sondern sprunghaft und diffus erscheinen. Die zwischen 1995 und 2010 geborene Generation Z (Gen Z) ist bzw. wird noch mal stärker durch die in alle Lebensbereiche eindringende Digitalisierung und Virtualisierung geprägt werden. Aufgrund der kurzen technischen Entwicklungssprünge bestehen also die »Gen X & Gen Y & Gen Z« nebeneinander und bilden die »XYZ-Ära«, in der sie über die Generationenschranken hinweg interagieren. Wie schwierig dies sein kann, zeigt sich nirgends deutlicher als in Schulen und Hochschulen, in denen die Gen X die Gen Y/Z unterrichten soll.

Die heutigen Schülerinnen und Schüler sowie Studierenden, deren Lern- und Denkorgane durch die Fülle und Formen digitaler Reize seit ihrer Geburt fortlaufend stimuliert worden sind, haben sich in ihrer Kindheit und Jugend der digitalen Welt in ihrem Lernen und Denken – mitunter auch lern- und neurobiologisch – angepasst. Dies hat zur Konsequenz, dass die jüngeren Generationen u.a. geringere Aufmerksamkeitsspannen und höhere Erwartungen an die Lern- und Arbeitsumgebung haben, als dies bei den vorhergehenden Generationen der Fall war. Die älteren Generationen, deren Lern- und Denkorgane sich in einer analogen Welt mit Kreide und Tafel, mit Stift und Papier entwickelt haben und durch diese in ihren traditionellen Lern- und Arbeitsmustern geprägt worden sind, stellen sich heute der Herausforderung, als traditionell Lernende Lehrer der digital Lernenden sein zu sollen.

Vor dem Hintergrund einer technologisch exponentiell beschleu­nigten Welt und angesichts der hieran angepassten Gehirne der jüngeren Generationen reflektiert dieses Buch, welche fundamentalen lernbiologischen und psychologischen Änderungen heute die Lehr-/Lernprozesse in Schule und Studium, in Familie und Beruf vor immer größere Aufgaben stellen. Die Analyse konzentriert sich deshalb zum einen auf wissenschaftlich belegte Fakten, vorwiegend auf neuro- und lernbiologische Aspekte sowie auf psychologische und anthropologische Erkenntnisse, zum anderen auf langjährige Erfahrungen in der akademischen Lehre.

Wenn sich die Vertreter der Gen X an ihre eigene Schulzeit erinnern, so denken sie daran, wie die Einführung des Taschenrechners in seiner positiven als auch negativen Wirkung auf das Heftigste in nahezu endlosen Sitzungen diskutiert wurde. Die Argumente deckten damals die gesamte Bandbreite zwischen Mythos und Wahrheit ab. Bei Elterntagen vor den jährlichen Anmeldeverfahren stellte ferner nahezu jede weiterführende Schule das Sprachlabor und seine exorbitante technische Ausstattung in den Vordergrund, wobei der Lehrkörper eher nicht gezeigt wurde. Rückblickend wurde die Gen X bis zum Abitur genau 90 Minuten im Sprachlabor unterrichtet. Erfreulicherweise hat es sich gezeigt, dass die didaktische Konzeptionsfähigkeit des Lehrers als auch dessen einmalige Persönlichkeit – mit und ohne Taschenrechner, mit und ohne Sprachlabor – den Lehr-/Lernerfolg vehementer und fortdauernder prägten.

So wollen wir hier weder einzelne Technologien vorstellen – und ihre Sinnhaftigkeit für den Lehr-/Lernprozess diskutieren – noch einen Überblick über hochschuldidaktische Grundlagen geben, sondern den Lehrenden (Eltern, Lehrern, Dozenten, Führungskräften etc.) didaktische Elemente und deren erprobten Einsatz vorstellen, die in der XYZ-Ära die Erreichung der Kompetenzziele erleichtern. Diese Elemente sind einfach zu lernen, überschaubar, kostengünstig bis kostenfrei und können in ein bestehendes Lehr-/Lernszenario eingebaut werden.

In den ersten beiden Kapiteln werden zum einen die exponentielle Entwicklung in der heutigen digitalen Ära, zum anderen die Auswirkungen auf das unterschiedliche Lernen und Arbeiten zwischen den Generationen dargestellt und wissenschaftlich belegt. Kapitel 2 ist ein Exkurs, angefügt zu der in diesem Kontext wichtigen Frage, welchen Stellenwert Leistung und Leistungshandeln für die Generation Y und Z hat. Dazu wird zunächst geklärt, was unter Leistung zu verstehen ist, inwiefern sie zum Selbstverständnis eines Menschen beiträgt und wie sie zu bewerten ist. (Dabei fiel auf, dass es kaum neue Literatur zum Thema Leistung gibt, obwohl die Gesellschaft, in der wir leben, sich gerne als Leistungsgesellschaft versteht und allenthalben von Leistung die Rede ist.)

Das dritte Kapitel führt über die Frage, wie digital und traditionell Lernende eigentlich lesen und lernen, wie vertieftes Lesen, Schreiben und Rechnen ermöglicht werden kann, hin zu Merkmalen von geeigneten didaktischen Elementen für digital Lernende.

Vor diesem eher neuro- und lernbiologischen Hintergrund widmet sich das vierte Kapitel den intergenerationalen und kompetenzbezüg­lichen Herausforderungen bei der Entwicklung geeigneter Didaktik­konzepte. Nicht thematisiert werden sowohl (hochschul-)didaktische Implikationen des Bologna-Prozesses als auch didaktische Einord­nungen von technischen Tools, wie Whiteboards, E-Learning-Hard- und Software etc., oder von lernräumlichen (Bau-)Maßnahmen.

Dass durch einfache und kostengünstige, konzeptionelle Elemente und mithilfe des traditionell Lernenden als Lernprozessbegleiter der digital Lernende die Kompetenzziele erfolgreich erreichen kann, zeigen im fünften und sechsten Kapitel erprobte Lehrstrategien und einfache Praxisbeispiele universitären Lehrens für digital Lernende. Das Kapitel 6.2 widmet sich der Begleitung einer wissenschaftlichen Arbeit, die in mehrere Phasen aufgeteilt wird, also von der Themenwahl, die bereits einen Teil der Leistung darstellt, über die Recherche, das Lesen, das Midterm Paper, in dem die Schülerinnen und Schüler bzw. Studierenden die ersten Schritte dokumentieren, bis zum Erstellen der Rohfassung und der Finalversion.

Ferner finden sich Tipps zum Selbstmanagement, die den Schülerinnen und Schülern bzw. Studierenden an die Hand gegeben werden können, sowie Kriterien, mittels derer schriftliche Arbeiten als Leistungsnachweis bewertet werden können.

Ob und wie Sie diese Ideen in Ihre Unterrichts- bzw. Kurskonzeption einflechten, wird mitunter von der einzigartigen Kombination Ihrer Persönlichkeit als Lehrender, den Lernenden, dem Fach sowie von der Lernumgebung abhängig sein. Wir wünschen Ihnen viel Erkenntnisfreude beim Lesen und Ausprobieren und hoffen, einen Austausch Ihrer Erfahrungen, die Sie bei der experimentellen Umsetzung machen, anzuregen.

München und Berlin, Juni 2014

Andreas Belwe, Thomas Schutz


Kapitel 1 Wir leben in exponentiellen Zeiten

Zu Beginn ein Experiment (vgl. Buonomano, 2012). Achten Sie bitte gleich beim Lesen der Instruktion darauf, welche mannigfaltigen Assoziationen das Experiment in Ihnen auslöst. In dem Experiment geht es um Kopfrechnen. Jetzt keinen Schreck bekommen, es handelt sich um einfaches Addieren natürlicher Zahlen: Sie addieren die folgenden Zahlen im Kopf und schreiben im Anschluss die Endsumme auf. Start­bereit? Los geht’s. Sie addieren bitte zu eintausend vierzig, dann addieren Sie noch einmal eintausend, zwanzig und wieder eintausend hinzu. Addieren Sie erneut zehn, nochmals eintausend und zum Schluss dreißig hinzu. Schreiben Sie jetzt bitte die Summe auf!

Interessant ist, dass auch in einem Auditorium von Akademikern recht mannigfaltige Ergebnisse zutage treten. 50% der Befragten nennen die Zahl fünftausend. Leider völlig falsch. Die nächste Schätzung ist meist Fünftausendeinhundert (25%). Auch nett, aber auch falsch. 24% nennen die richtige Lösung: viertausendeinhundert.

Wenn man davon ausgeht, dass jeder das Addieren von natürlichen Zahlen – zumindest so lala – beherrscht, wie kann dann dieser Befund zustande kommen? Spielen Sie dieses kleine Experiment einmal in Ihrem Familien-, Bekannten- oder Kollegenkreis durch. Auch Mathema­tiker sind hier äußerst kreativ.

Die Ursache für die Mannigfaltigkeit der Ergebnisse liegt in der Kon­struktion des menschlichen Gehirns selbst und ist wohl für das menschliche Gehirn ein sehr typischer Denkfehler. Allzu oft werden diese Denkfehler mit anderen Phänomen unserer Zeit verwechselt: fehlende Konzentrationsfähigkeit, fehlendes Interesse für Mathematik, fehlende Ausdauer, fehlende Disziplin, fehlende Rechenfertigkeiten der jungen Net-Generation. Die Liste scheint lang. Aber war das früher auch so?

Oft sehnen wir uns nach einer Zeit zurück, in welcher der Lehrer an der Tafel mit Kreide Fakten und Zusammenhänge vor der gebannt und still dasitzenden Klasse erläutert: Der Lehrer als Quell allen Wissens. Das waren Zeiten: Das Wissen floss auf scheinbar wundersame Weise vom Lehrer direkt in die Köpfe der Schüler, ohne diesen erklären zu müssen, wie das Lernen eigentlich funktioniert und welche Methoden es gibt. Man verkündete die Aufgabe, lernte dies oder das zu Hause. Auch die Benutzung des Tageslichtprojektors nebst Folie im Wechselspiel mit dem Tafelbild hatte so eine Magie und galt als Höhepunkt des multimedialen Medieneinsatzes. Doch zu dieser Zeit begann auch das Übel, mag man meinen. In zunehmend schnel­lerer Abfolge kamen Sprachlabore und Computerräume, rollende Medienschränke mit TV, CD und DVD, Laptop-Klassen und interaktive Whiteboards, iPhone 4, 5 und 6, S und C usw. – immer innovativere digitale Produkte und immer kürzer werdende Produktzyklen. Die Welt in den letzten 20 Jahren, die Computer und Fernsehgeräte in ihr, das Internet und die Übertragungsgeschwindigkeiten: Alles wurde rasant schneller, schneller und schneller. Und was bedeutet das für unser Lernorgan? Schnell wurden Szenarien eines »Informationstsunamis« gesponnen. Zu Recht? Will man diese Frage unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten lern­biologisch beantworten, erscheint es sinnvoll, an wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen sowie an konkreten Praxisbeispielen Vor- und Nachteile dieser Entwicklung sowohl für den Lehrenden als auch für den Lernenden herauszuarbeiten. Gibt es Unterschiede zwischen den Generationen? Wenn ja, welche? Gibt es auch positive Beispiele?

Ja, die gibt es: Beispielsweise berichtet der 12-jährige Thomas Suarez in seinem TEDx-Talk in Manhattan Beach im Oktober 2011 (Suarez: A 12-year-old app developer, Web.) vor Hunderten von Eltern und Lehrern von seiner Begeisterung, Apps für das iPhone zu programmieren. Anfänglich fragte er seine Eltern und Lehrer, ob sie ihm die dazu nötigen Computersprachen beibringen könnten. Sie konnten es nicht. Wie auch? Aber sie bestärkten ihn in seiner natürlichen Neugierde und schufen eine Umgebung, in welcher er seine Leidenschaft und Stärken entdecken und seine Ideen umsetzen konnte.

Nachdem Apple 2008 mit dem iPhone auch das iPhone/iOS Software Development Kit (SDK) veröffentlicht hatte, brachte er sich die nötigen Grundlagen selbst bei. An seiner Schule gründete er dann seinen App-Club. Er fragte Lehrer, wann und wie Apps für das Lernen sinnvoll ­seien, und teilte seine Erfahrung, wie man Apps programmiert, mit anderen interessierten Mitschülern und Lehrern.

 

|Abb. 1| TEDx-Präsentation von Thomas Suarez, einem 12-jährigen App-Entwickler und Gründer von Carrot Corp, Inc., in Manhattan Beach im Oktober 2011[1]

In seiner TEDx-Präsentation 2011 |Abb. 1| wandte er sich direkt an sein Publikum, an die Lehrer, indem er charmant feststellte, dass heute zum einen Schüler und Studierende ein besseres Verständnis vom Gebrauch digitaler Technologien haben und dass zum anderen die Lehrer von dieser Ressource Gebrauch machen sollten, um Schülern kollaboratives Lernen zu lehren. Mittlerweile inspiriert der jetzt 13-jährige Gründer der Firma Carrot Corp, Inc., Gleichaltrige wie Erwachsene mit seiner Vorstellung über die Zukunft des Lernens.

Doch nun zurück zu der Frage, die Eltern wie Lehrende heute am meisten bewegt: Ist Konzentration in dieser schnellen, digitalen Wunderwelt heute eigentlich noch möglich? Und, wenn ja, wie lange und für was? Denn in jeder Bildungs- und Arbeitswelt werden die technologischen Produktzyklen zunehmend kürzer und die medialen Verlockungen immer größer und vielfältiger. Die Ablenkung scheint den Kampf um die Aufmerksamkeit für sich entschieden zu haben. Das mag man bedauern und beklagen. Aber es ist recht wahrscheinlich, dass das Internet nicht wieder verschwinden und die gefühlte Zeit sich weiterhin exponentiell beschleunigen wird.

Mit der Biene Maja fing in unserer Kindheit um 16:04 Uhr nach der ersten Nachrichtensendung des Tages das Fernsehprogramm auf dem zweiten Kanal an. Vorher lief auf allen (drei!) Kanälen das Testbild. Unspektakulär, sodass sich der Fernsehkonsum in überschaubaren Grenzen hielt. Doch war in dieser Zeit ein Fernsehgerät pro Haushalt mit drei Fernsehkanälen der Quell des medialen Inputs.

So standen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahre 2013 zwar durchschnittlich nur 1,9 Fernsehgeräte pro Haushalt zur Verfügung. Doch stieg nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) sowohl die Anzahl der pro Haushalt empfangbaren Fernsehsender deutlich auf bis zu 80 Sender an (Stand: Januar 2012) als auch der durchschnittliche Fernsehkonsum von 190 Minuten im Jahre 2000 auf 222 Minuten im Jahre 2012 (AGF: Entwicklung der durchschnittlichen Sehdauer, Web.). Dank mobiler Endgeräte wie Smartphones ist der Informations- und Kommunikationskonsum zudem ortsunabhängig, zeitlich wahlweise synchron oder asynchron als auch multichannel geworden, sodass auch unterwegs und nicht nur vor dem Fernseher nach Herzenslust gezappt werden kann. Laut einer Umfrage der Akademie der Media (Stuttgart) und der Agentur Mind­share Marketing nutzen junge Leute ihre Smartphones täglich dreieinhalb Stunden, am wenigsten zum Telefonieren: 13 Minuten. Aus dem Homo sapiens wurde ein »Homo zappiens« (Veen/Vrakking, 2006).


|Abb. 2| WhatsApp ist wichtiger als Facebook und Twitter.

Wenn wir uns jetzt in ein Kind hineinversetzen, das heute die Biene Maja schauen möchte, so hat es sowohl eine Vielzahl unterschiedlicher Geräte und Medien als auch Orte und Uhrzeiten zur Auswahl. Ferner wird dem Kind auch gleich eine Anschlussbeschäftigung zum Weitersehen oder Weiterklicken im Internet angeboten. Da die Umwelt des Kindes – die Erwachsenen und Gleichaltrigen – dem Kind auch bei anderen Themen des alltäglichen Lebens ein ähnliches Verhalten vorlebt, wird es diesen allgegenwärtigen Informationskonsum und Technikgebrauch als normal ansehen.

Aber nicht nur die Verfügbarkeit von Informationen scheint technisch immer grenzenloser zu werden. In der Schule und im Studium sagte man uns, dass sich das Wissen in der Welt alle zwei Jahre verdoppeln würde. Was denken Sie: Wann verdoppelte sich 2006 die neue, weltweit zur Verfügung stehende technische Information, wann 2010 und wie sieht es heute aus? Oder anders gefragt: Schätzen Sie bitte, wie viele Stunden ein heute 11-jähriges Kind im Jahre 2020 damit verbracht hat:

•Videogames zu spielen?

•vor dem Fernseher zu sitzen?

•sich mit mobilen Endgeräten zu beschäftigen?

•E-Mails zu versenden?

•ein Buch zu lesen?

Wenn also Kinder und Jugendliche spätestens ab 1995 mit diesen digitalen Technologien und der schier unbegrenzten Informationsflut aufgewachsen sind und das als die normale Umwelt betrachten, was hat diese dann mit ihren Gehirnen gemacht?

Bevor wir auf die Reise in ein Gen Y/Gen Z-Gehirn von heute gehen, ein paar Vorbemerkungen zum wissenschaftlichen Diskurs in diesem für alle Bereiche des Lernens und Arbeitens virulenten Forschungsfeld.