Haus der Hüterin: Band 11 - Die Bedrohung

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Aus der Reihe: Haus der Hüterin #11
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Haus der Hüterin: Band 11 - Die Bedrohung
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Das Buch

Zwar ist Hüterin Rylees letztes Abenteuer glimpflich verlaufen, doch es bleibt etwas zurück: Nachts spürt sie noch immer, dass etwas Böses den Wald um Securus Refugium durchstreift und auf sie lauert. Aber nicht nur das lässt sie unruhig schlafen, auch über Vlads Verrat ist sie noch lange nicht hinweg. Da wundert es nicht, dass sie das Angebot der Hexe Evanora, ihr zu helfen, annimmt.

Endlich kann sie sich wieder auf anderes konzentrieren. Zum Beispiel darauf, dem jungen Hüter Percival ein neues Heim zu verschaffen. Wie aber kann sie dem golden glänzenden Fremden helfen, der ohne Gedächtnis wie aus dem Nichts auf einer Lichtung erscheint?

„Die Bedrohung“ ist Band 11 der Fantasy-Serie „Haus der Hüterin“ von Andrea Habeney. Band 1 „Das Erbe“, Band 2 „Das Erwachen“, Band 3 „Das leere Bild“, Band 4 „Das Portal“, Band 5 „Der Verrat“, Band 6 „Der verschwundene Schlüssel“, Band 7 „Die Hochzeit“, Band 8 „Die Rettung“, Band 9 „Die Fremden“ und Band 10 „Die Wächterin“ liegen ebenfalls bei mainbook vor. Weitere Bände der Serie folgen.

Zudem gibt es die Bände 1-3, 4-6 und 7-9 als Sammelband-Taschenbücher und die Bände 1, 2 und 3 als Hörbücher. Weitere Taschenbuch-Sammelbände und Hörbuchbände werden folgen …

Die Autorin

Andrea Habeney, geboren 1964 in Frankfurt am Main, in Sachsenhausen aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Gießen Veterinärmedizin. 1997 folgte die Promotion. Bis 2013 führte Andrea Habeney im Westen Frankfurts eine eigene Praxis. Heute arbeitet sie als Tierärztin für einen Tierärzteverbund.

Als Autorin hat sie sich einen Namen gemacht mit ihrer Frankfurter Krimi-Reihe um Kommissarin Jenny Becker: „Mörderbrunnen“ (Frühjahr 2011), „Mord ist der Liebe Tod“ (Herbst 2011), „Mord mit grüner Soße“ (April 2012), „Arsen und Apfelwein“ (2013), „Verschollen in Mainhattan“ (2014), „Apfelwein trifft Weißbier“ (Oktober 2015), „Abgetaucht“ (November 2017) und „Apfelwein auf Rezept“ (2019)

Zudem hat Andrea Habeney zwei weitere Fantasy-E-Books bei mainbook veröffentlicht: „Elbenmacht 1: Der Auserwählte“ und „Elbenmacht 2: Das Goldene Buch“.

eISBN 978-3-947612-75-8

Copyright © 2020 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Covergestaltung: Olaf Tischer

Coverbild: © Christian Müller - fotolia

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Taschenbücher und E-Books www.mainbook.de

Andrea Habeney

Haus der Hüterin

Band 11: Die Bedrohung

Fantasy-Serie

Inhalt

Das Buch

Die Autorin

Haus der Hüterin: Band 11 - Die Bedrohung -

Rylee stand am Fenster ihres Schlafzimmers und starrte ins Dunkel der Nacht. Irgendetwas war da draußen. Etwas Dunkles, Gefährliches. Momentan spürte sie keine akute Bedrohung, doch sie war sicher, dass das Wesen, das sie vor ein paar Tagen angegriffen hatte, nicht einfach so wieder verschwunden war.

Sie rieb sich die Arme. War es so kühl im Raum oder kam es ihr nur so vor? Erfolglos versuchte sie, ein Gähnen zu unterdrücken. Sie wünschte sich, endlich eine Nacht durchschlafen zu können, doch zu vieles ging ihr im Kopf herum.

Boh fehlte ihr. Seit sie vor einigen Tagen Amelie, die Wächterin, befreien konnten, hatte ihr Wächterkater Boh nachts nicht mehr in ihrem Zimmer geschlafen. Natürlich wusste sie, dass er sofort an ihrer Seite erscheinen würde, wenn sie ihn rief oder brauchte. Trotzdem fühlte sie sich einsam, noch einsamer als zuvor.

Dabei mangelte es ihr nicht an Gesellschaft. Ihre Haushälterin Maj war ihr mittlerweile eine gute Freundin, und der Geist Phillip gehörte zum festen Inventar des Hauses. Sie konnte den Lebenden Baum im Garten besuchen oder die Baumnymphe Nialee, die erst kürzlich in eine der Birken im Garten gezogen war.

Die Drachin Emmea und ihr zukünftiger Mann, der Squatch Squeech, wohnten bei Rylee, bis ihr Haus auf dem Nachbargrundstück fertig gestellt sein würde, und Rylees Freundin Emily, die gleichzeitig Emmeas Tante war, kam häufig zu Besuch.

Und der junge Hüter Percival wohnte ebenfalls hier, bis er entschieden hatte, wie seine Zukunft aussehen sollte.

Trotzdem war Rylee einsam. Sie vermisste Vlad, den uralten Vampir, der ihr nach ihrer ersten Liebesnacht erklärt hatte, am selben Tag eine andere heiraten zu wollen. Seitdem hatte sie sich geweigert, auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen, so tief hatte dieser Verrat sie getroffen. Und trotzdem …

Außerdem vermisste sie ihre Eltern, die umgekommen waren, als sie ein kleines Kind war. Der Schmerz darüber, der latent immer in ihr war, war kurz nach der Rückkehr von ihrer Rettungsmission neu angefacht worden. Percival hatte behauptet, dass jemand ihre Eltern vor fünfzehn Jahren gesehen hatte auf einem Frachter, der Gefangene und Flüchtlinge zu einem Planeten am Ende der Galaxis transportierte. Schock und Hoffnung hatten sie fast überwältigt, doch bald hatte die Vernunft eingesetzt. Es konnte nicht sein. Warum hätten ihre Eltern ihr Haus Securus Refugium und ihre Tochter Rylee im Stich lassen und fliehen sollen? Zumal die Gesellschaft, die den neutralen Häusern vorstand, ihr versichert hatte, dass ihre Eltern tot seien. Warum hätten sie lügen sollen?

Sie verbat sich, Hoffnung in Percivals vagen Hinweis zu setzen. Es war unmöglich. Ihre Eltern waren tot und Punkt. Sie würde es nicht ertragen, zu hoffen und dann erneut enttäuscht zu werden. Am liebsten hätte sie sich eine Zeit lang von allem zurückgezogen und ihre Wunden geleckt. Doch es gab einfach zu viel zu tun. Sie musste sich allerdings immer wieder an ihre Verantwortung gegenüber Securus Refugium und den Gästen erinnern, um die Kraft zu finden, weiter zu machen.

Seufzend beobachtete sie, wie sich der Himmel im Osten langsam erhellte. Als es etwa halb sieben sein musste, straffte sie die Schultern und stellte sich dem Tag.

Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, ging sie nach unten in die Küche. Sie tat so, als habe sie Phillip, dessen transparente Form sie gerade noch durch die Wand hatte verschwinden sehen, nicht bemerkt. Er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er nachts vor ihrer Tür wachte. Was sollte ihr im Haus schon geschehen?

Maj werkelte wie immer bereits in der Küche. Als Tabatai brauchte sie wenig Schlaf und verfügte über immense Energie. Rylee sorgte sich oft, dass sie die ehemalige Sklavin zu viel arbeiten ließ, doch Maj weigerte sich beharrlich, Hilfe von ihr anzunehmen. Nur widerwillig erlaubte sie Rylee ab und zu einzelne Handreichungen. Immerhin.

Zu ihrer Überraschung saß die Wächterkatze Amelie auf einem der Küchenstühle und sah Maj zu. Es war richtig gewesen, die Wächterin aus dem Haus des superreichen Gargosian zu befreien. Doch er hatte sie nicht aus niederen Beweggründen eingesperrt, sondern um ihre Art zu erhalten. Sie hatte in seinen eigenen Räumen gelebt, und man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass beide eine tiefe Zuneigung verband. Obwohl Amelie frei sein wollte, vermissten sich die beiden, und Gargosian hatte sich schon mehrere Male nach ihr erkundigt.

„Guten Morgen Amelie“, sagte Rylee. „Wo ist denn Boh?“

Die Katzendame sah sie stumm aus unergründlichen grünen Augen an. Sie war zierlich und ihr weißes Fell war etwas länger als das des größeren und stämmigeren Katers. Sie schien sich in Securus Refugium wohlzufühlen, war aber allen außer Boh gegenüber zurückhaltend und kommunizierte auch nicht mental mit Rylee, wie Boh es tat.

Rylee war damit zufrieden. Amelie war ihr eigener Herr und konnte selbst entscheiden, wo und mit wem sie später leben wollte. Rylee würde ihr ein Zuhause geben, solange sie wollte. Und wenn sie für immer hierbleiben würde … umso besser.

Rylee zuckte mit den Achseln und setzte sich an den Küchentisch, wo ein großer Becher schwarzen Kaffees auf sie wartete. Sie gähnte und hielt sich verlegen die Hand vor den Mund.

„Hast du wieder nicht gut geschlafen?“, fragte Maj besorgt.

„Doch“, sagte Rylee schnell und erntete einen zweifelnden Blick.

„Was liegt heute an?“, fragte sie, um Maj abzulenken.

Maj zählte an den Fingern ab.

„Ein gewisser Richard kommt, um mit Zwergen zu handeln. Du wüsstest Bescheid. Ein gewisser Exo kommt, um Wein einzukaufen. Auch mit ihm hast du wohl eine Art Abmachung. Ansonsten ist es heute eher ruhig. Die Pflanzenforscher sind schon ganz früh abgereist. Ihr Raumschiff ging um fünf.“

„Die Pflanzenforscher“, sagte Rylee. „Die habe ich ganz vergessen. Ich hätte doch aufstehen können, um sie zu verabschieden. Wo ich doch sowieso …“ Sie verstummte.

Maj schüttelte den Kopf. „Das ist meine Arbeit. Ich brauche wenig Schlaf, wie du weißt. Und du solltest etwas gegen deine Schlaflosigkeit tun.“

Zu Rylees Glück kam Percival in die Küche. Er sah besser aus als noch vor ein paar Tagen. Seine Gesichtsfarbe war nicht mehr ganz so blass, und es schien fast, als hätte er an Gewicht zugelegt. Maj stopfte aber auch Unmengen an Essen in ihn hinein, dachte Rylee amüsiert. Und richtig. Während Percival alle inklusive Amelie höflich begrüßte, wandte sich Maj schon dem Herd zu und begann, Eier in eine Pfanne zu schlagen.

 

„Legen die Hühner gut?“, fragte Rylee neugierig.

Vor ein paar Tagen war Maj vom Einkaufen mit dem Material für einen Hühnerstall und drei lebenden Hühnern zurückgekommen. Als Antwort hielt die Tabatai stolz einen kleinen Korb mit Eiern hoch.

„So viele“, wunderte Rylee sich. „Ich dachte, Hühner legen jeden Tag nur ein Ei.“

„Es ist das Haus“, sagte Percival und ließ seine Augen über Wände und Decke schweifen. „Die magische Umgebung.“

Rylee sah ihn überrascht an. Sie vergaß oft, dass Percival ebenfalls ein Hüter war, der lange ein magisches Haus auf Aldibaran geleitet hatte. Die Gesellschaft hatte es ihm aus Habgier abgenommen und ihn auf den unwirtlichen und extrem lebensfeindlichen Planeten 3546 verbannt. Es war eine unglaubliche Leistung, dass er dort überlebt und aus den Überresten einer alten verfallenen Hütte ein neues Haus geschaffen hatte. Heaven hatte er es genannt. Zu allem Überfluss hatte er es noch bewerkstelligt, von dem Planeten zu entkommen, und sein Haus, dessen Essenz er in einem kleinen Stück Holz gespeichert hatte, mitzunehmen.

„Hast du eigentlich schon Pläne für die Zukunft?“, fragte sie aus diesem Gedanken heraus und setzte schnell hinzu: „Bitte versteh die Frage nicht falsch. Du kannst so lange hierbleiben, wie du möchtest.“

Der Blick, den er ihr zuwandte, war sorgenvoll. „So gern ich hier bin, ich muss eine neue Heimat für Heaven und mich finden. Es wird sterben, wenn es nicht bald einen Platz bekommt, wo es dauerhaft leben kann.“ Er sah ihren erschrockenen Blick. „Es erfordert viel Magie, die Essenz eines Hauses auf diese Art zu speichern und zu transportieren, und so gebunden kann die Essenz nur eine gewisse Zeit überleben.“

Besorgt fragte sie. „Kann man denn ein Haus an jeder beliebigen Stelle errichten?“

„Von der Magie her schon“, antwortete er. „Aber man muss natürlich lokale Gesetze und die Gesetze der Gesellschaft“, bei diesem Wort verzog er das Gesicht, „beachten. Sie passen zum Beispiel auf, dass die Häuser sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Normalerweise vergeben sie Plätze. Aber du weißt ja, wie mein Verhältnis zu ihnen ist.“

Das wusste Rylee, und ihr eigenes Verhältnis zu der Leitung auf Aldibaran war nicht viel besser, seit Antrax ihr aus politischen Gründen die Hilfe bei der Befreiung von Amelie verweigert hatte. Er hatte ihr sogar gedroht, im Falle, dass sie nicht kooperieren würde. Obwohl sie auf Drohungen äußerst allergisch reagierte, stand es für sie außer Frage, Percival zu helfen, und sollte der Weg nur über die Gesellschaft gehen, dann musste sie die Kröte schlucken. Sie hatte auch schon eine Idee, wie sie es anstellen würde.

Doch zuerst musste sie sich vergewissern, dass ihre Informationen noch aktuell waren. Sie entschuldigte sich und ging ins Wohnzimmer, um ungestört zu telefonieren.

Gregor, der Hüter des Hauses Bayern meldete sich beim zweiten Klingeln. „Rylee“, sagte er atemlos. „Wie geht´s dir?“

„Gut“, antwortete sie und fragte. „Und dir? Was machen deine Umzugspläne?“

Er stöhnte. „Wir räumen seit Tagen das Haus aus, damit ich es mitnehmen kann. Die Essenz lässt sich leichter speichern, wenn es leer ist. Die Gesellschaft unterstützt mich zum Glück. Alleine hätte ich nicht genug magische Kraft.“

„Das ist … nett von denen.“

„Ach was!“, sagte Gregor. „Niemand will ein neutrales Haus auf einem Planeten errichten, wo kaum Menschen leben. Sie freuen sich, dass sie endlich einen Dummen gefunden haben und helfen mir, bevor ich es mir anders überlegen kann.“

Rylee lachte leise. „Ich hoffe, du tust das Richtige.“ Dann legte sie ihm ihre Idee dar, Percival zu helfen.

Der nächste, mit dem sie sprechen wollte, war der neue Abgesandte der Gesellschaft für die Erde, Amadeus Borwinkel. Sie musste zunächst mit seiner Sekretärin vorliebnehmen, wurde nach einigem Hin und Her jedoch mit ihm verbunden. Auch ihm erklärte sie, dass sie vorhatte, Percival zu helfen, und stieß damit auf bedingte Zustimmung. „Meinen Segen haben Sie“, erklärte er. „Aber ich weiß, dass die Zentrale andere Pläne hat.“

„Lassen Sie das meine Sorge sein“, erklärte sie fest. Anders als beim letzten Gespräch mit dem Leiter der Gesellschaft, wusste sie jetzt nicht nur mehr, sondern hatte auch einen einflussreichen Verbündeten.

Noch bevor sie zum Telefon gegriffen und Gregor und Borwinkel angerufen hatte, hatte sie nämlich Gargosian eine Mail geschrieben. Sie wusste, dass er der Gesellschaft mehr als kritisch gegenüber stand und ihr den Rücken stärken würde.

Sie verzichtete diesmal darauf, ihr Hüterinnenornat anzulegen, um Antrax nicht mehr Bedeutung zuzumessen, als ihm ihrer Meinung nach zukam. Stattdessen benutzte sie das Portal zum Hauptbüro der Gesellschaft in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen. Sie erntete einen irritierten Blick der Empfangsdame, der jedoch sofort in ein professionelles Lächeln überging. „Hüterin Montgelas, haben Sie einen Termin mit Leiter Antrax?“

„Nein“, antwortete Rylee knapp.

„Dann weiß ich nicht … Leiter Antrax ist immer sehr beschäftigt.“ Das professionelle Lächeln war etwas verblasst.

„Ich bin sicher, er wird mich sehen wollen“, sagte Rylee selbstsicher. „Und zwar umgehend. Ich bin nämlich auch sehr beschäftigt.“

Die Empfangsdame öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn dann wieder und zögerte. Endlich nicke sie und wies zu einer Sitzgruppe.

„Bitte nehmt dort Platz. Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Ich bleibe stehen“, sagte Rylee. „Ich bin sicher, es dauert nicht lange.“

Wortlos verschwand die Frau durch eine unscheinbare Tür und erschien kaum eine Minute später wieder. „Leiter Antrax hat jetzt Zeit für Sie.“

Rylee nickte hoheitsvoll und folgte ihr durch die Tür in ein kleines, nüchtern eingerichtetes Büro, das in direktem Gegensatz zu dem üppig ausgestatteten Raum stand, in dem er sie noch vor wenigen Tagen empfangen hatte.

Sein Lächeln war ebenso breit wie bei ihrem letzten Besuch, erschien ihr heute jedoch gezwungen.

„Miss Montgelas, was für eine Überraschung“, sagte er und bot ihr einen Platz auf einem einfachen Stuhl an. Sie überlegte kurz, ob sie auf der Anrede Hüterin bestehen sollte, verzichtete jedoch darauf.

„Leiter Antrax“, begann sie höflich. „Ich habe ein Anliegen, das keinen Aufschub duldet.“

„Ich habe Ihnen schon gesagt, dass wir uns nicht an der Rettungsmission …“

„Die Rettungsmission wurde erfolgreich durchgeführt“, fiel sie ihm ins Wort. „Die Hüterin ist befreit und in Sicherheit.“

„Oh“, stieß er hervor. „Das ist ja …, also, was soll ich sagen? Das ist fantastisch! Wie habt Ihr es bewerkstelligt?“

„Ich hatte Unterstützung.“ Ihr Ton machte deutlich, dass sie nicht vorhatte, mehr darüber zu sagen.

„Gut, gut. Und die Wächterin?“

„Wird bei mir leben, solange sie es wünscht. Aber deshalb komme ich nicht.“

Antrax beugte sich vor. „Was verschafft mir dann die Ehre?“

„Die Gesellschaft hat vor etwa fünfzehn Jahren zwei Hütern ihr Haus auf Aldibaran weggenommen und sie in die Verbannung geschickt.“ Rylee sah, dass Antrax etwas sagen wollte, und hob die Hand. „Ich weiß sehr wohl, dass Ihr damals nicht beteiligt wart, aber das ist jetzt auch einerlei. Einer der Hüter hatte sich tatsächlich etwas zuschulden kommen lassen. Er ist jetzt tot, aber sein Bruder lebt und konnte sich aus der völlig zu Unrecht erfolgten Verbannung befreien. Er hat ein neues Haus geschaffen und trägt seine Essenz mit sich.“

„Wo ist er?“, wollte Antrax wissen.

„Er ist in meinem Haus und steht unter meinem Schutz. Aber die Essenz wird sterben, wenn er nicht bald einen neuen Platz bekommt, um sich anzusiedeln.“

„Ich sehe, worauf das hinausläuft“, sagte Antrax säuerlich. „Ich würde sicher einen Platz finden, sofern es zutrifft, dass der Hüter würdig ist, aber ich befürchte, Ihr habt etwas anderes im Sinn, eine schnellere Lösung.“

Rylee nickte. „Ihr begreift rasch, Leiter Antrax. Ich möchte, dass er sein Haus an der Stelle des Hauses Bayern errichten darf, das mein guter Freund Gregor mit sich nehmen wird.“

Antrax lehnte sich zurück und sah sie abschätzend an. „Nur damit ich es richtig verstehe“, sagte er. „Warum sollte ich das tun? Die Stelle ist dem Sohn eines unserer verdientesten Hüter versprochen worden.“

„Weil die Gesellschaft Percival großes Unrecht zugefügt hat, und ich es jedem aber auch jedem erzählen werde, wenn sie nicht versucht, es auf diese Weise wieder gut zu machen. Und wie wichtig Euch Euer Ruf ist, habt Ihr mir ja beim letzten Mal gezeigt.“

„Aber Miss Montgelas …“, begann er. „Sie werden mir doch nicht nachtragen, dass ich abgelehnt habe, einen der reichsten Männer der Galaxis zu verärgern, nur aufgrund eines Hirngespinstes.“

„Wir beide wissen doch inzwischen, dass es kein Hirngespinst war“, sagte Rylee freundlich. „Und was den reichen Mann betrifft: Es liegt auch ihm sehr am Herzen, dass die Angelegenheit auf diese Weise bereinigt wird.“

Antrax´ Blick flackerte. „Was für ein Interesse sollte Gargosian an diesem Hüter haben?“

Rylee zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche. „Wir können ihn fragen.“ Bevor der verblüffte Antrax reagieren konnte, hatte sie die Nummer des Millionärs gewählt und hielt Antrax das Telefon hin.

Mit versteinertem Gesicht hörte er zu, was Gargosian ihm sagte.

„In Ordnung“, sagte Antrax schließlich und gab Rylee das Telefon zurück.

„Sie sind weit gekommen“, sagte er mit tonloser Stimme. „Ich werde sofort eine Übertragungsurkunde aufsetzen lassen. Ihr Freund kann sein Haus pflanzen, sobald Haus Bayern umgesiedelt worden ist.“

Rylee bedankte sich höflich und ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie nickte der Empfangsdame zu und schritt in das Portal.

Percival starrte sie schweigend an, als Rylee ihm den Vorschlag unterbreitete. Sie hatte ihn im Garten gefunden, wo er die letzten Handgriffe am neu errichteten Hühnerstall ausführte.

Sie wartete einen Moment und wiederholte, als er nichts sagte: „Du kannst dein Haus in Bayern errichten. Oder möchtest du nicht auf der Erde leben?“

Wieder kam keine Antwort. Rylee trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. „Percival? Ich kann Antrax auch fragen, ob es eine andere Möglichkeit gibt.“

Percival starrte sie an und schluckte. Dann fragte er langsam. „Ist das wahr? Meinst du es wirklich ernst?“

Bevor sie nicken konnte, riss er sie in die Arme. Seine nächsten Worte wurden von Schluchzern unterbrochen. „Ich hatte solche Angst, dass ich keinen Platz finde und Heaven sterben würde.“

Rylee tätschelte ihm den Rücken. „Das hätten wir nicht zugelassen“, versicherte sie. „Ich hoffe, dass ihr euch in Bayern wohlfühlen werdet, Heaven und du. Es kann sich nur noch um wenige Tage handeln, bis Gregor alles fertig hat.“

Percival löste sich von ihr und blickte verlegen zu Boden. „Ein paar Tage hält Heaven noch durch“, sagte er leise. „Ich bin dir so dankbar.“

„Davon will ich nichts hören“, erklärte Rylee und machte eine abwehrende Handbewegung. „Haus Bayern ist das mir am nächsten liegende Haus. Nicht auszudenken, wenn die Gesellschaft da irgendeinen grässlichen Hüter hingesetzt hätte, der mich als Konkurrenz empfindet, nur weil ich ein Portal habe.“ Sie sah den jungen Hüter besorgt an. „Ich hoffe, du hast kein Problem damit. Natürlich reisen jetzt viele über Securus Refugium ein, weil die Reise mit dem Portal so viel einfacher ist. Außerdem liegen wir neben dem einzigen Raumhafen der westlichen Hemisphäre. Aber Haus Bayern hatte trotzdem Gäste, und vielleicht könnten wir irgendwie zusammen arbeiten.“

Er atmete tief ein. „Solange ich einen sicheren Platz für Heaven habe, bin ich zufrieden. Und ich würde nichts lieber, als mit dir zusammen zu arbeiten. Ich hoffe nur, dass ich auch etwas in diese Zusammenarbeit einbringen kann.“

„Das wirst du sicher“, sagte Rylee abgelenkt, weil sie jemanden am Gartentor fühlte. Die Signatur war ihr unbekannt und hatte etwas Merkwürdiges. Sie überließ Percival seinem Hühnerstall und eilte in den Vorgarten. Vor dem Tor stand ein etwa dreißigjähriger Mann, der auf den ersten Blick menschlich aussah und etwas verloren wirkte.

Irgendetwas irritierte sie jedoch, und schnell fielen ihr einige Dinge auf:

Er musterte sie aus Augen, die aussahen wie flüssiges Gold. Überhaupt schien seine Haut einen goldenen Schimmer zu haben, und auch seine Haare glänzten, als wären sie gesponnene Goldfäden. Sein Blick wirkte verwirrt und zuckte immer wieder kurz nach links oder rechts.

 

Rylee trat ans Tor und lächelte. „Willkommen in Securus Refugium“, sagte sie freundlich. „Ihr möchtet ein Zimmer?“

Unsicher sah er am Haus empor. „Ich … glaube. Das hier ist eine Art … Herberge? Die Menschen dort drüben auf dem Feld haben mich hierher geschickt.“

Rylee reckte den Hals und folgte seinem Blick. Eine der Gestalten, die vor einem Bauwagen standen, winkte ihr. Stephan. Sie winkte zurück und wandte sich wieder ihrem Gast zu. „Ja, wir sind ein Gasthaus. Seid Ihr zu Fuß gekommen? Nach der Wiese kommt doch nur noch Wald.“

Er nickte. „Ich kam aus dem Wald. Und …“ Er schluckte. „Ich habe keine Ahnung, wo ich vorher war. Oder wer ich eigentlich bin. Nur meinen Namen weiß ich noch.“

Rylee wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. „Sicher werdet Ihr Euch wieder erinnern. Kommt erst einmal herein. Ihr müsst einen Eid leisten, weder dem Haus noch mir noch anderen Gästen zu schaden, dann könnt Ihr gerne ein Zimmer bekommen.“ Sie sagte ihm die Formel vor, und er sprach sie gehorsam nach.

Mit einer einladenden Handbewegung öffnete sie das Tor weit. „Hattet Ihr vielleicht einen Unfall? Habt Ihr einen Schlag auf den Kopf bekommen?“

Er griff sich an sein goldenes Haar. „Es scheint mir nicht so. Ich habe keine Schmerzen. Wie lange kann ich hierbleiben?“

„Solange Ihr möchtet“, antwortete Rylee. „Oder ist es eine Frage des Geldes?“ Seine Kleidung war zwar merkwürdig geschnitten, schien aber aus einem teuren Stoff, und die Ränder waren mit Goldfäden verziert.

„Geld?“ Er sah sie verwirrt an. Dann erhellte sich sein Blick. „Moment.“ Er kramte in den Taschen seines Mantels und zog eine Handvoll Goldmünzen heraus. „Das ist Geld, oder? Wie lange kann ich dafür bleiben?“

„Ist das echtes Gold?“, fragte Rylee erstaunt. „Ich habe keine Ahnung, was es wert ist, aber dafür könnt Ihr sicher sehr lange bleiben. Aber kommt doch erst einmal herein.“

Er folgte ihr zum Haus und sah sich immer wieder nach allen Seiten um.

„Darf ich Euren Namen wissen?“, fragte Rylee, als sie in die Halle traten. „Ist nur eine Formalität, ich muss ihn ins Gästebuch eintragen.“

Er neigte hoheitsvoll den Kopf. „Ich bin Kairos.“ Er sah sie erwartungsvoll an, als müsste sie den Namen kennen.

Rylee durchforstete ihr Gedächtnis, war sich jedoch sicher, den Namen noch nie gehört zu haben.

„Kommt“, bat sie, statt darauf einzugehen. „Ich zeige Euch Euer Zimmer. Um ein Uhr gibt es Mittagessen. Habt Ihr besondere Wünsche?“

Er murmelte etwas, das sich wie Brosa anhörte und schüttelte den Kopf.

„Wie bitte?“, hakte sie nach.

„Ich esse normales menschliches Essen“, erklärte er steif.

Sie ging voran bis in den ersten Stock und öffnete eine Tür zur Rechten. Auf ihre einladende Handbewegung trat er ein und sah sich mit kritischem Blick um. „Es ist sehr … einfach“, bemerkte er und sah sie an. „Wohnt man hier so?“

„Nun ja“, antwortete sie verlegen. „Ich leite das Haus noch nicht so lange. Es entwickelt sich noch und das ist mein bestes Zimmer.“ Sie machte sich im Geist eine Notiz, zumindest in einigen Zimmern für mehr Luxus zu sorgen.

Rylee ließ Kairos zurück und ging in ihr Büro, wo auch die technischen Anlagen, die Squeech bei seinem ersten Besuch eingerichtet hatte, untergebracht waren. Sie konnte mit ihrer Hilfe sowohl jedes Zimmer im Haus als auch die Umgebung über Kameras beobachten, verzichtete aber normalerweise aus Gründen der Diskretion darauf. Momentan hatte sie allerdings die Kameras, die die Umgebung des Hauses überwachten, aktiviert. Sie prüfte die Aufnahmen, fand aber keinen Hinweis auf die Bedrohung, die ihr nachts im Wald aufgelauert und sie mit ihrem Sirenengesang vom Haus weggelockt hatte. Auf dem letzten Stück der Aufnahme einer Kamera, die zur Wiese ausgerichtet war, konnte sie sehen, wie Kairos aus dem Wald trat und auf die Arbeiter zukam. Er lief unsicher, als wüsste er nicht, wohin er sollte, und blieb verloren mitten auf dem Baugelände stehen, bis Stephan auf ihn zuging. Nach einem kurzen Wortwechsel wies Stephan auf Securus Refugium, und Kairos wandte sich ab und kam zum Gartentor.

Den Rest des Nachmittags verbrachte Rylee mit Büroarbeiten und unterbrach die Arbeit nur, um zwei Stammgäste, Exo und Richard, die regelmäßig zum Handeln auf die Erde kamen, zu begrüßen.

Exo reiste unverzüglich weiter, um neue Weinsorten zu testen und einzukaufen, der winzige Richard traf sich wie immer im hinteren Teil des Gartens mit einer zwergischen Handelsdelegation. Rylee sah die geheimnisvollen Händler nur selten, aber wenn, erinnerten sie sie immer noch an Gartenzwerge.

Weit entfernt in einem alten Schloss in den Karpaten …

Vlad lief mit langen Schritten einen Gang entlang und passierte dabei mehrere reich mit Holzschnitzereien verzierte Türen. Den Steinboden bedeckten teuer aussehende Läufer.

Vor einer Tür weit hinten blieb er stehen. Er zögerte, als müsse er sich sammeln, dann straffte er die Schultern und klopfte.

Eine weibliche Stimme rief: „Ja bitte!“

Er öffnete die Tür so energisch, dass sie gegen die hölzerne Wandtäfelung schlug. Unbeirrt schritt er weiter ins Zimmer und steuerte auf das bodentiefe Fenster zu, vor dem ein bequem wirkender Sessel stand.

In ihm saß eine schlanke Frau mit langen, welligen, blonden Haaren. Sie sah fast aus wie ein Mensch, wären da nicht die senkrechten Pupillen und die Fangzähne gewesen, die ein wenig über die Unterlippe ragten.

Ihr Lächeln wirkte dadurch seltsam und gefährlich, wie das eines hungrigen Predators. All dies ging Vlad in Sekundenschnelle durch den Kopf. Er verbarg seinen Widerwillen und deutete eine Verbeugung an.

„Du hast mich rufen lassen?“, sagte er und sah sie abwartend an.

Sie lächelte ihr Reptilienlächeln und wies auf den leeren Sessel neben sich. „Wir haben seit unserer Hochzeit kaum Zeit miteinander verbracht. Sicher bist du sehr beschäftigt, aber ich langweile mich.“

„Das tut mir leid“, sagte er kühl. „Aber ich habe viel Arbeit und werde in nächster Zeit fast ununterbrochen auswärts sein. Du solltest dir eine Beschäftigung suchen. Vielleicht möchtest du deine Eltern besuchen?“ Es klang mehr wie ein Vorschlag als wie eine Frage. Ihr Gesicht verfinsterte sich.

„Meine Eltern werden es sicher nicht gutheißen, wenn du mich so vernachlässigst. Immerhin sind wir jung verheiratet.“

Er seufzte tief und setzte sich neben ihr auf den angebotenen Sessel.

„Ymani, was soll das? Du weiß so gut wie ich, dass unsere Heirat eine rein geschäftliche Basis hat. Oder muss ich dir den Absatz im Ehevertrag noch einmal zeigen?“

Sie schmollte, was bedingt durch ihre Fangzähne die Wirkung verfehlte und eher lächerlich aussah. „Aber das muss doch nicht heißen, dass sie rein geschäftlich bleibt. Was wir daraus machen, hängt ganz von uns ab. Und mein Vater wünscht sich nichts sehnlicher, als mich glücklich zu sehen. Wenn er mein Glück anzweifeln müsste, könnte es Konsequenzen für dein Volk haben.“

Es fiel Vlad nicht leicht, die unverhohlene Drohung im letzten Satz zu ignorieren.

„Wie dem auch sei“, sagte er und stand auf. „Ich muss jetzt weg. Ich werde in ein paar Tagen wieder hier sein. Dann können wir noch einmal darüber sprechen.“

Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, sprang Ymani auf und warf ihm wütend ein Glas nach, das an der Tür zerschellte. Dann ging sie zu einem Sideboard, nahm ein Telefon, das dort lag, und blaffte hinein: „Es soll sofort jemand herkommen und sauber machen. Und ich habe keine Lust, wieder so lange zu warten wie beim letzten Mal.“

Ärgerlich lief sie auf und ab, bis es leise an der Tür klopfte. Ein junges Mädchen trat schüchtern herein, den Blick zu Boden gesenkt, einen Eimer mit Putzzeug in der Hand.

„Mach das sauber!“, zischte Ymani.

Die junge Frau beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten. Dann fragte sie leise: „Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Herrin?“

„Verschwinde“, knurrte Ymani. „Und mach die Tür leise zu.“

Sie setzte sich an ihren Laptop und gab eine Adresse ein. Vlad saß auf dem Beifahrersitz eines großen schwarzen SUVs und brütete vor sich hin.

„Was ist los?“, fragte Michael, sein langjähriger Mitarbeiter und Freund, der das Fahrzeug steuerte. „Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter.“