ROSAROT war ihre Brille … Die Fortsetzung

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ROSAROT war ihre Brille … Die Fortsetzung
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Anabella Freimann

ROSAROT

WAR IHRE BRILLE …

Die Fortsetzung

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2019

Zitate aus Aphorismen.de und eigene Gedanken der Autorin

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig.

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Anabella Freimann freut sich über Feedback oder Kontakt. Dies kann unter anderem möglich sein über E-Mail: resehda@t-online.de, ihre Website www.herbstfrau.de oder ihre Autorenhomepage www.autorin-anabellafreimann.de

Copyright (2019) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelbild © Frank Boston – Fotolia

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Genehmigt und für gut befunden

Alles neu macht ein Kalender?

Zum ersten Mal verliebt

Der Tod gehört zum Leben

Damals war’s …

Salto Mortale mit Tizian

Wein, ein Klavierkonzert und ein fliegender Teppich

Zu spät!

Lehrer werden ist nicht schwer, Lehrer sein, dagegen sehr?

Große oder kleine Diva gefällig?

Schwarzfahrerin

Meditieren

Ist mir doch scheißegal

Büchertausch

Ich bin doch selber schuld

Bergkristall – nur ein meditatives Märchen?

Queen und eine Bahnfahrt mit Hindernissen

Nur ein Armband?

Mobbing

Angst

Meine fünf Leben

Augen-Blicke

GENEHMIGT UND FÜR GUT BEFUNDEN

Ich erlaube mir …

glücklich zu sein, bunt zu träumen, grenzenlos zu denken,

und manchmal eine rosarote Brille zu tragen.

Ich erlaube mir …

unvollkommen zu sein, laute Musik zu hören, ich selbst zu sein und das zu tun, was mir gut tut.

Ich erlaube mir …

albern zu sein, zu meinen Fehlern zu stehen und mein Leben zu leben.

Ja, und ich erlaube mir, jetzt, in meinem Alter, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen.

Wenn dir das nicht gefällt, dann wähle bitte die Option bei amazon.de „Im Buch blättern“ gar nicht erst. Oder wirf mich aus deiner Bekanntenliste. Du kannst mir glauben, dass ich nicht das geringste Problem damit habe.

Du möchtest jetzt natürlich wissen, woher ich das Recht nehme, ohne „Mundschutz“ zu schreiben. Schau, ich bin jetzt 73 – in Worten dreiundsiebzig – Jahre alt. Soll ich damit bis 75 warten? Oh nein, da könnte ich eventuell schon den Weg alles Irdischen gegangen sein. Nicht, dass ich mir diesen pulverförmigen Zustand vorzeitig herbeiwünsche. Aber man kann nie wissen.

Also schreibe ich jetzt so etwas Ähnliches wie meine Memoiren. Die Idee – ob du dieselbe nun verrückt definierst oder nicht – kam mir in der Sauna. Nicht das erste Mal hätte ich am liebsten statt meines durchgeschwitzten Handtuchs einen Stift in der Hand gehabt. Oder das Wordprogramm meines Smartphones. Um Gottes Willen, bloß kein Handy einschalten! Das hatten wir schon mal. Ich bekam damals eine Verwarnung, weil das Fotografieren im Spaßbad strengstens verboten ist. Wo ich doch nur die herbstlich gefärbten Bäume fotografieren wollte und keine nackten Männer.

Was sagt ihr da? „Na, dann merke dir doch einfach, was du später aufschreiben willst.“

Ihr armen Noch-Nichts-Davon-Wissenden-ihr habt ja keine Ahnung! Ich beneide euch ein wenig um euer noch tadellos funktionierendes Gedächtnis! Aber nur ein wenig. Manchmal ist es besser, sich nicht alles zu merken.

Doch wie gesagt – in der Sauna kommen mir die besten Ideen zum Schreiben. Ich frage mich, warum das so ist. Vielleicht lösen sich die zugemüllten Gedankengänge durch die hundert Grad Luftfeuchtigkeit wie von selbst auf? Puff, weg sind sie! Die nächtelangen Grübeleien schweben als mehr oder weniger farbige Dampfwölkchen nach oben und lösen sich auf der obersten Saunabank in Nichts auf? Den Rest wedelt der Saunameister mit seinem Tuch elegant nach draußen. Ein Duft von buntem Herbstlaub bleibt. Es könnte allerdings sein, dass noch einige Schlacken abgetragen werden müssen. Nur zu!

Ich, die Frau, die den Herbst des Lebens schon eine Weile überschritten hat, harre aus. Moment. Eine Weile den Herbst des Lebens überschritten? Falsch, keine Ressentiments! Ich bin längst darüber hinaus und wandle auf dem Winterweg, von dem es kein Zurück gibt.

Ich wandle auf einem Pfad, auf dem die Vergangenheit wieder lebendig wird und die verpassten Gelegenheiten mir in Form von diffusen Schattengestalten nur ein hämisches Grinsen schenken. Ätsch, vorbei, vorbei!

Ich versuche, sie zu übersehen und es gelingt mir sogar. Denn ganz weit hinten, versteckt zwischen einigen Birken, erweckt etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Ich habe dieses Gebäude noch nie gesehen. Oder wollte es nicht sehen. Es ist rosarot angestrichen. Über dem Eingang hängt ein dunkelrotes Schild. Ich kann die weiße Schrift darauf nicht erkennen, so sehr ich auch meine Augen aufreiße und wieder zusammenkneife. Wo ist bloß meine Lesebrille? Ohne die geht schon lange nichts mehr. Ha, ich trage sie auf dem Kopf, hochgeschoben für Gelegenheiten wie diese. Karl Valentin lässt grüßen, er fragt seine Frau Klara ja auch, wo seine Brille ist und sie weist auf seine Stirn. Da hat er sie dann gefunden, aber er ist unzufrieden und meint: „Aber ohne Etui.“ Also auch so einer, der nie zufrieden war …

Jetzt setze ich das Nasenfahrrad auf und habe Klarheit. „Das Fundbüro für verpasste Gelegenheiten“ steht da in großen Buchstaben geschrieben. Wer hat sich das ausgedacht? Mein zweites Ich? Oder? Ich ahne es. Langsam manifestieren sich aus den grauen Schatten Gestalten. Ich kenne sie und habe sie immer Frau Angst und Frau Vernunft genannt. Was haben sie schon alles in mir angerichtet!

Vorbei, vorbei? Was ist vorbei? Gibt es für irgendetwas ein absolutes Vorbei? Ich meine jetzt nicht die biologischen „Vorbeis“, wie Kinderkriegen und so weiter. Ich meine Verliebt sein, Euphorie empfinden, Flirten, Träumen, Hoffen, Bangen, Wünschen, ja sogar Liebeskummer zu haben und so weiter.

Ich denke, das ist jedem selbst überlassen. Vorbei ist alles erst, wenn man aufgehört hat zu leben.

Ich bin zu alt, um nur zu spielen.

Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

(Johann Wolfgang Goethe)

ALLES NEU MACHT EIN KALENDER?

Es kribbelt in meinen Fingern und ich mache mich mit Freude daran, meinen neuen Wochenplaner anzulegen. Ja tatsächlich, es macht mir echt Spaß.

Ein unbeschriebenes Blatt, sprich ein Neues Jahr, wartet nur darauf, vollgeschrieben zu werden.

Etwa im November beginnt die erste Phase. Ich starte durch für den Kauf eines neuen Exemplars. Bei amazon.de findet man unendlich viele Angebote. Doch ich möchte den Kalender vor dem Kauf in der Hand halten können. Es ist wie bei einem Kleidungsstück. Das Foto im Onlinekatalog sieht toll aus, also bestellt man. Wenn dann aber die Lieferung kommt, ist man enttäuscht. Der Stoff fasst sich fad an und die Farben sind zu blass. Also wieder retour.

Ich prüfe also sorgfältig. Wie fühlt er sich an? Entspricht er meinen Vorstellungen? Habe ich Platz, alle Termine übersichtlich notieren zu können? Sind Seiten vorgesehen für Adressen? Ist eine Lasche da, in welche ich einen Stift einfügen kann? Und wie ist das Äußere? Nicht zu schlicht sollte er aussehen, aber auch nicht zu schrill, eher mit einem eleganten Touch.

 

Den jetzigen Kalender kaufte ich in Leipzig, als ich auf den Anschlusszug nach Berlin wartete. Ich verliebte mich sofort in diesen einen, der beim Darüberstreichen ein samtiges Gefühl an den Fingern hinterließ und den ein Gemälde von Claude Monet zierte. Den oder keinen, dachte ich. Und ich suchte gar nicht erst weiter.

Nun liegt er vor mir, der „Neue“. Ich möchte ihn wirklich „vollschreiben“ und möglichst wenig Leere erzeugen. Am 31.12. möchte ich zufrieden zurückblicken und wieder mit Freude und voller Erwartung das Neue Jahr begrüßen.

Neben mir liegt noch der Kalender vom letzten Jahr. Ich durchblättere ihn neugierig. Interessant. Man sieht genau, an welchen Tagen es mir gut ging. Da ist jede Zeile vollgeschrieben, Termine sind durchgestrichen, als erledigt abgehakt, oder einem neuen Tag zugeordnet.

Dann gibt es da aber auch Tage, an denen mich ein leeres Blatt regelrecht anstarrt. Da ging es mir mies. Eine Woche, sogar zwei Wochen. Ab und zu ein eingetragener wichtiger Termin, der dort stehen geblieben ist. Unerledigt, scheint’s … Unzufriedenheit erzeugend, damals …

Danach plötzlich ein Auftrieb: Wieder tägliche Eintragungen, alte Termine abgearbeitet, täglich die „5 Tibeter“ ausgeübt, sogar das Walken in Angriff genommen.

Stolz habe ich die Zeit eingetragen. Manche Tage war ich eine volle Stunde unterwegs. Da ist die Schrift klar und zügig.

Und dann, oh, noch so viel Tage bis zur nächsten Berlinreise. Hier scheint die Schrift irgendwie von der Vorfreude gefärbt zu sein! Zugabfahrtszeiten, Wagen-Nummer, Platzkartennummer und S-Bahn-Verbindungen zur Tochter und zur Enkelin schließen sich an. Dann ein Konzerttermin in der O2-world, die jetzt Mercedes Benz heißt. Ein Hinweis auf den neuen Queen-Film, den ich unbedingt sehen will. Das Treffen mit meinem Zwilling Bea, die ich aus Secondlife kenne.

Ach ja, es war schön, wieder einmal in Berlin gewesen zu sein. Ich liebe diese Stadt nun mal, sie ist meine zweite Heimat.

Das Urenkelchen wächst heran und der Film hat mich sehr berührt. Das Treffen mit Bea war lustig. Wir haben viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Witzig, dass sogar unsere Kalender die gleiche Farbe und Ausstattung aufwiesen.

Ich finde auch Bemerkungen anderer Art in den Kalenderblättern. Anmerkungen, Aphorismen, Gedanken, zum Beispiel mögliche Titel für meine neuen Manuskripte.

Oder ein Fremdwort, das ich nachschlagen will. Wenn ich so etwas nicht sofort notiere, verschwindet es vorübergehend aus meinem Gedächtnis. Manchmal kommt es durch irgendeine Gedankenverbindung urplötzlich zurück.

Nun sitze ich da und beginne das Neue in Angriff zu nehmen. Soll ich nun das Alte wegwerfen? Nein. Ich hebe die Blätter auf. Man kann nur daraus lernen. Denn das Auf und Ab ist normal. So ist das Leben. oder besser: So ist mein Leben.

Welche Pläne gibt es nun für 2019 einzutragen? Mitte März habe ich die nächste Lesung in unserem ehemaligen Heimatort. Am 26. März, das ist unser Hochzeitstag, fahren wir nach Oberhof ins Panorama-Hotel. Schöne Erinnerungen verbinden wir mit diesem Ort.

Meinen Geburtstag im Mai feiern wir auf der „Allemannia“. Wir haben eine Rhein-Main-Flussschiffsreise gebucht.

Neben den genannten Highlights stehen in meinem Kalender Geburtstagstermine der Kinder und Enkel und natürlich Arzttermine nebst Gesundheitskursen.

Wenn die Bürokratie einen Zahn zulegt, kann ich bald die Tage eintragen, an denen ich in unserer ehemaligen Schule eine Arbeitsgemeinschaft „Kunst“ leiten darf.

Mein neuer Roman soll in diesem Jahr fertig werden. Ideen dazu, die mir urplötzlich kommen, werde ich sofort niederschreiben. Wie sagte schon Goethe? „Was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“

Hat man es in seinem Computer stehen, kann es verschwinden, so wie es vor einigen Tagen mit meiner externen Festplatte geschah. Sie konnte nicht repariert werden und somit verschwanden ganze Kapitel für das neue Buch nebst wertvollen Fotodateien.

Nun schauen wir mal, was das neue Jahr alles bringt und wie vollgeschrieben meine Seiten sein werden. Unter Druck will ich mich nicht setzen, aber ich packe den „Stier“ auf jeden Fall bei den Hörnern.

Elend bin ich, warum ist Liebe nicht heilbar durch Kräuter

(Ovid)

ZUM ERSTEN MAL VERLIEBT

Ich war fünfzehn und Schülerin in der neunten Klasse der Polytechnischen Oberschule Tröbnitz. Mein Vater war stellvertretender Schuleiter und meine Mutter arbeitete im Schulhort.

Das hieß also für mich: Regina, du stehst rundherum unter Beobachtung.

Jede schlechte Note oder ein Tadel wären meinen Erziehungsberechtigten sofort zu Ohren gekommen. Und zwar innerhalb weniger Minuten. Allerdings war ich eine ehrgeizige Schülerin und zum absoluten Brav-Sein erzogen. Also konnten sich meine Eltern in Sicherheit wiegen und stolz auf ihre Tochter sein. Das sollte sich jedoch bald ändern.

Beim ersten Appell zum Schuljahresbeginn wurden die neuen Lehrer vorgestellt. Es waren zwei: ein Sportlehrer und ein Lehrer für die Grundschulklassen. Der erste hieß Schmidt und der zweite, wenn ich mich nicht irre, Prokop. Mit dem fing alles an. Er war nicht sehr groß, hatte aber wunderschöne blaue Augen und blonde, wellige Haare. Ich konnte meine Blicke nicht von ihm wenden. Vom ersten Augenblick an war es um mich geschehen. Seltsame, unbekannte neue Gefühle kamen in mir auf. War ich verliebt?

Ich erinnere mich an einen Nachmittag bei meiner besten Freundin in Meusebach. Sie erzählte mir Dinge, mit denen ich nichts anzufangen wusste. Im Gegensatz zu mir durfte sie die Tanzstunde besuchen. „Stell dir vor, als ich aufs Fahrrad steigen wollte, kam mein Tanzstundenpartner, der Hartmut aus Stadtroda, und hielt meinen Lenker fest! Mein Herz klopfte wie wild. Du weißt ja, dass ich in ihn verliebt bin! Wir liefen eine Weile, bis wir an eine Bank kamen. Er stellte das Fahrrad an einen Baum und zog mich auf die Bank. Er hat mich geküsst und umarmt und ich dachte, ich sterbe vor Angst und Freude. Ich glaube, dass ist Liebe.“

Mhm, vor Angst und Freude sterben? Was war das denn? Ich stellte mir damals vor, mir wäre das passiert. Lieber nicht, waren meine Gedanken gewesen.

Als mich ein Klassenkamerad zu einem Abendspaziergang einlud, sagte ich zu. Doch als er mich umarmen und küssen wollte, glaubte ich, dass ich nun ähnliche Gefühle wie Siegrid bekommen würde. Ich horchte in mich hinein. Nichts tat sich. Nicht das Geringste empfand ich. Nur ein unangenehmes Gefühl verspürte ich von zu viel Nähe.

Doch jetzt? Sah ich ihn, den Jürgen, auf dem Schulhof, wurde ich rot. Hätte er irgendetwas zu mir gesagt, ich glaube, ich hätte keine Silbe herausgebracht. Aber natürlich sprach er mich nie an und beachtete mich auch nicht im Geringsten. Warum auch, ich fand mich nicht hübsch. Auch trug ich eine Brille mit dicken Gläsern. Aber träumen durfte man ja schließlich, und das tat ich dann auch. Ich vergötterte ihn.

Meine Freundin Siegrid meinte: Du bist verliebt. Aber in einen Lehrer verliebt zu sein, ist gefährlich. Und verboten.

Ein Klassenkamerad, mit dem ich gemeinsam die Schulbücherei betreute, bemerkte mein „Problem“. Er lächelte mich vielsagend an: „Lass mich nur machen!“

Wir wohnten gleich neben der Schule im so genannten Lehrerwohnhaus. Es war ein warmer Septembertag und durch das geöffnete Fenster meines Zimmers vernahm ich das muntere Zwitschern der Vögel. Mir war so leicht zumute, ich träumte vor mich hin und dachte dabei unentwegt an meinen „Schwarm“. Was wäre, wenn er jetzt plötzlich in mein Zimmer kommen würde? Oh, Schreck, da öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer tatsächlich! Aber es war natürlich nicht Er, sondern mein Vater.

Er hatte ein Stück Papier in der Hand. Sein Gesicht verhieß nichts Gutes. „Wer hat das geschrieben?“ Ich wusste zuerst nicht, was er meinte. Doch dann kam mir plötzlich der Satz in den Sinn: „Lass mich nur machen!“ Hilfe. Was hatte Kurt da angerichtet? „Ich weiß nicht, worum es geht, und überhaupt, was steht denn auf dem Zettel?“

Wortlos reichte er ihn mir. Die Handschrift kannte ich. „Regina aus der 9b ist in Sie verliebt. Sie möchte sich mit Ihnen treffen.“ Ich schämte mich so sehr vor meinem Vater. Er schüttelte traurig den Kopf. Meine Mutter schimpfte heftig mit mir: „Wie stehen wir jetzt da, der Zettel wurde im Lehrerzimmer laut vorgelesen und es gab allgemeines Gelächter! Schämst du dich nicht?“

Natürlich schämte ich mich. Ich wurde immer kleiner auf meinem Stuhl. „Wer hat das denn vorgelesen?“

„Na, der, mit dem du dich treffen willst, dein Schwarm! Und er hat schallend gelacht.“

Derselbe, mein heißgeliebter Jürgen hat das vorgelesen? Oh, das war Verrat an meinen Gefühlen! Dem Kurt konnte ich nicht böse sein, aber ihm! Am liebsten wäre ich vor meinen Eltern im Erdboden versunken. Mein Klassenlehrer hatte es also auch mit gehört! Und alle anderen Lehrer ebenfalls.

Als ich wieder allein in meinem Zimmer war, schloss ich das offene Fenster, warf mich auf mein Bett und weinte bitterlich. Erstens, weil ich so verliebt war und mein Herz wehtat. Zweitens, weil der, welchem meine Gefühle galten, sich auch noch darüber lustig gemacht hatte. Taktlos und gemein fand ich das damals. Heute würde ich sagen – so etwas ist eines Lehrers nicht würdig.

War ich nun geheilt? Mitnichten! Am nächsten Freitag fand ein Turnwettbewerb in Hermsdorf statt, bei dem auch ich mit einer Kür im Bodenturnen teilnehmen sollte. Lange hatten wir uns darauf vorbereitet, schließlich wollten wir ein gutes Ergebnis erzielen. Mit dem Bus musste ich gleich nach dem Unterricht bis Stadtroda fahren, um dann in den Zug nach Hermsdorf einsteigen zu können. Im Bus aber saß auch „er“, und zwar ganz vorn. Ich verzog mich nach hinten, um ihn ungestört mustern zu können. Ich heftete meinen Blick fest auf seine breiten Schultern und seine blonden Haare. Mein Herz klopfte wie wild. Alles normale Denken war ausgeschaltet. So bemerkte ich auch nicht, wie der Bus am Bahnhof anhielt und schließlich weiterfuhr. Als ich den Blick von seinen Schultern zum Fenster lenkte, überkam mich Panik. Die Haltestelle war schon nicht mehr zu sehen. Ich rannte nach vorn, dabei musste ich mich an ihm vorbeischlängeln. Er grinste nur. Den Tränen nah flehte ich den Busfahrer an: „Bitte öffnen Sie die Tür noch mal. Es ist wichtig, ich verpasse sonst den Zug!“ Zuerst hob er bedauernd die Schultern, doch dann bremste er und ließ mich aussteigen. Hinter mir verwunderte Gesichter. Die Sporttasche fest unter den linken Arm gezwängt, spurtete ich los. Sein Grinsen ging mir nicht aus dem Kopf.

Außer Atem kam ich gerade noch rechtzeitig auf dem Bahnsteig an. „Wo bleibst du nur?“, riefen die anderen und zogen mich ins Abteil. Ich brachte kein Wort heraus und heulte los. Dieser gemeine Kerl hat mich ausgelacht!

Als ich an der Reihe war, schwor ich mir: Regina, jetzt zeige, was du kannst. Und danach ist Schluss mit der sinnlosen Schwärmerei. Mehr automatisch als elegant absolvierte ich mein Programm und bekam doch noch gute Noten dafür.

Zum endgültigen Loslassen aber verhalf mir unser Schuldirektor. Das kam so: Der von mir so heftig Angehimmelte kam häufig zu spät zum Unterricht. Eines Tages holte mich mein Lehrer mit folgenden Worten aus dem Unterricht: „Du willst doch Lehrerin werden, jetzt kannst du schon mal einen kleinen Schnupperkurs machen. Werfe auch mal bei der Gelegenheit einen Blick ins Klassenbuch.“ Damit steckte er mich in die Klasse, die Herr Prokop führte. Ich setzte mich an den Lehrertisch, und wenn ich es recht bedenke, waren das eigentlich die wirklich allerersten Minuten meiner Lehrerinnenlaufbahn.

Die Kinder kannten mich von den Pausen auf dem Schulhof. Sie waren ganz still und schauten mich erwartungsvoll an. Ich war sehr aufgeregt und ich hatte Angst, mich vor den Kindern zu blamieren. Meine Angst erwies sich als unbegründet.

Im Klassenbuch stand, dass jetzt Lesen geübt werden sollte. Ich schlug das Lesebuch auf, wählte eine Geschichte aus und bat sie, diese aufmerksam zu lesen. In der Zwischenzeit blätterte ich ein wenig im Klassenbuch und fand – oh Schande – eine ganze Reihe Rechtschreibfehler. Das konnte ich ihm nicht verzeihen, so wie ich auch bei Briefen meiner Verehrer immer zuerst die Fehler entdeckte und manchmal sogar mit Korrektur zurücksendete.

 

Mitten im Nacherzählen und im Fragen beantworten ging die Tür auf und „Er“ erschien. Er sagte nicht etwa Dankeschön zu mir, sondern schaute durch mich hindurch. Ich schien für ihn nicht zu existieren! War es ihm denn gar nicht peinlich, dass ihn eine Schülerin vertreten musste? Wohl doch nicht. Von dieser Minute an starb meine Schwärmerei. Die Kinder winkten mir zu, als ich den Raum verließ. Und wer kam mir entgegen? Unser Schuldirektor.

Ich wurde später wirklich Lehrerin, wenn auch mit Hindernissen. Oft musste ich an diese Begebenheit zurückdenken. Und dann war in meinem Kopf immer ein ‚Schade‘, denn ich sah ihn nie wieder und hätte ihm gern tüchtig den Kopf waschen. wollen.

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