Waypoint FiftyNine

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Vorwort der Herausgeber

Am Ende der Milchstraße – Durstige Helden

McGintleroy trinkt (von Dennis Frey)

Ohne Bier kein Klavier

Opferbereitschaft (von Lea Baumgart)

Der Raumfahrer

Von Pest und Maden und Wollsocken (von Dorothee Stern)

Schlimme Jungs

Von Maden und Halunken in Spelunken (von Jasmin Aurel)

Venus

Kleider machen Leute (von Nele Sickel)

Ausgetrickst

Die himmlischen Schwestern (von Jessie Weber)

Rushhour im Hangarsektor

Das Schicksal einer Diebin (von Jacqueline Mayerhofer)

Auf der Spur der Ratte

Krankheitsvertretung (von Wolfgang Schroeder)

Vier Finger

Die Vergessenen (von Sandra Florean)

Im Streichelzoo

Kampfstern Rot Weiß (von Alvar Borgan)

Die Band

Von Spookies, Spoylent Green und einer interstellaren Kreuzfahrt (von Veronika Lackerbauer)

Angry Devil

Edelgard (von Nob Shepherd)

Vikings of the Galaxy

Queerdenker (von Katja Rocker)

Das verrückte Indoor-Folterparadies

Am Ende kommt das Ende (von Lukas Wesslowski)

Nova

Exkursion 0 8 15 (von Tanja Kummer)

Die begehbare Freiflugvoliere der Killervögel

Alles ist relativ (von Renée Engel)

Verwechslungen

Die Op(era)tion (von Isabell Hemmrich)

Intergalaktische Weisheiten

Die List

Der Verräter (von Florian Krenn)

Das Büro vom Boss

Die Bar am Ende des Regenbogens (von Peter Michael Meuer)

Buchmesse Convent

Schildhalla (von Laurence Horn)

Am Ende der Milchstraße – Die große Sause

Down at Waypoint FiftyNine

Biografien

Waypoint FiftyNine

Die schrägste Kneipe der Galaxis

Hrsg.

Günther Kienle &

Jörg Fuchs Alameda

Romanthologie

Waypoint FiftyNine

ISBN 978-3-945230-50-3

1. Auflage, Allmersbach im Tal 2020

Cover: Christine Schlicht

Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher

Lektorat: Tanja und Marc Hamacher, Günther Kienle und Jörg Fuchs Alameda

Druck: Winterwork, Borsdorf

© 2020, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal

www. leserattenverlag.de


Der Leseratten Verlag ist Fördermitglied beim PAN Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V. Weitere Infos unter: www.phantastik-autoren.net

Vorwort der Herausgeber

Dieses Buch ist anders. Es ist eine Anthologie, kein Zweifel, doch es ist auch ein Roman, der sich über die erste bis zur letzten Zeile erstreckt und alle darin enthaltenen Kurzgeschichten miteinander verwebt. Wir Herausgeber finden daher den Begriff Romanthologie am passendsten.

Auch dieses Vorwort ist anders. Statt schnöde zu berichten, wie das Buch entstand, möchten wir durch die folgende Szene schildern:

Wie alles begann – damals, in der Zukunft.

Raumschiff Kiemeda

Im Frühling 2270, irgendwo in der Milchstraße

Jörg: Was sagen die Sterne, werter Kollege?

Legt die Beine auf die Steuerkonsole.

Günther: Im Index kann ich das blöde Planetensystem nicht finden.

Jörg: Hättest besser mich die Lesung organisieren lassen.

Günther: Wärest du nicht im Suff auf zwei Bierbrunnen durch die Bar geritten, würdest du das auch. Aber du musstest dich ja absetzen – wieder mal.

Jörg: Ben Hur wäre blass vor Neid geworden. In der letzten Runde habe ich sogar Cap Sierenmoser abgehängt.

Günther: Kein Wunder. Nova hat ihn aus der Luft gepflückt, bevor er einen weiteren Bashtheaner umnieten konnte. Jetzt lass mich weitersuchen.

Jörg: Nüchtern warst du aber auch nicht mehr. Versprichst einer Silmoranerin eine Lesung und kritzelst die Wegbeschreibung auf einen Bierdeckel.

Günther: Mach dir lieber Gedanken, was du unseren außerirdischen Fans über unsere Kneipe sagen möchtest. Die haben große Erwartungen nach der Blutigen Welten-Anthologie.

Jörg: Ich könnte erzählen, wie wir zum Waypoint FiftyNine gekommen sind.

Günther: Da reichen fünf Wörter aus: Wir haben es uns ausgedacht.

Jörg: Boah, bist du wieder langweilig.

Günther: Hm. Soll ich mit dem ComicCon 2018 in Stuttgart anfangen, wie Marc mich gefragt hatte, ob ich nicht eine Idee zu seiner nächsten Anthologie liefern könnte?

Jörg: Und die ganzen Lorbeeren einheimsen.

Günther: Quatsch! Ich hätte natürlich auch die zahllosen Skype-Sessions erwähnt, in denen wir gemeinsam unser Konzept geschmiedet haben.

Jörg: Hört sich ja total spannend an.

Gähnt.

Günther: Was erwartest du? Wir können ja schlecht was erfinden.

Jörg: Warum nicht? Wir sind schließlich Autoren. Lass uns doch eine Rahmengeschichte schreiben. Erlebt von zwei coolen Typen, die in einem geilen Raumschiff unterwegs sind.

Günther: Du meinst jetzt nicht wirklich uns.

Jörg: Wer wäre sonst so bekloppt, zum Tantiemenversaufen durch Raum und Zeit zu reisen?

Günther: Über die Rahmengeschichte reden wir noch. Ich suche jetzt dieses verdammte System.

Nachdem die Frage nach dem Ursprung des Buches geklärt ist, möchten wir unseren Dank aussprechen. An die fleißigen TestleserInnen Vanessa, Sarah, Steffi, Petra und Jonny für ihre konstruktive Kritik. An Chris für das Cover. An Tanja für die oft unbesungenen Taten des Verlagslektorats und des Satzes. Und schließlich an Marc, dass er ermöglicht hat unser Herzensprojekt umzusetzen und uns dabei alle künstlerischen Freiheiten gelassen hat. Er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam.

 

Die Herausgeber, im Sommer 2020

Günther Kienle und Jörg Fuchs Alameda

Am Ende der Milchstraße – Durstige Helden

(Ein Abenteuer von

Günther Kienle und Jörg Fuchs Alameda)

»Zum Glück schreibst du besser, als du fliegst.« Jörg rieb sich den angeschlagenen Kopf und zeigte vorwurfsvoll auf den Monitor, der die Bilder der Heckkamera ihres Raumschiffes übertrug. Das Muster der Landefüße hatte sich in den Boden des Hangars gefräst. »Und das, obwohl wir die Kiemeda schon zum hundertsten Mal durchs All jagen? Du wirst es wohl nie lernen.«

Günther schaltete die Triebwerke aus. Nachdem der letzte Schub der Steuerdüse verhallt war, hörte man Jörg stöhnen. »Jetzt stell dich nicht an.« Günther sah zu ihm herüber und grinste. »›If you can walk away from a landing, it’s a good landing‹, sagte mein Fluglehrer immer.«

»Du hattest einen Fluglehrer?«

Günther schnallte sich ab. »Weißt du, das Waypoint FiftyNine ist die einzige Kneipe der Galaxis, die man auch über Dimensionsschleusen erreichen kann. Jeder Sumpfplanet ist mit dieser Station verbunden. Und was machen wir? Reisen mit unserem Raumschiff an. Nur weil dem Herrn Fuchs Alameda sonst schlecht wird. Eins sag ich dir: Zurück fliegst du!«

»Mach dich locker, Mann, wir sind doch angekommen!« Mürrisch tippte Jörg auf dem Bordcomputer herum. »Gina, Infos zur Kneipe.«

Das Hologramm eines Polizisten baute sich vor ihnen auf. Er hob die Mütze zum Gruß und ließ dann die Muskeln auf seinem freien Oberkörper spielen.

Entsetzt löste Jörg die Gurte und sprang von seinem Sessel auf. »Hey, wo ist unsere Gina geblieben?«

Günther knurrte. »Schon vergessen? Unsere Frauen hatten letzte Woche ihren Mädelsabend und du hast ihnen unser Raumschiff aufgedrängt.«

Das Hologramm blickte genervt von einem zum anderen. »Kann ich jetzt anfangen?«

»Aber wenn wir Magic Mike haben …« Jörg schluckte schwer. »Wer fliegt dann meine Tochter?«

»Gina Wild, schätze ich. Da hat deine Steffi wohl versäumt, die Speicherchips wieder zu tauschen.«

Jörg fiel bleich in seinen Sitz zurück. »Au Backe! Gina hat sie bestimmt nicht zur Schule gebracht, so bekloppt wie wir sie programmiert haben. Das gibt Ärger!«

»Wegen ein paar Tagen weniger Mathe? Jede Fünfzehnjährige würde dich dafür feiern.«

»Stimmt.« Jörg wandte sich Mike zu. »Na wird’s bald? Alles was du über diesen Ort weißt. Und zieh dir ein Hemd an!«

»Sorry, mehr als das habe ich nicht dabei.« Die dreidimensionale Animation zupfte eine Krawatte aus der Hosentasche und legte sie um den Hals. »Here we go: Die ursprünglich behördlich genutzte Weltraumstation Waypoint FiftyNine liegt etwas abseits in unserer Milchstraße. Aus Sicht der Erde am Arsch der Welt. Nachdem der Handel in diesem Sektor stagnierte, kam die Station technisch ein wenig herunter. Durch dubiose Machenschaften gelangte sie in den Besitz von Marik Bick Mack Shornikov, der sie zu einer Kneipe umrüsten ließ, die im Jahr 2268 eröffnet wurde. Viele, aber nicht alle, der Gäste sind so abgeranzt wie das Inventar. Familienausflüge und Kindergeburtstage finden hier definitiv nicht statt.«

Günther schaute besorgt zu Jörg. »Und hier sollen wir unsere Tantiemen versaufen? Einen Tag vor ihr-wisst-schon-was? Also ich hab keine Ahnung, was er damit meint.«

»Voldemort-Tag?« Jörg grinste. »Ich hab nicht mehr zugehört, nachdem er das Waypoint FiftyNine erwähnte.«

»Geht mir auch so. Von einem Bick Mack hat er aber nichts erzählt. Da bin ich mir sicher.«

Jörg rieb seinen Bauch. »Der Name macht mich hungrig. Mike, was weißt du über den Typen?«

»Tut mir leid, der Galaxypedia-Artikel zu ihm wurde vor einer viertel Stunde gelöscht. Aber in der Diskussion steht noch etwas. Schon vor dem Waypoint FiftyNine führte er einen legendären Laden, den er aus Gründen dichtmachen musste. Er floh mitsamt der nicht mehr ganz frischen Einrichtung und einem Teil des Personals in diesen abgelegenen Sektor, um den Schankbetrieb wieder aufzunehmen. Bick Mack gehört der Spezies Mensch an. Besonders markant sind seine Augen. Eines ist braun, das andere blau. Man sollte ihm nicht … oh, die Diskussion wurde soeben entfernt.«

»Wie jetzt! Warum gelöscht? Von wem?«

»Warum kann ich nicht sagen. Gelöscht wurde es von einem Herrn Hamacher.«

»Da ist was faul«, sagte Günther.

»Hat das Riesenbaby etwa die Hosen voll? Ich kann dich ja mal in den Arm nehmen.«

»Geht’s noch?«, rief Günther empört. »Natürlich nicht. Wir waren überall und nirgendwo und ganz sicher auch schon in gefährlicheren Situationen.«

»Eben!« Jörg zwinkerte mit einem Auge und schnalzte gleichzeitig mit der Zunge. »Und welche zwei Kumpels sind die größten Dimensionsschleusen-Nerds der Galaxis?«

»Wir!«

»Wieder richtig. Außer uns kenne ich keinen, der die Dinger hacken kann, um durch die Zeit zu hüpfen. Wenn es Ärger gibt, fangen wir den Tag einfach von vorne an. Auch wenn mein Magen dann beim Übergang rebelliert.«

Günther schüttelte energisch den Kopf. »Zeitreisen haben ihre Tücken. Die unternehme ich aus guten Gründen äußerst selten. Aber bei plötzlich verschwundenen Galaxypedia-Artikeln gehen bei mir die Alarmglocken an. Da hat man schnell den eigenen Stammbaum eliminiert.«

»Der Eintrag hat sich ja nicht von selbst entfernt. Marc hat ihn gelöscht. Außerdem sind wir in die Zukunft gereist. Durch ein Wurmloch. Deinem Stammbaum kann nix passieren.« Jörg setzte seinen Hundewelpenblick auf. »Mike, erklär uns bitte mal, wie das mit den Wurmlöchern funktioniert.«

Mike öffnete eine holografische 3D-Skizze eines an den Enden breiter werdenden Schlauches und deutete auf dessen Mündungen. »Spezielle Quantenverbindungen zwischen zwei Schwarzen Löchern erzeugen negative Energie, die das Wurmloch zum Waypoint FiftyNine dauerhaft offen halten, indem die umgebende Raumzeit abgestoßen wird. Daher …«

»Stopp!«, rief Jörg. »Das versteht doch keine Sau. Also was Mike sagen will, der Tunnel verbindet unser Sonnensystem des Jahres 2020 mit dem Ende der Milchstraße 2270. Das ist im Gegensatz zum Hacken von Dimensionsschleusen sicher. In einen beliebigen Tag zu springen, ist nämlich gar nicht möglich. Vergeht ein Tag auf der Erde, so ist auch ein Tag im Waypoint vergangen. Ein starres System, bei dem in diesem Fall immer exakt 250 Jahre zwischen den zwei Raumzeitorten liegen.«

Günther legte die Stirn in Falten. »Warum will er nicht, dass wir etwas über diesen Bick Mack erfahren?«

»Ist doch schnuppe. Mike, erzähl mal was über den Schankraum. Die Getränkekarte bringt meinen Kumpel bestimmt auf andere Gedanken.«

»Also ablenken kann ich ihn auch anders.« Mike breitete die Arme aus, ließ seine Hüften kreisen und grinste uns erwartungsvoll an.

Günther hielt sich die Augen zu. »Vielleicht können wir ihn in der Kneipe eintauschen?«

»Schon gut, Spielverderber.« Enttäuscht trat Mike einen Schritt zurück und verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Das Licht ist in der Bar nicht so grell, wie man es auf Raumstationen gewohnt ist, sondern fällt gedämpft auf die zahlreichen, runden Tische, an denen zwei bis sechs Personen Platz finden. Hinter einem langen Tresen befindet sich eine verspiegelte Wand voller Flaschen. Dort wird der FiftyNiner zubereitet, ein hammerharter Drink mit einem Alkoholgehalt von 59 %. Zudem besteht er aus 59 Zutaten, um die sich Legenden ranken. Wer sich nicht gleich den Verstand wegbeamen will, bleibt besser bei den autonomen Bierbrunnen, die auf Bestellung zu den Gästen schweben. Sie umfassen jeweils fünf Liter des köstlichsten Gebräus der Milchstraße …«

Die beiden Freunde schauten sich feixend an. Günther fand zuerst seine Sprache wieder: »Ich hab genug gehört. Und ich bin durstig!«

Jörg sah hinter sich auf das Bild von Marc. »Danke, Herr Hamacher! Du bist der tollste Verleger, der je unsere Dartscheibe zieren durfte.«

»Ich bin noch nicht fertig«, beschwerte sich Mike.

»Und Tschüss, Magic Mickey Mouse.« Jörg streifte mit dem Finger über das Bedienfeld.

»Wartet!« Mike schüttelte Hände und Kopf, um Jörg davon abzuhalten, ihn auszuschalten. »Ihr müsst Jack …« Das Hologramm verschwand.

Günther stieg aus dem Pilotensessel. »Schien wichtig zu sein. Kennst du einen Jack?«

»Nö.«

»Dann lass uns gehen.«

Aufgekratzt verließen sie ihr Schiff. Jörg betrachtete die Furchen, die ihre Kiemeda auf dem Boden hinterlassen hatte und kommentierte mit der Erzählstimme eines Groschenromans: »Ein weiteres Mal riskierte Herr Kienle das Leben seiner Kopfläuse. Erst in letzter Sekunde aktivierte er die Steuerdüsen und verhinderte einen Crash.«

Günther grinste und zeigte ihm einen Vogel. »Herr Fuchs Alameda hatte eines nicht bedacht. Auf der Raumstation parkt man in Einzelbuchten. Weit und breit stand kein anderes Raumschiff, das Herr Kienle hätte rammen können.«

»Dein Glück. Aber wenn du wieder mal die Kiste eines Kopfgeldjägers demolieren willst, diesmal bin ich vorbereitet.« Jörg fuchtelte mit seinem Laserschwert herum, das eigentlich nur eine Grillzange war. »Keine Angst, Kumpel, ich pass schon auf dich auf. Hab ich Petra versprochen.«

»Kümmer dich lieber um deine eigenen lädierten Läuse.« Günther verdrehte die Augen.

Sie durchquerten den Hangar und betraten einen kleinen Raum. Das Schott schloss sich automatisch hinter ihnen und eine männliche Stimme ertönte aus einem Lautsprecher: »Willkommen im Waypoint FiftyNine. Ich bin Security-Jack, die Sicherheits-KI. Bitte stellen Sie sich auf das Kreuz.«

Jörgs und Günthers Augen wanderten erfolglos über den grauen Metallboden.

Die Stimme wurde ungeduldig. »Um Zutritt zu erlangen, müssen meine Anweisungen befolgt werden. Stellen Sie sich umgehend auf das Kreuz!«

»Hier ist kein Kreuz«, antwortete Günther.

Missmutig schüttelte Jörg den Kopf. »Ich hasse diese neumodischen Sicherheitskontrollen. Warum nicht auf die gute alte Art?«

»Etwa ein hässlicher, nach Männerschweiß stinkender Typ, der dir mal kurz an die Glocken fasst?« Günther versuchte Spocks hochgezogene Augenbraue zu imitieren.

»Ich dachte mehr an ein wohlriechendes Milky Way’s Next Top Model, aber ja.«, sagte Jörg. »Besser als so eine dämliche KI.«

Das Licht flackerte kurz, etwas summte leise.

»Ich aktiviere gleich die Elektroschocker. Stellen Sie sich sofort auf das Kreuz!«

»Ich kann dir ein Kreuz ins Metall ritzen«, drohte Jörg und streckte seine Grillzange in die Höhe.

Blitzartig fuhr eine Stange aus der Wand und die zwei Elektroden, die daran befestigt waren, piksten in seinen Hintern. Es knisterte.

»Auhuhuhuhutsch!« Zwischen den Zähnen seiner Grillzange zuckten Blitze, sodass es beinahe wie ein echtes Laserschwert aussah. Im Takt dazu stotterte Jörg: »Dadada ist keiheihein Kreuheuheureuz!«

Günther sah erschrocken zu seinem Freund.

Die KI lachte. »Da habe ich doch glatt vergessen, das Leuchtsignal anzuschalten. Sorry.« Auf dem Boden erschien ein rotes Kreuz. An der Wand daneben surrten und blinkten Hunderte von Sensoren und Lämpchen. Schließlich öffnete sich eine Klappe. »Die Laserschwert-Grillzange und sonstige Waffen bitte hineinlegen.«

Jörg gehorchte. Die Klappe schloss sich und eine drahtige Metallhand übergab ihm einen Pfandchip.

»Nicht verlieren. Damit bekommst du beim Verlassen der Bar dein Spielzeug zurück – wenn du brav bist.«

»Seit wann duzen wir uns?«, fragte Jörg.

Security-Jack setzte eine pikierte Stimme auf. »Ich möchte euch darauf aufmerksam machen, dass ihr euch in einer Kneipe befindet, und nicht auf einer Kostümparty!«

Günther entdeckte eine Kamera an der Decke und sprach in sie hinein: »Aber wir sind doch gar nicht verkleidet.«

»Ach ja? Ihr seht aber aus wie Gandalf und Frodo.«

 

Jörg lief rot an. »Günther, halt mich zurück! Sonst reiß ich dem die Kamera raus!«

»Super Idee!« Beide klatschten sich ab und lachten.

»Ohne Leiter?«Jetzt lachte die KI. »Der war gut, garstiger, kleiner Hobbit.«

»Räuberleiter?«, fragte Günther und grinste Jörg an – zumindest für exakt zwei Sekunden.

Die KI knipste die gelben Lampen aus und tauchte den Raum in ein bedrohliches Rot. Hinter den Wänden surrte es unheilvoll, so als würden sich elektrische Bauteile aufladen.

Jörg wurde nervös. »Du bist die größte Zicke der Milchstraße, Jack. Lass uns einfach rein, dann erzählen wir es keinem.«

»Vergiss es«, sagte Günther. »Mein alter Commodore 64 hatte schon mehr Grips als dieser im Raum verbaute, aufgeblähte Taschenrechner.«

»Da muss ich widersprechen. Durch ultraschnelle Quantentechnologie bin ich so intelligent wie ein Gehirn von der Größe des Universums.«

»Na ja«, antwortete Jörg, »da ist auch verdammt viel Vakuum im Universum.«

»So wie in euren kleinen Spatzenhirnen!«

Aus allen Ecken und Enden schossen Spieße heraus. Vor den ersten konnten sie noch ausweichen, dann wurden sie erfasst und nicht mehr losgelassen. Es knisterte wie Tannenreisig in einem Lagerfeuer. Günther und Jörg zappelten im Takt der Stromstöße, als würden sie einen neuen Clubtanz für das Waypoint FiftyNine einstudieren.

Das innere Schott der Station öffnete sich unverhofft. Eine baumlange Asiatin im lindgrünen Arbeitsoverall füllte den Ausgang.

»Jack. Schluss damit!«

»Nur noch fünf Minuten. Dann sind sie gar.«

Die eindrucksvolle Erscheinung packte Günther und Jörg am Nacken und zerrte sie energisch aus dem höllischsten Waffencheck des Universums. Die Stromschläge schienen ihr nichts auszumachen.

»Spielverderberin«, rief Security-Jack ihr hinterher. Dann schloss sich das Schott.

Die Pranken jeweils auf eine der Schultern gelegt, sah die Frau auf Jörg und Günther hinab. »Was habt ihr beiden Herzchen mit Jack angestellt? Die Nummer mit dem Kreuz zieht er sonst nur bei Cosplayern ab.«

»Wir mit ihm?«, rief Jörg. »Dem gehören die Schaltkreise initialisiert.«

»Danke«, sagte Günther und streckte seine Hand zum Gruß aus. Die Erleichterung, dass die Mittfünfzigerin ihre Rechte von seiner Schulter nahm, währte nur kurz. Sie hatte einen Griff, der einen terranischen Schraubstock an die Materialgrenzen gebracht hätte. Mühsam bewahrte er sein Lächeln. »Hallo, ich heiße Günther.«

»Nova Kazumi.«

»Du kennst Jack?«, fragte Jörg.

»Ich arbeite hier.« Nova packte seine Hand und drückte zu.

Jörg stöhnte und sackte in die Knie. »Dann möchten wir uns bei dir bedanken und gleichzeitig über diesen Guantanamo-Jack beschweren.«

»Für Beschwerden ist der hier zuständig.« Nova klopfte sich auf ihren Oberschenkel. Aus einer der Taschen des Overalls ragte ein gewaltiger Schraubenschlüssel. »Das ist Mr. Wrench, der Konfliktbeauftragte des Waypoint FiftyNine

Günther und Jörg wichen unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Ach!«, sagte Günther. »Beschwerde ist so ein hartes Wort. Und zahlen die Leute nicht Unsummen für so eine Reizstrom-Therapie? Also ich fühle mich jetzt richtig erfrischt.«

Jörg nickte eifrig. »Geradezu wie neugeboren. Wir sind hier, um ganz friedlich ein paar Bierchen zu zischen.«

Nova zog den Schraubenschlüssel. Jörg und Günther stockte der Atem. Doch zu ihrer Erleichterung zeigte sie damit in den Korridor. »Da geht’s zu Virginio.«

»Aha«, sagte Günther. »Und wer ist das?«

Nova sah überrascht auf ihn herab. »Na, Vier Finger

»Ich hab aber schon zehn Nasenbohrer.« Jörg lachte über seinen eigenen Witz, während Günther ihm bedeutete, still zu sein.

»Aber keine mexikanischen. Du willst saufen und kennst nicht den Barkeeper of the year?«, entgegnete Nova.

Jörg zuckte mit den Schultern.

Nun sah sie Günther an. »Noch nie gehört von Virginio Vier Finger Ramirez?«

Günther schüttelte den Kopf.

Wieder deutete sie mit dem Werkzeug nach vorne. »Dann wird es Zeit, das zu ändern. Die Station ist ringförmig aufgebaut und die Bar liegt im Zentrum. Da hinten kommt ihr zum Steg, der euch vom Außensektor in die Mitte führt.«

»Wo kann ich für kleine Jungs?«, fragte Günther.

»Das Klo muss ich erst mal reparieren. Ein Beteigeuzaner hat im Streit versucht, seinen amphibischen Freund runterzuspülen. Jetzt sitzt der Batramorphier fest und der halbe Raum steht unter Wasser.« Ohne eine Antwort abzuwarten stapfte sie in die entgegengesetzte Richtung davon.

Jörg und Günther folgten schweigend dem angegebenen Korridor. An einer Kreuzung bogen sie in den Zwischengang ab, über den sie vom Ring ins Zentrum der Station gelangten. Das Schott am Ende der Verbindung mündete in die Bar.

Zwei einsame Gäste saßen an zwei der zahlreichen Tischchen. Einer schien zu dösen und der andere starrte sein Getränk an. Günther musterte den halbdunklen Raum. Jörg stürmte an die Bar.

Zwischen der langen Theke und dem verspiegelten Flaschenregal erwartete ihn ein mittelgroßer Mann mit wachem Blick. Sein Dreitagebart stand im Kontrast zu einem weißen Hemd und einer schwarzen Fliege. Auf der Brusttasche klemmete ein dezentes Schild, dass den Namen des Barkeepers zeigte: Virginio.

»Was darf es denn sein?« Seine Stimme hatte einen leicht spanischen Akzent.

»Una cerveza para mi amigo y para mí«, rief Jörg freudestrahlend.

»¿Qué tipo de acento es ese

»Äh«, sagte Jörg. »Pils?«

Virginio schmunzelte. »Zahlt ihr bar? Auf meinem Display steht, bei Jack wurde in den letzten Minuten nichts eingetauscht.«

Günther trat neben Jörg. »Geht auf den Leseratten Verlag. Wir sind angemeldet zum Versaufen unserer Tantieme.« Er klatschte mit Jörg ab.

Der Barkeeper tippte eine Weile auf seiner Konsole. »Ein Kölsch also.«

»Für mich auch«, sagte Günther.

Der Mann hinter der Bar sah ihn bedauernd an und schüttelte leicht den Kopf. »Die angewiesene Summe reicht für exakt eine Flasche. Retro-Importe sind nicht ganz billig.«

»Was?«

»Das muss ein Irrtum sein!«

»Schnittergarn! Vikings of the Galaxy! German Kaiju! Blutige Welten! Wo muss ich denn noch mitschreiben, um mal einen drauf machen zu können?«

»Selbst Mortimer verdient mit seiner Sense mehr. Die Leute stehen Schlange für einen Haarschnitt von ihm.«

Stoisch wartete der Barkeeper ab, bis Jörg und Günther sich beruhigt hatten. »Ich schenke euch das Kölsch ein und ihr sucht euch solange einen Platz.«

Jörg wies auf den merkwürdigen Kauz, der tief und fest zu schlafen schien. »Habt ihr vergessen, den da abzuräumen?«

»Ich gebe euch einen guten Rat. Bleibt von ihm weg und setzt euch hin, wo ihr wollt – aber nie an seinen Tisch.«

Günther sah kurz zu den Gästen, dann wieder zum Barkeeper. »Er wirkt harmlos gegen den verwesenden Typen drei Tische weiter. Wieso …«

»3D-Billard!«, jubelte Jörg und lief davon. Der Barmann hatte sich weggedreht und holte ein Bierglas aus dem Regal. Genervt folgte Günther seinem Kumpel in den hinteren Teil des Raumes.

Dort wo es keine Nischen gab, waren die Wände mit verschiedenen Bilderrahmen und Artefakten in Schaukästen regelrecht zugepflastert.

»Guck mal«, rief Günther. »Da ist eine Urkunde der Elite Federation. Ein Commander Finley Gun McKinley konnte 6.400 Abschüsse verbuchen. Ich werd verrückt! Unterschrieben ist sie von Admiral Jameson persönlich!«

»Was ist die Elite Federation?«, fragte Jörg.

»Elite, Mann, Elite! Commodore 64.«

»Nie gehört.«

»Du machst mich fertig. Bist du mit Glitzervampiren aufgewachsen, oder was?«

Jörg tippte auf den Rahmen daneben. »Mann, gibt es hier viel Zeugs. Da hängt sogar ein abgefahrenes Gedicht.«

»NULL Kelvin – Novae

Singular trunken im All

Verglühend im Nichts

Von einem Tatsuyuki Kazumi. Gewidmet meinem Freund Obele-san.«, las Günther vor. »Das ist ein Haiku.«

»Ob der mit Nova verwandt ist?«

»Er ist ihr Bruder«, hörten sie eine ruhige Stimme hinter ihnen.

Sie drehten sich um.

»Harry«, rief Günther erstaunt. »Du hier?«

Jörg sah den Neuankömmling verwundert an. »Harry wer?«

»Harry Obele«, rief Günther und schüttelte ihm begeistert die Hand. »Wir haben Seite an Seite in den Knuth Wars gekämpft. Er hat …«

»Vier Finger winkt uns«, unterbrach ihn Jörg. »Wie ein kurzsichtiger Holzhacker sieht der aber nicht aus. Woher hat er nur diesen Spitznamen?«

»Fragt nicht«, sagte Harry.

»Da steht ein Bier auf dem Tresen.« Günther eilte los. Er erreichte das Glas als Erster und nahm einen beträchtlichen Schluck. »Wohlsein.«

Virginio wandte sich an Harry. »Dein Gesprächspartner ist in Rohr I und wartet auf dich.«

Harry verbeugte sich leicht.

»Rohr 1?«, fragte Jörg.

»Ja, kommt mit, ich zeig sie euch.«

Gemeinsam liefen sie durch die Korridore der Station. Eine riesige Gestalt, noch größer als Nova, kam ihnen mit einem Tablett leerer Gläser entgegen. Sie war über und über behaart.

Günther staunte. »Sind das Bierkrüge in ihrem Fell?«

Harry nickte. »Die Härchen von Ekkulanerinnen haben Milliarden kleiner Saugnäpfe, die alles Mögliche tragen können.«

Trotz ihrer ungewöhnlichen Erscheinung handelte es sich zweifellos um ein ausgesprochen weibliches Wesen, mit einem sehr freundlichen Lächeln.

Nachdem sie an ihnen vorbeigegangen war, stieß Günther seinen Ellenbogen an Jörgs Schulter. »Ich glaub, die hat dich angeglüht.«

Jörg sah ihn verlegen an. »Ach, Quatsch. Bin doch verheiratet.« Er hob seine Hand und wackelte mit dem Daumen an seinem Ehering. »Außerdem steh ich nicht auf Teddybären.«

Nach ein paar Abzweigungen traten sie durch ein Schott mit der Aufschrift Torpedorohrbar.

»Ein leerer Saal?«, wunderte sich Jörg. »Das hab ich mir gemütlicher vorgestellt.«

Günther nickte. »Hat den Charme eines großen Verhörraumes. Dabei könnte man hier bestimmt zehn Tische hinstellen.«

»Die Sitzplätze sind in den Rohren.« Harry deutete auf die Wand gegenüber vom Eingang, in der sechs runde Verschlüsse etwas erhöht eingelassen waren. Er blieb vor Rohr I stehen und betätigte einen Kontaktschalter, das Schott öffnete sich. Ein schmaler Tisch und zwei noch schmalere Bänke füllten das Rohr aus. Am hinteren Ende sah man durch eine gläserne Kuppel ins All.

»Der ideale Ort, um Geschäfte abzuwickeln, die keinen etwas angehen«, sagte Harry. »Man kann die schalldichten Rohre von innen verriegeln.« Er machte eine auffordernde Geste.

»Au ja, das probieren wir gleich mal aus.« Jörg rutschte die linke Bank entlang und bestaunte die Aussicht. Die Sterne flimmerten in einer Dichte, als handle es sich um die Jahreshauptversammlung terranischer Glühwürmchen. Sie leuchteten in allen Farben, die das sichtbare Spektrum hergab. »Reichlich eng hier, aber was für ein geiler Blick!«

Günther setzte sich auf die andere Bank und verriegelte das Schott. Er leerte das Bierglas und rülpste. Theatralisch sah er Jörg an. »Jetzt kann uns niemand stören. Lass uns über die Übernahme der literarischen Weltherrschaft sprechen.«

»Du bist ein Arsch.«

»Was?«

»Du hast das ganze Bier allein ausgetrunken.«

»Öhm … ich hatte Durst.«

»Glaubst du, ich nicht?«

»Aber ich bin doch dein durstiger Kumpel.«

»Hat sich was mit Kumpel. Du bist so doof, wie du lang bist.«

»Komm schon. Das nächste Bier geht dann irgendwann auf mich.«

»Ja, irgendwann, Blödmann! Die Hälfte war meins.«

»Nun jammer nicht rum. Außerdem bist du doch noch zu klein für ein ganzes halbes Bier.«

»Ich hatte aber gar keins.« Jörg verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

Im nächsten Moment hallte ein ziemlich eindeutiges Geräusch durch das ehemalige Torpedorohr.