Das Namibia-Lesebuch

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Das Namibia-Lesebuch
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Almut Irmscher

Das Namibia-Lesebuch

Impressionen und Rezepte

aus dem Land von Wüste und Wildnis


Inhalt

Einführung

Die Wüste der Farben – zwischen den größten Sandbergen der Welt

Rock Shandy – Namibias Nationalgetränk gegen den Durst

Allen Widernissen trotzend – Namibia kulinarisch

Mielie-Pap mit Chakalaka-Gemüse

Clash der Welten – deutsche Kolonialisten in Südwest

Biltong – gewürztes Trockenfleisch

Scharfe Würzsauce

Abgrund des Grauens – der Krieg gegen die Herero und die Nama

Rooibos-Punsch

Die deutscheste Stadt außerhalb Deutschlands – Swakopmund

Schwarzwälder Kirschtorte wie in Swakopmund

Begegnungen aus nächster Nähe – eine Bootstour in Walvis Bay

Speckaustern der Pfanne

Zuflucht im Canyon – zwei Geologen und der Kampf ums Dasein

Apfelkuchen wie in Solitaire

Im Sperrgebiet – Zacharias und der Schatz in der Wüste

Potjiekos mit Gulasch und Pilzen

Auf der Suche nach Extremen – Rekorde, Entdeckungen und der Weg zur Leistungsgrenze

Flussbarsch namibisch

Windhoek – Stadt der Gegensätze

Butternutkürbissuppe

Auf der Farm – von der Jagd und den Sorgen des Alltags

Kudu-Schnitzel mit Rosinenreis und Gemüse

Von der Schule in die Wildnis – Leben in Namibia

Springbockmedaillons mit grünem Spargel

Gebackene Omaere

Die San – Menschen des Wissens und Besitzer des Schattens

Sosaties – Fleischspieße vom Grill

Maipi bittet um Regen – ein Besuch bei den Himba im Kaokoveld

Mielie-Pap mit Sauce

Streifzüge durch die Wildnis – der Etosha-Nationalpark

Etosha-Pfanne mit Amarula-Sauce

Im Reich des Wassers – ein Ausflug in den Caprivizipfel

Bobotie – ein Auflauf aus Hackfleisch und Gemüse

Faszination im Abendlicht – der Sundowner

Gin Tonic

Das letzte Wort

Danksagung

Karte

Bilder

Einführung

Mit diesem nunmehr 28. Band meiner Reise-Lesebücher verlasse ich erstmals den europäischen Kontinent und lade Sie dazu ein, mich auf eine Rundfahrt durch Namibia zu begleiten. Doch warum ausgerechnet Namibia?

Den Wunsch, das Land im Südwesten von Afrika zu besuchen, hegte ich schon seit vielen Jahren. Die Gründe dafür sind sehr persönlich und, wie ich zugeben muss, von märchenhaft-verträumten Vorstellungen geprägt. Denn zum einen habe ich meinen Kindern mehrfach „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende vorgelesen. Wer das Buch kennt, weiß von Goab, der Wüste der Farben, einer magischen Gegend, in der zwar die Sonne alles Lebendige verglühen lässt, die aber, wie der Name schon verrät, auch von fantastischen Farben geprägt ist.

Zum anderen habe ich vor etlichen Jahren einen Bericht über die Wüste Namib im Radio gehört. Die Beschreibungen in dieser Reportage mischten sich mit den Traumbildern, die beim Lesen des Buchs entstanden waren und mich seither nicht mehr verlassen hatten. Daraus erwuchs meine Sehnsucht, selbst einmal inmitten des farbenprächtigen Sandmeers der Wüste Namib zu stehen und dessen Zauber auf mich wirken zu lassen.

Die Namib ist eine riesige Wüste, die sich auf einer Strecke von annähernd 2.000 Kilometern entlang der südwestlichen Küste Afrikas erstreckt und teilweise bis zu 160 Kilometer ins Landesinnere Namibias hineinreicht. Ihr verdankt das Land auch seinen Namen. Viele qualvolle Jahre hindurch litt die erhebliche Mehrheit der in dieser südwestafrikanischen Region lebenden Menschen unter der Drangsal wechselnder Fremdbestimmung.

Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1990 ging es darum, ein versöhnendes Zeichen für den Aufbruch zu setzen und gleichzeitig all die unterschiedlichen Völker des Landes in den neuen Staat einzubinden, ohne eines davon zu bevorzugen oder zu benachteiligen. So setzte sich eine Idee des Politikwissenschaftlers Mburumba Kerina durch, der sich schon seit 1956 für die Unabhängigkeit seines Landes stark gemacht hatte und nun Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung war. Die Wüste, die das Gesicht des Landes doch so maßgeblich prägt, hatte er schon viele Jahre zuvor als Namensgeberin vorgeschlagen. Deren Bezeichnung „Namib“ stammt aus der Sprache des Volks der Nama, der „roten Menschen“, die einst als nomadische Viehzüchter im südwestlichen Afrika lebten, hauptsächlich im Südosten des heutigen Namibia. „Namib“ bedeutet so viel wie „Luftspiegelung“ oder auch „große Fläche“.

Doch Namibia besteht bei weitem nicht nur aus der prachtvollen Wüste Namib. Einen wesentlichen Teil des Landes nimmt auch die Kalahari ein, eine große Savanne, die sich über die Grenzen Namibias hinaus bis nach Botswana und in den Nordwesten Südafrikas hinein erstreckt. Weil sie im Wesentlichen von Sand und trockenem Dorngebüsch geprägt ist, wird auch die Kalahari oft als Wüste bezeichnet. Dank zahlreicher Fernsehdokumentationen über ihre faszinierende Tierwelt, die ich in meiner Kindheit gesehen habe, stellte auch die Kalahari für mich persönlich stets ein Wunschziel dar. Wollte ich doch einmal ihre stolzen Bewohner in freier Wildbahn sehen, die Elefanten, Nashörner, Giraffen, Strauße, Zebras, Löwen und all die anderen, statt immer nur hinter den Gittern ihrer begrenzten Gehege im heimischen Zoo.

Später las ich nicht minder faszinierende Berichte über die humanethologische Erforschung der Kalahari-Buschleute, über deren Sitten, deren Lebensweise und deren Fähigkeit, in der offensichtlich so lebensfeindlichen Umwelt der Trocken–savanne als Jäger und Sammler zu überdauern. Sie bilden zahlreiche ethnische Gruppen, die unter dem Oberbegriff „San“ als Volk zusammengefasst werden. Die San gelten als direkte Nachfahren der ersten Menschen, die das südliche Afrika besiedelten. Zeichnerische Darstellungen von Tieren, die 1969 in einer Höhle im Süden Namibias entdeckt wurden, zeugen nicht nur davon, dass die Region schon seit langer Zeit von Menschen bewohnt ist. Mit ihrem Alter von 27.000 Jahren zählen sie auch zu den ältesten Malereien Afrikas, nach den noch älteren Höhlenbildern Indonesiens und Australiens sogar zu den ältesten von Menschenhand geschaffenen Kunstwerken überhaupt. Ob diese Zeichnungen allerdings von den Ahnen der San angefertigt wurden, ist unbekannt. Vielleicht sind die San auch erst vor deutlich kürzerer Zeit, nämlich vor rund 2.000 Jahren, aus Zentralafrika ins heutige Namibia eingewandert. Diese Frage ist in der Wissenschaft umstritten.

Neben den San sind Menschen aus der Volksgruppe der Damara die ältesten Siedler Namibias. Auch sie durchzogen seit Jahrtausenden als nomadisierende Jäger und Sammler die Region, ohne jedoch in einer kulturellen oder ethnischen Verbindung zu den San oder den anderen Völkern Afrikas zu stehen.

Dass Namibia heute ein Vielvölkerstaat ist, in dem die verschiedensten ethnischen Gruppen leben, ist auf mehrere Wanderungsbewegungen zurückzuführen. Ab dem 16. Jahrhundert kamen zunächst die Ovambo, ein Volk von Viehzüchtern und Bauern, das zu den Bantustämmen gehört. Diese Bantustämme, die im ganzen südlichen Afrika verbreitet sind, werden als solche aufgrund der gemeinsamen Wurzeln ihrer Sprachen zusammengefasst, auch wenn es etwa 500 verschiedene Bantusprachen gibt. Die Ovambo stellen heute mit fast 50 Prozent den größten Teil der Bevölkerung Namibias.

 

Im 17. und 18. Jahrhundert kamen die Herero, ein ebenfalls zu den Bantustämmen gehörendes Hirtenvolk. In der Folge drangen immer mehr Angehörige afrikanischer Völker nach Namibia vor, was durch die Kolonialpolitik der Europäer und die Willkür, mit der diese den Kontinent mit Grenzen durchzogen, verursacht wurde. Damit sorgten die Kolonialisten nicht nur für Unruhe unter den ursprünglich dort lebenden Menschen, die sich ihrer traditionellen Wege beraubt sahen. Sie trugen auch durch gewaltsame Vertreibungen zum allgemeinen Aufruhr bei. Bedingt durch die Kolonialherrschaft siedelten sich zudem Weiße verschiedenster Herkunft im Bereich des heutigen Namibia an.

Nun sind wir schon mitten in der Bevölkerungsstruktur Namibias und deren historischer Entwicklung angekommen, dabei wollten wir uns zunächst nur einen kurzen Überblick über das Land verschaffen. Doch gerade dem Kolonialismus ist es geschuldet, dass es den Staat Namibia in dieser Form überhaupt gibt, und auf jeden Aspekt des Landes hat er bis in die heutige Zeit maßgeblichen Einfluss. Sei es die Bevölkerung, die Pflanzen- und Tierwelt, die Infrastruktur, die sozialen Verhältnisse, die Wirtschaft oder die offizielle Amtssprache Englisch, immer wieder fällt der Blick auf die Folgen des Kolonialismus. Wir werden deshalb nicht umhinkommen, uns mit diesem Thema später noch ausführlicher zu befassen.

Doch kehren wir zunächst zum Land selbst zurück. Das Gebiet des heutigen Namibia zählt zu den allerältesten Teilen unserer Erdkruste, sein Festlandsockel erhob sich aus dem Urmeer, lange bevor der riesige Kontinent Gondwana in der Erdfrühzeit vor etwa 550 Millionen Jahren entstand. Das Festland Namibias, das später ein Teil Gondwanas werden sollte, ist dagegen schon unfassbare zwei Milliarden Jahre alt.

Neben der Namib im Westen und der Kalahari im Osten wird es durch das dazwischenliegende zentrale Binnenhochland geprägt, das durchschnittlich 1.700 Meter über dem Meeresspiegel liegt und von einigen Bergmassiven durchzogen ist. Markante Gebirge sind der Waterberg, ein etwa 240 Kilometer nördlich der Hauptstadt Windhoek befindliches Tafelbergplateau, und die noch einmal etwa 85 Kilometer nördlicher gelegenen Otaviberge. Windhoek wurde übrigens während der deutschen Kolonialzeit „Windhuk“ geschrieben, und noch heute ist das die offizielle Schreibweise des Auswärtigen Amts. Ich habe mich dennoch in diesem Buch für die Verwendung der namibischen Schreibweise „Windhoek“ entschieden.

Die höchste Erhebung Namibias ist mit 2.573 Metern der Königstein im Brandbergmassiv, das im Damaraland liegt, einer Region im Nordwesten des Landes. Sie entspricht annähernd dem ursprünglichen Siedlungsgebiet des Volks der Damara, ist aber keine historisch gewachsene Region, sondern hat eine willkürlich festgelegte Begrenzung. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes „Homeland“, ein im Rahmen der Apartheidpolitik definiertes Heimatgebiet von Schwarzen. Diese Einteilung sollte die Verwaltung vereinfachen, diente aber natürlich vor allem dazu, die betroffenen Menschen von den anderen zu trennen, dauerhaft zu isolieren und zu kontrollieren. Doch derartige Themenbereiche wollten wir ja zunächst ausklammern.

Namibia ist 824.116 Quadratkilometer groß. Damit ist es mehr als doppelt so groß wie Deutschland, genauer gesagt, 2,3-mal so groß. Ein kurioser Zufall ist, dass das Land Namibia rund 2,3 Millionen Einwohner hat. In Deutschland leben dagegen etwa 83 Millionen Bürger. Hätte Namibia eine vergleichbare Bevölkerungsdichte, so müssten dort rund 190 Millionen Menschen leben. Anhand dieses Vergleichs bekommt man eine gute Vorstellung davon, wie extrem dünn Namibia tatsächlich besiedelt ist. Es gehört sogar zu den am dünnsten besiedelten Staaten unserer Welt. Und das hat natürlich seinen Grund.

Wir wissen ja schon, dass Wüste und Steppe die vorherrschenden Landschaftsformen Namibias sind. Das bedeutet auch, dass Regen hier ein wahrlich rares Gut ist. Ackerbau, Obst- und Gemüsegärten bleiben deshalb ein schöner Traum, mal abgesehen von kleinen Gebieten im regenreicheren Norden des Landes.

Im sogenannten Caprivizipfel, einem in weiten Teilen nicht mehr als 30 Kilometer breiten Streifen, der an der nördlichen Landesgrenze wie ein ausgestreckter Arm 450 Kilometer weit ostwärts ins afrikanische Binnenland hineinreicht, gibt es sogar tropische Bedingungen mit enormem Wasserreichtum, der sich in heftigen Regenfällen und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 70 Prozent manifestiert. Der Caprivizipfel unterscheidet sich deshalb grundlegend vom restlichen Namibia.

Dass es diesen merkwürdigen Landstreifen überhaupt gibt, ist der deutschen Kolonialpolitik zu verdanken, die auf Biegen und Brechen eine Landverbindung quer durch den Kontinent nach Deutsch-Ostafrika hin schaffen wollte. Deutschland schloss daher 1890 einen Vertrag mit Großbritannien, durch den wechselseitig Ländereien verschachert wurden. Dabei entstand nicht nur der Caprivizipfel, auch die Insel Helgoland fiel im Zuge dessen an Deutschland. Im Austausch dafür erhielten die Briten unter anderem das Recht, die Insel Sansibar zu annektieren, deshalb bezeichnet man das Vertragswerk auch als Helgoland-Sansibar-Vertrag. Aber nun sind wir schon wieder bei der Kolonialpolitik gelandet, kehren wir lieber schnell zurück zu den Lebensbedingungen in Namibia.

Auch die Viehhaltung stellt in dem kargen Land ein Problem dar, sie ist im Grunde nur im namibischen Hochland möglich, wobei selbst dort das Nahrungsangebot für die Tiere mehr als dürftig ist. Wovon sollen die Menschen sich also ernähren?

Lebt man in unseren feuchten mitteleuropäischen Gefilden, dann kann man sich kaum vorstellen, wie trocken es in Namibia ist. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes staubtrocken. Das hat den Vorteil, dass man als Reisender die Sommerhitze, von der die 30-Grad-Marke oft schon in den Morgenstunden geknackt wird, gar nicht als so dramatisch empfindet.

Alle anderen hätten es dagegen gerne ein bisschen feuchter, vor allem die Pflanzen, die bei der Dürre kaum überdauern können. Die meisten Sträucher und Bäume strecken deshalb während der überwiegenden Zeit des Jahres nur verdorrtes Geäst in die Höhe. Erst wenn im Hochsommer die Regenzeit einsetzt, hier auf der Südhalbkugel also etwa ab Mitte Dezember, entfalten sich zarte Blätter. Sie verschwinden genauso schnell wieder, sobald im April der Herbst Einzug hält und mit ihm der Regen wieder versiegt. Im Winter, vor allem in seinen kältesten Monaten Juli und August, kann es nachts sogar frieren, die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind dann vielerorts geradezu dramatisch.

Durchgehend kühler ist es lediglich in den Küstenregionen am Atlantik. Was bei uns der Golfstrom ist, dessen Wärme für ein relativ mildes Klima sorgt, das ist hier der Benguelastrom. Der bewirkt allerdings das glatte Gegenteil, er ist nämlich kalt und sorgt für entsprechende Temperaturen. Das Meerwasser erreicht selbst im Sommer kaum mehr als 15 Grad Celsius, und die krassen Temperaturunterschiede zwischen heißer Wüstenluft und kaltem Wind, der vom Meer heranweht, sorgen häufig für dichten Seenebel. In den Sommermonaten ist es an der Küste recht angenehm temperiert, im Winter hingegen oft empfindlich kalt. Und der Regen macht sich auch hier rar.

Wenn es aber nicht regnet, dann bleiben auch die Flüsse trocken. Die ausgetrockneten Flussbetten bezeichnet man auf namibisch-deutsch als „Rivier“, ein Wort, das dem Afrikaans entlehnt wurde, der kolonial-niederländischen Sprache der südafrikanischen Buren. Während die Riviere sich fast das ganze Jahr hindurch knochentrocken durch das ausgedörrte Gelände schlängeln, können sie in der Regenzeit mitunter rasend schnell zu reißenden Strömen anschwellen. Doch allzu bald verkümmern sie wieder zu nichts als einer staubigen Schneise durch das vertrocknete Land.

Eine der ganz wenigen Ausnahmen bildet der Strom Okavango, der im Norden Namibias auf einer Strecke von etwa 400 Kilometern entlang der Grenze zu Angola und dann weiter quer durch den Caprivizipfel nach Botswana verläuft. Er führt ganzjährig Wasser, wenn auch in stark schwankenden Mengen, und versiegt am Ende seines Wegs restlos mitten im Binnenland des östlich an Namibia angrenzenden Botswana. Dort bildet er ein sumpfiges Delta, dessen Wasser schließlich im Staub der Kalahari versickert.

Einen Teil der weiteren Grenze zwischen Namibia und Angola markiert auf etwa 300 Kilometern Länge der Kunene, der mit einem bis zu 30 Kilometer breiten Delta an Namibias nordwestlicher Grenze in den Atlantik mündet. Auch der Kunene führt ganzjährig Wasser.

Gleiches gilt für den Oranje, der im Süden des Landes fließt und auf 500 Kilometern Länge die Grenze zu Südafrika bildet. Er ist der zweitlängste Fluss des südlichen Afrikas und hat eine herausragende Bedeutung für die geomorphologische Gestalt der namibischen Küste und der Wüste Namib. Denn er transportiert gewaltige Mengen von Sand aus dem Inneren des Kontinents über seine Mündung hinaus in den Atlantischen Ozean. Nun trägt der Benguelastrom die Sandmassen weiter in Richtung Norden, und der ständig vorherrschende Südwestwind treibt den Sand vom Meer in Richtung Küste. Dort sammelt er sich zu Dünen, wodurch die Küstenzone beständig verbreitert wird. Die Verschiebung der Küstenlinie ist auch der Grund dafür, dass man teilweise weit im Landesinneren der Namib auf Schiffswracks trifft.

Und der Wind weht den Sand ohne Unterlass tiefer in die Namib hinein, wo er sich zu immer gewaltigeren Dünen auftürmt. Deshalb bezeichnet man den Oranje-Fluss auch als den „Vater der Namib“. Doch genug der Theorie. Machen wir uns endlich auf den Weg und begeben wir uns mitten hinein in die fantastische Welt der Wüste Namib!

Zur Abrundung Ihrer Eindrücke finden Sie viele Fotos aus Namibia auf meiner Website www.almutirmscher.de.

Willkommen in Namibia!

An dieser Stelle finden Sie in meinen anderen Büchern stets auch eine Begrüßung in der Landessprache. Doch welche sollte ich dieses Mal wählen?

Neben der Amtssprache Englisch existieren in Namibia noch Oshivambo (fast 50 Prozent der Namibier sprechen diese Sprache), Nama / Damara, Afrikaans, diverse Kavango- und Khoisan-Sprachen, Otjiherero und Deutsch. Private sowie einige staatliche Schulen dürfen teilweise in diesen Sprachen Unterricht erteilen, mitunter werden sie in bestimmten Regionen auch von den Behörden verwendet. Und zusätzlich zu den genannten existieren auch noch etliche Minderheitensprachen. Die meisten Namibier sprechen zwei oder drei Sprachen.

Namibia ist eben ein Vielvölkerstaat – eine bunte Regenbogennation, in der Menschen vielfältiger Ethnien beheimatet sind.

Die Wüste der Farben – zwischen den größten Sandbergen der Welt

Langsam schwindet die Dunkelheit, bleiches Grau tastet sich zaghaft über den östlichen Horizont. Es enthüllt die Konturen der flockigen Wolkenschicht, die den Himmel bedeckt. Die weite Ebene, an deren Rand wir uns befinden, und die zackigen Gipfel der Bergketten in der Ferne wirken wie schlaftrunkene Traumgebilde, die in der heraufdämmernden Wirklichkeit erst langsam erwachen. Ganz allmählich schält das Licht gleich neben uns die Konturen eines erhabenen Berges aus der nächtlichen Finsternis. Je heller das blasse Morgenlicht heraufzieht, desto stärker erwehrt sich dieser Berg dem allgegenwärtigen Grau. Von finsterem Anthrazit über drohend düsteres Rostbraun wechselt er sachte zu einem noch matten Lachsrot. Nun erkennen wir, dass der Berg aus nichts als Sand besteht. Und seine immer intensiver erstrahlende Farbe gemahnt zur Eile. Höchste Zeit, weiterzufahren, tiefer hinein in das sandige Herz der Wüste Namib.

Unser Ziel ist Sossusvlei, eine der schönsten Landschaften im Namib-Naukluft-Nationalpark. Die Zufahrt dorthin befindet sich in Sesriem, einer kleinen Siedlung am Fuß der Naukluft-Berge, und ist durch ein Tor verschlossen. Wer nicht in einem Wüstencamp am Parkeingang nächtigt, wo manchmal Ausnahmegenehmigungen erteilt werden, der darf erst bei einsetzendem Sonnenaufgang gegen Entrichtung einer Gebühr in den Nationalpark hineinfahren, und sobald die Sonne am Abend unter den Horizont sinkt, muss er ihn wieder verlassen haben.

 

Der Weg ins Sossusvlei ist jetzt nicht mehr lang. Schon finden wir uns in der offenen Weite eines tellerflachen Tals, umringt von den Geschwistern jenes Sandbergs, der uns im Morgengrauen empfing. Kolossale Dünen türmen sich rings um uns auf, wohin unser Auge auch reicht.

Inmitten der ebenen Talsenke ragen die toten Äste eines gestorbenen Baumes wie ein düsteres Mahnmal gegen die mächtigen Wogen des Sandmeers. Und dieser stille Ozean der Dünen erwacht nun unter dem morgendlichen Spiel des Lichts zu einem einzigartigen Ballett der Farben. Schon öffnet sich die Wolkendecke, zaghafte Finger aus Sonnenstrahlen streichen über die sandigen Hänge und zaubern orange leuchtende Flecken in das noch dumpfe Rostrot. Sie sind wie das leise Flirren der ersten Töne einer Wagnerschen Ouvertüre.

Und ganz wie in der Ouvertüre setzt mit kraftvollem Crescendo unvermittelt das Orchester ein, als die Sonne schließlich die Herrschaft an sich reißt und die immer schmächtiger werdenden Wölkchen ihres Platzes verweist. Geradezu bombastische Akkorde komponiert sie im Wechselspiel mit den Dünen der Namib. Grell erglühen die Sandberge in den fantastischsten Nuancen von rostigem Rot über Lachsrosa bis Orange, scharf zeichnen sich ihre geraden Kanten vor den morgendlichen Schatten ab. Mitten in dieser bewegten Oper aus Farben verharrt nur das Skelett des einsamen Baumes ganz still. Fast möchte man meinen, es sei der Dirigent, vor Überwältigung erstarrt im Angesicht der grandiosen Pracht.

Die orangeroten Sanddünen sind es, die die Namib berühmt gemacht haben und meine Reiselust weckten. Und sie halten ihr Versprechen. Je nach Sonnenstand changieren ihre Farben in den intensivsten Tönen. Am bemerkenswertesten – und am fotogensten – präsentieren sie sich im frühen Morgenlicht oder später am Abend. Doch auch als die Sonne rasch über den Dünenkämmen emporsteigt und vom inzwischen wolkenlosen Azur auf uns hinunterglüht, spüren wir ungebrochen die Faszination dieser farbigen Wüste.

Obwohl das Sandmeer der Namib, das von der UNESCO seit 2013 als Welterbe gelistet wird, eine sagenhafte Fläche von 31.000 Quadratkilometern einnimmt, besteht die Namib doch nicht nur aus solch imposanten Dünen. Da gibt es auch endlose fahlweiße Ebenen, erhabene Bergzüge, tiefe Schluchten und zerklüftete Canyons.

Den nördlichen Teil der Namib beherrscht die Skelettküste, die sich vom Delta des Flusses Kunene an der Grenze zu Angola bis zur Mündung des Ugab-Riviers auf etwa 500 Kilometern Länge südwärts erstreckt. Der Benguelastrom tobt mit teilweise rasender Geschwindigkeit vor dieser Küste entlang, was schon vielen Schiffen zum Verhängnis wurde. Davon zeugen Hunderte von Wracks, von denen viele, wie schon erwähnt, dank der ständigen Anlandung neuer Sandmassen inzwischen tief im Landesinneren zu finden sind. Nicht nur das ist schaurig, auch das Schicksal der Schiffbrüchigen verlief hier tragisch. Konnten sie sich an das vermeintlich sichere Land retten, so fanden sie sich doch tatsächlich in nichts als einem Sandmeer des Todes wieder. Hier gibt es kein Wasser und weit und breit niemanden, der ihnen hätten helfen können. Sie verdursteten jämmerlich, und ihre Skelette sowie die ihrer Schiffe sind es, die der Küste ihren Namen gaben. Die Buschleute bezeichnen sie als „das Land, das Gott im Zorn erschuf“.

Weiter südlich, von der Mündung des Ugab über Swakopmund und Namibias bedeutendsten Seehafen Walvis Bay, türmt sich die Namib zu reizvollen Dünen in pudrigem Rosa. Im weiteren Verlauf nach Süden und Osten weiten diese sich zu einem enormen Sandmeer aus, das sich wiederum bis zur Hafenstadt Lüderitz erstreckt, die 400 Kilometer südlich von Walvis Bay liegt. Hier beginnt das ebenfalls zur Namib gehörende Sperrgebiet, das bis zum Fluss Oranje an der südafrikanischen Grenze reicht.

Die berühmten farbigen Dünen im gewaltigen Sandmeer der Namib sind kaum zugänglich. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine besteht im Besuch des privaten Naturschutzgebiets der Tirasberge zwischen Lüderitz und der winzigen Siedlung Helmeringhausen, die rund 100 Kilometer von der Küste entfernt und 400 Kilometer südlich von Windhoek in der Wüste liegt. Helmeringhausen wurde 1919 von einem Sauerländer gegründet, der es nach seinem Heimatdorf benannte. Es besteht aus gerade mal acht Häusern mit kaum mehr Einwohnern. Doch weil es weit und breit nichts anderes gibt, kommt Helmeringhausen eine große Bedeutung als Versorgungsposten und touristischer Stützpunkt zu.

Die andere Möglichkeit, die fantastischen Dünen der Namib zu erreichen, bietet Sossusvlei. Betrachtet man eine Satellitenaufnahme der Namib zwischen Walvis Bay und Lüderitz, so ist ungefähr in der Mitte des Gebietes die aus Richtung Osten kommende, tief in das Dünenmeer eingeschnittene Kerbe des Sossusvlei sehr augenfällig. Es handelt sich dabei um den Endlauf eines Riviers, das eine breite Ebene durch die Sandberge gegraben hat und schließlich in ein paar Pfannen mit festem, hellem Belag aus Salz, Schluff und Ton versiegt.

Die geografische Erscheinung solcher Pfannen wird in Namibia als „Vlei“ bezeichnet, ein Wort, das dem Afrikaans entstammt. „Sossus“ hingegen ist eine Vokabel aus der Sprache des Volks der Nama und heißt „blinder Fluss“. Damit ist der Tsauchab gemeint, ein Rivier, das im östlich gelegenen Naukluft-Gebirge entspringt und auf seinem weiteren Weg den so wilden wie engen Sesriem-Canyon ausgegraben hat. Dieser vermittelt einen guten Eindruck davon, welche energischen Wassermassen hier am Werk gewesen sein müssen, auch wenn er bei unserem Besuch völlig ausgetrocknet unter der Wüstensonne vor sich hindöst. Sein Name, Sesriem, bedeutet übrigens „sechs Riemen“. Den verdankt er der Tatsache, dass vor gut hundert Jahren, als noch Ochsenkarren durch die Gegend fuhren, sechs der Riemen des Gespanns aneinandergeknotet werden mussten, um mit einem Eimer Wasser vom Grund des Canyons schöpfen zu können.

Weiter drängt sich das mächtige Rivier durch die Wüste, bis diese schließlich siegt und den stolzen Tsauchab im Sossusvlei versickern lässt, als sei er nur ein harmloses Rinnsal. Tatsächlich ist er zumeist nicht einmal das. Nur bei sehr ergiebigen Regenfällen im Naukluft-Gebirge schafft es der Tsauchab, sein Wasser bis zum Sossusvlei zu tragen, und weil es in der Namib immer trockener wird, kommt das nur alle Jubeljahre mal vor, mit anderen Worten, fast so gut wie nie. Schafft der Tsauchab es allen Hindernissen zum Trotz, dann füllen sich seine Endpfannen, die Vleis, für kurze Zeit mit flachen Seen.

Eine dieser Endpfannen ist das Deadvlei, zu dem wir gepilgert sind, auch wenn die Sonne inzwischen höher steht und der Marsch durch die Wüste nicht gerade erquicklich ist. Doch die Mühe lohnt sich, denn der Anblick der toten Kameldornbäume ist atemberaubend. Aus der fast weißen Kruste am Boden der Pfanne ragen ihre tiefschwarzen Stämme heraus, während sich im Hintergrund die orangeroten Dünenberge auftürmen. Hier stehen wir am Fuß von Big Daddy, mit bis zu 380 Metern Höhe ist er der Rekordhalter unter den Sandbergen der Namib und darüber hinaus eine der höchsten Dünen der ganzen Welt.

Die Kameldornbäume sind der erbarmungslosen Trockenheit des Deadvlei erlegen. Ihr Tod trat schon vor etwa 850 Jahren ein, bedingt durch die extreme Trockenheit verrottet ihr Holz seit damals nur äußerst langsam. Sie zeugen davon, dass es früher einmal feuchter gewesen sein muss und das Rivier des Tsauchab weitaus häufiger abkam – so nennt man das plötzliche Zutalstürzen der Wassermassen. Eine Klimaveränderung bewirkte geringere Regenfälle in den Bergen, dieser Umstand brachte die Bäume zum Verdorren.

Und das will etwas heißen, denn die Kameldornbäume sind robuste Überlebenskünstler. Sie überstehen die größte Sommerhitze und begnügen sich mit winzigsten Niederschlagsmengen. Selbst auf diese können sie im Grunde verzichten, denn sie bohren ihre Wurzeln bis zu 60 Meter tief in den Sand und gelangen dadurch selbst in trockenster Umgebung oft noch ans Grundwasser. Besonders gut gelingt das im Bereich der Riviere, wo sich das Grundwasser nicht ganz so weit unten im Erdreich verbirgt.

Und alle anderen Wüstenbewohner sind dankbar für den Schatten, den die dornigen Bäume mit ihrer ausladenden Krone spenden. So übrigens auch wir, als wir später mit hängender Zunge den Platz erreichen, an dem wir auf den Zubringer-Jeep warten müssen. Der soll uns die fünf Kilometer, die zwischen dem Beginn des Fußwegs zum Deadvlei und dem Ende der Asphaltstraße liegen, durch den Sand fahren. Welch ein Glück, dass an der Haltestelle ein Kameldornbaum gedeiht!

Die Asphaltstraße, die zum Sossusvlei und hinein bis fast zu dessen Ende führt, ist ein Luxus, der Touristen wie uns die Anfahrt erleichtert. Ansonsten sind befestigte Straßen in Namibia nämlich recht selten, es gibt sie fast nur im Umfeld größerer Städte und auf vielgenutzten Verbindungsrouten. Zumeist fährt man über Schotterpisten, die sogenannten Pads. Sie werden zwar regelmäßig gepflegt, und doch sind sie ganz schön holprig. Legt man – wie wir – darauf weite Strecken mit relativ hoher Geschwindigkeit zurück, so wird man heftig durchgerüttelt. Von den Torturen, denen das Fahrzeug ausgesetzt ist, ganz zu schweigen.

Und wehe, man hat eventuell eine Panne. Über Entfernungen von zig Kilometern gibt es nichts als Wüste oder Steppe, und andere Verkehrsteilnehmer kommen nur selten vorbei. Der Trans-Kalahari-Highway zum Beispiel, die wichtigste Verbindungsstraße im südwestlichen Afrika, lässt allein vom Namen her eine vielbefahrene Hauptverkehrsroute vermuten. Zwar ist er zumindest asphaltiert, doch haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, mitten auf der Fahrbahn in aller Seelenruhe zu fotografieren. Während der geschlagenen halben Stunde, die wir an dieser Stelle pausierten, kam nämlich nur ein einziges anderes Fahrzeug vorbei. Dass es unterwegs zudem meist kein Mobilfunknetz gibt, brauche ich wohl nicht zu betonen.

Doch kehren wir noch einmal ins Sossusvlei zurück. Inzwischen haben wir die Asphaltstraße wieder erreicht und begeben uns auf den Rückweg. Hier begegnen uns, wenn auch nicht wirklich viele, so doch deutlich mehr Autos als anderenorts, denn es handelt sich um einen der touristischen Hotspots Namibias. Hoch oben an der Kammlinie der Düne 45, die sich auf dem halben Weg im Sossusvlei befindet, zeichnen sich die Umrisse derer ab, die den beschwerlichen Aufstieg gewagt haben. Die Düne trägt ihre nüchterne Bezeichnung übrigens aufgrund der Tatsache, dass sie vom Zugangstor zum Nationalpark in Sesriem genau 45 Kilometer entfernt ist.