Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane

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Aus der Reihe: Extra Spannung #5
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Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane
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Alfred Bekker & Uwe Erichsen

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Inhaltsverzeichnis

  Krimis

  Lockvogel, flieg!

  Copyright

  I

  II

  III

  IV

  V

  VI

  VII

  VIII

  IX

  X

  XI

  XII

  XIII

  XIV

  Tot und blond

  Copyright

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Impressum neobooks

Krimis

Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Uwe Erichsen: Lockvogel. flieg!

Alfred Bekker: Tot und blond

Uwe Erichsen wurde durch den Bestseller "Die Katze" (verfilmt mit Götz George) bekannt. Er schrieb außerdem zahlreiche Drehbücher ("Tatort", "Der Fahnder" u.a.m.).

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover: KLAUS DILL

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Lockvogel, flieg!

Krimi von Uwe Erichsen

Der Umfang dieses Buchs entspricht 157 Taschenbuchseiten.

Hans-Walter Heinen - genannt der Hai - ist der Boss auf dem Kiez und an allem beteiligt, was kriminell und illegal ist. Er sitzt in U-Haft, aber alle Zeugen, die gegen ihn aussagen könnten, sterben nacheinander. Der Hai schien den Soko-Ermittlern Roth und Gräfe immer Schritt voraus zu sein. Gab es im Polizeipräsidium einen Maulwurf? Als Roth erfährt, dass nach seiner ehemaligen Lebensgefährtin Sigrid Wolf, die für den ermordeten Journalisten Hilmar Blume gearbeitet hatte und nach seinem Tod untergetaucht war, gefahndet wird, ist ihm klar, dass sie sich als letzte mögliche Zeugin in Lebensgefahr befindet. Er macht sich auf die Suche nach ihr – und die Gangster heften sich an seine Fersen ...

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© Cover nach einem Motiv von Darksouls1/Pixabay mit Steve Mayer, 2017

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

I

Roth lockerte den Druck der Hand, die sich um den Pistolengriff krampfte. Prickelnd kehrte das Blut in die Fingerspitzen zurück. Mit der Linken wischte er den Schweiß aus seinen Augen. Er atmete flach, mit weit geöffnetem Mund. Staub, der aus dem abgetretenen Sisalläufer stieg, kratzte in seinem Hals. Er schloss den Mund und presste die Lippen zusammen und kämpfte gegen den Hustenreiz an, der unerträglich zu werden drohte.

Wo blieb Gräfe?

Das Tuten eines Hafenschleppers durchdrang die Wände. Hinter einer der dünnen Türen rülpste jemand. Sonst war kein Laut zu hören.

Roth schob sich ein Stück weiter vor. Er spürte die raue Wand durch den leichten Stoff seines Jacketts. Vorsichtig spähte er in den schmalen, langen Flur. Seit zehn Minuten war niemand mehr die Treppe heraufgekommen, keiner der Gäste dieses schäbigen Hafenhotels hatte sein Zimmer verlassen.

 

Roth zuckte zusammen, als er am anderen Gangende eine schwache Bewegung wahrnahm. Dann erkannte er Volker Gräfes runden Lockenkopf, und er atmete auf. Gräfe war unten geblieben, um die Verstärkung zu erwarten und die Kollegen einzuweisen. Ihre Handfunkgeräte konnten sie innerhalb des Hauses nicht benutzen. Die Gefahr, dass ein Peilton oder eine scheppernde Lautsprecherstimme ihre Zielperson zu früh aufschreckte, war einfach zu groß.

Gräfe hob eine Hand, streckte dann den Arm und setzte sich in Bewegung.

Jürgen Roth kam hinter der Gangbiegung hervor. Der kahle Flur bot keine Deckung. Wie sein Kollege Volker Gräfe hielt er die Pistole schussbereit in der angewinkelten Hand. Schritt für Schritt näherten sie sich der Tür mit der verblassten Nummer 26.

Hinter der Tür sollte sich Dieter Nelles aufhalten, der Mann, der für Hans-Walter Heinen die Drecksarbeit machte.

Heinen, der Hai, wie er voller Angst oder Respekt genannt wurde.

Heinen, der König vom Kiez, ohne den nichts lief in der Stadt.

Selbst jetzt nicht, obwohl er seit acht Monaten in U-Haft saß. Gelassen verfolgte er, wie ein Anklagepunkt nach dem anderen fallen gelassen werden musste, weil Zeugen ihr Erinnerungsvermögen oder ihr Leben verloren.

Wie zuletzt Clemens Adolphi, jahrzehntelang Heinens Buchhalter und Steuerexperte und die letzte Hoffnung der Staatsanwaltschaft, gegen Heinen wenigstens eine solide Anklage wegen Steuerhinterziehung zimmern zu können.

Bis auch er vor zwei Tagen ums Leben kam.

Kurz bevor Adolphi in der Garage seines Hauses bei lebendigem Leib verbrannte, wollten zwei Zeugen unabhängig voneinander Dieter Nelles in der Umgebung der unauffälligen Reihenhaussiedlung draußen in Eidelstedt erkannt haben.

Seit Monaten wurde nach Dieter Nelles gefahndet. Er sollte der Mann sein, der jeden aus dem Weg räumte, der dem Hai gefährlich werden konnte. Und der sich in diesem heruntergekommenen Hotel am Hafen verkroch, seit sich das Netz enger um ihn zusammenzog.

Der Hinweis, dass sich Nelles hier versteckte, war vor knapp vierzig Minuten beim Landesfahndungskommando eingegangen. Volker Gräfe hatte darauf bestanden, sofort zuzugreifen und nicht einmal Rüdiger Tondorf, den Leiter der Sonderkommission, die gegen das organisierte Verbrechen in der Hansestadt ermittelte, zu informieren.

Gräfe war von der Idee besessen, dass es eine undichte Stelle im Polizeipräsidium geben musste. Nicht, dass er ausgerechnet Tondorf, seinen unmittelbaren Vorgesetzten, für einen linken Hund hielt, aber Tondorf besaß weder Mut noch genug Fantasie, um auch einmal neben dem ausgetretenen Dienstweg zu wandeln. Getreulich berichtete er über jedes Ermittlungsdetail nach oben, meldete jede geplante Aktion die ganze Flöte hinauf, wo es irgendwo ein Leck geben musste. Anders war es nach Gräfes Meinung nicht zu erklären, dass Heinen auf jede Maßnahme, die gegen ihn eingeleitet wurde, rechtzeitig reagieren konnte.

Alle Ermittlungen der Sonderkommission Heinen, wie sie intern genannt wurde, verliefen im Sande. Es stand bereits fest, dass die Kommission in Kürze wegen der ausbleibenden Erfolge aufgelöst werden würde.

Umso verbissener hatten Gräfe und Roth reagiert, als sie die Chance sahen, Nelles zu bekommen.

Der alte Mann, der unten in der Absteige den Dienst eines Portiers versah, hatte zwar keinen Zahn mehr im Mund, aber seine Augen waren noch scharf. Ohne zu zögern, hatte er Nelles Fahndungsfoto aus einem ganzen Bündel Galgenvogelporträts herausgepickt und versichert, dass sich der Gesuchte in Zimmer 26 aufhalte, und zwar allein bis auf die Gesellschaft einer Flasche Cognac und zweier Frikadellenbrötchen, die er sich am frühen Abend von ihm, dem Portier, hatte besorgen lassen.

Sie pressten sich links und rechts neben der Tür an die Wand. Der Schweiß brannte in Roths Augen, seine Handfläche war feucht, aber es war zu spät, um sie jetzt noch einmal abzuwischen. Hinter der Tür knarrten die ausgeleierten Federn einer Matratze. Unten im Eingang lachte eine der Nutten, die ihre Freier hier hereinschleppten, dann klackten die spitzen Absätze auf den Stufen.

Gräfe machte ein besorgtes Gesicht. Wieso hatten die Kollegen sie nicht am Betreten des Hauses gehindert?

Roth atmete flach, weil er fürchtete, seine Atemstöße könnten durch das dünne Holz dringen. Das Türschloss befand sich zu seiner Linken. Nach dem Trainingsprogramm des MEK, an dem sie in regelmäßigen Abständen teilnahmen, fiel ihm die Aufgabe zu, das Schloss einzutreten.

Mit einer halben Körperdrehung auf dem linken Absatz einen Schritt in den Gang hinein, dabei das rechte Bein anziehen und den Fuß gegen das Türblatt abschießen, genau unterhalb des Schlosses, das sich dann rechts von ihm befinden würde.

Gräfe nickte ihm zu und packte den Pistolengriff mit beiden Händen.

Roth löste sich von der Wand. Eine Diele knackte leise unter seinem Fuß. Er hob das Bein, bis es seine Brust berührte, dann stieß er den Fuß gegen die Tür.

Mit einem berstenden Knall sprang das Schließblech aus dem Rahmen. Die Tür flog in den Raum und krachte gegen die Wand.

»Polizei! Keine Bewegung!«, schrie Roth und hechtete über die Schwelle.

Es war dunkel im Zimmer. Nur das hohe Rechteck des einzigen Fensters hob sich schwach gegen die Dunkelheit an.

Das Bettgestell knackte laut. Vor dem Fenster erschien der Umriss einer Gestalt. Roth fuhr herum, er streckte die Arme. Mit beiden Händen umklammerte er den Pistolengriff. In dem Moment flackerte auf der anderen Straßenseite die Leuchtreklame über dem Pirandello Club auf, eilig kletterte die Schrift an der Fassade hinauf.

»Polizei!«, brüllte Roth. »Keine Bewegung! - Mach Licht, Volker, Licht!«

Er gab einen Warnschuss ab, doch die Gestalt vor dem Fenster, vom Neonlicht rot überhaucht wie vom Widerschein lodernder Flammen, bewegte sich mit erschreckender Geschmeidigkeit.

Roth erkannte den blassen Umriss des Gesichts vor dem roten Hintergrund, er sah den länglichen Gegenstand drohend in der Hand des anderen, bevor er mit dem Umriss der Gestalt verschmolz. Ein Gedanke schoss durch Roths Kopf. Nach unzähligen Verhaftungen, davon allein achtzehn im laufenden Jahr, bei denen er die entsicherte Waffe in der Hand gehalten hatte, freilich ohne sie ein einziges Mal zu benutzen, war jetzt der Moment gekommen. Der Moment, in dem es nur darum ging, wer zuerst schoss und traf.

Roth drückte ab. Zweimal ruckte die schwere Selbstladepistole in seiner Faust.

Im selben Moment flammte endlich das Deckenlicht auf.

Roth hielt die Arme immer noch gestreckt, die Mündung auf den Mann gerichtet, den die Wucht der Einschläge gegen die Wand neben dem Fenster geschleudert hatte. Einen endlos scheinenden Augenblick verharrte er dort, wie von Pfeilen gegen die Wand geheftet, bevor er langsam zu Boden rutschte. Auf der fleckigen, gelben Tapete erschien eine blutige Spur.

Roth starrte in die brechenden Augen im schmalen dunklen Gesicht.

Das Gesicht. Es war zu schmal, zu dunkel. Und es wies nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Gesicht auf dem Polizeifoto auf, das in seiner Tasche steckte.

Roth spürte eine jähe Schwäche in den Knien, eine aufsteigende Übelkeit. Die Finger des Sterbenden gaben endlich den runden Gegenstand frei, der im Dunkeln so bedrohlich ausgesehen hatte. Die noch halbvolle Mineralwasserflasche kollerte über den Boden, verspritzte ihren Inhalt über Roths Füße.

Er schrie gellend auf, als Gräfe ihn am Arm berührte.

»Nein! Nein!«

»Reiß dich zusammen!«, brüllte Gräfe.

Gräfe schüttelte ihn, bis seine Zähne klirrten. Mit der freien Hand riss er das Handfunkgerät aus der Tasche und schaltete es ein.

»Sigma drei, kommen!«, sagte er drängend. »Kommen, Sigma drei! Wir brauchen einen Arzt hier!«

Der Lautsprecher blieb stumm.

»Die haben ihre Geräte noch abgeschaltet! Rühr dich hier nicht weg!«

Roth nickte benommen. Gräfe lief aus dem engen Hotelzimmer.

Roth, der den Anblick der brechenden Augen nicht ertragen konnte, wich in den Flur zurück. Gräfe stand an der Treppe und beugte sich über das Geländer.

»Hermann! Rainer! Hört denn niemand? Verdammt ...«

Das Quietschen des Türschlosses hinter Jürgen Roth klang verstohlen, heimlich. Er drehte sich um.

Die Zimmertür auf der anderen Gangseite öffnete sich. Im Rahmen erschien eine gedrungene Gestalt mit dichten blonden Haaren auf dem breiten Schädel. Augen, dunkelbraun unter struppigen Brauen, weit aufgerissen, starrten ihn an.

Nelles!

Roth war unfähig, sich zu bewegen, die Pistole, die schwer an seiner herabhängenden Hand zog, hochzureißen. Der Schock dauerte an.

Auch Nelles hielt eine Waffe in der Faust, einen Revolver, aber er benutzte ihn nicht. Noch nicht. Das Fenster des Zimmers, aus dem er kam, ging in den Hof hinaus. Der Instinkt des Gejagten hatte ihm verraten, dass er dort nicht hinauskonnte. Dort hätten ihn die Fahnder des Sonderkommandos in Empfang genommen.

Er hechtete in den Flur, rammte Roth mit der gewölbten Schulter und rannte auf die Gangbiegung zu.

Roth prallte gegen den Türrahmen. Ein scharfer Schmerz schoss durch seinen Arm.

Gräfes Kopf ruckte herum. Auch er erkannte Nelles sofort. Sein Arm flog in die Höhe.

Aber Roth stand genau in der Schusslinie.

»Runter!«, brüllte Gräfe mit sich überschlagender Stimme. »Runter!«

Nur noch drei, vier lange Sätze trennten Nelles von der Gangbiegung. Roth starrte hinter dem fliehenden Killer her, bis Gräfe einen Warnschuss in die Decke jagte und Nelles sich im Lauf herumwarf und aus der Bewegung heraus feuerte.

Roths Instinkte erwachten, verdrängten den lähmenden Schock. Er warf sich lang auf den Boden. Roth hörte das Pfeifen der Kugeln, als Gräfe über ihn hinweg feuerte.

Nelles verschwand hinter der Ecke. Gräfe rannte durch den Flur, sprang über Roths Beine. Hinter dem Knick klirrte Glas, als Nelles durch das geschlossene Fenster am Ende des kürzeren Flurstücks sprang.

Gräfes Gesicht war kalkweiß, als er den Portier an der Jacke heraufschleifte, ihn vor sich her durch den Flur trieb und ihn dann in das Zimmer schleuderte, in dem noch der Pulverdampf waberte.

Der alte Mann begann zu zittern, als er den Toten erblickte, der wie eine Puppe am Boden hockte. Der Kopf war ihm auf die Schulter gefallen.

Gräfe deutete auf den Toten, während von draußen das Wimmern der ersterbenden Sirenen hereindrang und Schritte die Treppe heraufpolterten.

»Wer ist das?«, schrie Gräfe nah am Ohr des Alten.

Im Seesack, der am Kopfende des Bettes stand, fand Roth das Heuerbuch. Er schlug es auf.

»Jadallah al Ahmal«, las er mit kratzender Stimme. Das Blut pochte hinter seiner Stirn. »Seemann aus Tunis ...« Er ließ das Heuerbuch fallen. »Warum stand er nicht still? Warum hat er sich bewegt?«

»Er sprach kein Wort deutsch«, stammelte der Alte.

»Seine Reederei hat ihn geschickt. Sie bezahlt das Zimmer, bis ...«

»Wie kommt er hier rein?«, brüllte Gräfe. »Wie kommt er in dieses verdammte Zimmer? Was haben Sie uns erzählt?« Gräfe stieß den alten Mann gegen die Wand und zerrte das Polizeifoto von Nelles aus der Tasche. Er hielt es dem Alten vor die Augen. »Sie haben gesagt, dieser Mann sei in diesem Zimmer!«

Der Portier schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht ...«

»Lass ihn«, sagte Roth. »Es hat keinen Zweck.«

II

Dieter Nelles blieb ruhig auf dem breiten Bett liegen, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür gesteckt wurde. Nur seine Rechte glitt unter die Tagesdecke und zog den Revolver darunter hervor.

Zwischen den angezogenen Knien her zielte er auf die Zimmertür, die langsam in den Raum schwang.

Bernd Makowski blieb in der Tür stehen. Sein ausdrucksloses Gesicht vermochte den Ärger, den er bei Nelles' Anblick empfand, nur unvollkommen zu verbergen. Nelles' Schuhsohlen hatten große schmutzige Abdrücke auf der neuen Tagesdecke hinterlassen.

»Du versaust mir das Bett«, sagte er.

Ohne die auf ihn gerichtete Waffe zu beachten, machte er einen Schritt in das Zimmer hinein, in dem es durchdringend nach frischer Farbe roch.

Nelles zog mit dem Daumen den Hammer zurück, und Makowski blieb wieder stehen. Seine Nasenlöcher blähten sich unter stoßweisen Atemzügen.

Makowski besaß die perfekte Athletenfigur. Seit Heinen, der Hai, ihn zu seinem Vertrauten gemacht hatte, hüllte er die breiten Schultern und die kräftigen Arme in gut geschnittene Sakkos und bei gegebenem Anlass auch in feine Nadelstreifenjacketts. Seinen Spitznamen, Bernd, der Macker, hatte er längst abgelegt, obwohl er nach wie vor dem alten Gewerbe nachging, wenn auch auf einem höheren Niveau als vor zwei, drei Jahren, als seine Hühner noch am Hans-Albers-Platz an der Mauer standen.

 

»Woher weißt du von dieser Wohnung?«, fragte er.

Nelles grinste Makowski über den Revolverlauf hinweg tückisch an. »Ich habe Freunde auf dem Kiez«, sagte er. »Hast du daran nicht gedacht?«

»Was willst du damit sagen?«

»Bin ich abgeschrieben?« Lauernd sah Nelles den anderen von unten herauf an.

»Wie kommst du darauf?«

»Weil mich jemand linken wollte.«

»Was du dir einbildest! Jemand hat dich erkannt, wie du dich da unten rumgetrieben hast ...«

Makowski verstummte, als Nelles sich jäh im Bett aufrichtete. Nelles' schmaler, scharfer Mund verzerrte sich.

»Jemand hat mir die schärfsten Bullen auf den Hals gehetzt, die auf dem Kiez rumlaufen! Willst du mir erzählen, dass das Zufall war? Bekomme ich keinen Schutz mehr vom Boss, nach allem, was ich für ihn getan habe?«

»Sei vernünftig«, sagte Makowski. »Steck erst mal die Kanone weg!«

»Wo ist deine?«

Makowski schlug sein Jackett zurück und griff mit der linken Hand hinter sich, um die flache Pistole aus der Gürtelhalfter zu ziehen. Er legte sie auf die zierliche Kommode vor dem Fenster.

Nelles steckte den Revolver ein und rollte vom Bett, wobei er darauf achtete, Makowski nicht zu nahe zu kommen.

»Na, was war mit dem Schutz?«, fragte Nelles herausfordernd. »Wieso funktioniert der ausgerechnet bei mir nicht? Zwei Tage nach der Sache mit Adolphi ...«

»Sei still!«, befahl Makowski scharf.

»Schon gut, schon gut!« Nelles lachte. »Ein Glück, dass mich dieses rote Reklamelicht nervös machte. Und dass ich das Zimmer mit diesem Kanaken getauscht hab'.« Er grinste gefühllos. »Der sprach kein lausiges Wort deutsch«, sagte er dann, immer noch staunend. »Der dachte wahrscheinlich, ich gehöre zu dem Saftladen.«

Nelles sah sich um.

Makowski deutete in die Diele.

»Gehen wir nach nebenan«, schlug er vor.

Auch im Wohnraum roch es nach frischer Farbe. Teppichboden, Fenstervorhänge, die Couch und der senffarbene Sessel, der niedrige Couchtisch und die Videoanlage waren funkelnagelneu.

»Deine Hühner haben's gut«, stellte Nelles fest. »Schöne Bude.«

»Man muss was tun für die Kundschaft. Es läuft entweder da, wo's billig ist, oder oben in der Luxusetage. Alles andere ist Mist. Diese Nacht kannst du von mir aus hier schlafen, wenn du dir die Schuhe ausziehst, bevor du ins Bett gehst. Morgen um elf bist du raus. Die Mädchen kommen am Nachmittag.«

Dieter Nelles wirbelte auf dem Absatz herum. Seine Finger grüben sich in Makowskis Jackenaufschläge.

»Du vergisst wohl, wer den Müll für dich und deinen Boss wegräumt! Damit ihr ungestört abkassieren könnt, du und dein Boss!« Nelles keuchte. »Ihr könnt mich nicht einfach abbraten, nur weil ihr mich nicht mehr braucht!«

Makowski ließ die Arme herabhängen, auch als Nelles ihn heftig gegen die Wand stieß.

»Bist du fertig?«, fragte er beherrscht. »Was willst du eigentlich?«

»Ich will mit dem Boss sprechen!« Nelles machte eine heftige Bewegung, als Makowski zu einer Antwort ansetzte. »Ich weiß, dass er Haftverschonung kriegt, komm mir also nicht mit irgendwelchem Quatsch, dass er verhindert ist!«

»Er bekommt Haftverschonung! Das bedeutet aber nicht, dass er sich mit dir treffen kann!«

»Weil ich heiß bin, ich weiß. Aber er kann hierherkommen! Ist doch 'ne feine Adresse. Unten der Zahnarzt und der Heilpraktiker, darüber das Finanzierungsbüro, und hier oben die Nutten!«

Makowski hob die Hände und schob sie zwischen Nelles' Arme. »Ich sage es ihm.«

»Ich bleibe hier, bis er kommt.« Nelles deutete auf das Telefon. »Wenn die Freier anrufen, sage ich ihnen, dass sie von mir bedient werden, wenn sie Wert darauf legen.«

»Geh nicht an den Apparat«, warnte Makowski. »Überspann den Bogen nicht.«

»Denk du auch daran. Sonst werde ich weiter über die Frage nachdenken, wer den Bullen den Tipp gegeben hat! Aber zum Glück bin ich nicht nachtragend.«

Makowski zog sein Jackett zurecht und ging zur Tür. Nelles folgte ihm.

»Der Kühlschrank ist leer«, sagte er. »Ich brauche Brötchen, Käse, etwas Obst, ein paar Teebeutel.«

Makowski nickte. »Sonst noch was?«

»Und eine Flasche Cognac. Deine Kanone kannst du mitnehmen, wenn du mir die Sachen bringst. Denk dran - du und kein anderer.«

Nelles zerrte den Revolver heraus und zog den Lauf über die Wand. Das Korn riss eine tiefe Kerbe in die helle Strukturtapete und den darunterliegenden Putz.

Makowskis Gesicht wurde weiß, die Kiefermuskeln zeichneten sich scharf unter der glatten Haut ab.

»Blut hinterlässt immer so hässliche Flecken«, sagte Nelles. »So'n Kratzer lässt sich leicht reparieren, wenn's nicht mehr werden.«

»Du bist und bleibst die Ratte aus der Gosse«, sagte Makowski beherrscht, als er die Wohnungstür öffnete.

»Weißt du, was dein Problem ist?«, fragte Nelles. »Dass du nicht mehr der kleine Macker bist, der du mal warst. Damals hattest du nichts als ein paar Hühner und die Rolex an der Hand.«

»Und was hast du?«

»Ich bin frei, Macker! Eine Ratte hat nichts als ihr Leben. Nichts Überflüssiges, verstehst du? Und jetzt verschwinde! Aber lass den Schlüssel hier!«

Nelles grinste überlegen, als Makowski ihm den Schlüssel des Apartments zuwarf.

*

Kriminaloberrat Otto Peikert warf Roths Bericht auf die Seite seines Schreibtisches. Er brauchte ihn nicht zu lesen. Was Roth geschrieben hatte, unterschied sich nicht von dem, was er gestern bei der Vernehmung vor dem Staatsanwalt und vor Kriminalhauptkommissar Tondorf, seinem unmittelbaren Vorgesetzten, ausgesagt hatte.

»Ich habe heute Morgen schon mit dem Staatsanwalt gesprochen«, sagte Peikert. »Es wird nicht zu einem förmlichen Strafverfahren gegen Sie kommen. Aber um die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens werden Sie nicht herumkommen. Sie nicht, und Gräfe ebenfalls nicht. Dort wird unweigerlich von Neuem die Frage auftauchen, die Sie und Gräfe auch gestern nicht beantworten wollten oder nicht beantworten konnten — warum Sie den Leiter der Sonderkommission Heinen nicht über Ihren Einsatz informiert haben!«

Weil Volker Gräfe nicht von der Überzeugung abzubringen ist, dass es eine sehr intensive illegale Verbindung zwischen hohen Amtsträgern der Polizei und den Drahtziehern der kriminellen Szene gibt. Korruption, Herr Oberrat.

Peikert beugte sich plötzlich vor. Er war ein untersetzter Mann, dem meistens ein freundliches, unverbindliches Lächeln im Gesicht klebte. Jetzt verschwand sein Lächeln, die Augen blickten kühl und scharf.

»Warum wollen Sie nicht darüber sprechen? Jetzt? Was Sie mir hier sagen, wird nie außerhalb dieser vier Wände wiederholt werden, wenn Sie es nicht wollen!«

Ich will nicht als der Mann dastehen, der sein eigenes Nest beschmutzt. Und ich will weder mein eigenes Leben noch das meines Freundes in Gefahr bringen. Es hat schon zu viele Tote gegeben, Herr Oberrat. Gräfe hat eine Frau und zwei Kinder.

Es war schon schlimm genug, dass Gräfe sich selbst um Kopf und Kragen redete.

Peikert schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Mann, Roth, laufen Sie nicht wie das personifizierte schlechte Gewissen herum! Sie sind Polizeibeamter, und Sie werden es bleiben, dafür stehe ich ein. Ihnen ist passiert, was jedem von uns jederzeit auch passieren kann!«

Aber mir ist es passiert.

Er hatte einen Menschen erschossen. Einen Unbeteiligten. Er war gezeichnet. In der Halle ging man ihm aus dem Weg, im Aufzug sahen sie an ihm vorbei.

Peikert lehnte sich zurück. Das unverbindliche Lächeln erschien wieder in dem flachen Gesicht mit der eingedrückten Nase, die den ehemaligen Boxer verriet. Irgendwo hatte Roth einmal die alten Plakate gesehen, auf denen Peikerts Name stand. Bevor er von der Schutzpolizei zur Kripo wechselte, hatte er in der Boxstaffel der Polizei geboxt. Er war ein gefürchteter Mittelgewichtler gewesen, davon wussten nicht nur die älteren Kollegen zu erzählen.

»Ihnen ist sicher klar, dass ich Sie von der Soko Heinen abziehen muss, Gräfe natürlich ebenfalls. Sie kehren beide bis auf Weiteres in ihre alten Abteilungen zurück, und bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens versehen Sie ausschließlich Innendienst. Das ist die Bedingung, um eine Suspendierung bis zur Klärung eventueller Dienstvergehen zu vermeiden.«

Peikert sah Roth an, als ob er Fragen oder Einwände erwartete, doch Roth schwieg. Er hatte nicht die Kraft, zu kämpfen. Im Übrigen hätte er auch nicht gewusst, gegen wen, wofür oder worum er hätte kämpfen können.

»Ich nehme an, dass in den nächsten Tagen noch Fragen auftauchen werden, es ist also sinnvoll, wenn Sie sich zur Verfügung halten. Danach machen Sie am besten Urlaub. Sie hatten dieses Jahr noch keinen, soviel ich weiß?«

Roth schüttelte den Kopf.

»Das trifft sich also gut. Spannen Sie aus, suchen Sie Abstand. Ich möchte Sie übrigens nicht im Betrugsdezernat bei der Bearbeitung von Bagatelldelikten versauern lassen. Ein Mann mit Ihrer Erfahrung kann seine Fähigkeiten an anderer Stelle besser entfalten. Ich denke an eine Tätigkeit als Sachverständiger im Erkennungsdienst, in der Aus- und Fortbildung oder in der Logistik. Denken Sie über mein Angebot nach, aber lassen Sie sich Zeit. Erst der Urlaub, dann sehen wir weiter.«

Roth fühlte sich benommen, als er aufstand. Er hatte mit seiner Suspendierung gerechnet, sie unbewusst vielleicht sogar erhofft, stattdessen wurde ihm nach Jahren des Stillstands noch einmal die Aussicht auf eine Karriere eröffnet.

»Und vergessen Sie nie - wir stehen alle hinter Ihnen«, sagte Peikert, bevor Roth den Raum verließ.

*

Hans-Walter Heinen war auch körperlich ein mächtiger Mann. Seine Rückkehr in seine Büroräume hoch oben im 19. Stock der Alsterresidenz geschah mit der Wucht eines Panzervorstoßes.

Trotz der sommerlichen Temperaturen trug er seinen pelzgefütterten Ledermantel mit dem Lammfellkragen, was Makowski daran erinnerte, dass es Winter und lausig kalt gewesen war, als man den Boss abgeholt hatte.

Heinen schleuderte den Mantel auf die helle Ledercouch in seinem Arbeitszimmer, bevor er sich umwandte und Makowski ansah. Von den Blumen auf dem Glastisch nahm er keine Notiz.

»Wo steckt Valeria?«, fragte er ungeduldig.

»Sie ist schon unterwegs«, versicherte Makowski schnell. »Es kam alles so plötzlich ...«

»Hast du den Sekt kalt gestellt?«

»Natürlich«, antwortete Makowski, ohne das Gesicht zu verziehen.

Mit einem kleinen Räuspern machte sich Volprecht bemerkbar. Der weißhaarige Anwalt hatte Heinen persönlich am Untersuchungsgefängnis abgeholt.

»Haftverschonung ist kein Grund zum Feiern«, mahnte er.

Heinen fuhr herum. Sein fleischiges Gesicht mit den tiefen Falten verriet versteckte Grausamkeit, die auch der breite, zu einem starren Lächeln verzogene Mund nicht zu mildern vermochte.

»Ich gehe nie wieder rein, nie wieder, verstehen Sie?« Seine Stimme kam wie ein tiefes Grollen aus der breiten Brust, die selbst einen abgebrühten Mann wie Bernd Makowski frösteln ließ.

»Wir dürfen auch die Möglichkeit einer Strafhaft nicht von vornherein ausschließen«, sagte der Anwalt unbeirrt.

Heinen wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, eine Geste, die mehr als Nervosität verriet.

»Ich dachte, es sei alles erledigt? Adolphis Unfall ...« Er sah Makowski an. »Wann ist die Beisetzung?«

»Morgen Vormittag um elf«, antwortete Makowski.

»Besorg mir einen Kranz!«

»Ja, Chef.«

»Den größten, den sie je gemacht haben, verstanden?« Heinen wandte sich an Volprecht. »In welcher Form können wir für die Witwe sorgen?«

»Ich bin der Ansicht, Adolphi hat genug verdient, um Rücklagen geschaffen zu haben. Und dann hat sie ja noch die Rente ...«