Mördertränen: Thriller

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Mördertränen: Thriller
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Mördertränen: Thriller

Alfred Bekker

Published by Cassiopeiapress Extra Edition, 2018.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Mördertränen

Copyright

Die Hauptpersonen des Romans:

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Impressum neobooks




Mördertränen


Alfred Bekker

Ein packender Thriller!

Ermittler Barry Dvorkin ist vom Schicksal arg gebeutelt worden. Seine Frau liegt nach einem Verkehrsunfall im Koma, sein Sohn ist Autist. Da wird er vom Syndikat unter Druck gesetzt. Er soll dafür sorgen, dass ein paar konkurrierende Gangs ausgeschaltet werden, sonst würde seiner Familie etwas passieren. Barry Dvorkin glaubt zunächst, keine Wahl zu haben, als zu tun, was man von ihm verlangt...




Copyright


Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de




Die Hauptpersonen des Romans:


Barry Dvorkin - Special Agent beim FBI.

Jaden Hecker - Special Agent beim FBI

Kellerman - ihr Vorgesetzter

Valentina - die ‘schwarze Witwe aus Brooklyn’ führt nach dem Verschwinden ihres Mannes ein Syndikat an.




1


Als ich an diesem Tag nach Hause kam, hatte ich schon so eine Ahnung, dass was nicht stimmte.

Manchmal ist das so.

Da hat man das einfach im Gefühl.

Ein bulliger Typ stand in meinem Wohnzimmer und hielt mir eine Waffe ins Gesicht.

“Keine Bewegung”, sagte er.

Er hatte einen Akzent. Russisch, Ukrainisch oder einfach Brooklyn. Denn in Brooklyn gibt es inzwischen eine verdammt große Kolonie von Ukrainern und Russen.

Er nahm mir meine Waffe ab.

Mein Drehsessel drehte sich scheinbar von alleine herum.

Eine Frau in einem enganliegenden schwarzen Kleid saß darin. Die Beine waren übereinandergeschlagen. Die Brüste waren sehr groß und wahrscheinlich ziemlich kostspielig gewesen. Dafür sparte sich die Lady vermutlich für die nächsten Jahre den BH.

Ihr Haar war hochgesteckt. Und das Lächeln, dass jetzt um ihre vollen, etwas künstlich aufgeplusterten Lippen erschien, wirkte aus mehreren Gründen fies.

Einmal wirkte es einfach gehässig und falsch.

Aber das ist menschlich, wenn auch unangenehm.

Der zweite Grund, warum es fies wirkte, war der offenkundige Botox-Missbrauch. Wieso eine Frau in vergleichsweise jungen Jahren schon mit diesem Mist anfängt, kann ich ehrlich gesagt nicht verstehen. So fies wie ein gefrorenes Joker-Grinsen können die Falten einer Dreißigjährigen eigentlich kaum sein, so dass man so eine Behandlung in irgendeiner Weise ästhetisch rechtfertigen könnte.

Aber das ist natürlich Geschmacksache.

Manche Frauen fühlen sich so eben schöner.

Dass ihre Gesichter starre Masken werden, nehmen sie in Kauf.

Die Frau sagte: “Darf ich Sie Barry nennen, Barry Dvorkin?”

“Wie darf ich Sie denn nennen?”

“Sie wissen doch, wer ich bin. Und falls nicht, können Sie in Ihren Datenbanken nachsehen. Ich bin sicher, dass Sie etwas über die schwarze Witwe von Brooklyn finden...”

“... die ihren verschwundenen Mann in der Führung des Ukrainer-Syndikats beerbt hat”, vollendete ich.

“Nennen Sie mich einfach Valentina.”

“Ich nennen Sie einfach Arschloch, solange der bullige Typ da vorne seine Waffe auf mich richtet.”

“Victor, bitte!” Valentina machte eine Handbewegung und der bullige Typ senkte seine Waffe.

“Was wollen Sie von mir, Valentina?”

“Sie sind ein Cop.”

“Kann man so sagen.”

“Special Agent Barry Dvorkin von FBI!”

“Ich sehe, Sie haben sich informiert.”

“Das Schicksal hat Sie ganz schön mitgenommen in letzter Zeit.”

“Ach, jetzt behaupten Sie aber nicht, dass Sie jetzt aus Mitgefühl darauf zu sprechen kommen.”

 

“Ihre Frau hatte einen Verkehrsunfall. Seitdem liegt sie in der St. Joseph’s Klinik im Koma.”

“Sie scheinen mich ja richtig ausspioniert zu haben, Valentina.”

“Ihr Sohn ist 14 und Autist. Er lebt in einer spezialisierten Einrichtung, die dafür sorgt, dass er sein tägliches Leben bewältigt und ein Mathematikstudium an einer Online-Universität aus dem Silicon Valley absolvieren kann. Vermutlich hat er einen Doktor-Titel bevor er volljährig ist - aber er wäre nie in der Lage die U-Bahn zu benutzen, geschweige denn auf eine normale High School zu gehen.”

“Worauf wollen Sie hinaus?”

“Sie wissen, dass ich viele Leute kenne. Leute, die mir einen Gefallen schulden und und die wiederum andere Leute kennen.”

“So etwas nennt man organisiertes Verbrechen.”

“So etwas nennt man ein Netzwerk.”

“Wie auch immer.”

“Es könnte sein, dass eine Putzfrau oder ein Therapeut in der behüteten Einrichtung zu diesem Netzwerk gehört, in der Ihr Sohn ist.”

“Ach!”

“Und es könnte auch sein, dass die Krankenschwester, die Ihrer Frau den Infusionsbeutel wechselt dazugehört.”

Meine Augen wurden schmal.

Langsam begriff ich, worauf das alles hinauslief.

“Sie wollen mir drohen.”

“Ich will Ihnen bloß klarmachen, wie Ihre Lage ist, Barry. Ich darf Sie doch so nennen, oder?”

“Wenn Sie meiner Frau oder meinem Sohn etwas tun, bringe ich Sie um, Valentina!”

“Aber Barry! So etwas aus ihrem Mund! da haben Sie sich anscheinend ein bisschen vergessen. Das ist doch gegen das Gesetz, habe ich mir sagen lassen.”

Sie grinste.

Sie grinste so schief und botoxgefroren, dass Jack Nicholson als Joker dagegen wie ein freundlicher Zeitgenosse gewirkt hätte.

Dann fuhr sie fort: “Ich will, dass Sie für uns arbeiten, Barry. Dann kann ich dafür garantieren, dass weder Ihrer Frau noch Ihrem Sohn etwas passiert.”

“So habe Sie sich das also gedacht...”

“Ich weiß, was jetzt in Ihnen vorgeht, Barry. Sie sind wütend auf mich. Sie würden mir am liebsten an die Gurgel gehen. Sie verfluchen die Umstände, aber die sind nunmal so, wie sie sind: Sie können Ihre Frau nicht in Sicherheit bringen, weil sie nicht transportfähig ist. Und Sie können Ihren Sohn nicht einfach in einer anderen Einrichtung unterbringen, weil es ihn um Jahre zurückwerfen würde, wenn er plötzlich nicht mehr in seiner gewohnten Umgebung wäre. Es tut mir wirklich Leid für Sie.”

“Sie können mich mal”, sagte ich.

Sie schlug die Beine übereinander.

Provozierend.

“Sie können mich mal, Valentina”, sagte sie. “Ich würde es gerne hören, wenn Sie mich Valentina nennen.”

“Vielleicht bleibe ich wirklich besser bei Mrs Arschloch. Aber mir fallen bestimmt noch ein paar nettere Bezeichnungen für so ein Stück Dreck ein!”

“Sie enttäuschen mich, Barry. Ich dachte, Sie wären ein Mann, der die Realitäten schnell anerkennt. Ich dachte, Sie wären trotz all Ihrer schwer erträglichen Rechtschaffenheit jemand, der sich vielleicht erstmal anhört, was er tun muss, damit all die schrecklichen Dinge, die Sie sich jetzt gerade in Ihrem Kopf ausmalen, gar nicht erst passieren.”

“Ach, ja?”

“Sie sollen für mich arbeiten, Barry. Es geht um ein paar Gangs, die in letzter Zeit sehr schädlich für unsere Geschäfte waren.”

“Was Sie nicht sagen.”

“Ich will, dass ein paar Leute dauerhaft aus dem Spiel genommen werden. Es sind Leute, die es verdient haben. Abschaum. Tätowierte Killer!”

“Sie sprechen von den Mara-Gangs?”

“Ich will, dass sie zerschlagen werden. Und soweit ich weiß, arbeiten Sie sowieso daran. Also machen Sie Ihren Job!”

“Okay.”

“Sagen Sie Okay, Valentina.”

Ich zögerte.

“Okay, Valentina.”

Sie erhob sich und trat nahe an mich heran. “Es geht doch!” Sie schnippste mit den FIngern. Der bullige Typ griff in die Tasche und holte ein Smartphone hervor. Das gab er Valentina. Und Valentina gab es mir.

“Was soll das?”

“Über das Ding bleiben wir in Kontakt. Benutzen Sie zu Ihrerer eigenen Sicherheit nur dieses Gerät. Und dann gibt es da noch ein paar zusätzliche Informationen für Sie... Hören Sie mir genau zu, denn ich werde nichts wiederholen.”

Ich wusste, dass mir keine andere Wahl blieb.

“Ich höre Ihnen zu”, sagte ich.

“Ich höre Ihnen zu, Valentina!”, korrigierte sie mich.

“Ich höre Ihnen zu, Valentina.”

“Es wird noch was mit uns, Barry. Da bin ich mir ganz sicher. Ach, grüßen Sie übrigens Ihren Kollegen von mir - Mr Jaden Hecker.”

“Den kennen Sie auch?”

“War eine Bordellrazzia vor einigen Jahren. Damals war ich noch nicht die schwarze Witwe von Brooklyn.”

“So?”

“Damals war ich noch nichtmal eine Ehefrau. Ich wurde damals wegen Prostitution angeklagt und mein späterer Ehemann hat meinen Anwalt bezahlt. Wer weiß, ich hätte ihn sonst vielleicht nie kennengelernt. In gewisser Weise bin ich Ihrem Kollegen also zu Dank verpflichtet. Aber vielleicht sprechen Sie Ihn besser nicht darauf an.”

“Warum nicht?”

“Er wird sich kaum an mich erinnern.”

Wenn sie damals noch kleine Brüste und kein durch Botox entstelltes Gesicht gehabt hatte, mochte das sogar zutreffen.

Sie fuhr fort: “Abgesehen davon, wäre es ihm vielleicht peinlich.”

“Wieso?”

“Weil er keine Hose anhatte, als die Razzia begann. Er war nämlich nicht dienstlich dort.”

Ich atmete tief durch.

Das war eine Botschaft aus der Rubrik ‘Dinge, die ich über Kollegen nie wissen wollte’.




2


Ich besuche meinen Sohn regelmäßig und so oft es meine Zeit zulässt. Diesmal zeigte er mir etwas, das er gefunden hatte.

Es war ein Buch.

Eine Sammlung mit mathematischen Formeln, wie ich sah.

Dafür interessiert er sich besonders.

Das Buch war schon älter.

Es sah aus, als hätte es jemand aus einer Bibliothek entliehen und nicht zurückgegeben.

“Schau mal!”

Ich schlug es auf.

>Herzliche Grüße... von Valentina!<, stand da.

Es war wie ein Schlag vor den Kopf. Das konnte kein Zufall sein. Das war eine Drohung.

“Woher hast du das?”

“Gefunden.”

“Wo... gefunden!”

“Es lag auf dem Nachttisch. Es lag einfach da. Ich weiß nicht wieso. Es lag einfach da. Ich kann schon die Hälfte auswendig.”

“Wann lag es da?”

“Heute Morgen, als ich aufgewacht bin. Toll, nicht?”

Ich atmete tief durch.

“Ja, eine tolle Sammlung”, sagte ich.




3


Meine Frau liegt im Koma. Ob sie je wieder aufwacht, weiß ich nicht. Ob sie überhaupt schläft, weiß ich nicht. Es kann durchaus sein, dass sie alles mitbekommt.

Also komme ich zu ihr, so oft es geht und spreche mit ihr.

Ich habe immer alles mit ihr besprochen.

Also habe ich einfach nicht damit aufgehört.

Ich könnte sagen, dass ich es ihretwegen tue. Denn wenn man sich vorstellt, in einem Bett zu liegen, sich nicht bewegen zu können und alles mitzubekommen und dann niemand einen zur Kenntnis nimmt, niemand mit einem spricht, das muss schrecklich sein.

Aber die Wahrheit ist, ich tue es nicht nur ihretwegen.

Ich tue es auch meinetwegen.

Denn ich brauche das. Dieses Gegenüber, dem ich alles sagen, alles erzählen kann.

Wenn ich einen schwierigen Fall habe.

Wenn irgendwas nicht so läuft, wie es sollte.

Es ist die ganz große Liebe.

Immer noch.

Ich sage: “Ich denke oft daran, wie uns kennengelernt haben. Damals. Wir waren sechzehn und in der High School. Es war im Französisch-Unterricht. Ich saß in der Reihe vor dir - neben einem anderen Mädchen, mit dem ich lange und sehr gut befreundet gewesen bin. Ich drehte mich zu dir um. Unsere Blicke trafen sich. Ich weiß noch, wie du mich angesehen hast. Das war war wie eine Naturgewalt. Die Lehrerin musste mich ermahnen, jetzt aufzupassen. Ich glaube, sowas nennt man ein klassisches Teenager-Drama. Diese Faszination hat nie nachgelassen.”

Ich stelle mir vor, dass sie antwortet.

Wenn ich bei ihr sitze, höre ich sie reden.

So, wie sie es immer getan hat.

Ich höre ihre samtene Stimme und, die mich vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen hat.

Und dann zucke ich zusammen, denn ich sehe einen Schatten, links von mir.

Ich greife zur Dienstwaffe, reiße sie raus.

“Keine Bewegung! FBI!”, rufe ich.

Der Mann hat einen dunklen Bart.

Er starrt mich mit großen Augen an.

Seine Bewegung ist erstarrt.

Er wirkt wie schockgefroren.

Ich brauche einen Moment, bis ich begreife, dass er die Kleidung der Krankenpfleger trägt.

Aber das muss nichts heißen.

“Ich bin die Nachtschicht”, sagt er, etwas verstört. “Mister Dorkin, Sie waren offenbar so vertieft in Ihr...Gespräch, dass Sie nicht gemerkt haben, wie ich hereinkam.”

Jetzt erkenne ich ihn wieder.

Wir sind uns tatsächlich schon öfter begegnet. Kann trotzdem sein, dass er einer von Valentinas Bluthunden ist. Jeder könnte das sein.

Und jeder könnte das werden. Für ein paar Dollar oder für einen Koffer voll davon. Für Valentina spielt das keine Rolle. Sie weiß, dass jeder käuflich ist. Sie war schließlich mal eine Hure. Wer sollte das besser wissen als sie?

Ich senke die Waffe.

“Entschuldigen Sie”, sage ich.

“Ich habe einen ganz schönen Schreck bekommen, Mister Dvorkin.”

“Es tut mir wirklich sehr Leid.”

“Schon gut.”

“Ich war vielleicht einfach etwas... überreizt.”

“Ja, vielleicht...”

Ich stecke die Waffe zurück ins Holster.

Für einen Moment denke ich darüber nach, dass dieser Krankenpfleger einen Teil dessen mitbekommen hat, was ich gesagt habe.

Einen Teil des Gesprächs mit meiner Frau, das, wie ich leider zugeben muss, für einen unabhängigen Betrachter wohl etwas einseitig wirken muss.

Aber das alles war mir ein paar Augenblicke später bereits ziemlich egal.




4


Als ich die Klinik verließ, bekam ich eine Nachricht auf das Smartphone, dass Valentina mir gegeben hatte.

 

>Ich bin in Gedanken immer bei Ihnen, Barry. Immer. Und ich weiß, was Sie tun.<

Dieses Miststück, dachte ich. Dieses verdammte Miststück!

Was mich am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass sie mich vollkommen in der Hand hatte.

Wer jemanden liebt, ist verwundbar.

So einfach ist das.

Und es gibt Schweinehunde, die das auszunutzen wissen.

Ich bin ziemlich furchtlos veranlagt.

Eigentlich zumindest.

Und ich kann eigentlich auch nicht sagen, dass ich das Risiko scheuen würde.

Aber wenn es um die Familie geht, ist das etwas anderes.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich aus dieser Klemme wieder herauskommen sollte.

Im Moment hatte ich nur eine Wahl.

Ich musste tun, was man mir sagte.

Bedingungslos.

Und obwohl es allem widersprach, woran ich glaubte und wofür ich einzustehen bereit war.




5


„Ah, ist das scharf!“, meinte Jaden und verzog das Gesicht. Wir saßen in einer Filiale von 'Tapas Mexicanas“, einer Kette mit Latino Fast Food in Spanish Harlem. Auch wenn ansonsten in diesem Teil New Yorks Puertoricaner, Exilcubaner und Einwanderer aus anderen lateinamerikanischen Ländern den Ton angaben, waren die Gäste hier durchaus bunter gemischt. Das lag wohl an der unmittelbaren Nähe der Columbia University, die wie eine Insel des weißen, angelsächsisch-protestantischen Amerika in diesem Latino-Stadtteil wirkte.

Eigentlich warteten wir auf einen Informanten namens Norman Echeveria. Aber Echeveria war schon seit einer halben Stunde überfällig und normalerweise konnte man sich, was die Pünktlichkeit betraf, auf ihn verlassen.

Echeveria besaß einen Friseursalon zwei Straßen weiter. Jeden Tag um fast genau 18.00 Uhr ging er in diese Filiale von „Tapas Mexicanas“, um seine Portion Chili zu essen. In unregelmäßigen Abständen sprachen ihn dann Kollegen unseres Field Office dort an. Echeveria war Anfang siebzig, ein alter Mann, der seine Altersversorgung während des letzten Banken-Crashs verloren hatte und darum gezwungen war, seinen Laden so lange weiter zu führen, bis er keine Schere mehr halten konnte.

Vor drei Jahren waren er und seine Frau bei einer Schießerei zwischen den rivalisierenden Gangs Mara 13 und Mara 18 schwer angeschossen worden. Die beiden waren völlig unbeteiligt gewesen. Seitdem humpelte Norman Echeveria. Seine Frau hatte es schlimmer erwischt. Sie war ihren Verletzungen erlegen. Seitdem hatte Echeveria keine Angst mehr. Vor niemandem. Regelmäßig versorgte er uns mit Informationen aus dem Umkreis dieser weltweit operierenden Gangs, die von der FBI-Zentrale in Washington inzwischen als transnationale kriminelle Bedrohung eingestuft wurden. Drogenhandel, Prostitution, Glücksspiel, Waffen, Schutzgeld und illegale Müllentsorgung – alles, womit sich viel Geld verdienen ließ, gehörten zum Geschäftsfeld dieser straff organisierten Gangs, die für ihre Verschwiegenheit, ihre außergewöhnlich brutalen Einstiegsrituale und vor allem ihren kompromisslosen Umgang mit jedem, den sie für einen Verräter hielten, bekannt waren.

Äußerlich waren sie an ihren Tätowierungen erkennbar.

Einer solchen Gang gehörte man sein Leben lang an. Die einzige Möglichkeit des Ausstiegs war der Tod oder das Zeugenschutzprogramm des FBI. Allerdings traute letzterem kaum einer.

Es war ausgesprochen schwierig, verdeckte Ermittler einzuschleusen. Eigentlich kamen dafür nur angeworbene Gang-Mitglieder in Frage, die aussteigen wollten. Aber so etwas war selten – und davon abgesehen hatten die Betroffenen dann zumeist nur noch eine sehr kurze Lebenserwartung, wenn ihr Doppelspiel aufflog. Das Risiko ging kaum jemand ein. Die einzelnen Untergruppen der Gangs bestanden ausschließlich aus Mitgliedern, die in denselben Straßenzügen groß geworden waren und sich oft seit frühester Kindheit kannten. Jemand, der von außen kam, hatte keine Chance, sich ihr Vertrauen zu erwerben. Das brutale Einstiegsritual bestand darin, sich mehrere Minuten lang von allen Gang-Mitgliedern verprügeln zu lassen, ohne sich zu wehren. Für Frauen gab es wahlweise auch die Möglichkeit, sich von mindestens drei Mitgliedern vergewaltigen zu lassen.

Aber das war nur der Einstieg. Richtig dazu gehörte man erst, wenn man sich seine erste Träne verdient hatte – das Zeichen dafür, dass man bereit gewesen war, für die Gang zu töten. Manchmal wurden dafür willkürliche Opfer ausgesucht – aber für den Täter gab es dann kein Zurück mehr. Der erste Mord kettete ihn auf ewig an die Gang. An seine Mitwisser und Komplizen. Wie eine in das Fleisch geritzte Kriegsbemalung trugen sie ihre Tätowierungen und jeder, der sie ansah und einigermaßen Bescheid wusste, wie die Dinge in Spanish Harlem liefen, konnte ihnen ansehen, was sie auf dem Kerbholz hatten. Das verbreitete Angst. Und genau darauf kam es Gangs wie Mara 13 an. Das tätowierte Gesicht eines Mara war nichts anderes als eine deutlich für jedermann sichtbare Drohung.

Die meisten Bewohner der betroffenen Viertel ließen sich einschüchtern und schwiegen. Es häuften sich bei uns im FBI Field Office New York die Fälle, in denen ein Verbrechen auf offener Straße geschah und es nicht einmal jemand wagte, die Kollegen der City Police zu verständigen.

Eine Schwäche hatten die Maras allerdings. Sie waren eitel und gingen häufig zum Friseur. Manche ließen sich den Schädel ganz kahl rasieren, um Platz für Tattoos zu haben, andere bevorzugten Schnitte, bei denen nur ein mehr oder weniger breiter, sehr exakt begrenzter Haarstreifen auf dem Kopf übrig blieb. Beim Friseur unterhielten sich die Marabuntas ziemlich ungehemmt - und einen alten Mann wie Norman Echeveria nahmen sie ohnehin nicht ernst. Sie gingen einfach davon aus, dass er genauso von seiner Furcht in Schach gehalten wurde, die die meisten anderen.

Und so war es wiederholt vorgekommen, dass Echeveria einiges mitbekommen hatte, was für die Ermittlungsarbeit von großem Nutzen gewesen war.

Ich sah auf die Uhr.

„Der kommt nicht mehr“, stellte ich fest.

Mein Kollege Jaden Hecker schob den Teller mit dem Chili ein Stück von sich weg und nahm einen tiefen Schluck Mineralwasser. Ich hatte wenig Mitleid mit ihm. Schließlich hatte ich ihn gewarnt. Das Chili bei „Tapas Mexicanas“ war wirklich extrem scharf.

„Meinst du, wir sollten mal bei seinem Laden vorbeischauen, ob alles in Ordnung ist?“, fragte er.

„Damit würden wir ihn kompromittieren.“

„Ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn wir unauffällig bleiben, könnten wir doch mal bei ihm vorbeischauen.“

„Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist.“

„Echeveria könnte in Schwierigkeiten sein.“

„Na gut.“

Wir standen auf und verließen das „Tapas Mexicanas“. Unser Dodge stand nur wenige Meter entfernt. Wir stiegen ein und fuhren noch einen Umweg, der sich aufgrund der Einbahnstraßen leider nicht vermeiden ließ, etwa eine Viertelstunde später an Norman Echeverias Friseurgeschäft vorbei – so langsam wie möglich, ohne dabei besonders aufzufallen.

Der Laden war geschlossen. Und zwar offenbar dauerhaft. Die Tür war mit Holzplatten vernagelt, die Fenster blickdicht verhängt und es hing ein Schild mit der Aufschrift „For Sale“ davor.

„Halt mal hier irgendwo an und lass mich raus!“, forderte Jaden. „Dann fahre einmal um den Block und hol mich wieder ab.“

„Aber...“

„Das stinkt doch zum Himmel!“

„Echeveria hat sich ja nicht ausdrücklich mit uns verabredet!“

„Aber dieser Mann führt ein Leben wie ein Uhrwerk! Und jetzt so etwas!“

„Vielleicht will er einfach seinen Lebensabend irgendwo anders genießen, als in Spanish Harlem. Da muss er uns ja nicht unbedingt vorher einweihen, oder?“

„Mir gefällt das trotzdem nicht!“

Ich ließ Jaden am Straßenrand aussteigen und fuhr dann weiter. Während ich eine Runde um den Block drehte, erreichte mich über Handy ein Anruf unseres Field Office, den ich über die Freisprechanlage entgegennahm.

Am Apparat war Mr John D. Kellerman, unser Chef.

„Barry, ich nehme an, Ihr Treffen mit Norman Echeveria ist bereits beendet.“

„Es hat nicht stattgefunden, weil er nicht aufgetaucht ist“, erwiderte ich. „Sein Laden steht überraschenderweise zum Verkauf. Unser Informant scheint in seiner Lebensplanung eine sehr plötzliche Veränderung vorgenommen zu haben.“

„Oh“, entfuhr es unserem Chef. Weitergehend dokumentierte er diese Neuigkeit nicht. Sie war ein einzelnes Puzzleteil in unseren Ermittlungen gegen die Mara Salvatrucha, wie die vollständige Bezeichnung der Mara 13 eigentlich lautete. Wie dieses Puzzleteil einzuordnen war, musste sich erst noch erweisen.

„Ich nehme aber an, dass Sie immer noch in Spanish Harlem sind“, sagte Mr Kellerman dann, nach kurzer Pause. Ich konnte durch die Freisprechanlage hören, wie Mr Kellerman in seinem Büro von jemandem angesprochen wurde und erkannte die Stimme von Helen, seiner Sekretärin.

„Wir sind immer noch in Spanish Harlem“, bestätigte ich.

„Ganz in Ihrer Nähe hat es einen Mordanschlag gegeben. Ein Mara 13-Mann wurde bei seinem Tätowierer erschossen. Die Kollegen der City Police sind bereits dort.“

„Schon unterwegs!“, versprach ich.

Dann bekam ich eine Nachricht auf meinem Zweithandy.

Eine Nachricht von Valentina.

>Ich hoffe, die Sache geht voran<, stand da.

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