Killer ohne Reue: Ein Jesse Trevellian Thriller

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Killer ohne Reue: Ein Jesse Trevellian Thriller
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Alfred Bekker

Killer ohne Reue: Ein Jesse Trevellian Thriller

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

Teil 6

Teil 7

Teil 8

Teil 9

Teil 10

Impressum neobooks

Teil 1

New York 1998

Blutrot züngelte das Mündungsfeuer aus dem Schalldämpfer einer Automatik heraus. Der Schuss war kaum zu hören. Es machte einmal kurz 'Plop!', und der knurrende deutsche Schäferhund wand sich am Boden. Ein kurzes Zucken und das Tier lag reglos auf dem kalten Asphalt.

Der uniformierte Wachmann riss die Maschinenpistole hoch. Das Gesicht des Mannes war schreckgeweitet. Noch ehe der Security-Mann seine Waffe abfeuern konnte, ploppte es ein zweites Mal.

Auf der Stirn des Wachmanns bildete sich ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Der Mann wankte. Dann schlug er der Länge nach hin. Schwer kam er auf dem Asphalt auf.

Zwei Maskierte traten aus der Dunkelheit der Nacht heraus.

Sie trugen dunkle Kleidung und Sturmhauben, die nur die Augen freiließen. Der eine war mit einer Automatik bewaffnet, auf deren Lauf sich ein langgezogener Schalldämpfer befand. Über der Schulter hing eine Sporttasche.

Der andere trug eine MPi vom Typ Uzi.

Der Mann mit der Automatik deutete auf den toten Wächter.

"Wir müssen den Toten dort wegziehen. Er liegt genau im Licht", wisperte er.

"Okay."

Sie gingen auf die Leiche zu, fassten sie an den Armen und schleiften sie aus dem Lichtschein heraus, der von den Außenleuchten des dreistöckigen Gebäudekomplexes ausging.

MADISON GEN-TECH stand in großen Neonbuchstaben auf dem Flachdach des quaderförmigen Komplexes.

Sie legten den Toten in den Schatten eines großen Blumenkübels. Mit dem Hund machten sie dasselbe.

Der Gebäudekomplex war weiträumig durch einen hohen Zaun abgeriegelt. Bis zu der Stelle, an der die beiden Maskierten auf das Gelände der Firma MADISON GEN-TECH gelangt waren, hatten sie noch eine beachtliche Distanz hinter sich zu bringen. Fast vierhundert Meter, auf denen ihr einziger Schutz die Dunkelheit war.

Sie konnten von Glück sagen, dass ihnen der Wachmann erst auf dem Rückweg über den Weg gelaufen war.

Der schwierigste Teil des Jobs war längst erledigt...

Jetzt mussten sie nur noch zusehen, dass sie das MADISON GEN-TECH-Gelände genauso unbemerkt wieder verließen, wie sie es betreten hatten.

Sonst war am Ende alles umsonst.

Wenn jemand den toten Wachmann entdeckte, dann war hier von einer Sekunde zur nächsten der Teufel los. Große Scheinwerfer würden umherschwenken und das Gelände absuchen. Das durfte nicht geschehen.

"Komm", sagte der Mann mit der Automatik.

Seine Linke presste die Sporttasche an den Oberkörper.

Er wollte bereits zu einem Spurt ansetzen.

Aber bevor es dazu kam, erstarrte er mitten in der Bewegung.

"Stehenbleiben, Waffe fallen lassen!", rief eine heisere Stimme.

Zwei Wachmänner mit gezogenen Revolvern standen kaum ein Dutzend Meter von den beiden Maskierten entfernt. Einer der Wachleute murmelte etwas in ein Walkie-Talkie hinein.

Der Maskierte mit der Uzi zögerte keine Sekunde. Er ballerte einfach drauflos. Einer der Wachmänner schrie auf und sank getroffen zu Boden. Der andere warf sich zur Seite, schoss seinen Revolver zweimal ab ohne zu treffen.

Eine Alarmsirene ertönte.

Die Scheinwerfer kreisten...

Hundegebell drang durch die Nacht.

Genau jenes Szenario war eingetreten, das die beiden Maskierten zu vermeiden gesucht hatten.

"Los, zum Tor!", schrie der Maskierte mit der Schalldämpfer-Waffe heiser.

Das Haupttor lag in genau entgegengesetzter Richtung zu der Stelle, an der die beiden Männer durch den Zaun gestiegen waren. Aber es war einfach näher. Erheblich näher.

Und das konnte unter Umständen die Rettung sein.

Sie rannten los, quer über einen vollkommen freien, asphaltierten Platz, der tagsüber als Parkplatz für die MADISON GEN-TECH-Mitarbeiter diente.

Die beiden Maskierten rannten und schossen dabei wild um sich.

Das Hundegebell wurde lauter.

Die Security-Leute schossen zurück. Von verschiedenen Seiten waren Stimmen zu hören. Dann Motorengeräusche. Ein Wagen wurde angelassen. Die Scheinwerfer hatten die Flüchtenden ständig in ihrem unbarmherzigen hellen Kegel.

Einer dieser Scheinwerfer wurde durch den Geschosshagel aus der Uzi zerfetzt.

Jede Laterne, die der Maskierte erwischen konnte, wurde zerschossen.

Es wurde etwas dunkler.

Der Kerl mit der Automatik holte ein Funkgerät aus seiner Jackentasche heraus.

"Zum Haupttor, Tom", flüsterte er. "Hast du gehört? Zum Haupttor!"

"Okay", kam es aus dem Funkgerät zurück.

Der Maskierte sagte: "Nicht dicht heranfahren, hörst du? Es wird einen ziemlichen großen Knall geben..."

Sie hatten das Tor erreicht und keuchten.

Der Mann mit der Uzi drehte sich um, riss das Magazin aus der Waffe und tauschte es gegen ein Neues aus. Von allen Seiten waren jetzt die Gestalten von Wachmännern zu sehen.

Sie führten Hunde und MPis bei sich.

Ein Jeep brauste heran.

Der Mann mit der Uzi zögerte nicht lange.

Ein Feuerstoß aus seiner Waffe ließ die Vorderreifen des Fahrzeug kurz hintereinander zerplatzen. Der Fahrer bremste, hatte Mühe die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten...

"Nun mach endlich!", schrie der Kerl mit der Uzi seinen Komplizen an.

Dieser holte einen quaderförmigen Gegenstand aus der Innentasche seiner Jacke. Er riss ein Stück Schutzfolie von einem Klebestreifen herunter und brachte das Ding am Schloss des Haupttores an. Dann zog er an einem Metallring einen Bolzen aus dem quaderförmigen Gegenstand heraus.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin traten beide Maskierte einen Schritt zurück.

Eine Detonation folgte.

Grell schlugen die Flammen empor. Eine Welle aus Druck und Hitze verbreitete sich. Das Tor sprang auf. Mit einem Fußtritt öffnete es der Mann mit der Automatik, während sein Komplize wild mit der Uzi herumballerte. Er hielt die Wachleute auf Distanz.

Ein Wagen tauchte aus der Dunkelheit heraus auf.

Die beiden Maskierten rannten darauf zu.

Der Mann mit der Automatik blieb kurz stehen und schleuderte den Verfolgern einen eiförmigen Gegenstand entgegen. Die hatten überhaupt keine Chance, rechtzeitig zu erkennen, worum es sich handelte.

Um eine Handgranate.

Die Detonation war furchtbar. Ein mörderischer Flammenpilz machte für schreckliche Sekunden die Nacht zum Tag. Schreie gelten durch die kalte Nacht.

Die Maskierten hatten indessen den Wagen erreicht. Sie rissen die Türen auf, stiegen ein. Mit quietschenden Reifen brauste der Wagen davon.

*

Der Tatort lag im nördlich der Bronx gelegenen New Rochelle. Mitten in der Nacht hatte man mich und meinen Kollegen Milo Tucker aus dem Schlaf geklingelt und zusammen mit einigen weiteren Special Agents des FBI hier her geschickt.

Per Telefon hatte ich nur das Nötigste erfahren.

Unbekannte hatten einen Überfall auf das Gelände der Firma MADISON GEN-TECH verübt.

Ein Fall, der möglicherweise die nationale Sicherheit berührte.

Genaueres würden wir am Tatort erfahren.

Wir gehörten zu den Letzten, die dort eintrafen. Unsere Kollegen Agent Orry Medina und Clive Caravaggio erwarteten uns bereits, als wir das MADISON-Gelände betraten.

Das Gelände war von Uniformierten geradezu hermetisch abgeriegelt worden. Teilweise handelte sich dabei um Polizeikräfte, aber es waren auch Angehörige eines privaten Sicherheitsdienstes anwesend, der offenbar dafür zu sorgen hatte, dass sich keine Unbefugten auf dem Firmengelände von MADISON GEN-TECH aufhielten.

Einige Männer in weißen Seuchenschutzanzügen erregten meine Aufmerksamkeit. Da die Anzüge das Firmenemblem von MADISON GEN-TECH trugen, nahm ich an, dass es sich um Angestellte handelte.

"Habt ihr schon irgendeinen Schimmer, was hier los ist, Orry?", wandte ich mich an Agent Medina.

"Fest steht nur, dass mindestens zwei Täter auf das Firmengelände vorgedrungen sind und wild um sich geballert haben, als sie bemerkt wurden. Einer der Wachleute ist ermordet worden. Außerdem haben wir mehrere verletzte Wachmänner."

"Weiß man, was die Täter hier gesucht haben?", fragte Milo.

"Sie sind in die Labors eingedrungen", meinte Orry.

 

Mir gingen die Seuchenschutzanzüge nicht aus dem Kopf.

Wenn das die normale Dienstkleidung in den Labors von MADISON war, dann konnte das nur bedeuten, dass dort mit hochgefährlichen Substanzen umgegangen wurde...

Inzwischen trafen weitere FBI-Agenten ein. Spurensicherer vor allem. Das gesamte Gelände musste genauestens abgesucht werden, damit wir auch dem kleinsten Hinweis auf die Täter nachgehen konnten.

Als Milo und ich das MADISON-Gebäude betreten wollten, wurde uns von einem Mann im grauen Anzug und dicker Brille der Zugang verwehrt.

"Sie können hier nicht durch", sagte er und fuchtelte dabei mit den Armen herum. An seinem Revers befand ich eine ID-Card mit Lichtbild und Namen. Danach hieß er Dr. John Tremayne.

Ich hielt ihm meinen Dienstausweis entgegen.

"Special Agent Jesse Trevellian, FBI. Wir können hier sehr wohl hinein", sagte ich höflich, aber sehr bestimmt.

"Nein, das können Sie nicht", erwiderte Tremayne. "Jedenfalls nicht, wenn Ihnen Ihr Leben und das von vielen anderen etwas wert ist..."

"Wer sind Sie?"

"Dr. Tremayne. Ich bin in diesem Labor beschäftigt..."

Ich zuckte die Schultern. "Klären Sie mich darüber auf, was hier los ist!", forderte ich.

"Die Eindringlinge, so scheint es, sind in einen sehr sensiblen Bereich unserer mikrobiologischen Labors vorgedrungen. Einen Bereich, in dem höchste Sicherheit zwingend erforderlich ist. Wenn sie dort etwas zerstört haben, dann..."

"Woran wird dort gearbeitet?", fragte ich.

Tremayne sah mich an. Sein Gesicht wirkte faltig und kalt.

Er schien zu überlegen. Dann sagte er: "Ich weiß nicht, ob ich autorisiert bin, mit Ihnen darüber zu reden."

"Das sind Sie", erklärte ich. "Und falls Sie unsere Ermittlungen verzögern, wird das Konsequenzen haben."

Ein Mann mit Halbglatze tauchte hinter Tremayne auf. Er war recht füllig. Sein Gesicht war ernst.

Tremayne drehte sich zu ihm um.

"Dr. Ressing..."

"Es scheint alles unbedenklich zu sein", sagte Ressing. "Der Laborbereich kann betreten werden..." Er sah uns an.

"Wer...?"

Mein Ausweis beantwortete ihm seine Frage. Er nickte.

"Kommen Sie, Sir!"

*

Wir zogen hauchdünne, weiße Overalls über unsere Alltagskleidung.

Dr. Ressing lächelte matt, als er unsere skeptischen Blicke bemerkte. "Diese Anzüge sind nicht zu Ihrem Schutz. Sie sollen verhindern, dass Sie irgendwelche Mikroorganismen oder Staubpartikel in die Labors tragen, die unsere Arbeit von Jahren vernichten können." Er zuckte die Achseln.

"Leider waren diese ungebetenen Besucher weniger rücksichtsvoll..."

"Woran arbeiten Sie?", fragte ich.

"MADISON ist ein Unternehmen, das sich im Bereich der Gentechnik einen Namen gemacht hat", erklärte Ressing.

"Das ist mir klar", sagte ich. "Worum geht es hier genau?"

"Wir experimentieren mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen."

"Zu welchem Zweck?"

"Zum Beispiel, um neue Impfstoffe herzustellen!"

"Dann experimentieren Sie mit Krankheitserregern!", schloss ich.

Ressing lächelte. "Das ist richtig. Anders kann man auf diesem Gebiet keine Erfolge erzielen."

"Ich verstehe."

"Die Bakterienpräparate in unseren Labors würden ausreichen, um die gesamte USA zu entvölkern. Eine richtige Büchse der Pandora, wenn Sie wissen, was ich meine. Darum ist hier auch alles abgesichert wie in Fort Knox."

Während wir einen langen, kahlen Flur entlanggingen, kam uns ein junger Mann mit bleichem Gesicht entgegen. Er trug eine ID-Card am Kragen seines weißen Schutzoveralls.

"Dr. Ressing! Es fehlt einer der CX-Behälter", brachte er der junge Mann mit gedämpfter Stimme vor.

Auf Dr. Ressings Gesicht erschienen ein paar tiefe Furchen.

"Sind Sie sicher?"

"Irrtum ausgeschlossen, Sir!"

"Mein Gott..." Auch aus Dr. Ressings Gesicht floh jegliche Farbe. Er wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht. Das Entsetzen war ihm anzusehen. Dann blickte er auf, mir direkt in die Augen. "Ein Behälter mit Pesterregern ist von den Einbrechern entwendet worden..."

"Ist das nicht eine Krankheit aus dem Mittelalter, die inzwischen längst ausgerottet ist?", fragte ich.

"Nein, leider nicht", sagte Ressing. "Die letzte große Pestepedemie schwappte in den zwanziger Jahren von China aus nach Kalifornien über. Die Krankheit ist bis heute unter den Nagetieren Nordamerikas und Eurasiens sehr verbreitet. Aber da es kaum noch direkte Kontakte zwischen dem Menschen und Nagetieren wie Ratten und Mäusen gibt, brechen nur noch selten kleinere, regional begrenzte Epidemien aus. Ab und zu geschieht das in Afrika oder Indien. Seit Erfindung der Antibiotika ist es allerdings kein Problem, eine solche Epidemie schnell in den Griff zu bekommen."

Milo sagte: "Sie wollen uns also damit sagen, dass man sich keine Sorgen zu machen braucht..."

"Nicht ganz", meinte Ressing. Er druckste etwas herum.

Langsam aber sicher fand ich es ziemlich ärgerlich, wie wir ihm die Informationen einzeln aus der Nase ziehen mussten. Aus irgend einem Grund schien man uns bei MADISON GEN-TECH als lästig zu empfinden.

"Was hat es nun mit diesem verschwundenen Behälter auf sich?", hakte ich nach.

"Die Pesterreger waren gentechnisch verändert", erklärte Ressing.

"In welcher Weise?"

"Sie waren resistent gegen Antibiotika."

Ein Satz, den Ressing daher sagte wie ein kalter Fisch.

Keine Regung war in seinem Gesicht erkennbar.

"Das heißt, es gibt kein Gegenmittel", sagte ich. "Eine Epidemie würde sich ungehindert ausbreiten können..."

Dr. Ressing hob die Augenbrauen.

"Das wäre ein sehr ungünstiges Szenario."

Mir fiel unwillkürlich die Schießerei ein, die sich die Täter mit den Sicherheitskräften geliefert hatten. Bei dem Gedanken daran, dass dabei der Behälter hätte zerstört werden können, konnte einen nur das Grauen erfassen...

*

Am frühen Nachmittag saßen wir im Büro von Special Agent in Charge Jonathan D. McKee. Mr. McKee war der Chef des FBI-Districts New York und damit unser direkter Vorgesetzter.

Außer Milo und mir waren noch ein gutes Dutzend weiterer Agenten anwesend, dazu Spezialisten aus verschiedenen Bereichen. Der FBI hat in seinen Reihen Wissenschaftler aus fast allen Spezialgebieten.

In diesem Fall waren das neben den üblichen Spezialisten der Spurensicherung und der Ballistik vor allem Mediziner und Biologen.

Es ging darum, über erste Fahndungsmaßnahmen zu beraten.

FBI-Spezialisten untersuchten noch immer die MADISON-Labors und das Gelände. Jedes Projektil am Tatort wurde eingesammelt und von der Ballistik untersucht.

Wir hörten uns die Ausführungen von Dr. James Satory an, einem Epidemiologen von der nationalen Gesundheitsbehörde.

Während dessen warf ein Projektor das Abbild eines sogenannten CX-Behälters an die Wand, wie er bei MADISON entwendet worden war. Dr. Satorys Ausführungen nach handelte es sich um einen Behälter mit besonderen Sicherheitsstandards, der zum Transport oder der Lagerung von biologisch sensiblem Material verwendet wurde.

"Der Pest-Erreger nennt sich Yersinia Pestis und kommt ursprünglich bei Nagetieren vor", erläuterte Satory dann. "Die Übertragung von Nagetier zu Mensch erfolgt über Flöhe. Zwischen Menschen ist eine Tröpfcheninfektion möglich - wie bei einem grippalen Infekt. Bei den großen Epidemien im Mittelalter wurden ganze Landstriche entvölkert. Die Krankheit verläuft typischerweise so: Nach einer Inkubationszeit von 3-6 Tagen kommt es zu Schüttelfrost, Fieber und Lymphknotenschwellungen. Bei schwerem Verlauf kann innerhalb weniger Tage der Tod eintreten." Satorys Gesicht war sehr ernst, als er dann fortfuhr: "Ich habe hier einiges Datenmaterial vorliegen, das mir die Entwicklungsabteilung von MADISON GEN-TECH überlassen hat. Der Inhalt des CX-Behälters besteht aus Erregern, die gentechnisch verändert wurden. Das bedeutet, dass anhand von Tierversuchen verschiedene Auswirkungen dieser künstlichen Mutation nachweisbar sind: Erstens die Antibiotika-Resistenz, zweitens eine wesentlich erhöhte und beschleunigte Sterblichkeit bei den erkrankten Organismen und drittens scheint der Erreger jetzt einen biochemischen Mechanismus zu besitzen, der für eine Inkubationszeit von ungewöhnlicher Schwankungsbreite sorgt."

"Was hat das für Auswirkungen?", fragte Mr. McKee.

"Verheerende! Jedenfalls im Fall einer Epidemie. Natürlich kann man Tierversuche nicht eins zu eins auf Menschen übertragen, aber ich denke man kann folgendes sagen: Wir müssen damit rechnen, dass es einerseits Erkrankte geben wird, die innerhalb eines Tages nach der Ansteckung bereits tot sind, während andere die Krankheit möglicherweise bis zu einer Zeit von drei Jahren in sich tragen, ohne Symptome. Die veränderte Version des Pest-Erregers hat die teuflische Fähigkeit, jahrelang unter ungünstigsten Bedingungen zu überleben, um sich dann explosionsartig zu vermehren. Leider wissen wir zu wenig über den Mechanismus, von dem ich sprach, um genauere Voraussagen treffen zu können. Außer vielleicht dieser: Selbst das modernste Gesundheitswesen steht einer derart schwankenden Inkubationszeit fast ohnmächtig gegenüber, weil jede Quarantänemaßnahme ins Leere läuft." Satory deutete auf einen Stapel gehefteter Computerausdrucken. "Die wichtigsten Eigenschaften des Erregers - soweit ich die aus den Unterlagen von MADISON GEN-TECH herauslesen konnte, habe ich hier für jeden von Ihnen zusammengefasst! Eine Millionenmetropole wie New York City ist wie geschaffen für die Ausbreitung einer Pestepidemie... Und wenn man bedenkt, dass es sich um gentechnisch veränderte Yersinia Pestis handelt, dann Gnade uns Gott, falls dieser verschwundene Behälter in die Hände von Terroristen oder Fanatikern fällt... Es gibt kein Gegenmittel, die Ansteckungsgefahr ist immens und möglicherweise überlebt der Erreger sogar ohne Wirt, zum Beispiel im Abwasser. Ein Spielzeug für Wahnsinnige!"

"Es reicht schon ein Ahnungsloser", gab Milo zu bedenken.

"Ich halte diese Gefahr für eher gering", meinte Agent Nat Norton. Er war im Innendienst tätig und Spezialist für Betriebswirtschaft. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Geldströme und Firmenverflechtungen aufzudecken. Bei Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen war das ein wesentlicher Teil der Ermittlungsarbeit. "Ich fürchte sogar, dass der Behälter bereits außer Landes sein könnte."

"An allen Flughäfen und Grenzübergängen sind die Kontrollen verschärft worden", gab Mr. McKee zu bedenken.

"Dennoch", meinte Norton. "Wenn man sich fragt, wer an gentechnisch veränderten Yersinia Pestis interessiert sein könnte, dann kommt man doch als erstes auf alle diejenigen, die sich ein Arsenal von biologischen Kampfstoffen anlegen wollen, aber nicht die Möglichkeit haben, es selbst zu entwickeln."

"Mindestens zwei Dutzend Staaten mit ihren Geheimdiensten kämen also als Urheber dieses Einbruchs in Frage", stellte Mr. McKee düster fest.

"Mir fiel auf, dass die Vertreter von MADISON uns gegenüber bisher ausgesprochen zugeknöpft waren", erklärte ich. "Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie wirklich daran interessiert waren, uns die Arbeit leichter zu machen. Vielleicht würde es sich lohnen, diese Firma mal etwas zu durchleuchten."

Ein mattes Lächeln glitt über das Gesicht von Nat Norton. "Nun, ich habe schon mal zusammengetragen, was es auf die Schnelle über MADISON GEN-TECH in unsere Datenspeichern zu finden gibt. Die Aktienmehrheit wird von einem Schweizer Unternehmen mit dem Namen Fürbringer Holding in Zürich gehalten. In dieser Holding sind verschiedene Unternehmen aus dem Gen- und Biotechnikbereich zusammengefasst, außerdem pharmazeutische und chemische Betriebe in aller Welt. Wirtschaftlich gesehen ist Fürbringer allerdings alles andere als ein Riese. Aber in bestimmten Marktsegmenten haben die Unternehmen dieser Holding eine beherrschende Stellung. Uns liegen Informationen vom CIA vor, danach stehen einige Fürbringer-Tochterunternehmen im Verdacht, bei der Entwicklung von Biowaffen in verschiedenen Staaten des mittleren Ostens die Finger im Spiel gehabt zu haben."

"Gibt es einen solchen Verdacht auch gegen MADISON?", fragte ich.

Norton schüttelte den Kopf.

"Ich würde vermuten, dass MADISON GEN-TECH so etwas wie die saubere Entwicklungszentrale ist, in der das Know-how vermehrt wird - während dann andere Fürbringer-Töchter die Drecksarbeit erledigen."

 

"Aber das ist nur eine Vermutung", stellte Mr. McKee fest. "Etwas Konkretes gibt es weder gegen MADISON noch gegen Fürbringer."

"Das ist richtig", musste Norton eingestehen.

"Dieser Dr. Ressing, mit dem ich sprach, erzählte mir etwas von Impfstoffen", warf ich ein.

Norton verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.

"Einer der besten Kunden von MADISON ist unsere Regierung, Jesse! An Impfstoffen aller Art besteht überall Bedarf! Aber dasselbe Wissen, das sich für die Entwicklung solcher Seren nutzen lässt, ist genauso gut geeignet, um B-Waffen zu entwickeln. Vergessen Sie nicht, dass man diese Waffen nur wirksam einsetzen kann, wenn man eine Möglichkeit hat, die eigenen Leute zu schützen. Schließlich richten sich Bakterien nicht nach Landesgrenzen oder politischen Gesinnungen..."

*

Der Mann trug einen kleinen Ohrring und hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht. Er starrte auf den CX-Behälter, der auf dem Tisch des spartanisch eingerichteten Motels stand. Der Behälter hatte eine zylindrische Form. Oben war ein Tragegriff aus Plastik.

"Je früher wir das Ding los sind, desto besser", meinte der andere Mann im Raum.

Er hatte sich mit einer Bierdose auf eines der Betten geflezt. Neben ihm lag griffbereit eine zierlich wirkende Maschinenpistole vom Typ Uzi.

"Mach dir nicht in die Hosen, Ray!"

Ray trank die Bierdose leer und versuchte mit ihr den Papierkorb zu treffen. Die Dose ging scheppernd daneben und knallte gegen die Wand. Er setzte sich auf. "Ich versteh das nicht, Tony! Unser Mann müsste längst hier sein!"

Der Mann mit dem Ohrring sah auf die Uhr. Er zuckte die Achseln.

"Es ist jetzt Rush Hour. Die Highways sind dicht. Kein Wunder, wenn er etwas später kommt..."

"Ich hoffe nur, dass wir nicht am Ende als die Dummen dastehen, Tony!"

"Was soll das Gerede? Mann, was ist mit deinen Nerven los! Man könnte denken, dass das dein erster Job ist!"

"Der erste dieser Art jedenfalls", gab Ray zurück und deutete dabei auf den Behälter.

Es klopfte an der Tür.

Ray griff nach der Uzi, machte einen Satz nach vorn und postierte sich links neben der Tür.

Tony lockerte den Sitz der Automatik im Gürtelholster, sorge aber dafür, dass die Waffe durch seine Jacke verdeckt wurde. Er ging zur Tür, blickte durch den Spion.

"Wer ist da?", fragte Tony dann durch die hellhörige Holztür hindurch.

"Harry Smith", kam es von draußen.

Der Name war so etwas wie ein Codewort. Ray und Tony wechselten einen schnellen Blick und nickten.

"Okay", sagte Tony und öffnete.

Draußen stand ein Mann im Regenmantel. Darunter trug er einen etwas unmodern wirkenden, schlecht sitzenden Anzug.

'Harry Smith' sah sehr bieder aus. Er war glatt rasiert, das Gesicht blass und fast konturlos. Er war noch jung. Höchstens Mitte zwanzig.

"Wo ist der Behälter?", fragte der Mann.

"Dort auf dem Tisch", erwiderte Tony.

Der Mann, der sich Smith genannt hatte, trat ein. Seine blassblauen Augen richteten sich auf den CX-Behälter auf dem Tisch, anschließend auf den Lauf der Uzi. Rays Waffe zeigte auf Smith, aber das schien diesen nicht zu beeindrucken.

"Ich hoffe, dass es der richtige Behälter ist", sagte Tony.

"Ich denke schon" meinte Smith. Er kontrollierte kurz die Kennnummer auf dem winzigen Etikett.

Dann griff er in die Innentasche seines Jacketts.

Ray hob die Uzi.

Smith lächelte kalt.

"So ängstlich? Ich dachte, Sie wären eiskalte Profis."

"Ich habe etwas gegen hektische Bewegungen", meinte Ray.

"Eine Erscheinung unserer Zeit", erwiderte Smith und zog ein Bündel mit Geldscheinen hervor. Er legte es auf den Tisch. Dann meinte er: "Zählen Sie nach, wenn Sie wollen. Es sind fünfzigtausend Dollar!"

Smith streckte die Hand in Richtung des Behälters aus.

Aber Tony war mit einem Satz bei ihm und packte ihn am Handgelenk.

Der Mann mit dem Ohrring bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

"Mir scheint, dass Sie da etwas nicht richtig verstanden haben, Smith! Es war von einer anderen Summe die Rede!"

"Den Rest bekommen Sie, wenn wir festgestellt haben, ob das Material diesen Preis wert ist!"

"Das war nicht abgemacht!"

Smith lächelte kalt.

"Meinen Sie, wir geben ein Vermögen aus, ohne vorher zu prüfen, was wir dafür bekommen?"

"Oh nein, Smith! So haben wir nicht gewettet. Entweder Sie halten sich in jedem Detail an unsere Abmachungen, oder Sie können sich Ihren Behälter sonstwohin stecken!"

"Lassen Sie mich los", sagte Smith ruhig. Seine Stimme klirrte wie Eis.

Tony gehorchte. Er nahm mit einer schnellen Bewegung den Behälter und zog seine Automatik heraus.

"Sie wollen uns übers Ohr hauen, Smith." Er sagte das im Ton einer Feststellung. Er hob den Behälter etwas an. "Was ist hier eigentlich drin?"

"Sie könnten nichts damit anfangen", sagte Smith. "Also seien Sie vernünftig."

"Dass es irgendeine dieser Gen-Schweinereien sein muss, ist mir schon klar. Aber was?"

"Sie werden es früh genug erfahren!"

"In den Nachrichten wurde nichts über den Behälter gebracht. Wohl über den Einbruch, aber nichts über den Behälter." Tony atmete tief durch. "Das kann nur bedeuten, dass dieses Ding wirklich brandheiß ist..."

"Wir haben Ihnen ein gutes Angebot gemacht. Sie sollten es annehmen!"

"Kommen Sie mit mehr Bargeld wieder, Smith! Oder es läuft nichts."

Smith steckte seine Hände in die Manteltasche.

"Sie überschätzen sich."

"Ach, ja?

Jetzt mischte sich Ray ein. Er senkte die Uzi, trat einen Schritt näher. "Komm Tony, lass uns vernünftig mit ihm reden!"

Ein Schuss krachte los.

Der Mann, der sich Smith nannte, hatte aus der Manteltasche heraus gefeuert. Die Kugel war durch den dünnen Popeline-Stoff herausgeschossen und Tony in den Bauch gefahren.

Tony klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Der Griff seiner Rechten klammerte sich noch um seine Automatik. Aber den CX-Behälter konnte er nicht mehr festhalten. Er fiel hart auf den Boden und rollte ein Stück in Richtung Tür.

Tony sackte in sich zusammen.

Smith wirbelte noch in derselben Sekunde herum.

Er war ein sehr guter und sehr schneller Schütze.

Noch bevor Ray seine Uzi hochreißen und damit eine Feuerstoß von 20 oder dreißig Geschossen pro Sekunde abgeben konnte, bildete sich auf seiner Stirn ein roter Punkt, der rasch größer wurde.

Die Wucht des Projektils riss Ray nach hinten. Er schien einen Schritt rückwärts zu gehen und schlug dann der Länge nach hin. Als die Uzi auf den Boden schlug löste sich ein Schuss daraus.

Dann war Stille.

Smith würdigte die beiden Toten keines Blickes.

Er stieg über Tony hinweg, nahm die fünfzigtausend Dollar wieder an sich und ging dann ein paar Schritte in Richtung Tür. Dort blieb er kurz stehen und bückte sich nach dem Behälter.

Zum Glück sind die Dinger ziemlich stabil, ging es ihm durch den Kopf, bevor er hinaus ins Freie trat.

*