Ein Mann Namens Bradford

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Ein Mann Namens Bradford
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Alfred Bekker

Ein Mann Namens Bradford

Neal Chadwick Western Edition

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

EIN MANN NAMENS BRADFORD

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Impressum neobooks

EIN MANN NAMENS BRADFORD

von Alfred Bekker

Western-Roman

© 1989 by Alfred Bekker

www.AlfredBekker.de

www.Postmaster@AlfredBekker.de

All rights reserved

Ein CassiopeiaPress Ebook

Ausgabejahr dieser Edition: 2013

***

Nacht über dem Flusshafen von St.Louis...

Mondlicht fiel auf die zahllosen Schiffe, die hier vor Anker lagen. Transportschiffe vor allem, die auf ihren Fahrten zwischen New Orleans und den Forts am Oberlauf des Mississippi Station machten.

Ein Dutzend Reiter preschte durch die engen Straßen des Hafenviertels. Sie trugen Halstücher vor den Gesichtern. Einige schwenkten brennende Fackeln, die anderen hatten die Winchester-Karabiner aus den Scubbards gezogen.

Die Meute erreichte die notdürftig mit Rundhölzern befestigte Uferzone. Der Anführer deutete mit dem Lauf der Winchester auf einen mittelgroßen Raddampfer, der am Ufer vertäut war.

"Das ist Bradfords Schiff! Die RIVER QUEEN!"

Einer der anderen Männer lud mit einer energischen Bewegung seine Winchester durch.

"Los, bringen wir es hinter uns!"

Die Fackelträger ließen ihre Gäule ein Stück vorpreschen.

Der erste von ihnen holte aus und schleuderte seine Fackel auf die hölzernen Planken des Schiffes.

*

Ray Bradford, einer der vier Eigner der RIVER QUEEN, war durch den Lärm geweckt worden. Mit katzenhaften Bewegungen schnellte der große, breitschultrige Mann an Deck. An der Seite trug er einen tiefgeschnallten Revolver, in den Händen eine Winchester.

Er sah die brennende Fackel auf den Planken.

Ohne Rücksicht auf seine Deckung machte Bradford ein paar schnelle Schritte. Er kickte die Fackel von Bord. Mit einem zischenden Geräusch versank sie im dunklen, schlammigen Flusswasser.

Bradford feuerte die Winchester aus der Hüfte ab.

Er erwischte einen der maskierten Angreifer am Arm. Der Kerl schrie auf, ließ die Fackel fallen, die er gerade auf die RIVER QUEEN hatte werfen wollen. Sein Pferd stellte sich auf die Hinterhand und er hatte große Mühe, überhaupt im Sattel zu bleiben.

Einen weiteren Brandstifter holte Bradford aus dem Sattel.

Der Todesschreie des Banditen verhallten in der Nacht.

Die anderen Maskierten feuerten jetzt aus allen Rohren. Bradford warf sich zu Boden, rollte über die Planken und riss die Winchester hoch. Blutrot züngelte das Mündungsfeuer aus dem Lauf des Karabiners heraus. Rechts und links zischten ihm die Kugeln um die Ohren.

Noch zwei weitere Männer kamen an Deck und feuerten auf die Maskierten. Der Größere der beiden war ein Schwarzer. Er schoss mit zwei Revolvern auf die Maskierten. Bei dem anderen handelte es sich um einen hageren Mann mit Biberfellmütze, der ein schweres Henry-Gewehr sprechen ließ.

Zwei weitere Maskierte wurden getroffen.

Die anderen ergriffen die Flucht.

Sie rissen ihre Pferde am Zügel herum und ließen sie davon preschen.

Wenig später waren die Überlebenden in den engen Gassen des Hafenviertels verschwunden. Der Hufschlag ihrer Gäule war noch einige Augenblicke zu hören.

Bradford erhob sich.

Die beiden anderen Verteidiger der RIVER QUEEN ebenfalls.

Bradford schwang sich über die Reling.

Mit einem Sprung war er an Land.

Der Schwarze folgte ihm, während der Mann mit der Biberfellmütze an Bord blieb.

Bradford drehte einen der am Boden liegenden Maskierten herum und zog ihm das Halstuch vom Gesicht.

"Kennst du den Bastard, Ray?", fragte der Schwarze.

Bradford schüttelte den Kopf.

"Nie gesehen, Rick."

"Gesindel, das die Hunde von der United Riverboat Company für ein paar Dollars angeheuert haben."

"Nur werden wir das niemals beweisen können."

Jetzt kam auch der Mann mit der Bibermütze an Land. Den Lauf des Henry-Gewehr legte er über den Rücken. "Es hat nicht einmal Sinn, diese Schweinehunde anzuzeigen! Gegen die Company wagt es niemand vorzugehen!"

Alle drei waren sie zu unterschiedlichen Teilen Eigner der RIVER QUEEN. Es gab noch einen vierten Mann im Bund.

Jim Lawton, seit vielen Jahren Bradfords bester Freund. Die beiden kannten sich seit ihrer Jugend. Beide waren in Ohio aufgewachsen, bevor sie als junge Männer gen Westen gezogen waren, um ihr Glück zu machen.

Das Frachtgeschäft auf dem Mississippi schien dafür wie geschaffen zu sein. Das Warenaufkommen, das auf dem großen Fluss transportiert werden musste wuchs jedes Jahr um ein Vielfaches.

Eigentlich gab es genug Verdienstmöglichkeiten für alle, deren Boote schwimmfähig waren.

Aber es gab eine Schlange in diesem Paradies.

Die United Riverboat Company.

Die mächtige Company versuchte eine Art Fracht-Kartell auf dem Big Muddy aufzubauen. Mit legalen aber auch mit illegalen Mitteln. Anfangs hatte Bradford geglaubt, dem Druck auf Dauer standhalten zu können. Aber außer den Machenschaften der Company plagten Bradford auch finanzielle Sorgen. Um die RIVER QUEEN kaufen zu können, hatte Bradford bei der Grand National Bank of Missouri in St.Louis Geld aufnehmen müssen. Die Rückzahlung wurde in einigen Monaten fällig. Allerdings hatte Bradfords Frachtgeschäft noch lange nicht den erwarteten Profit gebracht. Auch dafür sorgten die Machenschaften der Company. Obwohl Bradford seine Dienste preiswerter anbot als die Konkurrenz, bekam oft nicht die RIVER QUEEN den Transportauftrag, sondern ein Schiff der Company. Viele Geschäftsleute ließen sich von deren Handelsagenten unter Druck setzen und einschüchtern. Und wenn das nicht half, dann heuerten sie für ein paar Dollars eine Horde von schießwütigen Gunslingern an.

Bradford war allerdings wild entschlossen, gegen alle Widerstände durchzuhalten.

Die Frage war allerdings, ob er finanziell dazu einen ausreichend langen Atem haben würde.

Im Augenblick ruhten Bradfords Hoffnungen auf seinem Freund und Teilhaber Jim Lawton. Ihren letzten Cent hatten alle vier Teilhaber in dieses Unternehmen gesteckt. Sie waren blank. Lawton war dann vor ein paar Monaten nach Montana aufgebrochen. Er hatte dort eine Ranch geerbt, die er zu Geld machen wollte, das er in die RIVER QUEEN stecken konnte.

Jim Lawton war mit seiner Erbschaft der finanzielle Rettungsanker, von dem alles abhing.

Der Mann mit der Bibermütze trat neben Bradford.

Er hieß Angus Cray und hatte ehedem im Fellhandel ein kleines Vermögen gemacht. Inzwischen bereute er es schon, alles davon in die RIVER QUEEN gesteckt zu haben.

"Wenn Jim nicht bald mit einer Tasche voll Dollars zurückkehrt, dann sehe ich schwarz, Ray!", bekannte er. "Ich habe mit Rick darüber gesprochen..."

Falten bildeten sich auf Bradfords Stirn. Er wandte sich an den Schwarzen. "Ihr wollt aufgeben?"

"Jim hätte längst wieder zurück sein müssen!", stellte Rick bitter fest.

"Eine Ranch zu Geld zu machen ist vielleicht nicht so einfach!", verteidigte Bradford Lawton. "Außerdem sind es gut tausend Meilen bis Montana. Der Winter liegt hinter uns..."

"...und vielleicht hat dein Freund es sich anders überlegt, und entweder die Ranch behalten oder versucht jetzt etwas anderes mit seinem Geld anzufangen, als es in ein derart risikoreiches Unternehmen wie die RIVER QUEEN zu stecken!", ergänzte Angus Cray. "Nichts gegen deinen Kumpel, Ray. Ich hätte Verständnis dafür!"

"Dann hätte Jim mir eine Nachricht zukommen lassen", beharrte Bradford.

"Montana ist ein weites Land", gab Rick zu bedenken. "Ein weites Land mit einer Handvoll Menschen darin. Pure Wildnis herrscht dort! Und wie gesagt... Geld verändert einen Mann."

"Nicht Jim."

"Da wäre ich mir nicht so sicher."

Es folgte eine Pause des Schweigens.

Vom Fluss her war das leise Plätschern der Wellen gegen die Außenwanten der RIVER QUEEN zu hören.

"Der Punkt ist einfach der, dass wir unsern Kopf nicht für etwas herhalten wollen, dass von vorn herein aussichtslos ist", erklärte Cray. "Und ohne Jims Geld ist unser Unternehmen aussichtslos. Das steht fest."

Ray Bradford hob den Kopf.

Er musterte die beiden Männer.

"Was werdet ihr tun?"

"Wenn wir bis nächste Woche nichts von Jim hörten, steigen wir aus", sagte Rick.

"Das hieße, dass wir die RIVER QUEEN verkaufen müssten", stellte Bradford bitter fest.

 

Angus Cray klopfte Bradford bedauernd auf die Schulter.

"Sorry, aber Rick und ich haben nun mal nicht so einen Dickschädel wie du!"

*

Jim Lawton erstarrte augenblicklich, als er das leise Rascheln im trockenen Präriegras vernahm. Dann folgte ein Klappern, das ihm nur allzu sehr vertraut war.

Sekunden zuvor war alles noch so friedlich gewesen. Die Sonne war blutrot über den Horizont gekrochen und hatte mit ihren kraftvollen Strahlen bereits einen Gutteil der Nachtkühle vertrieben. Lawton hatte bei einer Gruppe von schroff aus der Hochebene ragenden Felsen die Nacht verbracht. Soeben hatte er das heruntergebrannte Lagerfeuer von neuem entzündet und jetzt hielt er in der Rechten seine blecherne Kaffeetasse.

Lawton rührte sich nicht von der Stelle, aber jede Sehne seines Körpers war in diesem Moment auf das Äußerste gespannt.

Wieder das Rascheln im Gras.

Und dann dieses klappernde Geräusch...

Lawton überdachte seine Situation und musste feststellen, dass er in einer ziemlich fatalen Lage war.

Es wurde ihm plötzlich bewusst, dass sich sein Revolvergurt nicht an seiner Hüfte befand, sondern ein paar Schritte entfernt bei seinen Sachen. Dasselbe galt für sein Winchester-Gewehr, das mit dem Lauf nach oben an seinen Sattel gelehnt war.

Verdammt!, dachte er. Mit so einer Klapperschlange ist nicht zu spaßen!

Für einen kurzen Augenblick erwog er, sich mit einem schnellen Satz zu seinen Waffen zu begeben, verwarf diesen Gedanken aber rasch wieder. Mit einem Colt in der Hand hätte er sich im Augenblick zwar bedeutend wohler gefühlt, aber es wäre purer Leichtsinn gewesen.

Vielleicht befand das Tier sich in der Nähe seiner Sachen im Gras und würde eine solche Aktion als Angriff werten.

Lawtons Pferd wieherte unruhig.

Es spürte die Gefahr, die in der Luft lag.

Lawton glaubte, an einer Stelle das Gras sich bewegen zu sehen, aber das mochte ebenso gut eine Täuschung sein. Vielleicht die Schlange, vielleicht auch nur ein Windhauch, der die Halme krümmte...

Es war eine Nervensache.

Vielleicht war die Schlange hinter etwas ganz anderem her und würde ihres Weges ziehen, wenn er sich ruhig verhielt...

Ein Schuss donnerte.

Etwas bewegte sich im Gras, wandte sich verzweifelt mehrfach um die eigene Achse.

Dann rührte sich nichts mehr.

*

"Sie haben viel Glück gehabt, Mister!", sagte der Mann, der in diesem Augenblick hinter einem der Felsen hervorkam. Den Lauf seiner Rifle hatte er über die Schulter gelegt. Mit einer Hand führte er ein mageres Pferd am Zügel.

Lawton atmete erleichtert aus.

"Kann man wohl sagen!"

"Wer sind Sie?", fragte der Mann. Lawton glaubte, eine Spur von Misstrauen in der Stimme des anderen heraushören zu können.

"Ich heiße Jim Lawton. Und Sie?"

"Will Rankine."

Er hatte die sechzig wohl schon um einiges überschritten. Sein Gesicht war runzelig und von Falten zerfurcht. Die Haare, die unter seinem Hut hervortraten, waren grau.

Rankine trat zu jener Stelle, wo sich die Schlange zum letzten Mal bewegt hatte, suchte einen Augenblick lang, nahm dann das lange Gewehr von der Schulter und hob mit dessen Lauf den Kadaver des Tiers in die Höhe.

Es war tatsächlich eine Klapperschlange.

"Schätze, Sie haben mir das Leben gerettet!", meinte Lawton.

Rankine nickte und ließ den Kadaver wieder zu Boden fallen.

"Das schätze ich auch, Mister!" Er grinste verschmitzt. "Das war verdammt knapp, kann ich Ihnen sagen! Bei diesen Bestien muss man auf der Hut sein, sonst ist man weg vom Fenster!"

Lawton schluckte.

"Danke!"

"Keine Ursache, Mann! Ich war gerade in der Gegend und habe Sie beobachtet!"

"Sie haben ein ziemlich gutes Auge, Rankine! Schließlich haben Sie die Schlange mit dem ersten Schuss erwischt!"

Der Alte nickte selbstbewusst.

"Ja, das habe ich, Mister! Darauf können Sie Ihren Hut verwetten!"

Er steckte die lange Rifle in den dafür vorgesehenen Sattelschuh. Da das Gewehr länger war, als es der Sattelschuh eigentlich erlaubte, war dieser unten geöffnet, sodass der Lauf ein Stück hinausragte.

Lawton ging zu seinen Sachen und band sich den Revolvergurt um die Hüften.

Als er damit fertig war und wieder aufschaute, bemerkte er, dass Rankine zwei Army-Holster am Gürtel hängen hatte, in denen jeweils ein langläufiger Navy-Colt steckte. Über den Rücken trug er einen Säbel gegürtet, dessen Griff gegen die Hutkrempe stieß, wenn er den Kopf drehte.

An seiner schmuddeligen Wildlederjacke hingen ein paar Orden.

"Waren Sie mal Soldat?"

"Was dagegen?"

Der Alte kniff die Augen etwas zusammen.

Lawton juckte sich an der Narbe in seinem Gesicht.

"Nein. Ich frage nur, wegen Ihrer seltsamen Bewaffnung!"

"Sie stellen 'ne Menge Fragen, Mister! Wie wär's, wenn Sie mal etwas über sich verraten würden?"

Lawton zuckte mit den Schultern.

"Nichts dagegen."

"Was suchen Sie hier in der Gegend?"

"Ich bin auf der Durchreise."

"Woher kommen Sie?"

"Ich bin vor ein paar Wochen in Montana aufgebrochen."

"Und wohin geht die Reise?"

"St.Louis."

Rankine pfiff durch die Zähne.

"Das ist wahrhaftig kein Katzensprung!"

"Kommt drauf an, was man gewöhnt ist!"

Der Alte runzelte die Stirn.

"Und was wollen Sie in St.Louis?"

"Einen Freund treffen."

"Klingt ein bisschen weit hergeholt!"

Lawton zuckte mit den Schultern.

"Es ist mir ziemlich gleichgültig, wie das in Ihren Ohren klingt. Es zwingt Sie niemand, mir zu glauben!"

Rankine lachte heiser.

"Ja, das ist allerdings richtig."

"Gibt es hier in der Nähe irgendwo eine Ortschaft? Ich habe etwas die Orientierung verloren..."

"Wollen Sie Vorräte kaufen?", fragte der Alte zurück, anstatt auf Lawtons Frage zu antworten.

"Ja."

"Na ja..."

"Also gibt es hier nun irgendein verdammtes Nest oder nicht?"

"Nest...", murmelte Rankine. "Gar keine schlechte Bezeichnung. Stadt wäre ziemlich übertrieben! Ein paar Häuser, die etwas dichter beisammen stehen, mehr nicht."

"Wie heißt es?"

"Harlington."

"Nie gehört."

"Kein Wunder, Lawton! Wirklich kein Wunder!"

"Es verirrt sich wohl nicht oft jemand in diese Gegend..."

Rankine nickte.

"Stimmt. Und die Menschen sind hier auch nicht gerade für ihre Gastfreundschaft bekannt. Sie sind misstrauisch."

Lawton zuckte mit den Schultern.

"Ich habe nicht vor, länger als nötig zu bleiben."

"Das ist gut so!"

*

Es dauerte eine Weile, bis Lawton sein Pferd gesattelt und seine Sachen zusammengepackt hatte. Will Rankine saß währenddessen auf einem glatten Findling, in der einen Hand die Zügel seines mageren Gauls, die andere an der angerosteten Schnalle seines Gürtels und musterte Lawton die ganze Zeit über aufmerksam.

Muss wirklich nicht viel los sein in dieser Gegend, wenn es so interessant für ihn ist, jemanden dabei zu beobachten, wie er seinen Lagerplatz aufräumt!, überlegte Lawton.

"Wo haben Sie gekämpft?", fragte er den Alten dann. "Sie haben da ein paar Orden an Ihrer Brust..."

Will Rankine verzog nur ein wenig das Gesicht, antwortete aber nicht. Es schien, als wollte er die Frage absichtlich überhören.

Lawton runzelte die Stirn.

"Wohnen Sie auch in Harlington, Mr. Rankine?"

"Ich komme manchmal dorthin, und ich kenne ein paar Leute dort."

Lawton sah ein paar kleinere Felle, die an dem Sattel des Alten befestigt waren.

"Jäger? Fallensteller?"

"Ja."

"Ich wusste gar nicht, dass man davon noch leben kann..."

"Kann man auch kaum noch!"

Er ist nicht wirklich feindselig!, erkannte Lawton. Wäre er das, weshalb hätte er mich dann vor der Schlange retten sollen?

Nein, Rankine war vermutlich ein Mann, der die meiste Zeit des Jahres über allein in der Wildnis lebte. Er war den Umgang mit Menschen kaum gewöhnt, ihre Nähe schien ihm nur schwer erträglich.

"Ich hoffe, Sie sind bald fertig, Lawton!" Der Alte spuckte zu Boden, wischte sich dann mit dem Ärmel den Mund ab und fluchte lautstark. "Glauben Sie, ich will hier Wurzeln schlagen, verdammt noch mal!"

Mit besonderer Sorgfalt, die Rankine nicht entging, befestigte Lawton seine Satteltaschen. Dann prüfte er die Verschlüsse.

"Man könnte denken, da wäre Gold drin, so sorgfältig machen Sie das!" Rankine kniff etwas die Augen zusammen. "Sie sehen mir gar nicht aus wie ein Pedant!"

Lawton erwiderte nichts, sondern schwang sich stattdessen in den Sattel.

"Von mir aus kann's losgehen!"

*

Harlington war wirklich ein erbärmliches Nest. Ein paar Holzhäuser, ein Drugstore, eine Kirche und ein Saloon, der keinen Namen hatte, da er der einzige weit und breit war und somit die Gefahr einer Verwechslung nicht bestand...

"Puh!", machte Lawton. "Sagen Sie, was zieht Sie eigentlich immer wieder hier her, Rankine?"

"Ich habe Freunde hier", erklärte er knapp. Dann runzelte er die Stirn. "Sie sind ein Mann, der verdammt viele Fragen stellt."

"Ist doch nicht verboten, oder?"

"Nein, das nicht. Aber frage ich Sie vielleicht, wo Sie sich die Narbe im Gesicht geholt haben?"

Lawton lachte.

"Das ist kein Geheimnis! In St.Louis hatte ich mal eine Auseinandersetzung mit einem Mann, der als Messerwerfer in einem Zirkus arbeitete! War 'ne schlimme Wunde!"

"Sieht auch heute noch nicht gut aus!"

"Eine Schönheit sind Sie auch nicht gerade!"

Rankine lachte herzhaft. "Tief in Ihnen muss ein Dandy stecken, sonst würden Sie die Sache nicht so wichtig nehmen!"

Lawton sah ein paar Männer herumlungern, die ihn misstrauisch betrachteten. Selbst die Tatsache, dass Will Rankine an seiner Seite ritt, ließ ihre Gesichter keineswegs aufhellen.

"Haben Sie keinen besonders guten Ruf in der Stadt oder blicken die wegen mir so finster drein?"

"Sie wissen nicht, wer Sie sind, Lawton. Die Leute hier sind nun einmal so." Er schlug sich auf die Schenkel und fuhr fort: "Ich habe ziemlichen Durst! Kommen Sie mit auf einen Drink in den Saloon?"

"Später vielleicht, Rankine. Sagen Sie, soll das da hinten etwa ein Drugstore sein?"

"Ziemlich klein, das gebe ich zu. Aber bei Stokes bekommt man alles, was man braucht. Und seine Preise sind fair."

*

Sie trennten sich und Lawton lenkte seinen mageren Gaul in Richtung des Drugstores, während Rankine weiter die Straße entlang ritt.

Als Lawton den Drugstore erreichte, stieg er aus dem Sattel und machte sein Pferd fest. Er nahm seine Satteltaschen vom Rücken des Tieres und hängte sie sich über die Schulter, bevor er durch die offene Tür trat.

Ein dürrer, hohlwangiger Mann stand hinter dem Tresen und musterte Lawton abwartend.

"Sie sind Stokes?", fragte Lawton.

"Ja, aber woher wissen Sie das? Ich kenne Sie nicht!"

"Will Rankine hat mir Ihren Laden empfohlen!"

Stokes grinste. "Mein Laden ist der einzige Drugstore im Umkreis von mehr als einem Tagesritt! Da ist die Konkurrenz nicht besonders groß."

"Ich hoffe, Sie nutzen das nicht allzu sehr aus..."

"Sie meinen, in dem ich die Preise pfeffere?"

"Ja, zum Beispiel."

"Die Leute hier machen nicht viel Federlesen. Die würden mich glatt lynchen, wenn ich so etwas versuchen sollte!" Stokes schlug mit der flachen Hand auf den verkratzten Tresen. "Also, Mister, was wünschen Sie?"

Lawton nannte eine Reihe von Sachen, die er einzukaufen gedachte, woraufhin Stokes sich umwandte, um das Gewünschte zusammenzusuchen.

Es war eine lange Liste. Lawton war ziemlich abgebrannt.

In diesem Augenblick hörte Lawton Schritte in seinem Rücken. Er wandte ein wenig den Kopf und sah mit den Augenwinkeln, dass ein rothaariger Mann den Drugstore betreten hatte, dessen Kleider nur so vor Dreck starrten.

Lawton entging nicht der Revolvergurt, den der Rothaarige trug und an dem zusätzlich zu Holster und Revolver noch ein Futteral befestigt war, in dem ein langes Bowie-Messer steckte.

 

Lawton wurde einer eingehenden, aber wortlosen Musterung unterzogen, bevor der Rothaarige sich an den Ladeninhaber wandte.

"Hallo, Stokes!"

"Tag, Dray! Wie geht's?"

Der Mann namens Dray winkte ab. "Wie soll's schon gehen? Wie immer, natürlich! Nichts Besonderes!"

Unterdessen legte Stokes die Sachen, die er für Lawton zusammengesucht hatte auf den Tresen: Nahrungsmittel und etwas Munition.

Lawton kramte aus seiner Hosentasche ein Geldstück hervor und ließ es auf das Holz klimpern.

"Ich hoffe, das reicht..."

"Leider nicht, Mister... Da fehlen noch 30 Cent!"

Lawton griff erneut in die Hosentasche, aber da war nichts mehr.

"Soll ich etwas von den Sachen wieder zurücklegen?", fragte Stokes, während ein breites Grinsen auf seinem mageren Gesicht erschien.

Lawton verzog ärgerlich den Mund.

"Nein, das wird nicht nötig sein!"

"Wie Sie meinen, Mister!"

Lawton sah, dass auch der rothaarige Dray jetzt über das ganze Gesicht grinste. Er lehnte sich an den Tresen und wartete aufmerksam ab, was geschehen würde, wobei er mit der Linken am Griff seines Bowie-Messers herumspielte.

"Na, was ist nun?"

Stokes' Züge hatten sich jetzt verändert. Er machte nun einen sehr ernsten Eindruck und verengte ein wenig die Augen.

Unterdessen griff Lawton zu den Satteltaschen, die er sich über die Schulter gehängt hatte und legte sie auf den Tresen.

Dann öffnete er einen der Verschlüsse und holte ein Bündel mit Geldscheinen hervor, aus dem er einen herauszog und Stokes vor die Nase legte.

"Ich hoffe, Sie können auch darauf herausgeben!", feixte Lawton, während dem Drugstorebesitzer fast die Augen aus dem Kopf quollen.

"Oh...", war alles, was Stokes dazu hervorbringen konnte. Sein Mund blieb noch einige Augenblicke offen, so als hätte er einfach vergessen, ihn wieder zu schließen.

Als er sich dann endlich wieder halbwegs gefasst hatte, stieß er fast ehrfürchtig hervor: "Sie haben da eine Menge Papier, Mister..."

Lawton gab darauf keinerlei Erwiderung.

Als er dann das Bündel zurückstecken wollte, bemerkte er, dass zwei weitere ein wenig hervorgerutscht waren.

Der rothaarige Dray stierte wie entgeistert auf das Geld und schluckte, als Lawton die Satteltasche wieder verschloss.

Stokes gab das Wechselgeld heraus, Lawton steckte die Münzen in die Hosentaschen.

"Sagen Sie, Mister, haben Sie eine Bank ausgeraubt?", fragte Dray.

Lawton zog die Augenbrauen hoch.

"Sehe ich so aus?"

"Wie kommt man sonst an eine Tasche voller Geld?"

Lawton gab dem Rothaarigen keine Antwort, sondern wandte sich an Stokes.

"Kann man hier irgendwo Telegramme aufgeben?"

Stokes nickte.

"Das können Sie bei mir erledigen, Mister."

Unterdessen hatte Dray sich zum Gehen gewandt. Er stand bereits in der Tür, als er sich noch einmal zu Lawton hinübersah.

Ungläubiges Staunen stand noch immer in seinem Gesicht.

Dann waren nur noch seine schnellen Schritte zu hören, mit denen er auf die andere Straßenseite eilte.

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