Chronik der Sternenkrieger 3 - Prototyp (Science Fiction Abenteuer)

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Chronik der Sternenkrieger 3 - Prototyp (Science Fiction Abenteuer)
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Prototyp: Chronik der Sternenkrieger #3

Alfred Bekker's Chronik der Sternenkrieger, Volume 3

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2019.

Inhaltsverzeichnis

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Chronik der Sternenkrieger 3 | Prototyp | von Alfred Bekker

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Chronik der Sternenkrieger 3
Prototyp
von Alfred Bekker


Ein CassiopeiaPress E-Book

Die abweichende Original-Printausgabe erschien in der Romanreihe „STERNENFAUST“ unter dem Titel „Der Prototyp“

© 2005,2008,2012 by Alfred Bekker

© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)

www.AlfredBekker.de

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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

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Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012 erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.

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Der pockennarbige, atmosphärelose Planet von Merkurgröße schimmerte braungrau im fernen Zwielicht einer Doppelsonne. Commander Rena Sunfrost blickte angespannt auf den Hauptbildschirm in der Zentrale des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER. Ein roter Punkt blinkte auf. Er markierte die Position einer Rakete, die mit dem Prototyp eines neuartigen Antimaterie-Sprengkopfs ausgerüstet war. Der rote Punkt näherte sich unaufhaltsam der Planetenoberfläche.

»Einschlag in zehn Sekunden«, meldete Lieutenant Robert Ukasi, der Waffenoffizier. Der Countdown lief.

Wenige Augenblicke später war auf der Planetenoberfläche eine aufblitzende Lichterscheinung zu sehen. Die Antimaterie des Sprengkopfes sorgte für eine so heftige Reaktion, wie sie selbst die größten bisher entwickelten atomaren Sprengsätze nicht hätten hervorrufen können.

Aber die gewaltigen Energiemengen, die bei dieser Explosion frei wurden, waren erst der Anfang. Der gesamte Planet würde sich innerhalb von wenigen Minuten in einen Glutball verwandeln...

*


»Die Fusionskettenreaktion hat jetzt bereits ein Viertel der Planetenmasse erfasst und setzt sich mit exponentieller Geschwindigkeit fort, Captain!«, meldete Raphael Wong, seines Zeichens Erster Offizier an Bord der STERNENKRIEGER, während sein Blick an den Anzeigen seiner Konsole hing und sich seine Augenbrauen leicht zusammenzogen.

»Unvorstellbar«, murmelte Rena Sunfrost, während sie dem Inferno zusah, das sich da vor ihren Augen entwickelte.

Die Feuersbrunst fraß sich regelrecht in den Planeten hinein und verschlang ihn.

»Unvorstellbar?«, echote Professor Dr. Yasuhiro von Schlichten, der Chef jenes Entwicklerteams, das für den Prototyp dieser neuartigen Waffe verantwortlich zeichnete.

»Ich würde eher sagen, dass wir hier ein Beispiel optimaler Energieeffizienz haben. Es ist genau wie bei den primitiven ersten Atomwaffen des zwanzigsten Jahrhunderts...«

Sunfrost sah ihn erstaunt an.

»Wo sehen Sie da die Analogie, Professor?«

Von Schlichten lächelte verhalten. Sein Gesicht war hager und fast haarlos. Es hatte Sunfrost von Anfang an einen Totenschädel erinnert – schon als der Wissenschaftler dem Captain der STERNENKRIEGER von Commodore Tim Bray Jackson auf Spacedock 13 vorgestellt worden war.

»Die Analogie liegt doch auf der Hand. Bei den ersten Wasserstoffbomben waren es herkömmliche auf dem Prinzip der Kernspaltung basierende Hiroshima-Bomben als Zünder, um die zur Auslösung einer Fusion notwendige Energie zu erzeugen«, dozierte von Schlichten und Sunfrost fragte sich, was es wohl war, das sie an diesem Mann von Anfang an abstoßend gefunden hatte. »In diesem Fall ist es fast genauso«, erklärte von Schlichten. »Die Antimaterie bewirkt eine so heftige thermische Reaktion, dass ein Fusionsprozess in Gang gesetzt wird, dessen Brennstoff der Planet selbst ist.«

Jetzt weiß ich, was ich an ihm nicht ausstehen kann!, überlegte Sunfrost. Es ist die Faszination für die Zerstörungskraft, die in jedem seiner Worte mitschwingt...

Immerhin war es eine neuartige und in ihrem vollen Zerstörungspotenzial noch völlig unerforschte Waffe, zu deren Test die STERNENKRIEGER zum 48,5 Lichtjahre von der Erde entfernten Doppelsternsystem Apollo aufgebrochen war. Eine Waffe, die den Berechnungen von Schlichtens und seiner Mitarbeiter nach in der Lage war, einen ganzen Planeten zu vernichten, wenn man sie richtig einsetzte.

Wie zur Bestätigung wurde der Planet in diesem Augenblick zu einer Art Mini-Sonne. Einem feurigen Glutball, dessen äußere Schichten nun von ihm wegplatzten. Der Planet verlor in einem gigantischen Outburst den Großteil seiner Materie, die jetzt in Form hunderttausender glühender Gesteinsbrocken abgestoßen wurde.

»Unseren Berechnungen nach besteht eine über achtzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass die bei der Explosion zurückbleibende Materie von Apollo A angezogen und absorbiert wird – und zwar in einem Zeitraum von maximal zehn Jahren«, erläuterte von Schlichten. »Aber selbst, wenn das nicht geschieht, besteht für die anderen beiden Planeten des Apollo-Systems keinerlei Gefahr.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr«, bemerkte Rena.

Auf dem Hauptbildschirm der STERNENKRIEGER-Zentrale erschien jetzt ein Schriftzug.

SIMULATION BEENDET.

Vor vier Tagen war die STERNENKRIEGER von dem im Erdorbit befindlichen Spacedock 13 aus aufgebrochen, um im Apollo-System eine neuartige Antimaterie-Waffe zu testen, die aus den Entwicklungslabors des einst von dem berühmten Samuel Sandström gegründeten Far Galaxy-Konzerns stammte. Seit den Bahn brechenden Forschungen Sandströms, die den Überlichtflug möglich gemacht hatten, war dieser Konzern führend in der Raum- und Waffentechnik. Yasuhiro von Schlichten war gegenwärtig einer der Stars im Reigen hoch angesehener Forscher und Ingenieure, die in den Diensten des Konzerns standen.

Testobjekt sollte in diesem Fall der merkurgroße dritte Planet des Apollo-Systems sein, der nach dem am ersten Mondflug beteiligten Astronauten Michael Collins benannt worden war.

Der Planet war auf Grund seiner äußerst starken, fluktuierenden Magnetfelder und einer von ihm ausgehenden besonderen Strahlungskomponente, die in den Sandströmraum hineinwirkte, ein Ärgernis für die Raumkommunikation. Diese Strahlungskomponente verhinderte das Funktionieren des Überlichtfunks im gesamten System, sodass sowohl für die auf den Nachbarplaneten Armstrong und Aldrin stationierten Wissenschaftler und Bergleute, als auch für die Besatzung der in Anlehnung an die erste menschliche Mondmission benannte Raumstation EAGLE keine Möglichkeit der schnellen Kontaktaufnahme zur Erde oder zu anderen zum Bund der Humanen Welten gehörenden Planeten bestand.

 

Sie waren mehr oder minder von der Außenwelt abgeschlossen.

Das Oberkommando des Space Army Corps und die Führung des Humanen Rates erhoffte sich wohl, dass der Test des Antimateriesprengkopfs auf diese Weise noch einen nützlichen Nebeneffekt hatte. Die Zerstörung des Planeten Collins bedeutete auch das Ende der Beeinträchtigung des Sandström-Funks, von dem der Betreffende heimgesucht wurde.

Zumindest ist dies die Ansicht der Fachleute, rief sich Rena Sunfrost in Erinnerung. Und was bleibt jemandem wie mir schon anderes übrig, als ihrem Urteil zu vertrauen?

In den vier Tagen seit ihrem Start hatte sich die STERNENKRIEGER – abgesehen von der Beschleunigungsphase – im Sandström-Kontinuum befunden. Zwei Drittel der Strecke zum Apollo-System lag hinter ihr. In achtundvierzig Stunden würde das Schiff am Zielort eintreffen. Zeit, die mit Testsimulationen genutzt werden konnten.

Schließlich befand sich nur ein einziger Antimateriesprengkopf an Bord der STERNENKRIEGER. Er war in eine der Raketen integriert worden, die sich in den Silos des Leichten Kreuzers befanden. Eine ganze Woche hatte die STERNENKRIEGER deswegen in Spacedock 13 festgesessen.

Das Raketensilo hatte ebenso modifiziert werden müssen wie die Rakete selbst. Die Antimaterie musste durch ein Eindämmungsfeld gehalten und abgeschirmt werden, da sie auf keinen Fall mit Normalmaterie in Verbindung kommen durfte.

Bis zum Augenblick der Detonation.

Ich muss darauf vertrauen, dass die Spezialisten und von Schlichten das alles im Griff haben, ging es Rena durch den Kopf. Wohl war ihr allerdings nicht bei dem Gedanken, eine derart explosive Ladung an Bord zu haben.

*


Seit Kurzem hatten die Humanen Welten auf Seiten der reptiloiden Fulirr in den Krieg gegen das Reich der K'aradan eingegriffen. Allerdings bestand diese Parteinahme kaum in aktiver Beteiligung an Kampfhandlungen, sondern beschränkte sich im Wesentlichen auf technische, logistische und nachrichtendienstliche Unterstützung. Auf Grund des in jüngster Zeit eskalierenden Konflikts mit den vogelähnlichen Qriid, wäre die Menschheit auch gar nicht in der Lage gewesen, aktiver zu werden, obwohl durch das Bestreben der K'aradan, ihr altes Reich in früherer Größe wiederzuerrichten, durchaus eine zukünftige Gefahr für die Humanen Welten heraufdämmerte, die mittelfristig nicht unterschätzt werden durfte.

Aber der Humane Rat war klug genug, sich nicht auf einen Zweifrontenkrieg einzulassen.

Die verbündeten Fulirr verfügten über Antimateriewaffen, waren jedoch trotz des ansonsten mit der Menschheit gepflegten Technologie-Austauschs nicht bereit, diese waffentechnische Errungenschaft mit ihren Alliierten zu teilen.

Raphael Wong, der Erste Offizier, meldete sich zu Wort und wandte sich direkt an Professor Yasuhiro von Schlichten.

»Ist es richtig, dass mehrere Parameter, auf denen diese Simulation beruht, bislang nur das Ergebnis von Vermutungen sind, Professor?«

Von Schlichtens Gesichtsausdruck verzog sich zu einer verkrampften Maske.

»Begründete Hypothesen – nicht einfache Vermutungen«, korrigierte von Schlichten pikiert.

»Aber Sie stimmen mit mir darin überein, dass schon eine geringfügige Differenz bei einem oder mehreren dieser Parameter zu einem völlig anderen Verlauf der Simulation geführt hätte«, hakte Wong nach. »Ich habe das mit Lieutenant White ausführlich erörtert und sie bestätigt meine Ansichten dazu.«

Von Schlichten lächelte kühl.

»Es gibt natürlich mehrere Varianten für einen möglichen Verlauf unserer Mission«, gestand der Wissenschaftler ein. »Ich habe den Verlauf mit der größten Wahrscheinlichkeit für die Simulation ausgewählt.«

»Den mit der größten Wahrscheinlichkeit oder den, der Ihnen als Projektleiter am wünschenswertesten erscheint«, erwiderte Wong.

Sein Tonfall blieb dabei von einer eiskalten Sachlichkeit, die von Schlichten schlucken ließ.

Er muss noch lernen, nicht jedem zu zeigen, wie brillant er ist, dachte Rena Sunfrost. Sonst wird er sich unnötig viele Feinde machen.

»Der Humane Rat der Solaren Welten hat mir die Aufgabe übertragen, ein neuartiges Waffensystem zu entwickeln, dass in seinem Potenzial gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann«, sagte von Schlichten. »Dabei werde ich nicht davon ausgehen, dass alles schief läuft, was theoretisch schief laufen könnte.«

Wong hob die Augenbrauen und wandte sich an Rena.

»Captain, ich habe mir erlaubt, eine eigene Simulation mit geringfügig abweichenden Parametern zu erstellen. Das Ergebnis ist ein völlig anderer Verlauf.«

»Ich wusste gar nicht, dass Ihre Pflichten als Erster Offizier der STERNENKRIEGER Ihnen zu derartigen Spielereien die nötige Zeit lassen«, versetzte Yasuhiro von Schlichten.

Wong zuckte die Achseln.

»Während eines Sandström-Fluges gibt es zumeist nur Routineaufgaben, die für einen I.O. mit meiner Diensterfahrung leicht zu bewältigen sind«, erwiderte Wong trocken.

»Liegt wohl immer ganz daran, was man unter einer gewissenhaften Pflichterfüllung versteht«, versetzte von Schlichten.

»Meine Herren, nicht in diesem Ton!«, griff jetzt Rena Sunfrost ein. Die Animositäten zwischen den beiden Männern waren vom Beginn der Mission an spürbar gewesen, aber inzwischen drohten sie zu eskalieren und die Zusammenarbeit der STERNENKRIEGER-Crew mit Yasuhiro von Schlichtens Spezialistenteam empfindlich zu stören.

Rena wandte sich an Wong.

»Ich würde Ihre Simulationen gerne sehen, I.O.«, erklärte sie.

»Jawohl, Captain«, nickte Wong. Seine Finger glitten über das Terminal seiner Konsole. Auf dem Hauptbildschirm der STERNENKRIEGER-Zentrale war erneut der Einschlag der mit einem Antimaterie-Sprengkopf bestückten Rakete zu sehen.

SEETEE SHOCK 005 lautete die Codebezeichnung dieses Prototyps. Die Nummerierung gab mittelbar Auskunft darüber, wie viele – offenbar untaugliche – Vorgänger es bereits gegeben hatte. Darüber, was aus ihnen geworden war, hatte sich Professor Yasuhiro von Schlichten bislang beharrlich ausgeschwiegen.

Zunächst zeigte sich bei Wongs Simulation ein fast identisches Bild, verglichen mit dem, was die Brücken-Crew der STERNENKRIEGER bereits zu sehen bekommen hatte. Eine Fusionskettenreaktion wurde ausgelöst. Der Planet verwandelte sich in eine Minisonne. Nur lief dieser Vorgang nach Wongs Berechnungen mit einer sehr viel höheren Geschwindigkeit ab.

Es kam nicht zur explosionsartigen Abstoßung von etwa einem Viertel der planetaren Materie, sondern nur zu einer kurzen Aufblähung des gesamten, inzwischen im Fusionsbrand befindlichen Planeten.

»Gravitationswerte steigen exponentiell«, berichtete David Kronstein, der blonde Ortungs- und Kommunikationsoffizier der STERNENKRIEGER. »Das Volumen schrumpft, die Dichte nimmt zu. Sieht nach einer Implosion aus.«

»Das ist nur eine hypothetische Möglichkeit«, erklärte von Schlichten aufgebracht.

Rena Sunfrost erhob sich aus ihrem Kommandantensessel und trat neben Kronsteins Konsole.

Sie warf einen Blick auf die Anzeigen und schluckte.

»Das ist unglaublich«, murmelte sie.

Gebannt sah sie zum Hauptschirm und konnte beobachten, wie Collins förmlich in sich zusammenfiel.

Innerhalb kurzer Zeit bildete sich ein dunkler Schlund, der alles verschlang. Materie, Energie, Licht...

»Nach meinen Berechnungen könnte das Resultat eines Antimaterieangriffs auf Collins die Entstehung eines Mini Black Hole sein«, erklärte Raphael Wong. Er wandte sich an von Schlichten und fuhr fort: »Sie werden nicht ernsthaft behaupten wollen, dass Sie an diese Möglichkeit nicht zumindest auch gedacht haben, Professor. Wenn innerhalb so kurzer Zeit derart gewaltige Energien frei werden, sind solche Effekte einfach nicht auszuschließen.«

»Wir geraten in den Anziehungsbereich des Black Hole«, erklärte Kronstein.

»Kurskorrektur unmöglich. Gegenschub hat keine Wirkung mehr«, meldete John Taranos, der Ruderoffizier der STERNENKRIEGER. »Überschreitung des Ereignishorizontes in genau zehn Minuten.«

»Simulation abbrechen«, befahl Rena Sunfrost.

Sie atmete tief durch und wandte sich an von Schlichten. »Es ist nicht auszuschließen, dass Lieutenant Commander Wong mit seiner Simulation...«

»Hypothese!«, unterbrach von Schlichten ungehalten. »Eine unbewiesene Hypothese, unterlegt mit ein paar zugegebenermaßen beeindruckenden Bildern, die aber mit den wirklichen Geschehnissen aller Wahrscheinlichkeit kaum etwas zu tun haben werden.«

Yasuhiro sah Rena mit seinen eisgrauen Augen direkt an.

Er hatte etwas Falkenhaftes. Etwas, das Rena schon bei der ersten Begegnung unwillkürlich an den Kopf eines Qriid erinnert hatte, ohne dass sie letztlich sagen konnte, woran das eigentlich lag. An den Augen selbst oder der absoluten Kälte, die sie in ihnen zu erkennen glaubte. Nein, dachte sie. Die Kälte ist es nicht... Da ist noch etwas anderes. Bösartigkeit, Skrupellosigkeit... Vielleicht auch die besondere Mischung, die all das bei einem Mann wie Yasuhiro von Schlichten ergibt.

»Nennen Sie es, wie Sie wollen, Professor«, sagte Sunfrost. »Die Möglichkeit, dass bei dem Beschuss von Collins vielleicht ein kleines Schwarzes Loch entsteht, können Sie nicht von der Hand weisen.«

»Das ist richtig«, gestand von Schlichten zu. »Wir fangen erst an, die theoretischen Voraussetzungen zur Verwendung von Antimaterie in technischen Systemen zu verstehen.«

»Also werden wir dafür sorgen, dass der Sicherheitsabstand, den wir beim Beschuss von Collins einhalten, so vergrößert wird, dass wir in keinem Fall in den Sog des schwarzen Lochs geraten.«

Professor von Schlichten atmete tief durch.

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass die Kontrolle über die Rakete dann auf Grund der fluktuierenden Magnetfelder von Collins sehr schwierig werden könnte. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Captain.«

Rena nickte.

»Natürlich.«

»Ich habe mit unseren Technikern noch ein paar Einzelheiten zu besprechen.«

Rena sah dem kahlköpfigen Professor nach, während er die Brücke verließ.

Anschließend wandte sie sich an Wong.

»Sie haben ihm arg zugesetzt, Raphael«, stellte sie fest.

Wong zuckte die Achseln. »Ich habe einfach den Eindruck, dass Yasuhiro von Schlichten den Erfolg um jeden Preis sucht«, erklärte der Erste Offizier. »SEETEE SHOCK 005 scheint für ihn von ganz besonderer Bedeutung zu sein...«

»Wundert Sie das, Raphael? Wenn diese Mission ein Erfolg wird, kann er sicher sein, dass seine Abteilung bei Far Galaxy nahezu unbegrenzte Mittel zur Verfügung haben wird. Niemand an entscheidender Stelle – ob nun im Humanen Rat oder im Konzernvorstand – könnte es angesichts der außenpolitischen Lage, in der sich die Humanen Welten derzeit befinden, wagen, ein Veto einzulegen.«

Raphael Wong verschränkte die Arme vor der Brust und ergänzte: »Wenn Sie mich fragen, dann muss von Schlichten schon jetzt das Gehör sehr wichtiger Leute im Humanen Rat besitzen. Andernfalls ist es kaum erklärlich, dass ein derart unausgereiftes Projekt bereits in dieser Phase der Realisierung steckt.«

»Die Wahrheit ist, dass weder die K'aradan noch die Qriid darauf warten werden, wann wir unsere Waffen so weit entwickelt haben, dass wir sie erfolgreich bekämpfen können. Und wie lange die Fulirr wirklich unsere Verbündeten bleiben, ist auch nicht gesagt. Interessen können sich bekanntlich ändern.«

»Aber bringen wir es doch auf den Punkt, Captain! Wir setzen hier eine Waffe ein, deren tatsächliche Wirkungsweise niemand wirklich vorherzusagen vermag!«

Rena lächelte dünn.

»Was glauben Sie wohl, weshalb ein so abgelegener Ort wie das Apollo-System für den ersten Test ausgesucht wurde.«

In diesem Augenblick meldete sich Lieutenant Catherine White, die Chefingenieurin der STERNENKRIEGER, über Interkom.

 

»Captain, es gibt Probleme. Das Eindämmungsfeld, in das die Antimaterie eingebettet ist, schwankt und verliert möglicherweise seine Stabilität.«

»Ich bin gleich bei Ihnen, Lieutenant«, versprach Sunfrost. Sie wandte sich an Wong. »Lösen Sie Alarmbereitschaft aus, I.O.. Sie haben die Brücke!«

*


Als Sunfrost wenig später im Kontrollraum C des Maschinendecks eintraf, von wo aus die Raketensilos überwacht wurden, herrschte dort bereits helle Aufregung. Catherine White, die etwas mollige, mit ausgeprägten weiblichen Formen ausgestattete Schiffsingenieurin, war ebenso anwesend wie eine ganze Reihe von Technikern. Darunter sowohl Mitglieder des technischen Stabes der STERNENKRIEGER als auch Personal, das zu Professor von Schlichtens Team gehörte.

»Bericht!«, forderte Rena, als sie eintrat.

Noch ehe Catherine White antworten konnte, stürmte auch Professor von Schlichten mit angestrengt wirkendem Gesicht in den Kontrollraum.

»Wir hatten für ein paar Augenblicke den Eindruck, dass das Eindämmungsfeld sich auflöst«, erklärte White. »Es hätte zur Katastrophe kommen können.«

»In keinem der Systemtests, die wir bisher durchgeführt haben, hat es solche Schwankungen der Feldstärke gegeben«, behauptete Yasuhiro von Schlichten, während er einen der Techniker von seiner Konsole verdrängte, wie gebannt auf die Anzeigen starrte und anschließend die Finger über das Terminal gleiten ließ – und das in einer Geschwindigkeit, die man nur als außergewöhnlich bezeichnen konnte.

»Vielleicht liegt das daran, dass bis jetzt noch nie ausprobiert wurde, eine Antimateriewaffe im Sandströmflug über so viele Lichtjahre zu transportieren«, stellte Catherine White fest.

»Ich sehe da keinen Zusammenhang«, bemerkte von Schlichten schroff.

»Das Feld hat sich stabilisiert«, meldete inzwischen einer der Techniker, die mit von Schlichten auf Spacedock 13 an Bord der STERNENKRIEGER gekommen waren.

Dem Namensschild nach, das an seinem blauen Overall ohne Rangabzeichen in Brusthöhe angebracht war, war sein Name Soerenson. An der Schulter war das Emblem des Far Galaxy-Konzerns aufgenäht.

»Die Feldintegrität weist wieder Werte auf, die absolut innerhalb des Bereichs der Sicherheitsnormen liegen«, erklärte der Techniker. Er wandte sich an Catherine White. »Wie haben Sie das gemacht, Lieutenant?«

Ein triumphierendes Lächeln huschte über Whites Gesicht.

»Ich habe die Frequenzmodule der Sandströmaggregate neu eingestellt. Es scheint bei längeren Phasen im Sandströmkontinuum zu Wechselwirkungen mit dem Feldgenerator zu kommen, die sich störend auswirken.«

»Denken Sie, dass es notwendig ist, den Flug zu unterbrechen?«, fragte Rena Sunfrost.

»Ich denke, dass es nicht nötig ist, ins Normaluniversum zurückzukehren, um dieses Phänomen endgültig in den Griff zu bekommen«, erwiderte Catherine White zuversichtlich. »Ich glaube, dass ich mit ein paar Modifikationen das Feld dauerhaft stabilisieren kann.«

Rena nickte leicht.

Sie wandte sich an Yasuhiro von Schlichten. »Es scheint so, als wären die Folgen eines Antimaterie-Angriffs auf einen Planeten nicht der einzige Aspekt dieser Mission, der vor Antritt dieser Reise besser hätte durchdacht werden können.«

»Diese Mission durchzuführen war letztlich eine politische Entscheidung des Humanen Rates«, stellte von Schlichten kühl fest. »An ihn sollten Sie Ihre Kritik richten, Captain, nicht an mich. Im Übrigen sind Sie, was dieses Unternehmen angeht, ohnehin nur so etwas wie ein ausführendes Organ, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Das verstehe ich nur zu gut«, erwiderte Rena auf eine Weise, die dem Spitznamen, den man ihr insgeheim unter der Besatzung gegeben hatte alle Ehre machte.

Eisbiest.

*


»Tut mir Leid, ich komme mit diesem arroganten Kerl einfach nicht klar«, sagte Rena Sunfrost viel später, als sie sich in einem der Aufenthaltsräume der STERNENKRIEGER eine Tasse Kaffee genehmigte. Oft ließen ihre Pflichten als Captain des Leichten Kreuzers derartige Pausen nicht zu. Zumindest sobald die heiße Phase dieser Mission begann.

Aber hin und wieder musste das einfach sein.

Schließlich war sie keine Maschine, die unentwegt funktionieren konnte, ohne Rücksicht auf die Umstände.

Ihr gegenüber hatte Bruder Guillermo Platz genommen. Er war Mitglied des Olvanorer-Ordens, einer religiös fundierten Gemeinschaft, die sich der Erforschung des Weltraums und fremder Lebensformen verschrieben hatte. Das kuttenartige Ordensgewand ließ ihn wie einen Mönch der irdischen Prä-Weltraum-Ära erscheinen. Tatsächlich hatten die Olvanorer in den christlichen Mönchsorden ihre ethischen und religiösen Wurzeln, auch wenn sie weder ein Zölibat noch ein Armutsgelübde kannten.

Bruder Guillermo diente an Bord der STERNENKRIEGER als ein Berater des Captains und der Besatzung. Formal stand er außerhalb der Flottenhierarchie, faktisch wurde er behandelt wie ein Offizier, was sich selbst in der Größe seiner Kabine zeigte.

»Yasuhiro von Schlichten ist ein Mann, der ein Ziel verfolgt und dabei vielleicht manchmal vergisst, nach links und rechts zu schauen«, sagte Bruder Guillermo.

Manchmal wirkt er so unsicher wie jemand, der gerade dem Teenager-Alter entwachsen ist – und dann ist sein Urteil plötzlich so glasklar, dass man kaum glauben kann, dass er gerade erst 24 Jahre alt ist, überlegte Rena und sagte laut: »In meinen Augen ist von Schlichten jemand, der für sein Ziel über Leichen gehen würde. Und das gefällt mir nicht.«

»Vielleicht beurteilen Sie von Schlichten sehr einseitig«, entgegnete Guillermo mit der für ihn typischen entwaffnenden Offenheit.

Rena hob die Augenbrauen.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Wussten Sie zum Beispiel, dass er ein Liebhaber von altirdischer Science-Fiction-Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts ist?«

Rena verzog ihre Lippen zu einem dünnen Lächeln. Auf welches Glatteis will er mich jetzt führen?, durchfuhr es sie.

»Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, mich über private Dinge mit Professor von Schlichten zu unterhalten – ganz im Gegensatz zu Ihnen, wie ich feststelle.«

Guillermo lächelte offen und schüttelte den Kopf. Er nahm einen Schluck seines Syntho-Drinks und sagte dann: »Sie irren sich. Ich hatte auch noch nicht die Gelegenheit, mich auch nur eine Minute mit ihm zu unterhalten.«

»Aber...«

»Es ist die Bezeichnung des Prototyps.«

»SEETEE SHOCK?«

»Ja. Das ist der Titel eines Romans von Jack Williamson, in dem es um die Nutzbarmachung der Antimaterie geht. Sowohl zur Herstellung von Waffen als auch zur friedlichen Energiegewinnung. Antike Science Fiction des späten Prä-Weltraum-Zeitalters .«

»Könnte Zufall sein.«

»Ich glaube nicht an Zufälle, Rena. Leider ist dieser Roman in unserer bordeigenen Datenbank nicht enthalten...«

»... sonst würden Sie ihn mir zur Lektüre empfehlen, damit ich das verquere Innenleben des Professors besser verstehe?«

Guillermo zuckte die Achseln. »Das haben Sie gesagt.«

Rena trank ihren Kaffee aus.

Inzwischen hatte sie das Programm, mit dessen Hilfe die bordeigenen Getränkeautomaten gesteuert wurden, dahingehend modifiziert, dass es dieses antike, auf der Erde des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts kaum noch konsumierte Getränk einigermaßen passabel zuzubereiten vermochte.

Ein Wirrwarr unterschiedlichster Gedanken hatte sich inzwischen in ihrem Kopf breit gemacht.

Warum hatte sie bei ihm nur immer den Eindruck, dass es nie Zufall war, wenn sie sich trafen, sondern pure Berechnung?

Renas Verstand wusste, dass diese Annahme Unsinn war.

Auf einem nur etwa hundert Meter langen Schiff wie der STERNENKRIEGER war es bei längeren Missionen so gut wie unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, sich in den Aufenthaltsräumen zu treffen, war einfach ziemlich hoch.

Und doch hat man bei ihm das Gefühl, dass er immer genau dann auftaucht, wenn man ein Problem hat, zu dem man gerne eine unabhängige Meinung hätte, überlegte Rena.

»Sie glauben, ich kann von Schlichten nur deshalb nicht leiden, weil er mir andauernd reinredet, während ich andererseits das Gefühl habe, dass er mir einige relevante Fakten vorenthält.«

»Und so jemandem können Sie nicht vertrauen.«

Guillermos Worte waren eine Feststellung, keine Frage. Sein Blick war offen. Er musterte Rena auf eine Weise, die ihr nicht gefiel.

»Schon möglich«, murmelte sie.

»Sie werden mit ihm zusammenarbeiten und ihm vertrauen müssen, Rena. Ob Sie nun wollen oder nicht. Letzteres schon deswegen, weil er Ihnen unendlich viel Wissen über Antimaterie voraushat.«

Genau das ist der Grund, weshalb ich ihn nicht leiden kann!, durchzuckte es Rena siedend heiß. Und Guillermo hat es von Anfang an gewusst!

*


»Eintritt ins Normaluniversum«, meldete John Taranos. Auf dem Bildschirm war keinerlei Veränderung feststellbar – abgesehen von der Tatsache, dass sich die scheinbare Bewegung der Sterne, die dort zu sehen war, verlangsamte.

Die STERNENKRIEGER befand sich nun im Unterlichtflug.

Der Punkt, an dem der Leichte Kreuzer aus dem Sandströmraum austrat, war so gewählt, dass die Entfernung zum Apollo-System groß genug blieb, um die nötigen Bremsmanöver durchzuführen. Andernfalls wäre das Schiff mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf die beiden Teilgestirne des Systems zugerast und innerhalb weniger Sekunden an ihnen vorbeigeschnellt.