Zwei Erzählungen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Zwei Erzählungen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Alexandre Dumas

Zwei Erzählungen

Impressum

Texte: © Copyright by Alexandre Dumas

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Übersetzer: © Copyrigh by Walter Brendel

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Altenberger Straße 47

01277 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Der neapolitanische Robert Macaire

Die Trauung auf dem Blutgerüst

Der neapolitanische Robert Macaire

1.

An dem Tage, wo wir nach der Straße Porcella kamen; gerieten wir in ein großes Gedränge, wir mussten aus dem Corricolo steigen, und unsern Weg zu Fuß fortsetzen. Eben wollten wir uns mit den Ellenbogen durch die Menge Platz machen, als es uns einfiel, nach der Ursache uns zu erkundigen, die sie hier versammelt hatte; wir erfuhren, es sei ein Prozess zwischen der Bruderschaft der Pilgrime und Don Filippo Villani vom Tribunal zu entscheiden. Der Grund dieses Prozesses war folgender: Der Beklagte, der sich vor einigen Tagen auf Kosten der Bruderschaft habe beerdigen lassen, sei nun vor Gericht geladen, um rechtlicher Ordnung nach den Beweis zu führen, dass er gestorben sei. Man sieht, der Prozess war originell genug, um einigen Zulauf einzuziehen. Wir fragten unsern Corricoloführer Francesco, wer Don Filippo Villani sei; im nämlichen Augenblicke deutete er aus ein Individuum, welches gerade eiligst an uns vorüber lief: »Hier ist er.«

»Der vor acht Tagen begraben wurde?«

»Derselbe.«

»Wie geht aber das zu?«

»Er wird wieder auferstanden sein.«

»Ist er denn ein Hexenmeister?«

»Stammt von Cagliostro ab.«

Wirklich hatte durch die authentisch hergestellte Abstammung von diesem glorreichen Ahnherrn und durch eine Reihe mehr oder minder seltsamer Kunststücke Don Filippo sich in Neapel in den Kredit eines Hexenmeisters gesetzt. — Man tat ihm Unrecht, er war ein Urbild: Don Filippo Villani war der neapolitanische Robert Macaire. Nur erhebt der neapolitanische Industrieritter sich weit über den französischem dieser letztere ist eine erdichtete Persönlichkeit, eine gesellschaftliche Fiktion, ein philosophischer Mythus; der ultramontane Robert Macaire ist dagegen ein Wesen von Fleisch und Blut, eine greifbare Individualität, eine sichtbare Exzentrizität.

Don Filippo ist ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, feurigen Augen, beweglichen Gesichtszügen, gellender Stimme, rascher und lebhafter Gestikulation; Don Filippo hat Alles gelernt, und weiß von Allem ein wenig: ein wenig Jus, ein wenig Medizin, ein wenig Chemie, ein wenig Mathematik, sein wenig Astronomie; daher kam es, dass er sich in Vergleichung mit allen seinen Umgebungen, sehr über die Andern erhaben fühlte, und diesem nach den Entschluss fasste, auf Kosten der Andern zu leben.

Don Filippo war zwanzig Jahre alt, als sein Vater starb, er hinterließ ihm gerade so viel Vermögen, als nötig war, um einige Schulden zu machen. Don Filippo war daraus bedacht, Gelder aufzunehmen, ehe er ganz ruiniert war, so dass seine ersten Wechsel pünktlich bezahlt wurden: es kam darauf an, seinen Kredit zu begründen. Aber jedes Ding aus dieser Welt hat ein Ende, es erschien ein Tag, wo Don Filippo zur Verfallzeit nicht zu Hause war: man kam am andern Morgen wieder, er war schon ausgegangen; man kam abends, er war noch nicht zu Hause. Der Wechsel ward protestiert. Die Folge davon war, dass Don Filippo aus den Händen der Bankiers in die der Geldwechsler überging, und künftig statt sechs Prozent zwölf bezahlen musste.

Nach Verlauf von vier Jahren war es für Don Filippo auch mit den Geldwechslern zu Ende gekommen, wie früher mit den Bankiers; nun kamen die Wucherer an die Reihe. Diese Veränderung ging ohne merklichen Eindruck vor sich nur dass statt zwölf Prozent Don Filippo deren fünfzig bezahlen sollte. Aber wenig lag ihm daran, da er jetzt anfing, gar nichts mehr zu bezahlen. Die Folge war, dass nach weiteren zwei Jahren Don Filippo die größte Mühe hatte, einen Juden zu finden, der ihm die benötigte Summe von tausend Thalern zu fünfzig Prozent zu leihen sich verstand. Endlich nach einer langen Reihe von Unterhandlungen, bei welchen Don Filippo das ganze vom Himmel ihm geschenkte Erfindungstalent in Bewegung gesetzt hatte, erschien der Sohn Isaaks bei Don Filippo mit seinem Wechselentwurfe: es war darin die Summe von neuntausend Franken verschrieben, der Jude brachte aber nur dreitausend; das hatte nichts zu bedeuten, es war so verabredet.

Don Filippo nahm den Wechsel, warf einen flüchtigen Blick darauf, griff nachlässig nach der Feder, tauchte sie schließlich ins Tintenfass, und setzte seine Unterschrift an den Schluss des Schreibens, schüttete eine Lage blauen Streusand auf die noch feuchte Tinte, und reichte dem Juden den Wechsel offen hin.

Der Jude beschaute das Papier; der Betrag und Unterschrift waren mit großen, sehr leserlichen Buchstaben geschrieben; er nickte zufrieden mit dem Kopfe, faltete den Wechsel zusammen, und legte ihn in eine alte Brieftasche, wo er bis zum Verfalltage bleiben sollte, denn Don Filippos Unterschrift hatte schon längst keinen Kurs mehr aus der Börse.

Am Verfalltage erschien der Jude bei Don Filippo; er war zu Hause, gegen seine Gewohnheit, und war sichtbar, gegen Erwartung. Der Jude ward vorgelassen.

»Signore,« sagte er mit einem tiefen Bückling gegen seinen Schuldner, »ich hoffe, Sie haben nicht vergessen, dass heute der Verfalltag unsers Wechselchens ist.«

»Nein, lieber Herr Felix«, erwiderte Don Filippo. — Der Jude hieß Felix.

»In dem Fall, hoffe ich,« sagte der Jude, »werden Sie die Maßregeln genommen haben, Alles richtig zu machen?«

»Daran habe ich noch keinen Augenblick gedacht.«

»Dann werben Sie wissen, dass ich Sie belangen werde?«

»Immerhin.«

»Es ist Ihnen bekannt, dass ein Wechsel den Personalarrest nach sich zieht? «

»Ich weiß das.«

»Und damit Sie nicht Unwissenheit vorschützen, so mache ich Ihnen kund, dass ich stehenden Fußes gehe, Sie vorladen zu lassen.«

»Kann geschehen.«

Der Jude ging brummend fort und ließ Don Filippo auf den achten Tag vorladen.

Don Filippo erschien vor dem Tribunal. — Der Jude trug seine Klage vor.

»Anerkennen Sie die Schuld?« fragte der Richter.

»Nicht allein, dass ich sie nicht anerkenne,« erwiderte Don Filippo, »ich weiß nicht einmal, was der Herr will.«

»Übergeben Sie Ihre Urkunde dem Tribunal,« sagte der Richter zum Kläger.

Der Jude nahm den von Don Filippo unterzeichneten Wechsel aus der Brieftasche, und gab ihn, zusammengefaltet, wie er war, dem Richter hin. — Der Richter warf einen Blick darauf; »Ja,« sprach der Richter, »das ist allerdings ein Wechsel, ich sehe aber weder Betrag noch Unterschrift.«

»Was!« schrie Felix und entfärbte sich.

»Lesen Sie selbst,« sagte der Richter, und gab den Wechsel dem Kläger zurück.

Der Jude wäre beinahe rücklings niedergefallen. Der Betrag und die Unterschrift waren in der Tat, verschwunden, wie durch Zauberei.

»Infamer Spitzbube!« schrie er, gegen Filippo gewendet; »das sollst du mir teuer bezahlen!«

»Verzeihung, mein lieber Herr Felix, Sie irren sich, Sie werden im Gegenteil mir bezahlen.« Dann wendete er sich an den Richter:

»Exzellenz,« sprach er, »wir bitten um einen Akt darüber, dass wir soeben in Gegenwart des Tribunals beleidiget worden sind, ohne alle Ursache.«

»Wir gewähren es,« sprach der Richter.

Mit seinem Akte versehen, belangte Don Filippo den Juden auf Diffamation, und da die Beleidigung öffentlich geschehen war, so blieb das Urteil nicht lange aus. — Der Jude wurde zu drei Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von tausend Thalern verurteilt.

Nun wollen wir das Wunder erklärten — Statt in die Tinte zu tauchen, hatte Don Filippo die Feder nur in seinen Mund getaucht und so benetzt, und auf die Feuchten Buchstaben blauen Streusand geschüttet. Der Streusand hatte die Züge richtig dargestellt, aber nachdem alles getrocknet war, fiel der Sand herunter, und mit ihm Betrag und Unterschrift.

Don Filippo gewann sechstausend Franken mit diesem Taschenspielerstückchen, aber er verlor den Rest seines Kredits; es ist zwar richtig, dass ihm dieser Rest allem Anschein nach keine sechstausend Franken eingetragen hätte.

Wie sparsam man nun euch mit tausend Thalern umgehen möge, ewig können sie nicht währen; überdies hatte Don Filippo ein zu festes Vertrauen auf sein Genie, als dass er die Sparsamkeit bis zum Geize getrieben hätte. Er versuchte, ein neues Ansehen zu eröffnen, aber die Geschichte des armen Felix hatte großes Aufsehen gemacht, und wenn auch kein Mensch den Juden bedauerte, so fühlte doch Jedermann eine entschiedene Abneigung, sich mit einem Taschenspieler einzulassen, der die Kunst verstand, seine Unterschrift in der Tasche des Gläubigers unsichtbar werden zu lassen.

Mittlerweile näherte sich der Anfang des Monats April. Der vierte Mai ist der Zeitpunkt des Wohnungswechsels in Neapel. Don Filippo war seinem Hausherrn zwei Ziele schuldig, und dieser ließ ihm sagen, wenn er diese nicht in vierundzwanzig Stunden bezahle, so werde er ihn auf den dritten Tag ausweisen lassen.

Der Tag erschien, und da Don Filippo nicht bezahlte, so pfändete und verkaufte man seine Möbeln mit Ausnahme seines Bettes und des Bettes eines alten Familienstückes von Magd, die ihn nicht hatte verlassen wollen, und alle seine Schicksalswechselfälle mit ihm teilte. Am Abend des Tages, wo er das Haus verlassen sollte, ging er aus, eine andere Wohnung zu suchen. Dies war gerade keine leichte Sache, denn den Don Filippo, kannte seit einiger Zeit jeder Pflasterstein in Neapel. Ohne Hoffnung, einen Hausherrn zu finden, mit dem er in Güte einig werden könnte, beschloss er durch Gewalt oder List zum Ziele zu gelangen. Er wusste ein Haus, das der Eigentümer, ein alter Geizhals, lieber in Ruinen zerfallen ließ, ehe er es ausbesserte. Zu jeder andern Zeit würde er dies Haus seiner Person höchst unwürdig gefunden haben, aber Don Filippo hatten seine Widerwärtigkeiten anspruchsloser gemacht. Er gewann den Tag hindurch die Überzeugung, dass das Haus nicht bewohnt war, und wie es Nacht geworden, zog er aus seiner alten Wohnung aus mit seiner Magd, jedes trug sein Bett, und so ging es dem neuen Quartiere zu. Die Tür war verschlossen, aber ein Fenster stand offen, durch dieses stieg er ein, öffnete seiner Gefährtin die Tür, wählte das beste Zimmer für sich, forderte sie auf, ihre Wahl ebenfalls zu treffen, und in einer Stunde waren beide eingerichtet.

 

Einige Tage nachher kam der alte Geizhals, nach seinem Hause zu sehen, und fand es bewohnt. Das war ein Glücksfall für ihn; seit zwei bis drei Jahren war es in einem solchen verwahrlosten Zustande, dass er es an Niemanden vermieten konnte: er ging also zurück, ohne ein Wort zusagen, nur ließ er durch zwei Nachbarn die Besitzergreifung sich bestätigen.

Am Tage des verfallenen Mietzieles kam Don Bernardo mit seinem Scheine, und sprach nach einer Menge Referenzen: »Signore, ich komme, das Gelb einzuziehen, das Sie so gefällig sein wollten, mir schuldig zu werden, indem Sie mir die angenehme Überraschung schenkten, sich bei mir einzulogieren, ohne mir Nachricht davon zu geben.«

»Mein teurer, mein ehrenwerter Freund,« erwiderte Don Filippo, ihm eifrig die Hand drückte, »erkundigen Sie sich, ob ich jemals irgendwo mein Quartier bezahlt habe, und wenn Sie in ganz Neapel einen einzigen Hauseigentümer finden, der Ihnen dies bejaht, so bezahle ich Ihnen das Doppelte von dem was ich schuldig bin, so gewiss ich Don Filippo Villiani heiße.«

Bei diesem gefürchteten Namen entfärbte sich der Hauseigentümer. Bis jetzt hatte er nicht gewusst, welche berühmte Person ihm die Ehre erwies, bei ihm zu wohnen. Die Gerüchte von Zauberkunst, die sich auf Don Filippos Rechnung verbreitet hatten, fielen ihm aufs Herz, und er glaubte sich nicht bloß zu Grunde gerichtet, weil er einen zahlungsunfähigen Mietmann aufgenommen hatte, sondern auch der Verdammnis verfallen, weil er sich mit einem Hexenmeister eingelassen.

Don Bernardo zog sich zurück, um nachzusinnen, welchen Entschluss er fassen sollte. Wäre er der hinkende Teufel gewesen, so hätte er das Dach abgehoben, so aber war er nur ein armer Teufel, und entschloss sich, es einfallen zu lassen, was nach dem Zustande des Hauses nicht sehr lange mehr währen konnte. Es war eben in der regnerischen Jahreszeit, und man weiß, wenn es in Neapel regnet, wie freigebig der Himmel seine Schleusen öffnet, als Don Bernardo abermals auf seines Hauses Schwelle erschien.

Wie unsere ersten Urväter sich der Strafe Gottes durch die Flucht zu entziehen glaubten, so hatte sich Don Filippo vor der einbrechenden Sündflut von Zimmer zu Zimmer zurückgezogen. Der Hausherr glaubte denn Anfangs, er habe das Feld wirklich geräumt, aber seine Täuschung war von kurzer Dauer. Bald vernahm er seines Mietmanns Stimme in einem kleinen Kabinett, das um ein Weniges wasserdichter war als die übrigen; hier fand er ihn auf seinem Bette, in der einen Hand einen offenen Regenschirm, in der andern ein Buch, und aus vollem Halse Horazens Verse deklamierend: lmpavidum feriento ruinae!

Der Hausherr stand einen Augenblick unbeweglich vor der enthusiastischen Resignation seines Mieters, endlich fand er wieder Worte:

Sie wollen also nicht hinausgehen?« fragte er mit schwacher verlegener Stimme.

»Hören Sie mich an, werter Freund, hören Sie mich, mein sehr schätzbarer Hausherr,« sagte Don Filippo, sein Buch zumachend. »Um mich hinauszujagen, müssen Sie mir einen Prozess machen, das ist augenscheinlich, wir haben keinen schriftlichen Vertrag, und ich bin im Besitz. Nun, ich lasse mich als ungehorsam verurteilen, in einem Monat lege ich Rechtsmittel ein gegen das Urteil — zwei — Monate: Sie lassen mich wieder vorladen — drei Monate: ich appelliere — vier Monate: Sie erhalten ein zweites Urteil für sich — fünf Monate: ich ergreife Kassation — sechs Monate. Sie sehen wohl, wenn man die Sache ein klein wenig ausdehnt, denn ich rechne immer ganz strenge, so geht ein Jahr darüber hin — nun erst die Kosten.«

»Was da, die Kosten!« schrie der Hauseigentümer, »in die Kosten werden Sie verurteilt.«

»Ganz richtig, in die Kosten werde ich verurteilt, aber Sie werden Sie bezahlen, abgesehen, dass ich keinen Sou habe, und dass Sie, als der Kläger, gezwungen sein werden, den Vorschuss zu leisten.«

»Das ist leider nur allzu wahr!« murmelte der arme Hausherr mit einem tiefen Seufzer.

»Es ist ein Gegenstand von sechshundert Dukaten,« fuhr Don Filippo fort.

»Beinahe,« bemerkte der Hausherr, der in der Eile die Gebühren der Richter, der Anwälte und Gerichtsschreiber ausgerechnet hatte.

»Nun, so wollen wir es klüger anfangen, werter Hausherr, vergleichen wir uns. Geben Sie mir die Hälfte der Summe, und ich gehe im Augenblicke freiwillig, und ziehe mich in der Güte zurück.«

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?