Die Kameliendame

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Die Kameliendame
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Alexandre Dumas

Die Kameliendame

Inhaltsverzeichnis

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

Impressum

I

Ich bin der Ansicht, daß man Personen nur dann erfinden kann, wenn man die Menschen sehr genau studiert hat, wie man eine fremde Sprache auch nur dann sprechen kann, wenn man sie ernsthaft erlernt hat.

Noch bin ich nicht alt genug, um erfinden zu können. Deshalb begnüge ich mich damit, nachzuerzählen. Ich bitte den Leser, von der Wahrhaftigkeit dieser Erzählung überzeugt zu sein. Alle Personen, mit Ausnahme der Heldin, leben noch.

Übrigens befinden sich in Paris Augenzeugen, die die meisten der hier zusammengefaßten Begebenheiten miterlebt haben. Sie können, falls man mir nicht glauben sollte, die Wahrhaftigkeit bestätigen. Ein eigenartiger Zufall spielte mir alle Einzelheiten in die Hände, so daß ich allein in der Lage bin, darüber zu schreiben. Ohne dieses Wissen wäre eine fesselnde und vollständige Wiedergabe unmöglich. Am zwölften März 1847 las ich in der Rue Lafitte ein großes, gelbes Plakat, das eine Nachlaßversteigerung von Möbeln und wertvollen Raritäten ankündigte. Der Name der Verstorbenen war nicht angezeigt, wohl aber, daß die Versteigerung am Sechzehnten um fünf Uhr in der Rue d'Antin Nr. 9 stattfinden sollte.

Außerdem wurde bekanntgegeben, daß man am Dreizehnten und Vierzehnten die Wohnung und das Mobiliar besichtigen könne.

Schon immer bin ich ein Liebhaber von erlesenen Gegenständen gewesen. Deshalb nahm ich mir vor, diese Gelegenheit nicht zu versäumen. Wenn ich auch nicht beabsichtigte, etwas zu kaufen, so wollte ich doch dabeisein. Am nächsten Morgen begab ich mich in die Rue d'Antin Nr. 9. Es war noch früh, und doch waren schon viele Besucher und vor allem Besucherinnen in der Wohnung. Mit Erstaunen, ja mit Bewunderung betrachteten sie den Luxus, der sie umgab, obgleich sie selbst auch Samtroben und Kaschmirschale trugen und ihre eleganten Wagen unten vor dem Portal warteten. Bald jedoch verstand ich ihr Staunen. Ich sah mich genauer um und konnte unschwer feststellen, daß ich mich in der Wohnung einer Kurtisane befand. Nichts interessiert die Damen der Gesellschaft - und es waren auch Damen der Gesellschaft anwesend - mehr als die Gemächer dieser Frauen, deren Wagen jeden Tag die ihren mit Schmutz bespritzen. Sie haben neben ihnen eine Loge in der Oper und im Schauspiel und halten Paris mit ihrer auffallenden Schönheit, ihrem Schmuck und ihren Skandalen in Atem. Die, bei der ich mich hier befand, war gestorben. Die tugendhaftesten Frauen durften nun bis in ihre Gemächer vordringen. Der Tod hatte die zwielichtige Atmosphäre geläutert. Übrigens konnten sie ja auch zu ihrer Entschuldigung, falls es notwendig sein sollte, sagen, daß sie zu einer Versteigerung kamen, ohne zu wissen, wer hier gewohnt hatte. Sie hatten die Plakate gelesen und wollten sich das ansehen, was sie ankündigten, und schon im voraus ihre Wahl treffen: nichts natürlicher als das. Und nichts hinderte sie daran, unter all diesen Kostbarkeiten nach den Geheimnissen des Kurtisanenlebens zu fahnden, von dem man ihnen sicher viel Seltsames erzählt hatte. Unglücklicherweise aber hatte das vergötterte Geschöpf seine Geheimnisse mit ins Grab genommen. Trotz aller Neugier konnten die Damen nur in Augenschein nehmen, was nach dem Tode versteigert werden sollte, und nicht in Erfahrung bringen, um welchen Preis alle diese Dinge erworben wurden.

Indes konnte man hier wirklich wertvolle Dinge erstehen, Das Mobiliar war auserlesen. Rokokomöbel aus Rosenholz, Vasen aus Sevres- und Chinaporzellan, Meißener Figuren, Seide, Brokate und Spitzen, es fehlte nichts. Ich schlenderte durch die Wohnung und folgte den vornehmen Neugierigen. Sie betraten einen Raum, dessen Wände mit kostbaren persischen Wandbehängen ausgestattet waren. Ich wollte ihnen folgen, als sie fast im selben Augenblick wieder herauskamen, verlegen lächelnd, als schämten sie sich dieser Sehenswürdigkeit. Nun wünschte ich um so lebhafter, diesen Raum zu sehen. Es war das Boudoir, und unzählige zierliche Toilettengegenstände zeugten von der maßlosen Verschwendungssucht der Verstorbenen. An der Wand stand ein Tisch, sechs Fuß lang und drei Fuß breit, auf dem alle Kostbarkeiten von Aucoc und Odiot glitzerten. Es war eine wundervolle Sammlung, und keiner der vielen Toilettengegenstände, die so notwendig sind für diese Frauen, war nicht aus Gold oder wenigstens aus Silber. Alle diese Dinge mußten nach und nach und nicht durch ein einziges Liebesverhältnis zusammengekommen sein. Mir, der ich durchaus nicht entsetzt war beim Anblick des Boudoirs einer ausgehaltenen Frau, mir machte es Freude, die einzelnen Gegenstände näher zu betrachten. Dabei stellte ich fest, daß sie alle aufs wundervollste mit den verschiedensten Initialen und Kronen graviert waren.

Ich bewunderte alle diese Kostbarkeiten, von denen jede einzelne eine Preisgabe des armen Mädchens bedeutete, und ich sagte mir, daß Gott sehr gütig zu ihr gewesen sei, weil er nicht gewollt hatte, daß sie eine der üblichen Folgen ihrer Lebensweise erdulde. Er hatte sie in ihrem Luxus und in ihrer Schönheit sterben lassen, bevor das Alter, dieser erste Tod der Kurtisanen, nahte.

Gibt es wohl etwas Trostloseres, besonders für diese leichtlebigen Frauen, als das Alter? Ihre Reize schwinden, und sie entwürdigen sich immer mehr. Und die beständige Reue, nicht etwa wegen des schlechten Lebenswandels, sondern wegen der falschen Berechnungen und des unklug angelegten Geldes, ist eines der betrüblichsten Dinge, die es für sie gibt. Ich kannte eine einstmals sehr freigebige Dame, der von ihrer Vergangenheit nichts geblieben war als eine Tochter, die, wie ihre Zeitgenossen sagten, ebenso schön war, wie die Mutter es einst gewesen sei. Zu diesem armen Mädchen sagte die Mutter dann immer nur: »Du bist meine Tochter«, wenn sie von ihr forderte, daß sie im Alter von ihr versorgt werde, wie sie einst das Kind versorgt hatte. Das arme Wesen, es hieß Louise, gehorchte der Mutter und gab sich hin, ohne eigenen Willen, ohne Leidenschaft und ohne Freude, wie sie einen Beruf ausgeübt hätte.

Diese beständige und allzu frühe Ausschweifung, geschürt durch eine immerwährende Kränklichkeit des Mädchens, hatten in ihr das Gefühl für Gut und Böse ersterben lassen, das Gott auch ihr sicher mitgegeben hatte und das bei ihr zu suchen niemand auf den Gedanken kam. Immer wieder muß ich an dieses junge Mädchen denken, das fast täglich zur gleichen Stunde auf den Boulevards zu sehen war. Ihre Mutter begleitete sie stets ebenso beharrlich, wie eine wahrhaft liebevolle Mutter ihre Tochter begleiten würde. Ich war damals noch sehr jung und bereit, für mein Teil die lockere Moral meines Jahrhunderts gutzuheißen. Ich erinnere mich indessen, daß derAnblick dieser skandalösen Überwachung mir Verachtung einflößte und mir eine häßliche Erinnerung hinterließ. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich niemals auf dem Antlitz eines jungen Mädchens einen ähnlich unschuldigen und zugleich melancholischen Ausdruck gesehen habe. Man hätte sagen können, sie war die Gestalt gewordene Resignation. Eines Tages leuchtete das Antlitz des jungen Mädchens auf. Unter all den Ausschweifungen, die ihr die Mutter zumutete, schien Gott der Sünderin ein Glück bereitzuhalten. Und warum sollte er, der sie zu einer Sünderin werden ließ, warum sollte er sie ohne Trost die leidvolle Last ihres Lebens tragen lassen? Eines Tages also stellte sie fest, daß sie in Hoffnung war, und alles noch Ehrbare in ihr zitterte vor Freude. Die Seele hat seltsame Schlupfwinkel!

Louise beeilte sich, die für sie so beglückende Neuigkeit ihrer Mutter mitzuteilen. Was nun geschah, ist so schändlich, daß man wohl besser daran täte, es zu verschweigen, wenn es nicht notwendig wäre, diese bitteren Tatsachen von Zeit zu Zeit vom Martyrium dieser Wesen künden zu lassen; dieser Wesen, die man verdammt, ohne sie zu hören, die man verachtet, ohne ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist schändlich, aber die Mutter antwortete dem jungen Mädchen, sie hätten nicht einmal genug für zwei, und für drei würde es niemals reichen. Derartige Kinder seien unnütz, und eine Schwangerschaft bedeute nur verlorene Zeit.

 

Am nächsten Morgen kam zu Louise eine sogenannte Hebamme, besser gesagt eine Freundin der Mutter. Als die Tochter nach einigen Tagen wieder das Bett verließ, war sie noch blasser und hinfälliger als zuvor. Drei Monate später verliebte sich ein Mann in Louise. Er hatte Mitleid mit ihr und wollte sie seelisch und körperlich heilen. Aber die letzte Erschütterung war zu heftig gewesen, und sie starb bald an den Folgen des erzwungenen Kindbettes. Die Mutter lebt noch. Warum? Das weiß Gott allein. Diese Begebenheit kam mir wieder in den Sinn, während ich die silbernen Gegenstände betrachtete. Offenbar war über diesen Gedanken geraume Zeit verstrichen, denn in der Wohnung waren nur noch ich und ein Wärter, der von der Tür aus aufmerksam beobachtete, ob ich nichts mitnahm. Ich näherte mich dem guten Mann, dem ich so verdächtig erschien.

»Können Sie mir sagen«, fragte ich ihn, »wer hier gewohnt hat?«

»Fräulein Marguerite Gautier.«

Ich kannte dieses Mädchen nicht nur dem Namen nach, ich hatte es auch gesehen.

»Wie«, rief ich aus, »Marguerite Gautier ist gestorben?« »Ja, mein Herr.« »Und wann?« »Vor drei Wochen etwa.«

»Und warum läßt man die Wohnung besichtigen?« »Die Gläubiger sind der Ansicht, es würde den Ertrag der Versteigerung erhöhen. Man kann im voraus die Wirkung der Stoffe und der Möbel sehen und kauft dann eher.« »Hatte sie denn Schulden?«

»Oh, mehr als genug!« »Aber die Versteigerung wird sie decken?« »Mehr als das.«

»Und wer bekommt den Überschuß?« »Ihre Familie.« »Hat sie denn Familie?« »Es scheint so.« »Ich danke Ihnen.« Der Wärter war beruhigt, denn mein Interesse erklärte mein langes Verweilen. Er grüßte mich, und ich verließ die Wohnung.

Armes Mädchen, dachte ich, als ich nach Hause ging. Sie muß unter sehr traurigen Umständen gestorben sein, denn in ihrer Welt hat man nur Freunde, wenn man gesund ist. Ich weiß nicht weshalb, aber ich bedauerte den Tod Marguerite Gautiers.

Vielleicht mag ich manchen Menschen lächerlich erscheinen, aber ich habe eine unerschöpfliche Nachsicht mit Kurtisanen. Ich gebe mir nicht einmal die Mühe, die Ursache dieser Nachsicht zu ergründen.

Als ich mir einmal einen Paß auf der Präfektur holen wollte, sah ich, wie in einer Nebenstraße zwei Gendarmen ein Mädchen abführten. Ich weiß nicht, was dieses Mädchen verbrochen hatte. Ich kann nur berichten, daß es bitterlich weinte und ein Kind von einigen Monaten umarmte, weil sie durch die Verhaftung voneinander getrennt wurden. Von diesem Tage an habe ich niemals mehr eine Frau auf den ersten Blick verurteilen können.

II

Die Versteigerung war am Sechzehnten. Man hatte zwischen die Besichtigung und die Auktion einen Tag eingeschoben, damit die Tapezierer die Wandbespannungen und die Vorhänge abnehmen konnten. Ich war zu jener Zeit gerade von einer Reise zurückgekehrt. Daß mir meine Freunde Marguerites Tod nicht unverzüglich als eine der großen Neuigkeiten der Metropole der Sensationen erzählt hatten, war natürlich. Zwar war Marguerite sehr schön. Aber soviel Aufsehen auch das Leben dieser Frauen verursacht, sowenig beeindruckt ihr Tod. Sie sind wie die Sterne, die ohne viel Aufhebens untergehen, wie sie aufgegangen sind. Von ihrem Tod, wenn sie jung sterben, erfahren fast alle ihre Liebhaber gleichzeitig. Denn in Paris sind die Freunde dieser Mädchen fast alle gut miteinander befreundet. Einige Erinnerungen werden über sie ausgetauscht, und das Leben aller läuft weiter, ohne daß dieses Ereignis sie auch nur eine Träne kostet.

Wenn man fünfundzwanzig Jahre alt ist, dann vergießt man kostbare Tränen nicht bei jeder Gelegenheit. Es will schon viel heißen, wenn man Eltern, denen man das Leben verdankt, beweint.

Mich dagegen, obgleich meine Initialen sich auf keinem der Toilettengegenstände von Marguerite befanden, mich ließen meine angeborene Nachsicht und mein Mitleid viel länger an ihren Tod denken, als sie es vielleicht verdient hatte. Ich erinnere mich, daß ich Marguerite oft auf den Champs-Elysées begegnet war. Man sah sie dort bei jedem Wetter in ihrem kleinen, blau ausgeschlagenen Wagen mit den zwei wundervollen Pferden davor. Ich hatte damals eine Zurückhaltung bei ihr festgestellt, durch die sie sich von den anderen ihrer Art unterschied, was ihre außergewöhnliche Wirkung noch erhöhte. Im allgemeinen sind diese Geschöpfe bei ihren Ausfahrten nie ohne Begleitung. Da aber kein Mann es wagt, seine nahen Beziehungen zu ihnen

der Öffentlichkeit preiszugeben, und sie wiederum die Einsamkeit fürchten, nehmen sie entweder weniger Glückliche, die keinen eigenen Wagen haben, oder irgendeine verblühte Kurtisane mit, deren Eleganz durch nichts gerechtfertigt ist und an die man sich ungeniert wenden kann, wenn man Näheres über ihre jugendliche Begleiterin erfahren möchte. Marguerite verhielt sich anders, sie fuhr immer alleine und so unauffällig als möglich in ihrem Wagen durch die Champs-Elysées. Im Winter war sie in einen großen Kaschmirschal gehüllt, im Sommer trug sie schlichte Kleider. Auf ihrem Lieblingsweg traf sie natürlich sehr viele Bekannte. Doch wenn sie einem zufällig ihr Lächeln schenkt, so war es nur für ihn zu erkennen, und eine Herzogin hätte nicht verschwiegener auszeichnen können. Sie stieg nicht aus und spazierte nicht um den Rond-Point, wie die anderen es noch heute tun. Ihre beiden Pferde brachten sie auf dem kürzesten Weg in den Bois. Dort erst ging sie eine Stunde spazieren und kehrte dann im Trab nach Hause zurück. An alle diese Einzelheiten, die ich ein paarmal miterlebt hatte, mußte ich denken. Ich bedauerte den Tod dieses Mädchens, wie man die völlige Vernichtung eines schönen Kunstwerkes bedauert.

Es war wirklich unmöglich, einer reizenderen Schönheit als Marguerite zu begegnen.

Groß und fast allzu schlank, besaß sie die seltene Gabe, dieses Versäumnis der Natur durch die geschickte Anordnung ihrer Kleider zu verbergen. Ihr Kaschmirschal, dessen Spitzen die Erde berührten, ließ zu beiden Seiten die weiten Volants ihres Seidenkleides sehen. Und der große Muff, der ihre schönen Hände verbarg, und den sie gegen ihre Brust drückte, war so geschickt mit Falten umrahmt, daß nichts auszusetzen war, so sehr er auch zu ihrer Zierlichkeit in Kontrast stand. Ihr wundervoller Kopf war eine einzigartige Laune der Natur. Er war winzig klein, und ihre Mutter hatte ihn, wie Musset sagen würde, deshalb so klein werden lassen, damit er im einzelnen vortrefflich sei. Denken Sie sich ein Oval von unbeschreiblicher Anmut, darin zwei schwarze Augen, über denen die Brauen in so reinen Bogen verlaufen, daß sie wie gemalt scheinen. Denken Sie sich weiter lange Wimpern, die beim Senken der Lider Schatten auf die Rosenwangen werfen, eine schlanke Nase, gerade und geistvoll, die ein wenig geschwungenen Nasenflügel verraten Lebenslust und Sinnenfreude. Wenn sie ihren regelmäßigen Mund anmutig öffnet, schimmern ihre milchweißen Zähne. Ihre Haut ist, den Pfirsichen ähnlich, die noch keine Hand berührt hat, wie mit Flaum überzogen und samtweich. Jetzt haben Sie ihren entzückenden Kopf vor sich. Ihre pechschwarzen Haare, die anscheinend natürlich gelockt waren, umrahmten ihr Antlitz und ließen die Ohrläppchen frei, in denen zwei Diamanten blitzten, die jeder vier- bis fünftausend Francs wert waren. Wie ging es zu, daß das leidenschaftliche Leben den charakteristischen Zug in Marguerites Antlitz, den jungfräulichen, fast möchte ich sagen kindlichen Ausdruck nicht zerstörte? Man ist gezwungen, es festzustellen, ohne es begreifen zu können.

Marguerite besaß ein wundervolles Porträt von sich, von Vidal gemalt, dem einzigen Menschen, dessen Kunst ihr gerecht werden konnte. Ich habe es nach ihrem Tode einige Tage zur Verfügung gehabt. Es ist von so verblüffender Ähnlichkeit, daß es mir dort eine große Hilfe war, wo ich mich auf mein Gedächtnis nicht ganz verlassen konnte. Einige Einzelheiten dieses Kapitels sind mir erst im Laufe der Zeit bekanntgeworden. Ich schreibe sie aber jetzt schon nieder, damit ich sie nicht später einflechten muß, weil nun die Geschichte dieser Frau beginnen wird.

Marguerite wohnte allen gesellschaftlichen Ereignissen bei und besuchte jeden Abend das Theater oder den Ball. Sooft ein neues Stück gegeben wurde, konnte man sicher sein, sie dort zu finden und ebenso drei Dinge, die sie immer bei sich hatte und die vor ihr auf der Brüstung der Parterreloge lagen: ihr Opernglas, eine Bonbonniere und ein Strauß Kamelien.

An fünfundzwanzig Tagen im Monat waren die Kamelien weiß und an fünf Tagen rot. Niemand hat den Grund für diesen Farbenwechsel, den ich erwähne, ohne ihn erklären zu können, je erfahren. Die Besucher ihres Lieblingstheaters und alle ihre Freunde haben es aber ebenso wie ich beobachtet. Man hat Marguerite niemals mit anderen Blumen als Kamelien gesehen. Im Laden der Madame Barjon, ihrer Blumenverkäuferin, wurde ihr deshalb der Beiname »die Kameliendame« gegeben, und dieser Beiname war ihr geblieben. Ich und alle anderen eines gewissen Pariser Kreises wußten, daß Marguerite die Geliebte der elegantesten jungen Leute war. Sie selbst erzählte es, auch die jungen Herren rühmten sich dessen - ein Zeichen dafür, daß Liebhaber und Geliebte nichts aneinander auszusetzen hatten.

In letzter Zeit hieß es, sie würde seit ihrer Reise nach Bagneres, die drei Jahre zurücklag, nur noch mit einem alten, ausländischen Herzog zusammenleben. Er war unermeßlich reich und hatte so weit als möglich versucht, sie von ihrem früheren Leben zu lösen, was sie offenbar gutwillig geschehen ließ. Folgendes hat man mir darüber berichtet: Im Frühling des Jahres 1842 war Marguerite so zart und angegriffen, daß dieÄrzte ihr Bäder verordneten. Also reiste sie nach Bagneres.

Unter den Kranken dort befand sich auch die Tochter des Herzogs. Sie hatten nicht nur die gleiche Krankheit, sondern sahen sich auch so ähnlich, daß man sie für Schwestern halten konnte. Nur war die junge Herzogin bereits im höchsten Grad schwindsüchtig, und wenige Tage nach Marguerites Ankunft verschied sie.

Der Herzog war in Bagneres geblieben, weil man gerne dort verweilt, wo ein Teil unseres Herzens begraben liegt. Eines Tages begegnete er an einer Wegbiegung Marguerite. Ihm war es, als sähe er den Schatten seines Kindes. Auf sie zueilend, ergriff er ihre beiden Hände, umarmte sie und erbat von ihr, ohne nach ihrem Namen zu fragen, die Erlaubnis, sie sehen und in ihr das Abbild seines toten Kindes Sehen zu dürfen.

Marguerite, die mit ihrer Kammerfrau alleine in Bagneres weilte und im übrigen nicht zu befürchten brauchte, sich zu kompromittieren, gewährte dem Herzog seine Bitte. Es waren jedoch in Bagneres Menschen, die sie kannten und die sich beeilten, den Herzog über Fräulein Gautier aufzuklären. Das war eine bittere Enttäuschung für den alten Mann, denn in diesem Punkte war sie seiner Tochter nicht ähnlich. Aber die Warnungen kamen zu spät, die junge Frau war seinem Herzen schon zu teuer geworden, ja sie war der einzige Vorwand, die einzige Erklärung dafür, daß er noch lebte.

Er machte ihr keinen Vorwurf, er hatte nicht das Recht dazu. Aber er bat sie, wenn sie sich dessen fähig fühlte, ihr Leben zu ändern. Für dieses Opfer bot er ihr jede Entschädigung an, die sie sich nur wünschen konnte. Sie versprach ihm, seinen Wunsch zu erfüllen.

Es muß gesagt werden, daß Marguerite, an und für sich schwärmerisch und leidenschaftlich veranlagt, damals sehr krank war. Ihr bisher zügelloses Leben erschien ihr als die Ursache ihrer Krankheit. Nun hoffte sie abergläubisch, Gott würde ihr Schönheit und Gesundheit erhalten als Ausgleich für Reue und Umkehr.

Tatsächlich hatten die Bäder, die Spaziergänge, natürliche Müdigkeit und gesunder Schlaf sie einigermaßen wiederhergestellt, als der Sommer zur Neige ging. Der Herzog begleitete Marguerite nach Paris, wo er sie wie in Bagneres täglich sah.

Die wahre Ursache und den wahren Grund dieser Beziehung hat man niemals erfahren. Sie bedeutete für Paris eine Sensation, denn der Herzog, bekannt wegen seines großen Vermögens, machte jetzt durch seine Verschwendung von sich reden.

Man sagte, die Verbindung der beiden beruhe auf der Sucht des Herzogs nach Ausschweifung, wie man sie häufig bei reichen, alten Männern findet. Man vermutete alles, nur nicht die Wahrheit.

 

Er aber hegte nur reine Vatergefühle für Marguerite, und jede andere Empfindung wäre ihm wie Blutschande vorgekommen. Niemals hat er ihr auch nur ein Wort gesagt, das seine Tochter nicht hätte hören können. Es liegt uns aber fern, unsere Heldin anders zu zeigen, als sie war. Wir berichten also, daß es ihr, solange sie in Bagneres war, nicht schwerfiel, das dem Herzog gegebene Versprechen zu halten. Aber wieder in Paris, glaubte dieses an Zerstreuung, an Bälle und ausschweifende Feste gewöhnte Mädchen vor Langeweile sterben zu müssen. Ihr eintöniger Tageslauf wurde nur durch die regelmäßigen Besuche des Herzogs unterbrochen. Die Erinnerung an ihr früheres Leben ließ ihr keine Ruhe und entrang ihr heiße, sehnsuchtsvolle Seufzer. Wir müssen hinzufügen, daß Marguerite von dieser Reise schöner denn je zurückgekehrt war. Sie war zwanzig Jahre alt, und die schlummernde, aber nicht besiegte Krankheit erweckte in ihr den größten Lebenshunger, der fast immer die Begleiterscheinung eines Lungenleidens ist. Die Freunde des Herzogs lagen unablässig auf der Lauer, um ihm einen Fehltritt der jungen Frau, mit der er sich, wie sie sagten, kompromittierte, zu hinterbringen. Er war tief betrübt, als sie ihm eines Tages eilfertig berichteten, sie würde immer dann, wenn sie sein Kommen nicht befürchten mußte, Besucher empfangen, die manchmal bis zum nächsten Morgen bei ihr blieben. Zur Rede gestellt, gestand Marguerite dem Herzog alles. Selbstlos legte sie ihm nahe, sich nicht mehr um sie zu kümmern, denn sie fühle sich nicht fähig, das gegebene Versprechen zu halten, und wollte nicht langer die Wohltaten eines Mannes annehmen, den sie täuschte. Der Herzog blieb sieben Tage aus. Das war die äußerste Zeitspanne, die er, ohne sie zu sehen, ertragen konnte. Am achten Tage kam er wieder zu Marguerite und flehte sie an, ihn weiterhin zu empfangen. Er versprach ihr, sie dürfe so bleiben, wie sie sei, und schwor, er werde ihr bis ins Grab hinein niemals einen Vorwurf machen. So lagen die Dinge drei Monate nach Marguerites Rückkehr, also im November oder Dezember 1842.