Nächste Ausfahrt Freiheit

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Nächste Ausfahrt Freiheit

Erfahrungsberichte von Langzeitreisenden im Expeditionsmobil

Herausgegeben von

Alexander Reeh

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Foto Titelseite © Joachim Kieser (www.reisestationen.de)

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

www.engelsdorfer-verlag.de


© Constanze Kühnel

Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele:

Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur.

Darum Mensch, sei zeitig weise!

Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!

(Wilhelm Busch)

Vorwort

„Eines Tages wirst du aufwachen, und es wird keine Zeit mehr sein, um all die Dinge zu tun, die du immer tun wolltest.“

Paulo Coelho

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielleicht geht es Ihnen ähnlich: Sie hatten einen Traum, den Traum von einer längeren oder sogar einer mehrjährigen Reise im Expeditionsmobil. Irgendwann fiel dann die Entscheidung, für das Fahrzeug, für die Route, für die ungefähre Dauer der Reise und für das Datum der Abreise. Monate, wenn nicht Jahre der Vorbereitung liegen hinter Ihnen, Sie haben viel Arbeit, Geld und Mühe investiert, sich von Familie und Freunden auf unbestimmte Zeit verabschiedet und nun geht es endlich los. Wie fühlt man sich in diesem Augenblick? Sicherlich ist da auf der einen Seite Euphorie, ein überwältigendes Glücksgefühl, dem Alltag eine Zeitlang oder sogar für ein paar Jahre zu entfliehen und die Freiheit zu genießen, andererseits mischt sich darunter vielleicht auch ein etwas mulmiges Gefühl und die Frage, war es wirklich richtig, Haus, Job und vieles andere einfach aufzugeben, alle Brücken hinter sich abzubrechen und sich in ein Abenteuer zu stürzen, von dem man nie wissen kann wie es ausgeht?

Aber seien Sie beruhigt, den allermeisten Reisenden ergeht es so, und wenn diese am Ende ihrer Reise gefragt werden, was das Schwierigste an dem Unternehmen war, so antworten fast alle: die Heimkehr …

Lassen Sie sich hier von den vielfältigen Berichten überraschen und inspirieren. Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Reise mit Ihrem Wohnmobil, das eine oder andere Abenteuer, viele interessante Begegnungen und neue Freunde zusammen mit einer großen Portion Glück, denn das gehört auch dazu.

Ihr Alexander Reeh

Endlich frei, endlich weg

Es ist kurz nach sechs an einem Dienstagnachmittag und wir sitzen zum ersten Mal in unseren Klappstühlen vor unserem Unimog Simba. Wir öffnen eine eiskalte Flasche Champagner und blicken auf den Lago di Caldaro und die grünen Weinberge des wunderschönen Südtirols. Die Umgebung ist beeindruckend. Hinter uns ragen die Felsen in den Himmel empor, vor uns blicken wir auf eine mittelalterliche Burg, hoch über dem See.

Wir reden nicht viel. Zu gewaltig sind die Gedanken und Eindrücke, die uns seit unserer Abfahrt an diesem Mittag beschäftigen. Obwohl es unser erster Abend ist, passiert jeder Handgriff wortlos – als hätten wir jede Bewegung einstudiert, was nicht der Fall ist.

Es war unheimlich – als wir die erste Kurve aus dem Hof von Peters Eltern heraus gefahren sind. Dies soll nun der Beginn unserer Weltreise sein? Monatelang bereitet man sich auf all das vor – um dann an einem gewöhnlichen Wochentag aus Trudering die Salzburger Autobahn anzusteuern? Man hat keinen Job mehr, kein Auto, keine Wohnung, um in einem Nutzfahrzeug nach Indien zu fahren? Welcher Teufel hat uns – zum Teufel – getrieben, um so etwas zu tun?

Ich schaue Peter an und spüre, dass ihn ähnliche Gedanken plagen wie mich. Was kommt auf uns zu? Wie wird es sein, ein Jahr auf sieben Quadratmetern zu leben? Was werden wir alles erleben? Und was erleben müssen? Wie werden wir in unserer noch so jungen Beziehung mit der Enge und den vielen möglichen Strapazen umgehen? Werden wir die Nerven verlieren, sobald etwas nicht so läuft wie geplant? Und wessen Idee war das überhaupt?

Tausende von Gedanken spielen sich in Sekundenschnelle vor meinen Augen ab. Ein seltsames Gefühl, das ich mir oft ausmalen – doch dessen Intensität ich mir nicht im Geringsten vorstellen konnte. Wir reden nicht sehr viel in dieser ersten Stunde unserer ersten Fahrt.

Auf der Autobahn bezahlen wir vor dem Brenner die für uns bisher völlig unbekannte LKW-Gebühr, tanken in Österreich noch einmal beide 130 Liter Tanks randvoll und rollen gemächlich – mit unserer Höchstgeschwindigkeit 80 km/h – in Richtung Italien. Plötzlich wird es spürbar wärmer. Der letzte Tag des Aprils zeigt sein wechselhaftes Gesicht. Die Sonne kommt hinter den Bergen hervor. Die Umgebung verändert sich deutlich. Und es stellt sich ein Gefühl ein, das ich bisher nur von Urlaubsreisen her kannte. Dieses ganz besondere Gefühl, ein Prickeln, eine Aufgeregtheit, das Bewusstsein darüber, dem Alltag zumindest für eine kurze Zeit zu entkommen.

Und plötzlich erkenne ich, dass eigentlich nichts anderes passiert als auf all den anderen, bisherigen Reisen meines/unseres Lebens. Der Alltag fällt ab. Etwas Neues, ein Abenteuer beginnt. Eine große, ganz besondere Reise nimmt ihren Lauf. Es verschwindet die Angst. Sie ist wie weggeblasen. Ich schaue ans Steuer – zu Peter – und spüre, dass er Ähnliches fühlt. Wir halten unsere Hände und drücken sie ganz fest.

Kurze Zeit später sitzen wir also an diesem See, trinken Champagner aus Plastikbechern, schauen uns an. In unseren Gesichtern heben sich die Mundwinkel. Gänsehaut. Zum ersten Mal bekommen wir eine leise Ahnung davon, was auf uns zukommen wird. Was für ein Geschenk wir da gerade in unseren Händen halten. Ich bin unendlich glücklich und freue mich darüber, ganz langsam in dieser Reise anzukommen. In dieser Nacht schlafe ich tief und fest.

Jennifer Glas

2 ½ Jahre, 31 Länder und 55.555 Kilometer später sagen Jennifer und Peter übereinstimmend, „die Entscheidung diese Reise zu tun, war die beste Entscheidung unseres bisherigen Lebens“.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zitat

Vorwort

Endlich frei, endlich weg

Afrika

Bakschisch, Beduinen und Basare – über Libyen ins Abenteuer Ägypten

Überraschungen im Sudan

Äthiopien: „You, you, give me, give me”

Tansania – harmloser Verkehrsunfall mit ungeahnten Folgen

Teures Mosambik

„Affentheater“ im südlichen Afrika

Lesotho, karges Königreich auf dem Dach Afrikas

Ereignisreiche Tage in Angola

Nächtliche Scherereien im Kongo

Welcome to Ghana – zwischen Korruption, Armut und Paradies

Senegal: In 48 Stunden nach Dakar?

Mauretanien – Treffpunkt von Sahara und Atlantik

Vorderasien

Transit Saudi-Arabien

Visakrimi in den Emiraten

Der Iran – ein unheimliches Reiseland?

Asien

Abenteuer Seidenstraße – von Aserbaidschan nach Tadschikistan

 

Unterwegs in der Mongolei: Willkommen im Camping- und Offroad Park „Mongolia“

Mit Polizeieskorte durch Pakistan

Kleine Verkehrskunde Pakistan

Im Norden Indiens – mit einem (fast) Oldtimer im Himalaya

Incredible India – love it or leave it

Indien – Nahkampf auf den Straßen

Im Konvoi durch Tibet und China

Zur falschen Zeit am falschen Ort in Laos

Thailand – unterwegs im Land des Lächelns

ErFAHRungen in Kambodscha

Australien

Auf abenteuerlichen Routen durch Down-Under

Südamerika

Durch Argentinien und Chile – ans „Ende der Welt“

Südchile, Flucht vor dem Vulkan

„Auf den Hund gekommen“, Familienzuwachs in Uruguay

Brasilien – im Pantanal, „über 127 Brücken musst du gehn“

Bolivien – kleines Land ganz groß

Durch Peru auf den Spuren der Inka

Peru – Überfall auf der Panamericana

Höhen und Tiefen in Ecuador

Kolumbien ist ganz anders

Zentralamerika

Oh, wie schön ist Panama

Naturparadies Costa Rica – alles hat seinen Preis

Kleine Länder – große Armut, von Nicaragua über Honduras nach El Salvador

Kultur und Natur – Superlative in Guatemala

Belize, unbekanntes Land am Karibischen Meer

Mexiko – im Reich der Azteken und Maya

Mexiko, Baja California – Küste, Wüste und Kakteen

Nordamerika

USA – Highlights des Westens

Bärenland Alaska, im hohen Norden der USA

Kanada – unterwegs auf dem Trans-Labrador Highway

Neufundland, beeindruckende Insel im Atlantik

Welcome back! Reflexionen am Ende einer Langzeitreise

Alltagsprobleme

Willkommen im Westen!

Rückkehr – der vielleicht schwierigste Teil der Reise

Spuren der Langzeitreisen

Kochen auf den (Traum-)Straßen der Welt

Reiseplanung

Danksagung

Weitere Bücher von Alexander Reeh

Afrika

Bakschisch, Beduinen und Basare – über Libyen ins Abenteuer Ägypten

Mit ihrem Allrad-Expeditionsfahrzeug „lila Pistenkuh“ sind Sabine und Burkhard aus der Nähe von Siegen unterwegs. Seit 2004 bereisen sie mit ihren Expeditionsfahrzeugen die Welt. Spannende Reiseberichte, wunderschöne Fotos, Tipps zu den Fahrzeugen, Bücher und vieles mehr gibt es auf ihrer informativen Homepage www.pistenkuh.de.

Welche abenteuerlichen Erlebnisse sie in Ägypten hatten, erzählen sie hier:

Für das libysche Visa ist eine Einladung erforderlich und ein Führer muss organisiert und im Voraus bezahlt werden. Der Führer kostet 35 Euro pro Tag, die Einladung 50 Euro und das Visa nochmals 50 Euro. Da wir Libyen im Transit nach Ägypten durchqueren wollen, kommen nochmals 80 Euro für den Rückflug des Führers hinzu. Insgesamt sind schon 420 Euro (für 4 Tage) im Voraus fällig. An der Grenzen entstehen weitere Kosten: 8 Euro KFZ-Versicherung für 14 Tage und ungefähr 80 Euro für KFZ-Kennzeichen, von denen man ungefähr die Hälfte bei der Ausreise zurückbekommt. Wer ohne Carnet de Passage reist, zahlt nochmals 150 Euro Einreisegebühr.

Der Behördengang nimmt seinen Lauf: Zur Bank Geld tauschen, einen Schwarzmarkt gibt es nicht mehr, die Straßenhändler in Tunesien boten schlechtere Kurse als die Bank. Im Versicherungsbüro sind wir schnell fertig, anschließend werde ich zum Zoll geführt. Meinem Führer habe ich mehrmals gesagt, dass wir ein Carnet haben, dennoch wird ein Formular ausgefüllt und anschließend soll ich 150 Euro Gebühren zahlen. Ich protestiere. Das Formular wird zerrissen und weggeworfen, mein Carnet gestempelt, ohne Gebühren. Zwei Stunden später sind wir in Libyen und der erste von vier Tagen geht fast zu Ende. 1.600 Kilometer sind es bis zur ägyptischen Grenze, wir müssen Gas geben.

Wir fahren über Tripolis an der Küste entlang, die Straßen sind gut und wir haben Zeit, die alte Römerstadt Leptis Magna zu besichtigen. Sonst sehen wir nicht viel vom Land. Unser Führer schläft die meiste Zeit auf dem Beifahrersitz. Der Preis für Diesel ist auch nicht mehr so günstig, inzwischen kostet der Liter umgerechnet 9 Eurocent. So sind für 1038 Liter 96 Euro fällig. Wie geplant erreichen wir vier Tage später die Grenze zu Ägypten.

Die Ausreise aus Libyen verläuft korrekt. Selbst die 40 Euro für das Kennzeichen bekommen wir zurück. An der ägyptischen Grenze herrscht Chaos. An keiner der afrikanischen Grenzen habe ich je solch ein Treiben erlebt.

Wir stehen in einer langen Reihe an einem Schalter an, wo unser Pass gestempelt werden soll. Wir rechnen mit mehr als einer Stunde Wartezeit. Nach fünf Minuten werden wir von einem Polizisten angesprochen, der uns an den Wartenden vorbei an den Schalter führt und unser Pass wird gestempelt. Anschließend wird unser Auto dreimal durchsucht, wobei die Durchsuchung sich auf das Öffnen der Klappen beschränkt und in wenigen Minuten erledigt ist. Einheimische werden ausnahmslos komplett durchsucht. Auf die Frage nach Alkohol, GPS und Waffen sind wir vorbereitet, doch die Frage lautet: „Haben Sie Maschinengewehre, Granaten oder Bomben?!!“ Ein Polizist wird für uns abgestellt und führt uns durch die Bürokratie. Zur Bank Geld tauschen. Ich tausche 150 Euro. Anschließend zum Copy-Shop. Alle Papiere werden kopiert und in einer Mappe abgelegt. Ungefähr 2 Euro sind fällig. Beim Zoll wird mein Carnet gestempelt, zuvor muss ich jedoch bei der Zahlstelle umgerechnet 150 Euro zahlen. Ich weiß nicht wofür, aber die 1002 ägyptischen Pfund sind abhängig von der Zylinderzahl des Motors. Vier Zylinder hätten die Hälfte gekostet und weniger als vier die Hälfte der Hälfte. Ich protestiere, verhandele und diskutiere. Keine Chance, die 150 Euro sind fällig. Wieder zur Bank, neues Geld tauschen, diesmal 300 Euro, die Grenze scheint teuer zu werden. Die KFZ-Versicherung gilt drei Monate und kostet weniger als 8 Euro und auch die Kennzeichen sind mit 8 Euro relativ billig. Zu unserer großen Überraschung gelten die Kennzeichen drei Monate, genau wie die Versicherung und unser Visa. Von Freunden hatten wir gehört, dass diese nach Kairo zur Verlängerung mussten, da deren Kennzeichen nur vier Wochen galten. Vier Stunden später ist alles erledigt.

Unser erster Eindruck von Ägypten ist äußerst positiv. Schon lange haben wir nicht mehr so freundliche Menschen getroffen wie hier. Man winkt uns zu, beim Einkaufen gibt man uns von allem zum Probieren und wenn wir etwas suchen, findet sich sofort jemand, der uns führt, ohne im Anschluss übertriebene Geldgeschenke zu fordern. „You are welcome“, das sind die am häufigsten gehörten Worte in den letzten zwei Wochen, und wir glauben, die meinen es auch ernst. Offiziell ist das Übernachten am Strand verboten, doch wir haben die Genehmigung von Polizei und Militär in der Nähe von Marsa Matrouh zu stehen. Als es dann so weit ist und es dunkel wird, wird uns die Genehmigung wieder entzogen und wir müssen widerstrebend in der Stadt vor der Polizei übernachten. Die Polizisten laden uns zum Abendessen ein, doch wir lehnen ab, sind wir doch schon mit einem Ägypter, der seit langem in Amerika arbeitet und hier Urlaub macht, im Restaurant verabredet.

Zwei Minuten später steht der Polizist mit einem Tablett Tee, Brot, Datteln und anderen zugedeckten Schalen am Auto und möchte uns das Abendessen bringen. Es ist Ramadan, tagsüber schläft die Stadt und nachts ist Leben in allen Gassen. Am Ende des Ramadan beschenkt man sich gegenseitig und so sind die Läden geschmückt und die Straßenbeleuchtung erinnert an deutsche Weihnachten, nur dass hier alles bunt blinkt. Im Restaurant können wir uns nicht entscheiden. Unser Gastgeber bestellt von allem eine kleine Schale und so haben wir letztendlich ein kleines Büffet auf unserem Tisch. Wir bleiben einen weiteren Tag in der Stadt, nur um am Abend nochmals das komplette Programm im Restaurant zu bestellen. Mit 2,50 Euro einschließlich Getränke ist es auch bezahlbar, wie alles außerhalb der Touristenzentren.

Die 300 Kilometer in die Oase Siwa sind schnell gefahren. Alexander der Große ließ sich hier im Amun-Tempel zum Kaiser krönen und Cleopatra soll in den zahlreichen Quellen gebadet haben. Am Abend fahren wir raus ins große Sandmeer und erleben einen fantastischen Sonnenuntergang in den Dünen. Zwei Tage bleiben wir in Siwa. Die Landschaft ist eintönig flach, nur gelegentliche Kamelskelette am Straßenrand sorgen für Abwechslung. Für die weitere Strecke nach Bawiti ist eine Genehmigung erforderlich. Und schon hat uns die Bürokratie wieder. Antrag stellen, Stempel hier, Kopie dort, bezahlen da. Vier Stunden später haben wir die Genehmigung, jedoch nicht nach unserem Wunsch. Wir müssen die 400 Kilometer an einem Tag fahren und in Begleitung eines Militärs. Nochmals eine Stunde Diskussionen, erst mit dem Militär, dann mit der Polizei, dann wieder mit dem Militär, es bleibt dabei, der Führer muss mit. Am nächsten Morgen um 9 Uhr ist Abfahrt. In Bawiti sind wir wieder frei, der Führer steigt an der Kaserne aus und wir machen uns auf den Weg in die Weiße Wüste in der Nähe der Oase Farafra. Die weiße Wüste ist die schönste, die wir bisher gesehen haben, allerdings nicht östlich der Teerstraße, wo alle Touristen hingefahren werden, sondern westlich im weitaus größeren Teil.

Auf der Fahrt nach Abu Simbel und Assuan ist bei Kharga die freie Fahrt durch die Wüste zunächst beendet. Am Polizei-Check-Point vor der Stadt müssen wir warten bis uns ein Polizeiwagen abholt. Als Ziel geben wir die Tourist-Police in der Stadt an und werden dorthin begleitet. Wir möchten ein Permit, dass wir direkt die ungefähr 400 Kilometer nach Abu Simbel fahren dürfen. Zudem ein Permit, dass es uns erlaubt ohne Polizeibegleitung zu reisen. Beides ist unserer Meinung nach aussichtslos und von uns auch nur als dreister Versuch gedacht. Doch zu unserer Überraschung ist beides möglich, beide Permits sind sogar kostenfrei. Wir müssen eine Verzichtserklärung schreiben, dass wir ausdrücklich auf eigenen Wunsch auf Polizeischutz verzichten, im Ernstfall niemanden in Regress nehmen, über die Risiken aufgeklärt sind und auf eigene Gefahr reisen. Auf welche auch sonst?

 

Beide Permits werden von Touristenpolizei und Sicherheitspolizei abgestempelt. Dann geht es quer durch die Stadt zur Militärpolizei. Diese kassiert beide Permits und wir müssen draußen an einem Holztor warten. Nach einer halben Stunde geht eine kleine Klappe auf, mein Name wird gerufen. Ich gehe zur Klappe und der Militär sagte einfach nur: „No“. – „Why not?“, „No“, Klappe zu, beide Permits weg, insgesamt über zwei Stunden umsonst gewartet.

Das kleine blaue Auto der Polizei, besetzt mit einem halben Dutzend Polizisten bringt uns an die Stadtgrenze. Wir machen ihnen klar, dass wir die 300 Kilometer nach Isna (bei Luxor) alleine fahren, Touristenpolizei und Sicherheitspolizei haben ja zugestimmt. Tastsächlich sind wir frei und dürfen fahren. Fünf Minuten später sehe ich in den Rückspiegel und traue meinen Augen nicht. Mit zwei Meter Abstand werden wir von einem Auto mit Blaulicht verfolgt. Ich gebe Gas, das Auto ebenso. Ich fahre an eine Tankstelle und tanke 100 Liter Diesel, das Blaulichtauto mit fünf Polizisten hält ebenfalls an der Tankstelle. Nach 10 Kilometern ergibt sich eine schöne Möglichkeit Off-Road zu fahren.

Ein Straßengraben hält uns nicht auf und dahinter geht es direkt in die Sanddünen. Das Blaulichtauto bleibt stehen und die Polizisten winken wie verrückt. Wir winken wild zurück. Freundlich sind sie ja, selten so einen herzlichen Abschied gehabt. Die Polizei dreht um und wir suchen uns an anderer sichtgeschützter Stelle einen ruhigen Übernachtungsplatz. Am nächsten Morgen werden wir an allen folgenden Polizei-Checks durchgewinkt. In Isna müssen wir fast zwei Stunden warten und diskutieren, bis wir ohne Begleitung nach Assuan fahren dürfen. Ich will halten und Tee trinken, wo es mir passt, ich will mit Leuten sprechen, ohne dass ein Polizist mit am Tisch sitzt. Ich fühle mich nicht sicherer, wenn schwer bewaffnete Bodyguards mir beim „Austritt“ in ihren kugelsicheren Westen Deckung geben. Und sollten wirklich in Ägypten Irre herumlaufen, die mich umbringen wollen, dann nichts Leichteres als in einem Konvoi. Der Konvoi fährt täglich zu gleichen Zeiten ab, hält täglich zur gleichen Zeit vor den gleichen Restaurants, die im Gegensatz zu allen touristischen Anlagen nicht geschützt sind.

Wir sind in Edfu, waren ein paar Tage in der arabischen Wüste zwischen Nil-Tal und Rotem Meer unterwegs und möchten weiter in den Sinai. Wir wollten zwar nicht nach Edfu, es war aber der einzige Weg, den wir ohne Bewacher fahren konnten und dies auch nur, weil wir auf geheimen Kamelpfaden unterwegs waren.

Atemberaubende Wüstenlandschaft umgibt uns, schwarze Tafelberge erheben sich im gelben Sand, traumhaft! Wir sind weit draußen in der arabischen Wüste und suchen eine Verbindung zum Roten Meer.

Am nächsten Morgen hat unser Deutz keine Leistung mehr und 100 Meter später geht der Motor aus, ausgerechnet hier, an der ungünstigsten Stelle, mitten im Nichts. Im Schauglas des Separ-Diesel Filters sehe ich Wasser schwimmen und eine weiße Masse. Ich baue den Filter auseinander, schütte das Wasser weg und reinige das Filterelement von der Schmiere, das an Hammelfett erinnert. Als ich den Tankdeckel öffne, trifft mich fast der Schlag, überall schwimmen Klumpen dieser weißen Masse auf dem Diesel. Den Diesel hatten wir vor ein paar Tagen in Qena getankt, aber bisher immer den Diesel aus dem zweiten Tank verfahren, bis er leer war. Ich ärgere mich über mich selbst, warum fahren wir von der Tankstelle weg, ohne den neuen Sprit direkt auszuprobieren? Warum verlasse ich mich darauf, dass ich Diesel bekomme, der auch brennt?

Dieselfilter zusammenbauen, entlüften, starten. Der Motor läuft, der Ärger weicht der Spannung: Wie lange wird der Motor laufen, bis der nächste Klumpen den Filter verstopft? Ich rechne jeden Moment damit, doch das Problem tritt nie wieder auf. Mittags schaue ich in den Tank, das Hammelfett hat sich scheinbar aufgelöst, nicht ist zu erkennen. Die Nacht war frisch, aber so kalt, das Diesel ausflockt bestimmt nicht, oder?

Nach vier Tagen erreichen wir den Rand der Wüste. Am Fuße eines Berges sehen wir einen Geländewagen stehen und freuen uns, andere Reisende zu treffen. Als wir näher kommen, sehen wir nicht einen, sondern 15 Geländewagen. In jedem werden fünf halbnackte Touristen durch die Wüste gefahren, die gerade einen kleinen Berg besteigen, fürs Fotoalbum. Die Touristen sind auf dem Weg zu den letzten originalen Beduinen in der Wüste, wie mir eine Frau erzählt. Sie möchte die Ruhe und Einsamkeit der Wüste genießen und hat daher den Geländewagenausflug gebucht. Aber jetzt muss sie sich beeilen, die Toyotas hupen zum Aufbruch und schon werden wir in Staub gehüllt. Die Ruhe, die von allen gesucht wird, kehrt zurück …

Ein paar Kilometer weiter, wir fahren durch ein sandiges Wadi, stehen wir unmittelbar nach einer Biegung vor drei großen Beduinenzelten. Die Beduinen erwarten eine größere Touristengruppe, die noch mit den Geländewagen draußen in der Wüste unterwegs sind. Die Autos fahren einen Bogen um die Tafelberge, um den Touristen Entfernungen vorzutäuschen. In den original Zelten, die keinen einzigen Flicken aufweisen, ist der Boden gefegt. Hühner und Ziegen waren noch nie in den Zelten. Tee wird aus original Mineralwasserflaschen gekocht und in echten Einweg-Plastikbechern angeboten, wie seit alters her. Original Coca-Cola steht auch in ausreichender Menge zu original europäischen Preisen bereit. Ziegenmilch oder geronnene Kamelmilch als Beduinengetränk, das sind Geschichten der Märchenerzähler. In einem Nebenzelt kann man echten, original Beduinenschmuck kaufen. Die Beduinen sprechen Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch perfekt. Sind halt Original. Wir verabschieden uns, bevor der Geländewagenkonvoi eintrifft.

Nachdem wir einige Kilometer am Strand des Roten Meeres entlang gefahren sind, stoppen ein Abwasserkanal und eine Feriensiedlung unseren Weg. Wir fahren über eine Schotterfläche und stoßen auf einen Feldweg, dem wir zur Hauptstraße folgen. 50 Meter vor dem Asphalt ist der Feldweg durch fünf leere Ölfässer versperrt. Aus einem kleinen Betonhäuschen stürmen drei uniformierte Soldaten auf den Weg. „Hey, die sind ja gut drauf, so schnell waren noch nie irgendwelche Fässer weggeräumt“, denke ich. Aber weit gefehlt. Die Fässer bleiben stehen. Es folgen die üblichen Fragen: Name, Nationalität, woher, wohin, warum. Die beiden ersten Fragen beantworte ich wahrheitsgemäß, die anderen so, dass es für einen Afrikaner einen Sinn ergibt. „Bitte öffnen Sie die Barriere und lassen uns auf die Hauptstraße.“ – „Das ist Militärgebiet, hier darf niemand rein.“ – „Aber ich bin doch schon drin, ich will hier raus.“ – Wir haben den Befehl, dass jeder an der Barriere umdrehen muss, fahren Sie zurück. Befehl ist Befehl.“

Wir umfahren die Fässer mit ein paar Meter Abstand durch den weichen Sand. Wenn der Kommandant die Spuren sieht, gibt es bestimmt eine Belobigung für die erfolgreiche Verteidigung der Barriere.

Wir wollen 250 Liter Diesel tanken. Der Tankwart versteht mich nicht und ich gebe ihm das Geld passend für den Sprit. Bei 245 Liter stoppt die Uhr und er hängt den Rüssel an die Zapfsäule zurück. „Hey, was ist los, kein Sprit mehr?“ Er beugt sich zu mir und flüstert mir ins Ohr: „It’s Bakschisch.“

Vom 3jährigen bis zum 80jährigen halten alle die Hände auf und flüstern einem das Wort Bakschisch ins Ohr. Damit meinen sie nicht ein kleines Trinkgeld für eine Gefälligkeit, sondern einen größeren Betrag für Nichts. Klar, wenn man sieht, wie die Touristen mit Geld um sich werfen, kann man die kleinen und großen Bakschisch-Jäger verstehen. Euro Stücke werden verschenkt und 5 Pfund Noten (80 Cent) als Almosen gegeben. Dabei verdient ein Lehrer ungefähr 2 Euro am Tag und ein Professor an der Uni in Kairo nach 20 Jahren ungefähr 150 Euro im Monat. Wir geben grundsätzlich nur kleine Geldbeträge gegen entsprechende Gegenleistung.

Im Tal der Könige drehen wir den Spieß um. Ein junger Mann nimmt Kurs auf mich, ich gehe ihm entgegen, schüttele seine Hand, frage nach seinem Namen, stelle mich vor und erzähle eines der vielen Märchen: „Ich bin ein armer Tourist, ich habe mein ganzes Geld für Souvenirs ausgegeben und nach Hause geschickt, jetzt kann ich mir nichts zu essen kaufen und trinke seit Tagen nur Wasser.“ Und dann flüstere ich ihm ins Ohr: „Bitte gib mir etwas Bakschisch.“ Er krümmt sich vor Lachen und gibt mir 25 Piaster (6 Cent). Beim nächsten sind es 75 Piaster. Ein Souvenirhändler ruft seine Freunde zusammen und alle müssen Geld geben, nachdem ich ihnen das Wort „Bakschisch“ ins Ohr geflüstert habe. Der Vormittag vergeht, wir alle haben viel Spaß. Die Ausbeute waren 6 Pfund und zwei Einladungen zum Tee. Am Hatschepsut-Tempel kommen nochmals 2 Pfund dazu und die Pyramiden haben wir noch gar nicht besucht. Am Ende der Reise werden wir den Betrag in einer Moschee abgeben. Will man den Ägyptern wirklich einen Gefallen tun, dann sollte man ihnen statt Kugelschreiber und Geld, Kondome als Bakschisch geben, damit sie ihren irrsinnigen Bevölkerungswachstum in den Griff kriegen. (Ironie off)

Das Reisen in Ägypten ist nicht immer so lustig wie gerade beschrieben. Fast jeder im Niltal versucht Touristen maßlos auszunehmen. Bei Souvenirs ist das normal und das Handeln macht Spaß. Tassen mit ägyptischen Motiven, die ich auf dem Markt für 6 Pfund gesehen habe, werden in Abu Simbel zu 120 Pfund angeboten. Touristen, die als ersten Preis 10 Pfund nennen, haben schon verloren. Internet kostet die Stunde 3 Pfund, Touristen zahlen 20. Tomaten, Kartoffeln, Coke und ähnliches werden Touristen auf dem Markt zum dreifachen Preis angeboten. Im Supermarkt sind Waren mit arabischen Preisen korrekt ausgezeichnet, allerdings tippt der Kassierer den doppelten Preis in die Kasse, im Glauben, der Fremde kann keine arabischen Zahlen lesen, was er in der Regel auch nicht kann.

Wir füllen 300 Liter Wasser auf. Zuvor vereinbaren wir ein kleines Bakschisch. Okay. Anschließend wird der Monatslohn eines Beamten als Bakschisch gefordert. In Cafés und Restaurants zahlen Touristen den vierfachen Preis gegenüber dem ägyptischen Tischnachbarn. Neben diesem täglichen Kampf kommt der tägliche Kampf mit der Polizei, um nicht in den Konvoi zu müssen. Die Terroristen kann man nicht einsperren, also sperrt man die Touristen ein. Und keiner rebelliert, außer zweien.

Wir fahren durch Kairo. So schlimm wie in vielen Büchern beschrieben, finde ich es gar nicht. Nicht anders als in Rabat, Dakar, Bamako oder einer anderen afrikanischen Hauptstadt. Busse halten auf der zweiten Spur und lassen Passagiere aussteigen. Man ordnet sich rechts ein, biegt aber links ab. Geblinkt wird nicht, ist unfair gegenüber denen, deren Blinker nicht funktioniert. Man ersetzt den Blinker durch die Hupe. Fußgänger – meist um ihr Leben rennend – überqueren die Straße. Einer hat es nicht geschafft und wird in einen Rettungswagen verladen. Später stehen wir neben dem Rettungswagen im Stau, und ich kann von oben zu den nicht vollständig sichtgeschützten Scheiben ins Innere sehen. Das Unfallopfer liegt auf der Trage, der Notarzt sitzt auf einem Hocker und raucht.

Wir fahren einige Kilometer westlich von Kairo raus in die Wüste, ins Fayoum. Wir wollen uns von dem Stress in Kairo erholen und ein paar Tage Einsamkeit genießen.