Kritik der Betriebswirtschaftslehre

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Kritik der Betriebswirtschaftslehre
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Alexander Melčok

Kritik der
Betriebswirtschaftslehre
Planungsregeln
für erfolgreiches Wirtschaften
in der kapitalistischen Konkurrenz

GegenStandpunkt Verlag

© GegenStandpunkt Verlag 2018

Gegenstandpunkt Verlagsgesellschaft mbH

Kirchenstr. 88

81675 München

Tel (089) 2721604 Fax (089) 2721605

E-Mail: gegenstandpunkt@t-online.de

Internet: www.gegenstandpunkt.com

Alle Rechte vorbehalten

ISBN der Druckausgabe: 978-3-929211-19-1

EPUB: ISBN 978-3-929211-97-9

Inhalt

Kritik der Betriebswirtschaftslehre Planungsregeln für erfolgreiches Wirtschaften in der kapitalistischen Konkurrenz

I. Die Herleitung der betrieblichen Gewinnmaximierung aus einem Naturgesetz des Produzierens und einer menschennatürlichen Motivation

1. Der Kampf gegen die ewige Knappheit

2. Wie der eigensüchtige Wille unter Zuhilfenahme der staatlichen Rechtsordnung in den Zweck der Gewinnmaximierung mündet

3. Die Marktwirtschaft: eine glückliche Kombination aus zwei leicht inkompatiblen fundamentalistischen „Prinzipien“

II. Die BWL scheitert an der Erklärung des Gewinns, um dessen Maximierung sich ihre sämtlichen Erkenntnisse drehen

Programmatischer Wille zum Dienst am Profit und Rechtfertigungslehre in einem

III. Unternehmensführung, Management: Alles eine Frage der richtigen Entscheidung

1. Betreff Unternehmensziele: Man wähle Ziele, die erfolgreiches Handeln möglich machen!

2. Betreff Planung und Entscheidung: Man plane und entscheide nach Maßgabe des angestrebten Erfolgs!

3. Die Fiktion einer umfassenden Anleitung für erfolgreiches Management und ihr Nutzen

IV. Die Anwendung der Optimierungsmaximen auf die gemeinen Erfordernisse kapitalistischer Betriebsführung 1. „Produktions- und Kostentheorie“: Die Verfremdung der kapitalistischen Produktion zum systemneutralen Effizienz-Problem und der marktwirtschaftlichen Kostenrechnung zu dessen Lösung

Die betriebswirtschaftliche Fiktion „technischer Effizienz“

Die Mathematik als Bürge der Zweckmäßigkeit des Postulats einer „technischen Effizienz“, die „ökonomisch sinnvoll“ ist

Technisches „Mengengerüst“ sucht und findet „Kostengerüst“

Wissenschaft in Theorie und Praxis

2. ‚Personalwirtschaft‘ oder: Von Ausbeutung nichts wissen wollen, aber die Arbeitskraft als Quelle des Gewinns ins Visier nehmen!

Spezialität 1: Das „Personal als Leistungsfaktor“

Spezialität 2: Das „Personal als Kostenfaktor“

Spezialität 3: Das „Personal als Produktionsfaktor eigener Art“

Die monetären Anreize, mit denen sich Leistungsbereitschaft generieren lässt

Nicht-monetäre Anreize

3. Marketing: Die Kunst, Absatzwiderstände zu überwinden

Marktforschung

Produktpolitik

Preispolitik

Kommunikationspolitik

V. Investitionsrechnung, Unternehmensbewertung und Finanzplanung

Wissenschaftliche Anleitungen, wie ein Unternehmen in seiner Doppelexistenz zu managen ist – als Stätte der Gewinnerwirtschaftung und als Geldanlage mit Anspruch auf Verzinsung

Investitionsrechnung

Unternehmensbewertung

Finanzplanung

VI. Das betriebliche Rechnungswesen Die real existierende Planwirtschaft in der Marktwirtschaft 1. Grundbegriffe

Einzahlungen und Auszahlungen

Einnahmen und Ausgaben

Erträge und Aufwendungen

Erlöse und Kosten

2. Vom Planen mit Preisen und Kosten

Anhang Verhaltenswissenschaftlich oder wirtschaftstheoretisch orientierte BWL: Was für eine Alternative!

Kritik der
Betriebswirtschaftslehre
Planungsregeln
für erfolgreiches Wirtschaften
in der kapitalistischen Konkurrenz

Leute, die einen besseren, wenn möglich leitenden Job in der Wirtschaft anstreben, machen keine Lehre, sondern sammeln Erfahrungen in Praktika und studieren Betriebswirtschaftslehre. Deren Vertreter an den Hochschulen präsentieren die BWL als angewandte Wissenschaft, die sich mit Rat und Tat für die real existierenden Betriebe nützlich macht und qualifiziertes Personal für deren Führung bereitstellt. Brotlose Kunst wollen sie nicht produzieren. Gleichzeitig legen sie Wert darauf, das Fach als „selbständige wirtschaftswissenschaftliche Disziplin“ (I / S. 3) und überhaupt als Wissenschaft zu präsentieren.1) Als solche bringt es die BWL zu theoretischen Leistungen, die Lehrende wie Lernende im Fach immer wieder zu der Kritik veranlassen, sie seien in praktischer Hinsicht wenig hilfreich. Das scheint irgendwie dazuzugehören zu einer Wissenschaft, die nützliches Wissen für den Betriebserfolg im ‚marktwirtschaftlichen Wettbewerb‘ liefern will. Und irgendwie scheint es auch ganz normal zu sein, dass sich niemand so recht für die Frage interessiert, was die BWL theoretisch – als wissenschaftliche Erklärung eines Trumms Wirklichkeit – leistet; noch nicht einmal die, oder die zuletzt, die sich die Theorie dieser „wirtschaftstheoretisch fundierten“ (ebd.) Betriebslehre im Rahmen ihres Studiums aneignen. Doch genau der Frage will die vorliegende Schrift nachgehen.

1) Alle Zitate, sofern nicht anders vermerkt, aus dem Standardwerk des Studiums: Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Wir zitieren aus der 24. Auflage aus dem Jahr 2010 (I) und aus der 25. Auflage aus dem Jahr 2013 (II); zu den Zitaten wird jeweils Seitenzahl und Hinweis auf die Auflage angegeben. Hervorhebungen im Zitat stammen grundsätzlich aus dem Originaltext. – Rechtzeitig vor dem Erscheinen unserer Broschüre in ihrer ersten Auflage widmet sich die FAZ (26.9.16) im Wirtschaftsteil unter der Überschrift „Die Wöhe-BWL gerät unter Beschuss“ der „betriebswirtschaftlichen Literatur des Herbstes“, die sich am „Klassiker des Fachs“ abarbeite. Dieser ist zeitgleich gerade in seiner 26. Auflage erschienen. Ohne hier näher auf die Kritik eingehen zu wollen, die besagte Literatur an der wirtschaftstheoretisch fundierten Betriebswirtschaftslehre übt, der sich „der Wöhe“ verpflichtet weiß, lassen wir uns von der FAZ gerne bestätigen, dass wir mit unserem Entschluss, die Kritik der BWL an diesem Lehrbuch durchzuführen, offenbar goldrichtig liegen: Es eigne sich „als ideale Projektionsfläche für Kritik am Fach“, besitze bei den Einführungen in die Allgemeine BWL immer noch „einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent“ und gebe „einen Überblick über das gesicherte Wissen der BWL“. Was will man mehr!

© 2018 GegenStandpunkt Verlag

I. Die Herleitung der betrieblichen Gewinnmaximierung aus einem Naturgesetz des Produzierens und einer menschennatürlichen Motivation
1. Der Kampf gegen die ewige Knappheit

Die BWL führt ihren Gegenstand folgendermaßen ein:

 

„Ein Betrieb ist eine Wirtschaftseinheit, die in den Beschaffungs-, den Absatz- und den Kapitalmarkt eingebettet ist: Am Beschaffungsmarkt werden Produktionsfaktoren eingekauft, die zu Gütern oder Dienstleistungen verarbeitet und danach am Absatzmarkt abgesetzt werden. Der betriebliche Prozess der Leistungserstellung und -verwertung bedarf sorgfältiger Planung. Das hat folgenden Grund: Die menschlichen Bedürfnisse sind praktisch unbegrenzt. Die zur Bedürfnisbefriedigung geeigneten Mittel, also die Güter und Dienstleistungen, stehen dagegen nicht in unbegrenztem Umfang zur Verfügung, sondern sind von Natur aus knapp. Diese naturgegebene Knappheit der Ressourcen, d.h. das Spannungsverhältnis zwischen Bedarf einerseits und Bedarfsdeckung andererseits, zwingt die Menschen zu wirtschaften.“ (I / S. 4)

Der Autor zitiert Gegebenheiten aus der Marktwirtschaft: Auf Beschaffungs- und Kapitalmärkten werden von Betrieben Produktionsfaktoren eingekauft, die damit erstellten Güter und Dienstleistungen werden auf Absatzmärkten verkauft. Klar ist soweit, dass er über Betriebe redet, wie man sie aus der Marktwirtschaft kennt. Über deren Geschäft erfährt der Student der BWL erst einmal, dass es mit Sorgfalt geführt sein will, weil es da um nicht weniger als die Lösung eines Grundproblems des menschlichen Daseins gehe. Was der Mann der Wissenschaft als Grund für die Notwendigkeit sorgfältiger Planung des betrieblichen Geschehens angibt, hat freilich ersichtlich nichts zu tun mit dem Treiben von Betrieben, die mit Einkaufs- und Verkaufspreisen rechnen, auf allen möglichen Märkten agieren und über den Einsatz von Produktionsfaktoren entscheiden. Es ist jenseits aller marktwirtschaftlichen Realitäten angesiedelt und eröffnet einen tiefen Einblick in die Ur- und Abgründe der Natur im Allgemeinen, der menschlichen im Besonderen: Von einer „naturgegebenen Knappheit der Ressourcen“ will der Lehrbuchverfasser wissen. Dieses Fundamentalprinzip bedarf für ihn keiner weiteren Erläuterung. Er setzt es als Dogma in die Welt wie die Kirche die Erbsünde und schenkt sich jede Mühe, bei dieser Knappheit, mit der die Betriebe sich so fundamentalistisch befassen müssen, überhaupt noch zwischen „Gütern und Dienstleistungen“, also den Produkten betrieblicher Tätigkeit – die, wie der Name schon sagt, produziert werden, also vermehrt werden können –, und solchen Ressourcen zu unterscheiden, bei denen allenfalls vorstellbar ist, dass sie naturgegebenerweise nur in begrenzter Menge zur Verfügung stehen und irgendwann irgendwo ausgehen könnten. Dieser Naturkonstante ‚Knappheit‘ setzt er ein zweites, wunderbar gegensinniges Prinzip gegenüber, dem zufolge die „menschlichen Bedürfnisse praktisch unbegrenzt“ sein sollen. Auch den Nachvollzug dieser verwegenen Anthropologie mutet er seinen Lesern ohne weiteres Argument zu, obwohl sie sich alles andere als von selbst versteht: Wird der Mann niemals satt? Hat er nie von einem Vergnügen genug? Oder, wenn keine quantitative, sondern eine qualitative Unendlichkeit gemeint sein sollte: Vermag er die Vielfalt seiner Bedürfnisse nicht mehr zu überblicken? Im Ernst: Weder zeichnen sich menschliche Bedürfnisse im Normalfall durch Grenzenlosigkeit aus – schon gleich nicht in praktischer Hinsicht und definitiv nicht diejenigen, deren Befriedigung immer nur kurze Zeit anhält: Niemand frisst unbegrenzt! –, noch bedeutet die begrenzte Menge eines Gebrauchsartikels automatisch, dass er für das entsprechende Bedürfnis nicht reicht. Das ganze prinzipielle „Spannungsverhältnis“ zwischen Bedarf und Bedarfsdeckung, das die BWL postuliert, ist nichts als eine nach beiden Seiten absichtsvoll hinkonstruierte Fiktion, die den praktischen Grund allen Wirtschaftens in eine metaphysische Dichotomie zwischen der Endlichkeit alles Irdischen und der Unendlichkeit menschlicher Bedürfnisse versenkt, um daraus dann folgenden Schluss zu ziehen:

„Unter Wirtschaften versteht man den sorgsamen Umgang mit knappen Ressourcen.“ (Ebd.)

Was klingt wie eine Sentenz aus dem Brevier der schwäbischen Hausfrau, ist für diese Wissenschaft die Quintessenz ihrer Erkenntnisse. „Sorgsamer Umgang“ mit Ressourcen, „sorgfältige Planung“ wegen deren Knappheit: Das erklärt der Autor des Lehrbuchs zum Inbegriff allen Wirtschaftens. Wie auch immer die ökonomischen Verhältnisse beschaffen sein mögen, in die es die Menschen verschlagen hat;1) gleichgültig auch dagegen, ob von einem privaten Haushalt die Rede ist, der aufgrund seiner beschränkten Zahlungsfähigkeit ‚mit knappen Mitteln wirtschaften‘ muss, oder von Unternehmen, die mit modernster Technik ‚Güter produzieren‘ und mit ihnen den Weltmarkt überschwemmen – für den Mann der Wissenschaft steht eines jedenfalls fest: Es geht um die Bewirtschaftung eines Mangels, um ein Haushalten mit knappen Mitteln. Darauf besteht er insbesondere auch dort, wo er vom Produzieren redet, also von der Herstellung eines Zuwachses an stofflichem Reichtum. Ausgerechnet dort, wo es darum geht, mit dem zweckmäßigen Gebrauch von ‚Ressourcen‘ die Gegenstände des Bedarfs zu mehren, regiert seiner Lehre zufolge aufgrund einer prinzipiell unaufhebbaren Beschränkung der Mittel ein abstraktes Gebot zur Sparsamkeit, nämlich

„das ökonomische Prinzip, wonach die Schaffung [!] einer bestimmten Menge von Gütern oder Dienstleistungen immer mit dem geringstmöglichen Einsatz an Produktionsfaktoren zu bewerkstelligen ist“ (I / S. 8).

Diese Wissenschaft erhebt die Tugend kluger Selbstbeschränkung, auf deren Praxis sich die Aktivisten der Marktwirtschaft in ihrer Eigenschaft als ‚Verbraucher‘ aus ganz bestimmt nicht metaphysischen oder natürlichen Gründen, sondern wegen ihrer marktwirtschaftlich bedingten Haushaltslage verstehen, zum Naturgesetz allen Produzierens. Dabei sieht sie von allem ab, worum es beim Produzieren geht: Zuallererst, wie gesagt, davon, dass hierbei von Reichtumsvermehrung die Rede ist; des Weiteren abstrahiert sie vom Inhalt der Bedürfnisse, für deren Befriedigung die Mittel geschaffen werden sollen; von den sachlichen Eigenschaften, die diese Mittel zweckmäßigerweise aufweisen müssen; von der Arbeit, den Arbeitsmitteln und den Produktionstechniken, die in der Produktion zur Anwendung gelangen – kurz und gut: Sie abstrahiert vom Produzieren selbst, um den Sinn dieser Veranstaltung in einen bestimmten Umgang mit den Mitteln der Produktion zu legen, nämlich in den Imperativ, sie so durchzuführen, dass der Aufwand „geringstmöglich“ ausfällt! Mit dieser leeren Idee von Wirtschaftlichkeit soll nicht nur feststehen, worum es im Grundsatz immer und überall geht und zu gehen hat, wo gewirtschaftet wird. Mit ihr will die BWL, wie dem ersten Zitat zu entnehmen ist, erklärtermaßen den „Grund“ angegeben haben, von dem her das Wirken jener Betriebe zu verstehen ist, die in der Welt des privaten Eigentums das Wirtschaften übernommen haben: Deren Geschäft attestiert sie den tieferen Sinn und unendlich guten Zweck, unter der Voraussetzung knapper Mittel der Menschheit ein Maximum an Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen, indem sie der zum ökonomischen Prinzip erhobenen Handlungsmaxime folgen, aus wenig möglichst viel zu machen oder viel aus möglichst wenig oder beides zusammen, also möglichst viel aus möglichst wenig.

Wir erlauben uns ein kleines Zwischenfazit: Die BWL liefert hier ein Lehrstück weltanschaulichen Argumentierens ab. Ihre Erkenntnis über die ‚Wirtschaftseinheit‘ namens Betrieb, die in diverse „Beschaffungs-, Absatz- und Kapitalmärkte“ „eingebettet“ ist, hat sie ja nicht aus der Befassung mit dem, was so ein Betrieb treibt. Natürlich ist ihr vertraut, dass der mit Kaufen, Verkaufen und Fragen der Finanzierung befasst ist. Sie weiß auch, dass im Zentrum des Geschäfts so einer ‚Wirtschaftseinheit‘ die Erwirtschaftung eines Gewinns steht, der den Betriebseigner und nicht etwa die Menschheit bereichert. Man sagt ihr sicher auch nichts Neues, wenn man sie darauf hinweist, dass die nützlichen Güter, die so ein Betrieb produziert, mit einem Preis auf die Welt kommen, der den Zugang zu ihnen beschränkt. Würde die BWL daraus – d.h. aus den auch ihr bekannten Erscheinungsweisen ihres Gegenstandes – ihre Schlüsse ziehen, käme sie nicht so schnell auf den Menschen als Nutznießer der Produktion in der Marktwirtschaft und auf ein „Maximum an Bedürfnisbefriedigung“ als Zweck der Veranstaltung. Aber so bezieht sich die BWL eben gar nicht auf ihren Gegenstand. Sie tritt aus der marktwirtschaftlichen Realität heraus und ein in eine Metaphysik der Natur menschlicher Bedürfnisse, in der die von der „neoklassischen Volkswirtschaftslehre“ geschaffene „Kunstfigur“ des „homo oeconomicus“ (I / S. 3) daheim ist, um sich zunächst getrennt von allem, was an Marktwirtschaft erinnert, im abstrakten Gebot zur Sparsamkeit und zur Effizienz des letzten Sinns jeglichen Wirtschaftens zu versichern. Und von dieser der Wirklichkeit enthobenen Sinnkonstruktion aus, die letztlich alle historischen Produktionsweisen von der Subsistenzwirtschaft über die Sklaverei bis zum Kapitalismus begreiflich machen soll, kommt die BWL anschließend in einem zweiten Schritt auf den realen Gegenstand zurück: Sie wendet ihre Abstraktion auf ihn an, subsumiert das marktwirtschaftliche Geschehen unter ihre Sinnkonstruktion und stiftet auf diesem Wege Klarheit in der Frage, worum es (auch) in der Marktwirtschaft letztlich und im Grunde geht!

„Optimale Bedürfnisbefriedigung“: Das ist das „Ziel“, das die BWL mit ihren einleitenden Grundsatzüberlegungen über die Wirtschaftseinheit ‚Betrieb‘ den real existierenden Betrieben als ihr eigentliches ‚Weiß-Warum‘ zuschreibt. Und als die Abteilung der Wirtschaftswissenschaften, die sich in besonderer Weise für die Heranbildung des Nachwuchses für die Führungsetagen solcher Betriebe zuständig weiß, lässt sie es sich nicht nehmen, aus diesem Ziel, d.h. letztlich aus dem Knappheitsdogma, das sie aus der Volkswirtschaftslehre übernommen hat, auch noch den Auftrag derjenigen herzuleiten, die in den Unternehmen das Sagen haben:

„Zur Realisierung des Ziels optimaler Bedürfnisbefriedigung müssen komplexe betriebliche Entscheidungsprozesse optimiert werden.“ (I / S. 4)

Derart nichtssagend verfremdend und zugleich in ganz bestimmter Weise zielgerichtet verfälschend fällt das Urteil der BWL über die Aufgaben des Führungspersonals aus. Statt mitzuteilen, was und worüber da zu entscheiden ist, erklärt sie die „betrieblichen Entscheidungsprozesse“ für „komplex“, also für nicht so ohne Weiteres bestimmbar, und erhebt das Verfügen über die Elemente der Produktion und das Optimieren von Entscheidungen zur Hauptsache, um die es so einem Betrieb zu gehen habe. Ohne sich darum zu kümmern, woher sie kommt und worauf sie beruht, redet die BWL so über eine Verfügungsmacht über die sachlichen wie lebendigen Produktionsfaktoren, die im Betrieb – von welcher Führung auch immer – ausgeübt wird; und die schließt für sie selbstverständlich, und ohne dass sie dies in irgendeiner Weise für erklärenswert befinden würde, das Kommando über die Arbeit ein, die in so einem Betrieb geleistet wird. Sie hält von dem innerbetrieblichen Herrschaftsverhältnis, das da unterstellterweise mitgedacht ist, nur den Formalismus des Entscheidens fest und präsentiert diesen als den für den Erfolg des Betriebs alles entscheidenden Faktor.

Damit sind nicht nur die kapitalistischen Unternehmen mit einem unwidersprechlich guten Daseinsgrund versehen – Bedürfnisbefriedigung. Ins Recht gesetzt ist damit insbesondere auch das Führungspersonal, das die solch menschheitsbeglückender Zielsetzung gewidmeten Unternehmungen zum Erfolg führen soll. Und mit beidem zusammen steht zugleich die Selbstrechtfertigung der BWL als angewandte Wissenschaft, die „den betrieblichen Entscheidungsträgern“ mit „Handlungsempfehlungen zur Optimierung betrieblicher Prozesse“ (I / S. 5) assistieren will, damit die ihrer Aufgabe gewachsen sind.

2. Wie der eigensüchtige Wille unter Zuhilfenahme
der staatlichen Rechtsordnung in den Zweck der Gewinnmaximierung mündet

Nachdem er uns mittels eines Ausflugs in die philosophische Welt der Grundprobleme des menschlichen Daseins über das Ziel betrieblichen Wirtschaftens aufgeklärt hat, belehrt uns der Lehrbuchschreiber, dass die BWL als „dienende“ (ebd.) Wissenschaft, welche den Praktikern der Marktwirtschaft bei ihren schwierigen Entscheidungen mit nützlichen Ratschlägen zur Seite stehen will, die Wirklichkeit ins Auge zu fassen hat:

„Betriebswirtschaftliche Handlungsempfehlungen sind für die zu beratenden Wirtschaftssubjekte nur dann hilfreich, wenn sie sich an den tatsächlichen Zielvorstellungen der jeweiligen Entscheidungsträger orientieren.“ (Ebd.)

Der Mann hat Humor: Mit dem Aufruf an seine Wissenschaft, die hätte die „tatsächlichen Zielvorstellungen“ derer in den Blick zu nehmen, die im Betrieb das Sagen haben, verweist er seine Aussagen über das eigentliche Ziel betrieblichen Wirtschaftens kurzerhand ins Reich der philosophischen Sinnkonstruktionen – aus dem Verkehr ziehen will er sie aber keineswegs. Als rechtfertigende Idee soll die Mär von der menschlichen Bedürfnisbefriedigung, der das betriebliche Wirtschaften dient, schon weiterhin ihren Dienst tun und wird sie, wie wir noch sehen werden, als ein wichtiger Leitfaden der Argumentation auch weiter gebraucht – unbeschadet der Tatsache, dass mit den „Entscheidungsträgern“ nun Subjekte angesprochen sind, denen es womöglich um ganz andere Dinge zu tun ist. Die bringt der Autor ins Spiel, weil es ihn als Vertreter einer Wissenschaft, die unbedingt nützliches Wissen liefern will, dazu drängt, zu versichern, dass man sich in der BWL wirklich nur solche Gedanken über das Wirtschaften der Betriebe machen will, mit denen diejenigen, die einen Betrieb zu managen haben, praktisch etwas anfangen können.

 

Und? Geht er mit der Frage nach den „tatsächlichen Zielvorstellungen“ endlich zur Befassung mit der Realität über? Von wegen. Statt zu ermitteln, welche Ziele die Entscheidungsträger in so einem Betrieb verfolgen, verwandelt unser Fachmann für Betriebswirtschaft diese Frage unversehens in eine ganz andere, nämlich in die Frage, wie man darüber überhaupt zu „wissenschaftlichen Aussagen“ gelangen kann und welches theoretische Instrumentarium man dafür braucht. Und die beantwortet er wie folgt:

„Wissenschaftliche Aussagen stützen sich immer auf Theoriebildung und Theoriebildung setzt Verallgemeinerung und vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit voraus. Zur Theoriebildung werden Modelle entwickelt, die einen Ausschnitt aus der wirtschaftlichen Wirklichkeit (durch einschränkende Grundannahmen) in vereinfachter Form abbilden.“ (Ebd.)

Er klärt darüber auf, dass eine Annäherung an die „wirtschaftliche Wirklichkeit“ ohne „Modelle“, die diese Wirklichkeit „in vereinfachter Form abbilden“, gar nicht möglich ist, dass diese Modelle stets auf „Grundannahmen“ beruhen, und weil das seiner festen Überzeugung nach nicht nur so ist, sondern auch gar nicht anders sein kann, leuchtet ihm auch völlig ein, dass es aufgrund der Vielfalt der möglichen Grundannahmen immer eine Vielzahl der Modelle gibt, mit denen man sich der Wirklichkeit annähern kann – was im Fall seiner Wissenschaft heißt, dass es nicht eine, sondern mehrere Betriebswirtschaftslehren gibt, je nachdem, von welcher „Verhaltensannahme“ über die Motive des „wirtschaftlichen Handelns“ man ausgeht:

„Das Handeln der zu beratenden Wirtschaftssubjekte kann (im Extremfall) von krassem Egoismus oder vom Gedanken der Nächstenliebe und des Teilens geleitet sein.“ (Ebd.)

„Wirtschaftstheoretisch und verhaltenswissenschaftlich orientierte Betriebswirtschaftslehre unterscheiden sich in ihrem Menschenbild: Hier der opportunistische Egoist, dort der solidarische Idealist.“ (Ebd.)

Was er uns über das Vorgehen der Wissenschaft im Allgemeinen und seiner Wissenschaft im Besonderen kolportiert, sind Eingeständnisse der furchtbarsten Art. Denn was soll es heißen, dass man sich die Wirklichkeit in der Weise aneignet, dass man in Gestalt eines Modells ein vereinfachtes Abbild von ihr oder die einem solchen Modell zugrundeliegenden Grundannahmen über sie auf sie anwendet? Das heißt ja wohl, dass man sich von dieser Wirklichkeit ein Bild gemacht und Annahmen über sie aufgestellt hat, bevor man sich mit ihr befasst und auseinandergesetzt hat; woraus zu schließen ist, dass weder Bild noch Annahme das Produkt einer sachlichen Betrachtung sein können. Und wenn die Befassung mit der Wirklichkeit dann nur noch so vonstattengeht, dass ein solcher jeder Objektivität entbehrender Vorbegriff auf sie Anwendung findet, dann mag daraus eine Vielzahl von Theorien entspringen, aber sicher nichts mehr, was den Namen objektive Erkenntnis verdient. Sich beim Urteilen über die Welt von Vorurteilen leiten zu lassen, ist für den Betriebswirt offenkundig keine Schande, vielmehr die in seiner Wissenschaft gängige Regel, und er hält so ein Vorgehen sogar für unabdingbar und geboten und kann sich ein anderes Herangehen an die Wirklichkeit offenbar überhaupt nicht mehr vorstellen. Man erfährt, dass es in der BWL üblich ist, über die Wirklichkeit nach Maßgabe von Menschenbildern nachzudenken, die man bedenkenlos der Welt der gängigen moralischen Vorstellungen entlehnt. Und die damit einhergehende Behauptung, dass so und nicht anders Wissenschaft geht und zu gehen habe, wird von unserem Standardwerk auch wieder ohne jedes Argument einfach dogmatisch zum Mitschreiben so hingesetzt – das sind eben die Standards, nach denen die Wissenschaft tatsächlich zu Werke geht. Dabei versteht es sich gar nicht von selbst, dass eine Wissenschaft, die darüber aufzuklären verspricht, was die Entscheidungsträger in einem Betrieb eigentlich treibt, im nächsten Satz auf den Menschen im Allgemeinen und die Motive, von denen sich der womöglich leiten lässt, zu sprechen kommt. Schließlich nimmt sie damit Abstand von der Untersuchung des Betriebsgeschehens, das die Entscheidungen der Entscheidungsträger doch wohl zum Inhalt haben.

Was die Grundannahmen übers wirtschaftliche Handeln respektive die einschlägigen Menschenbilder im Einzelnen anbelangt, die auf diese Weise als eine weitere Richtschnur des Nachdenkens über die betriebliche Wirklichkeit eingeführt werden, so handelt es sich dabei zum einen um eine ideologische Deutung der sozialen Bestimmung, die der Mensch im bürgerlichen, marktwirtschaftlich verfassten Gemeinwesen aufgeprägt bekommt: Die Figur des vom „Eigennutz“ getriebenen Egoisten verkörpert den Umstand, dass in der Welt des Privateigentums die ökonomischen Interessen, die die Menschen verfolgen, so beschaffen sind, dass sie in lauter Gegensätzen zueinander stehen – zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Mieter und Vermieter etc.; aber sie verkörpert ihn so, dass dies nicht als gesellschaftliche Natur kenntlich ist, die den Menschen im Kapitalismus auszeichnet, sondern als Natur des Menschen überhaupt erscheint. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Bild vom ‚egoistischen Menschen‘ also um ein affirmatives Hirngespinst, das das Wirken des privaten Konkurrenzsubjekts, das die BWL schon auch selbst als Charakteristikum der marktwirtschaftlichen Eigentumsordnung kennt, in eine Natureigenschaft des Menschen schlechthin verfabelt. Dem stellt der moralische Verstand die Fiktion des „solidarischen Idealisten“ entgegen, der „vom Gedanken der Nächstenliebe und des Teilens“ beseelt ist; eine Figur, die in der bürgerlichen Welt Anerkennung genießt, weil sie den Gemeinschaftssinn pur verkörpert, in ökonomischen Dingen aber ganz bestimmt nicht als kompetent gilt; und diese moralische Fiktion wird vorgestellt als die Alternative, die die BWL im Angebot hat.

Der Mann der Wissenschaft ist ersichtlich nicht beschämt darüber, dass in dieser Sphäre moralisierender Vorurteile über den Menschen – der gängigen schlechten oder guten Meinungen über ihn – die unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkte der verschiedenen Schulen seines Fachs, der „wirtschaftstheoretisch und der verhaltenswissenschaftlich orientierten Betriebswirtschaftslehre“, zu verorten sein sollen. Er bewegt sich in ihr wie der Fisch im Wasser, klärt uns darüber auf, dass er sich für die eine und gegen die andere Richtung entschieden hat, und begründet seine Entscheidung damit, dass dem einen Menschenbild mehr Nähe zur Wirklichkeit zu bescheinigen ist als dem anderen. Unter diesem Gesichtspunkt scheidet die „verhaltenswissenschaftlich orientierte“ BWL mit ihrem Bild vom nach „Maximierung des Gemeinnutzes“ (I / S. 6) strebenden Individuum als ernst zu nehmende ökonomische Lehre für ihn aus:

„Die wirtschaftstheoretisch fundierte Betriebswirtschaftslehre [der sich unser Autor zurechnet] hält dieses idealistische Menschenbild für wirklichkeitsfremd.“ (Ebd.)

Was er zum Argument für die eine und gegen die andere ‚Lehre‘ macht, das ist ein Vergleich zwischen dem jeweils zugrundeliegenden Menschenbild und der Welt der Konkurrenz, die jeder vor Augen hat, der in die Welt der Marktwirtschaft blickt. Und bei dem Vergleich ist es wahrlich kein Wunder, dass die von ihm bevorzugte Auffassung vom Menschen, der zufolge „jedes Individuum ... nach maximalem Eigennutz [strebt]“ (ebd.), im Unterschied zur anderen als realistisch erscheint. Schließlich ist dieses Menschenbild der Sphäre der ökonomischen Konkurrenz entlehnt; was es dem Menschen als sein Wesen zuspricht, ist aus ihr herausdestilliert; während es sich bei dem „solidarischen Idealisten“ um einen moralischen Gegenentwurf dazu handelt, weswegen sich der an der Welt der ökonomischen Konkurrenz auch leicht blamieren lässt. Der Wirtschaftstheoretiker braucht zu dem Zweck nur auf die allseits bekannten Gegensätze zwischen „Kunden ... , Lieferanten, Kapitalgebern und Arbeitnehmern“ zu deuten, die „möglichst wenig zahlen“ wollen und „möglichst hohe Zahlungen ... erwarten“ (I / S. 7), und schon ist klar, dass ein solches Bild vom Menschen absolut unrealistisch ist.

Die Prüfung der Wirklichkeitsnähe möglicher Annahmen über die Motive wirtschaftlichen Handelns erweist sich somit als Spiegelgefecht, mit dem der BWL-Lehrmeister unter Berufung auf die Welt der marktwirtschaftlichen Konkurrenz ein Menschenbild ins Recht setzt, das seinerseits so konstruiert ist, dass es diese Welt der Konkurrenz als die der Menschennatur entsprechende und somit als wohlbegründete erscheinen lässt.

Mit dieser zirkulären Spiegelfechterei ist die Einführung in die BWL einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die BWL hat sich im Namen des Menschen und seines natürlichen Strebens nach Mehrung seines Eigennutzes – der „homo oeconomicus“ (I / S. 6) lässt grüßen! – zur Dienstbarkeit gegenüber den im Betrieb wirklich maßgeblichen Interessen verpflichtet. „Ein ideelles Konstrukt ohne praktische Realisierungschance“ (I / S. 7), wie es die Minderheit der Kollegen mit ihrem auf ein unrealistisches Menschenbild gestützten „Harmoniemodell“ (ebd.) propagiere, will der „wirtschaftstheoretisch fundierte“ (ebd.) Mainstream des Fachs auf keinen Fall abliefern.2)) Und wie die wirklich maßgeblichen Interessen in so einem Betrieb beschaffen sind, darüber macht man sich und anderen nichts vor: Da geht es um das „Rendite-Interesse“ der „Shareholder“, die „Verfügungsrechte“ der „Eigentümer an den Produktionsmitteln“, die „Vorrangstellung der Eigenkapitalgeber“ und das „Ziel der langfristigen Gewinnmaximierung“ (I / S. 7 ff.). Die Herleitung des Gewinnstrebens aus der Menschennatur respektive den Triebkräften des Menschen ist damit perfekt. Für die Gleichsetzungen, die da recht flott vollzogen werden – Nutzenstreben wird mit Eigennutz identifiziert, der Eigennutz mit Gewinninteresse –, braucht die BWL kein einziges Argument zu mobilisieren. Die „wirtschaftstheoretische Fundierung“, die sie reklamiert, besteht schlicht und ergreifend darin, die marktwirtschaftliche Realität zu unterstellen und für sich sprechen zu lassen, in der die Leute in ihrem Materialismus alias ‚Nutzenstreben‘ aufs Geldverdienen festgelegt sind, in der der Nutzen, den die ‚Wirtschaftssubjekte‘ verfolgen, deswegen die Form eines Eigennutzes annimmt, welcher im Gegensatz zu lauter konkurrierenden Privatinteressen steht, und in der die ganze Ökonomie dem Gewinninteresse kapitalistischer Unternehmen untergeordnet ist. Man sieht es doch, lautet ihr Argument, mit dem sie ihren Gleichsetzungen den Schein einer von den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängigen Notwendigkeit verleiht – an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen, wohlgemerkt, soll man diese von den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängige Notwendigkeit sehen!