Der Akron Tarot

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Der Akron Tarot
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Der Akron-Tarot
begleitet von Arjun, Michelle and friends
Bilder von S. O. Hüttengrund


Widmung

Ich möchte diese Arbeit Frieda und Friedrich sowie Charalambos, unserem Griechen, widmen, den mein Vater während der Wirren des Zweiten Weltkrieges aus einem deutschen Arbeitslager zuerst in die Schweiz schmuggelte und nach Kriegsende aus der Quarantäne in seine Familie aufnahm. Sie alle drei waren mir in der Kindheit und Jugend ein großes Vorbild an völkerverbindender Freundschaft und schart und Nächstenliebe, was mir später die Kraft gab, aus dieser nachempfundenen Haltung Menschen in kritischen Lebenslagen begleiten und beistehen zu können. Erst aus der Reife meiner Lebenserfahrung und den vielen Gesprächen mit Klienten, deren Probleme oft in der fehlenden Zuneigung und Nähe in der Kindheit lagen, konnte ich überhaupt ermessen, welches große Geschenk der Liebe sie mir mit auf den Weg gaben. Dieses Buch wird nun das letzte größere Werk aus meinem Geist und aus meiner Kraft heraus sein. Es ist mir deshalb ein tiefes Anliegen, meinen Dank, den ich im Sturm und Drang der Jahre leider vergessen hatte, persönlich zu formulieren, durch diese Widmung nachzuholen und ihn den Erinnyen, diesen unergründlichen Töchtern der Nacht, demütig auf den Altar zu legen, um das Unbehagen, das mich von Zeit zu Zeit beschleicht, am Ende meiner Reise loszuwerden.

Meine tiefe Zuneigung gehört Lussia für die Kraft der Göttin und die unerschütterliche Loyalität, mit der sie stets treu an meiner Seite stand. Illuma für Leidenschaft und Stolz, Himmel und Hölle oder Liebe und Schmerz. Phoebe und Voenix für die seelische Verbundenheit und die Nachtmeerfahrten, die uns in den vergangenen Jahren immer wieder nahe an die Zyklone verschlingender Abgründe tanzen liessen, und last but not least Arjun für ein langes gemeinsames Stück philosophierenden Seelen- und Lebensabschnittwanderns. Ganz besonders aber will ich Ursi erwähnen, meine große Liebe und für meinen späteren Weg wichtigste Gefährtin (1976-1986), die mir die Kraft und die Unterstützung gab, in den 70er und 80er Jahren das zu säen, was ich heute ernten darf.

CFF

Originalausgabe

1. Auflage 2004

ISBN Nr. 978-3-90537-293-9

© 2004 AGM AGMüller Urania, Neuhausen/Schweiz

Das gesamte Werk ist im Rahmen des Urheberrechtsgesetzes geschützt Jegliche vom Verlag nicht genehmigte Verwertung ist unzulässig Dies gilt auch für die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen, photomechanische Wiedergabe. Tonträger jeder Art, elektronische Medien sowie für auszugsweisen Nachdruck.

Umschlagbild: S. O. Hüttengrund

Umschlaggestaltung: Antje Hellmanzik

Satz: Antje Hellmanzik

Produkt Manager: Silvie Bachmann

Herstellung: Marcus Caluori

www.akron.ch

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Impressum

Vorwort

Ergänzender Hinweis

Die Entwicklung des Tarots

Die Struktur der Karten

Die Ursprünge

Tarot als Einweihungsweg

Tarot und der Golden Dawn

Tarot im 20. Jahrhundert

Moderne Deutung nach Jung

Akron — ein Tarot der Zukunft

Persönliche Impressionen zu den neuen Karten

Die Großen Arkana

0 Der Narr — All-Ein-Sein, Urquell, kosmische Leere

I Der Magier — Bewusstsein, Ego, Selbstverwirklichung

II Die Hohepriesterin — Weisheit, Geheimnis, Intuition

III Die Herrscherin — Lebenskraft, Wachstum, Mutterschaft

IV Der Herrscher — Ordnung, Stabilität, Struktur

V Der Hohepriester — Dogma, Tradition, Moral

VI Die Liebenden — Anziehung, Zuneigung, Vereinigung

VII Der Wagen — Aufbruch, Wille, Tatendrang

VIII Die Gerechtigkeit — Ausgleich, Balance, Objektivität

IX Der Eremit — Sammlung, Erkenntnis, Selbstfindung

X Das Schicksalsrad — Kosmisches Uhrwerk, Veränderung, Zeit

XI Die Lust — Liebeslust, Kraft, sexuelle Transformation

XII Der Gehängte — Krise, Opfer, Ego-Überwindung

XIII Der Tod — Loslassen, Abschied, Erneuerung

XIV Die Alchimie — Läuterung, Heilung, Sublimation

XV Der Teufel — Verdrängung, Hölle, Schattenprojektion

XV/I Die Schwarze Göttin — Grausamkeit, Rachelust, weibliche Dominanz

XV/II Die scharlachrote Anima — Abhängigkeit, Verstrickung, Lust nach Schmerz

XVI Der Turm — Umsturz, Zusammenbruch, Befreiung

XVII Der Stern — Sehnsucht, Inspiration, höhere Führung

XVIII Der Mond — Alptraum, Phobie, dunkle Vision

XIX Die Sonne — Bewusstheit, höheres Selbst, Schöpfergeist

XX Die Morphogenese — Mutation, Wandlung, Neues Äon

XXI Das Universum — Ganzheit, Vollendung, Transzendenz

Das dunkle Kind — Rückzug, Abweisung, Liebesmissbrauch

Die Kleinen Arkana

Stäbe — Ass bis Zehn

Prinzessin der Stäbe — Die Vatertochter

Prinz der Stäbe — Der Königsmörder

Königin der Stäbe — Die Liebesdompteuse

König der Stäbe — Der (Gott-)Vater

Kelche — Ass bis Zehn

Prinzessin der Kelche — Die Ungreifbare

Prinz der Kelche — Der Selbsterlöser

Königin der Kelche — Der Spiegel der Seele

 

König der Kelche — Der (Unio-)Mystiker

Schwerter — Ass bis Zehn

Prinzessin der Schwerter — Die Opfergöttin

Prinz der Schwerter — Der ewige Jüngling

Königin der Schwerter — Die Scharfrichterin

König der Schwerter — Der Global Player

Scheiben — Ass bis Zehn

Prinzessin der Scheiben — Die gehörnte Jungfrau

Prinz der Scheiben — Der Sozialerneuerer

Königin der Scheiben — Die Urmutter

König der Scheiben — Der Wirtschaftsplünderer

Rückseite der Karten — Die Befreiung der Schattengöttin

Pyramidenlegung — Die Karten als magische Energiequelle

Legesysteme

Die Ermittlung persönlicher Karten

Neun klassische Legesysteme

1. Legesystem: Ankh

2. Legesystem: Das Beziehungsspiel

3. Legesystem: Der blinde Fleck

4. Legesystem: Das Entscheidungsspiel

5. Legesystem: Das Geheimnis des Narren

6. Legesystem: Das keltische Kreuz

7. Legesystem: Das Kreuz

8. Legesystem: Das Narrenspiel

9. Legesystem: Der Weg

Sechs neue Legesysteme

Drei Legesysteme von der äußeren zur inneren Göttin

1. Legesystem: Die Liebesgöttin

2. Legesystem: Die gespiegelte Göttin

3. Legesystem: Die spirituelle Göttin

Zwei Legesysteme von der Verstrickung zur Selbstverwirklichung

4. Legesystem: Die schwarze Spirale

5. Legesystem: Die weiße Spirale

Ein feinstofflich erpendeltes Lichtsymbol markiert einen Weg zum höheren Selbst

6. Legesystem: Das Akron-Symbol

Zur Entstehung des Buches — Die Odyssee der Entwicklung dieses Projektes (1990-2004)

Der Geist der Kraft

Autorenschlüssel und Danksagung

Biografien

Living Akron-Tarot

Endnoten

Vorwort

Wie eine Sphinx so rätselhaft, geheimnisvoll und tief ist Tarot. Nur kommt es dabei nicht darauf an, die richtige Antwort zu geben, sondern die Antwort auf richtige Fragen richtig zu verstehen. Gleich der Sphinx erscheint uns auch Tarot in vielen Facetten und Gestalten. In die innersten Räume aber haben sich bislang nur wenige gewagt, da jeder, der das Labyrinth betritt, Gefahr läuft, darin verloren zu gehen.

Diese Angst ist dem als Tiefenastrologen und Schattenphilosophen bekannten Magier Akron fremd. Für ihn ist es immer erst jenseits der Schwelle wirklich interessant geworden. Nun hat er in der 14-jährigen Entstehungsgeschichte dieses Werkes unter Einbeziehung einiger Freunde einen Tarot ausgebrütet, dessen Bilder und Symbolik von ungewöhnlicher Tiefe sind und dazu noch eigenwillig faszinierend und sehr ansprechend. Sicherlich kann man auch diese Karten in bewährter Weise legen und interpretieren, doch angesichts ihrer reichhaltigen Bedeutungen und der vielschichtigen Symbolik scheint es mir, dass auch eine einzige gezogene Karte reicht, um darin alle Antworten auf eine innere Frage zu finden.

Die Summe aller Zahlen von Eins bis Zwölf ist 78 (1 + 2 + 3 + … 12), die Anzahl der Karten in einem »normalen« Tarotdeck. Während die Zwölf bekanntlich für ein rundes Dutzend und damit für die Gesamtheit steht, symbolisiert die Summe der Zahlen Eins bis Zwölf das größere Ganze. Akron aber ist selbst darüber hinaus gegangen und hat jenseits der traditionellen Grenze Themen sichtbar gemacht, die das christliche Abendland abgespalten und nachhaltig verdrängt hat. Im dunklen Punkt des Tarot, in der 15. Karte, deren Zahl sich als Quersumme aus allen Karten ergibt (78 → 7 + 8 = 15), ist traditionell allein der Teufel zu sehen, das summum malum, der Inbegriff alles Bösen im abendländischen Wertekatalog. An den weiblichen Aspekt dunkler Macht erinnerte bestenfalls noch des Teufels Großmutter im Märchen. Nun aber ist die Schwarze Göttin und ihre Kehrseite, die scharlachrote Anima, auf einer zweiten 15er Karte zu sehen. Auf der anderen neu geschaffenen Karte wird das dunkle Kind sichtbar, das die »böse«, destruktive und selbstzerstörerische Seite der Seele verkörpert.

Einzigartig ist es, wie die Bedeutung der Großen Arkana nicht dogmatisch festgelegt ist, sondern in einem fiktiven Dialog zwischen einem saturnalen Staatsanwalt und dem Advocatus Diaboli verhandelt wird. Aber auch die Karten der Kleinen Arkana werden liebevoll in poetischer Sprache vielschichtig erklärt und gedeutet. Mögen alle, die diesen Tarot fragen, die tiefen Antworten recht verstehen und sich davon inspirieren und leiten lassen.

München, im Mai 2004

Hajo Banzhaf

Ergänzender Hinweis
Der Umgang mit den multiplen Ansätzen des Akron-Tarots

Der Akron-Tarot ist kein Tarot-Buch im üblichen Sinn. Der gewöhnlich beschrittene Weg, einen Tarot zu befragen liegt darin, eine vorgegebene Menge Karten zu ziehen, diese nach einem bestimmten System auszulegen und aufgrund ihrer Bedeutung, ihrer Symbolik und der Reihenfolge im Legesystem zu deuten. Ausgangssituation ist die Frage, Ergebnis ist eine Antwort, die oftmals viele Fragen offen lässt. Akron nähert sich den Karten jedoch durch ein mentales Objektiv aus verschiedenen Perspektiven. Diese stehen weniger für die von Puristen im Tarot vermuteten Geheimen Lehren, sondern mehr für die raffinierten Brechungen des menschlichen Geistes im Tanz seiner Selbstfindung um sein Spiegelbild. Der Akron-Tarot ist eine Form, den Kosmos in sich selbst zu entdecken. Oder, spiritueller ausgedrückt: die Unendlichkeit des eigenen Wir zu betreten, um dabei auf das Ich zu stoßen und so Antworten zu erhalten, die mit den vielfältigen Möglichkeiten dieses, unseres Ichs einhergehen. Deshalb legt dieses Buch auch keine einfachen Frage-Antwort-Spiele vor, sondern es nimmt uns mit auf eine spannende Reise durchs Wir—Ich, durch die Welt der Philosophien, die Sphären der Psychologie, die Welt der spannenden Geschichten um die Geschichte.

Doch Vorsicht, hier treten wir keine Pauschalreise nach All-Inklusive-Manier an, hier fließt uns kein süβer Brei ins Maul, der uns zu formloser Masse degeneriert, es gibt keine Animateure, die uns die Last, aber vor allem die Lust des Lebens abnehmen. Diese Reise ist ein Abenteuer auf der Suche nach der Umwertung vieler Werte, eine Entdeckungsreise nach dem Ich, das nicht im Wir verloren gehen soll. Sie ist eine rasante und spannende Fahrt, die uns die Hinterhöfe und Kellergewölbe präsentiert, um uns zu zeigen, wo und wie viel Licht da überall um uns herum ist, gleich ob aus einer Dachluke heraus bestaunt oder von der Spitze des höchsten zu erklimmenden Berges bewundert. Um zu sehen, wo das Licht ist, bedarf es einer tiefgründigen Erfahrung des Schattens, der dieses unter Schmerzen gebärt. Logische Konsequenz dieser Schatten-Licht-Arbeit ist eine Zwillingsgeburt: die Entstehung zweier Karten, die hier aus den Ketten ihres Jahrtausende alten Verlieses ins Strahlende treten. Mit der Schwarzen Göttin steigt aus verborgenen Tiefen die dunkle Seite der Seele der Frau empor; ein Teil von jener im Urbrunnen versunkenen Kraft, die stets verschleiern will und stets das Erleuchtende schafft. Ihre Spiegelung, die scharlachrote Anima, zeigt uns die dunkle Mutter, den Kern des Pudels eines jeden männlichen Daseins. Mit dem dunklen Kind nimmt der Wurf Freudsche Qualitäten an. Die verletzte Seele des Kindes stürzt uns ins Verderben und schreit beim Absturz in die Hölle nach unendlicher Erlösung.

Zuletzt, aber nicht als Letztes, sei gesagt, dass diesem Werk 14-jährige Geburtsschmerzen vorausgingen, die dem Gesamtwerk - den unvergleichlichen Gemälden S. O. Hüttengrunds, die allen 80 Karten zu Grunde liegen, und die sinnreichen Wortsetzungen Akrons und seiner Gefährten - einen Götterfunken und einen tiefen Ein- und Ausblick verleihen.


Wünschen wir uns allen Alles dabei.

Die Entwicklung des Tarots

Der Tarot gilt heute als Orakel und spiritueller Weg zugleich. Die Karten entsprechen nicht nur den Seelenarchetypen, die wir in uns tragen, sondern unterliegen auch einem System, das in den vier Sätzen der Kleinen Arkana und vor allem den Trümpfen der Großen Arkana die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins vom Urknall bis zur Vollendung zeigt. Sie bebildern die notwendigen Transformationsstationen, die wir durchlaufen müssen, um in den Zustand der Vollkommenheit zu gelangen. Somit bietet die Ziehung neben den Tendenzen für die Zukunft in erster Linie wertvolle Hinweise für die eigene persönliche Entwicklung, indem sie innere Seelenprozesse durch die entstehende Komposition der Karten sichtbar macht.

Die Struktur der Karten


Eine Vielzahl von verschiedenen Tarotdecks, die heute auf dem Markt erhältlich sind, richten sich in Bedeutung und Aufbau im Wesentlichen nach den drei bekanntesten Tarotspielen: dem Tarot de Marseille, den Rider-Waite-Karten und dem Thoth-Tarot von Aleister Crowley. Diese Decks bestehen aus 22 großen Trümpfen, die in archetypischen Bildern den menschlichen Einweihungsweg nachstellen, sowie 56 weiteren Karten, die in vier Sätze zu je 14 Karten aufgeteilt sind. Sie folgen in ihrer Auslegung der hermetischen Tradition und gelten als Träger verschiedener Geheimlehren wie zum Beispiel der Magie, Hermetik, Theosophie oder dem Sepher Jezirab, dem Herzstück der Kabbala. Diese bezieht sich grob vereinfacht auf die Schöpfungsgeschichte und ihre ewigen Gesetze, die in die 32 Pfade der Weisheit, also in die zehn Sephirot und die die Sephirot miteinander verbindenden 22 Pfade, gegliedert werden. Die Sephirot stehen für die Emanation des Göttlichen und sind mit bestimmten Wirkungen und Eigenschaften belegt, die in ihrer Gesamtheit den vollkommenen, göttlichen Menschen zeigen. Die 22 Pfade, die analog zu den 22 hebräischen Buchstaben die Verbindung der Sephirot untereinander als Entwicklungswege zur Vollkommenheit repräsentieren, entsprechen den 22 Trümpfen, während die Kleinen Arkana in vier Sätze à zehn Zahlkarten und vier Hofkarten aufgeteilt sind. Die zehn Zählkarten eines jeden Satzes verlaufen analog zu den zehn Sephirot, während die vier Sätze die vier magischen Waffen - Stäbe, Kelche, Schwerter und Münzen - darstellen, die sowohl den vier Elementen Feuer. Wasser, Luft und Erde entsprechen wie auch dem hebräischen Tetragrammaton (Buchstabenkombination für Jahwe), Der Name Gottes durfte bei den Kabbalisten nicht ausgesprochen, sondern nur buchstabiert werden. Diese vier Buchstaben Jod—He—Vau—He wurden erstmals im 19. Jahrhundert den Elementen zugeordnet. Als Personenkarten schließen sich pro Satz jeweils vier Hofkarten an, die ebenfalls nach Elementen konfiguriert sind und verschiedene menschliche Charaktere darstellen: Die Könige oder Ritter entsprechen der Feuerenergie (Jod), die Königinnen dem Wasser (He). Prinzen symbolisieren die Luft (Vau) und die Prinzessinnen oder Pagen illustrieren die Erde (He).

 

Die Ursprünge


Die Verbindung des Tarots mit Weisheitslehren oder alten Mysterienpfaden existiert noch nicht so lange, denn ursprünglich wurde er als gewöhnliches Kartenspiel genutzt. Eines der hartnäckigsten Gerüchte besagt, dass die Karten ursprünglich aus Ägypten stammen, und ist auf Court de Gébelin (1719-1784) zurückzuführen. Erste schriftliche Erwähnungen gehen ins 14. Jahrhundert zurück, es gibt allerdings keine gesicherten Hinweise darauf, dass die Spielkarten zum Orakeln oder zu etwas anderem als zum Spielen benutzt worden sind. Trotzdem fanden sie eine schnelle Verbreitung. Als ältestes Deck gilt der italienische Visconti-Sforza-Taroccbi-Kartensatz aus dem 15. Jahrhundert. Das Wort taroccbi wurde in Italien ab dem 16. Jahrhundert für Karten benutzt. Der französische Begriff Tarot entstammt der italienischen Bezeichnung, wurde ins Englische übernommen und ist heute der allgemein verwendete Begriff.

Tarot als Einweihungsweg


Der Papst

Ihren Anfang nahm diese Entwicklung 1781 in einem Pariser Salon, in dem der Gelehrte Antoine Court de Gébelin das Tarocchi-Kartenspiel kennen lernte. Es war der Tarot de Marseille, der ihn zu der Erkenntnis veranlasste, es könne sich hierbei nicht nur um gewöhnliche Karten handeln. So glaubte er in den Bilderwelten der Trümpfe alte verborgene Erkenntnisse des Altertums, das so genannte Buch Thoth, zu entdecken. Jene geheimnisvolle Schrift galt unter Freigeistern als Wiege der Weisheit und verschlüsselte Bildersprache, die die geheimen Lehren dieses ägyptischen Gottes in Symbolen und Allegorien offenbarten. Thoth, der nach der gegenseitigen Beeinflussung der griechischen und ägyptischen Kultur eine Symbiose mit Hermes einging und zu Hermes Trismegistos, dem dreifach großen Hermes, wurde, spielte nicht nur in der Mystik des Altertums, sondern auch in den Geheimlehren des gesamten Abendlandes eine tragende Rolle. Ihm wurde die Erfindung des Wortes zugeschrieben. Weiterhin galt er als Gott des Mondes, der Zauberei und gleichzeitig auch als Seelenbegleiter, der die Einweihung in die verborgenen Mysterien gewährte, was nach Auffassung der Autoren auch ein Hinweis darauf sein könnte, dass er ursprünglich der alten dreifaltigen Göttin entsprang. Als Gott der Magier finden wir ihn im Trumpf I der Großen Arkana versinnbildlicht. Seine Werke sind vielfältig, und die okkulten Mysterien, deren Wissen ihm zugeschrieben werden, tauchen in der abendländischen Kultur als Geheimlehren immer wieder auf. Ihren Höhepunkt hatte die Hermetik in der Renaissance und Reformation, in der Denker wie Agrippa (1486-1535) oder Paracelsus (1493-1541) unter ihrem Einfluss standen. Danach wurde sie zur Randerscheinung, bis Court de Gébelin ihre mystische Weisheit wieder entdeckte und mit dem Tarotspiel in Verbindung brachte. Er glaubte auch zu wissen, dass der Tarot aus Ägypten stammte und von den Zigeunern nach Europa gebracht worden war. Ebenso schuf er die Verbindung zwischen der Großen Arkana und der jüdischen Religion, indem er feststellte, dass die großen Trumpfkarten eine bildhafte Entsprechung der 22 hebräischen Buchstaben waren, eine Behauptung, die später bei nachfolgenden okkult engagierten Gelehrten, Mystikern und Magiern reichlich Früchte tragen sollte und heute noch die spirituelle Betrachtungsweise der Karten tief beeinflusst, auch wenn sämtliche von Court de Gébelin aufgestellten Behauptungen aus heutiger Sicht zumindest als sehr fragwürdig erscheinen. Eine Erklärung seines ausgeprägten Sinnes für Eingebungen und Visionen mag die von zwei gegensätzlichen Strömungen geprägte Zeit sein, in der er lebte. Auf der einen Seite bildete sich der Siegeszug der Aufklärung und des Materialismus in Form der industriellen Revolution, und auf der anderen entfaltete sich eine immer stärker werdende Hinwendung zu Mystik und spiritueller Sinnsuche. Gébelin gehörte zu jenen Pionieren seiner Epoche, die dem Glauben frönten, man könne die materielle Welt nicht erobern, wenn man ihr tiefstes Wesen und das innere Wirken nicht begriffen hätte. Aus dieser Haltung schaffte er den Spagat zwischen den beiden Welten der Mystik und Ratio, indem er den Fortschritt mit klassischem Altertum zu verknüpfen suchte und damit einer der Vorreiter der Idee wurde, der Gesellschaft das verborgene oder verloren gegangene Geheimwissen wiederzubringen. So legte er nicht nur die Grundlage für den Tarot als spirituellen Einweihungsweg, sondern war mit seinem Bedürfnis, den Menschen die alten Weisheitslehren wieder zugänglich zu machen, zugleich auch einer der geistigen Väter der heutigen esoterischen Bewegung. Die Gegenströmung zum Rationalismus gewann in der ersten Hälfte des anbrechenden 19. Jahrhunderts immer mehr an Macht. Während im Sturm und Drang-Deutschland Goethe seinen von hermetischem Gedankengut durchtränkten Faust zu Papier brachte und Geheimgesellschaften wie die Rosenkreuzer oder Freimaurer aus dem Boden schossen, nahm auch das Wahrsagen mit Spielkarten an Beliebtheit ungeheuer zu. Zurückzuführen war dies unter anderem auf die berühmte Wahrsagerin Madame Lenormand (1772-1843), die das Kartenorakel aus dem verpönten Dunstkreis der Hinterhöfe in den Fokus der guten Gesellschaft brachte. Diese Sitten missfielen einem gewissen Abbé Alphonse Louis Constant (1810-1875), der sie in einem 1853 erschienenen Zeitungsartikel aufs Schärfste monierte. Darin beklagte er den Verfall der wahren Weisheit des Gottes Thoth zu Zigeuner- und Wahrsagekarten. Später nannte er sich Éliphas Lévi, mauserte sich zum größten Okkultisten Frankreichs und wurde nicht nur zu einem der geistigen Hauptbeeinflusser von Waite (1857-1942) und Crowley (1875-1947), sondern auch zu einem der wichtigsten Weichensteller der heutigen Esoterik und Auffassung von Magie überhaupt. Er begann seine berufliche Laufbahn als Diakon und wurde nach seinem Ausschluss aus der Kirche zum politischen Aktivist, der in der Revolution 1848 an vorderster Front kämpfte. Nach dem Scheitern seiner politischen Ideale änderte er Leben und Namen radikal. Als ehemaliger Revoluzzer und Idealist glaubte er daran, dass Spiritualität das Recht eines jeden sei und veröffentlichte im Laufe der nächsten Jahrzehnte mehrere Bücher, die heute noch als Standardwerke der Magie angesehen werden. Unbeirrt von der Tatsache, dass seine Kenntnisse der Kabbala, wie böse Zungen raunten, ähnlich bescheiden waren wie bei seinen späteren Erben Papus und Crowley, sah er den Tarot als Bilderschlüssel zum Verständnis dieser Geheimlehre und untermauerte Court de Gébelins Verknüpfung mit den 22 hebräischen Buchstaben mit einer durchdachten und sehr leidenschaftlich vertretenen Theorie. Lévi vervollständigte die Idee von der Übereinstimmung der 22 Trümpfe mit dem jüdischen Lebensbaum. Er behauptete ferner, dass die zehn Sephirot und die 22 Karten der Großen Arkana die 32 Wege absoluten Wissens für Kabbalisten darstellen und ordnete die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabetes in einer neuen Reihenfolge den 22 Trümpfen des Tarots zu. Damit lieferte er zugleich den Nährboden für Generationen begeisterter Forscher und Stubengelehrter, die bis heute immer wieder die Verbindung zwischen Kabbala und Tarot neu durchleuchten, ordnen, ausbauen und zu Deutungszwecken nutzen. Vom Gebrauch des Spiels zu Divinationszwecken hielt der rebellische Magier jedoch wenig und schenkte seine schreibfreudige Aufmerksamkeit ausschließlich dem den Karten innewohnenden großen Mysterium. Gerard Encausse (1865-1916) schließlich, der unter seinem Pseudonym Papus gemeinsam mit dem höchst exzentrischen Baron Stanislas de Guaita den Kabbalistischen Orden des Rosenkreuzes gründete, intensivierte Lévis hermetisches Konzept und war der Letzte der französischen Linie.