Morde in den Bergen: Zwei Kriminalromane

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Aus der Reihe: Extra Spannung #3
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Morde in den Bergen: Zwei Kriminalromane
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Morde in den Bergen: Zwei Kriminalromane

Alfred Bekker and A. F. Morland

Published by Alfred Bekker, 2017.

Table of Contents

Title Page

Zwei Krimis

MUHLAND - Der Tod kehrt zurück

Klappe

Roman

Der Sauerland-Pate

Copyright

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E P I L O G

Impressum neobooks

Zwei Krimis

Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende Krimis:

A.F.Morland: Muhland – Der Tod kehrt zurück

Alfred Bekker: Der Sauerland-Pate

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

MUHLAND - Der Tod kehrt zurück

Heimat-Krimi

A.F.Morland

––––––––

IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Titelbild: Nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2017

Idee: Marten Munsonius

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Klappe

Ohne ihren Boss müssen sich „Godzilla“ und „Rambo“ notgedrungen an den „Adria-Paten“ wenden, wenn sie weiter im Drogengeschäft bleiben und Geld verdienen wollen. Sie kehren Berlin den Rücken um in Spannthal aktiv zu werden, denn der ums Leben gekommene Killer Adriano Ravelli wollte ein doppeltes Spiel spielen und auf eigene Rechnung Rauschgift zum Verticken nach Deutschland schmuggeln. Doch wo ist der Stoff geblieben? Niemand scheint es zu wissen, und die Spannthaler leben lieber weiter in ihrer Pfarrhaus-Idylle und mit der Aussicht auf hohe Berge und glasklare Almenseen.

Doch die Fassade beginnt zu bröckeln und ein ganzes Dorf macht sich auf die Suche nach dem verborgenen „Schatz“, als die beiden Verbrecher, die sich als Interpol-Agenten ausgeben, entsprechende Gerüchte streuen und einen Finderlohn von zehntausend Euro in Aussicht stellen.

Und plötzlich beginnt im Bergparadies Blut zu fließen...

Roman

Jetzt hingen sie in der Luft.

Bis vor kurzem war ihre Welt noch schwer in Ordnung gewesen, aber dann hatte es einen bösen Erdrutsch gegeben, und seitdem war nichts mehr wie früher.

Rocco Panzer, ihr Boss, hatte sie gutes Geld verdienen lassen. Sie hatten sich schicke Maßanzüge, trendige Uhren und noble Nutten leisten können.

Doch damit war es vorbei. Der angenehme Geldstrom war versiegt. Panzer lebte nicht mehr, und eine neue Einnahmequelle hatten seine schlagkräftigen Gorillas noch nicht zum Sprudeln gebracht.

Das hieß, dass sie, um ihren flotten Lebensstil fortführen zu können, ihre Ersparnisse ankratzen mussten, und das behagte ihnen begreiflicherweise überhaupt nicht, denn irgendwann würden die eisernen Reserven aufgebraucht sein – und was dann?

Es musste Abhilfe geschaffen werden. Und zwar so rasch wie möglich... Sie trafen einander zur Lagebesprechung in einer Kneipe namens „Lottchen“.

Nicht weit vom Alexanderplatz entfernt. Die Wirtin war ein Berliner Original mit einer großen Schnauze, dicken Möpsen und dem Herz am rechten Fleck. Schwarzhaarig, attraktiv und kein Kind von Traurigkeit.

Mit sehr viel Hitze zwischen den festen Schenkeln, wie so mancher Stammgast stolz bestätigen konnte. Sie kochte selbst. Und wehe, einem Gast schmeckte nicht, was sie ihm servierte. Dem fuhr sie glatt mit dem nackten Hintern ins Gesicht.

Die beiden „Arbeitslosen“, denen ihr Boss abhanden gekommen war, weil die Bullen ihn totgeschossen hatten, bestellten Eisbein mit Sauerkraut und Erbspüree. Aber nicht die Rentner-Portion, sondern die XL-Variante. Schließlich waren sie groß und stark und wollten das auch bleiben. Dazu tranken sie Kiez-Bier aus Kreuzberg.

Rocco Panzer, ihr einstiger Arbeitgeber, hatte sie hinter ihrem Rücken Godzilla und Rambo genannt. Er hatte bis zu seinem Tod nicht geahnt, dass sie das wussten, und sie hatten ihn stets in dem Glauben gelassen.

Ihre richtigen Namen waren Jo Hambusch und Harry Reuter. Zwei Ex-Boxer, die ihre Fäuste mit Vergnügen für Rocco Panzer geschwungen hatten. Sehr zum Leidwesen derer, die sich Panzers Unmut zugezogen hatten.

Dass sie mal im Ring gestanden hatten, war unschwer zu erkennen. Godzilla hatte Blumenkohlohren und Rambo eine eingeschlagene Nase. Sie betrachteten das als ihre Markenzeichen und waren stolz darauf.

Während des Essens redeten sie kaum. Eine Mahlzeit war für sie mit einer sakralen Handlung gleichzusetzen. Da hatten Worte wenig Platz. Schließlich spricht man nicht mit vollem Mund. Aber hinterher, beim dritten Kiez-Bier, kam das Gespräch dann langsam in Fahrt.

„Wir müssen etwas unternehmen, Harry“, sagte Jo Hambusch mit finsterer Miene. „So kann das nicht weitergehen. Es muss wieder Geld in die Kasse fließen.“

 

Harry Reuter nickte zustimmend. „Bin ganz deiner Meinung, Jo. Wenn das so weitergeht, kann ich mir bald keine XL-Portionen mehr leisten. Und die scharfe Kitty wird auch nicht mehr so nett zu mir sein, wenn meine Großzügigkeit nachlässt.“

„Wir müssen das Geschäft wiederbeleben.“

„Meinst du, daran habe ich noch nicht gedacht?“

„Und?“, fragte Jo Hambusch.

„Was – und?“

„Ist dir was eingefallen?“

Harry Reuter schüttelte den Kopf. „Leider nein. Die Italien-Connection ist tot.“

„Sie muss nicht tot bleiben“, sagte Hambusch. „Sie darf nicht tot bleiben“, verbesserte er sich. „Der Adria-Pate müsste eigentlich größtes Interesse daran haben, den Drogenstrom nach Berlin wieder in Gang zu bringen. Ihm entgeht doch dadurch, dass er versiegt ist, eine Menge Geld.“

„Sein Ansprechpartner, seine Kontaktperson, sein Geschäftskompagnon war Rocco Panzer.“

„Jemand müsste Roccos Platz einnehmen“, sagte Hambusch.

Harry Reuter nickte. „Aber wer?“

„Na, wir.“

„Traust du dir das zu?“

„Du etwa nicht?“, fragte Hambusch zurück.

Reuter wackelte mit dem Kopf. „Rocco Panzers Fußstapfen kann man nicht so leicht ausfüllen.“

„Wir werden hineinwachsen“, sagte Hambusch zuversichtlich.

Reuter runzelte die Stirn. „Ich wollte, ich wäre so optimistisch wie du. Bisher waren wir eher fürs Grobe zuständig.“

„Mann, wir stehen auf ‘nem Abstellgleis“, sagte Jo Hambusch eindringlich. „Bald wird man in der Drogenszene nicht mehr wissen, wer wir sind. Sämtliche Kontakte werden sich in Wohlgefallen auflösen. Wenn wir verhindern wollen, dass wir komplett von der Bühne verschwinden, müssen wir Roccos Agenden übernehmen.“

„Agenden?“

„Aufgaben“, sagte Hambusch. „Eine andere Wahl haben wir nicht.“

Rambo/Reuter war völlig klar, dass sein Kumpel recht hatte, aber er wäre nie so vermessen gewesen, Rocco Panzers Platz einnehmen zu wollen.

*

Nicht jeder, der nach Spannthal kam, suchte Ruhe, Entschleunigung und Erholung, das war den Dörflern aber erst vor kurzem bewusst geworden.

Lange Zeit hatten sie ihren Ort für so etwas wie eine Insel der Seligen gehalten. Überstrahlt von Friede, Freude, Eierkuchen. Oder, wie die Briten sagten: Peace, joy and pancakes. Aber dann hatte es auf dem Gamsgrat einen Toten gegeben, und ihr märchenlastiges Weltbild war erheblich ins Wanken geraten. Weil der Mann, den man mit zerschmetterten Knochen aus der tiefen Schlucht geborgen hatte, ein gemeiner Verbrecher und ein skrupelloser Sadist gewesen war.

Adriano Ravelli hatte er geheißen, doch hier in Spannthal hatte er sich aus gutem Grund Mario Volonte genannt. Einen Doppelmord hatte dieser schreckliche Unhold begehen wollen. An einem Mann namens Oskar Sawatzki aus Berlin und an einem jungen, hübschen, lebenslustigen Mädchen namens Flora Lederer aus Spannthal.

Alle im Dorf priesen den Herrn, weil er es nicht dazu kommen lassen hatte. Allmählich begannen sich die Wogen zu glätten und Spannthal fiel in seinen gewohnten tiefen, ruhigen und beruhigenden Dornröschenschlaf zurück.

Amelia Steffel und Ricarda Bonnangel, die giftigen Schwestern, zerrissen sich wie eh und je das Maul über alles und jeden. Der Polizeihauptwachtmeister Wendelin Prendergast hatte wieder wenig bis gar nichts zu tun.

Orthold Lura, der grauhaarige Pfarrer, rauchte auf der gemütlichen Bank vor dem Pfarrhaus genüsslich sein Pfeifchen, während Theodard Gmeiner, der junge Kaplan, mit seinem Motorrad freudvoll durch die Gegend kurvte.

Dass die Edelstahl-Sommerrodelbahn nicht nur renoviert, sondern auch bei einem Höhenunterschied von sechshundert Metern auf fast dreieinhalb Kilometer verlängert worden war, gefiel den giftigen Schwestern natürlich überhaupt nicht. Was passte denen überhaupt?

Amelia Steffel blickte den Hang hinauf und rümpfte die Nase. „Schneller, höher, länger... Immer muss alles noch spektakulärer gemacht werden. Bis es irgendwann zu einem bösen Unglück kommt.“

„Ich war von Anfang an gegen den Bau einer Alpen-Achterbahn, aber auf mich hört ja keiner“, sagte Ricarda Bonnangel mit finsterer Miene. „Wer braucht so etwas?“

„Niemand.“

„Niemand. Genau.“

„Abgesehen von den Betreibern“, sagte Amelia Steffel. „Damit sie noch reicher werden. Ersticken werden sie noch an ihrem vielen Geld, die Weißgärber-Leut‘.“

„Sie versündigen sich an der Natur.“

„Eines Tages wird der Herr sie dafür bestrafen“, behauptete Amelia Steffel prophetisch, als wüsste sie das ganz genau. „Mit einem Blitzschlag. Mit einem Erdrutsch. Mit irgendwas. Du wirst schon sehen.“

Ricarda Bonnangel schüttelte verständnislos den Kopf. „Und der Herr Pfarrer ist auch noch bereit, das Teufelswerk zu segnen, wenn’s wieder eröffnet wird.“

„Wahrscheinlich lässt der Weißgärber-Ladi ordentlich was für die Renovierung des Kirchendachs springen. Oder für eine neue Orgel.“

„Da sieht man’s wieder“, sagte Ricarda Bonnangel mit herabgezogenen Mundwinkeln. „Selbst die Priester kann man kaufen.“

„Ich werde der feierlichen Widereröffnung aus Protest fernbleiben“, zischte Amelia Steffel.

„Ich nicht.“

Amelia Steffel reagierte darauf höchst befremdet. „Du gehst da hin?“

„Aber nur, weil es reichlich zu essen und zu trinken gibt. Das lasse ich mir nicht entgehen. Die Weißgärbers muss man schädigen, wo man kann.“

Amelia Steffel schüttelte den Kopf. „Sie kriegen den Hals einfach nicht voll. Geld, Geld, Geld... An was anderes können die nicht denken. Wie kann man nur so gierig sein? Wo doch jeder weiß, dass Geld den Charakter verdirbt.“

Ricarda Bonnangel lachte gemein. „Welchen Charakter? Die Weißgärbers haben ja keinen.“

„Doch“, widersprach Amelia Steffel. „Einen miesen.“

„Das stimmt. Und zwar alle drei. Ladislaus Weißgärber. Ottilie, seine Frau. Und Rebekka, ihre Tochter.“

„Rebekka.“ Amelia Steffel verdrehte die Augen. „Diese affektierte, verwöhnte, unsympathische Zicke“, sagte sie feindselig. „Immer muss alles nach ihrem Kopf gehen und was immer sie haben will, kriegt sie. Sogar einen Bräutigam hat der Weißgärber-Ladi ihr gekauft.“

„Ich bin gespannt, wie lange der Fellinger-Leo sich Rebekkas Launen gefallen lässt.“

„Wenn er in die reiche Familie einheiraten will, muss er sie wohl oder übel schlucken“, sagte Amelia Steffel. „Sonst kann er gehen.“

Dass sich über ihrem Dorf neues Unheil zusammenbraute, ahnten die giftigen Schwestern nicht, obwohl sie sonst immer über alles so gut Bescheid wussten.

*

Oskar Sawatzki sah aus dem Fenster. Es war vergittert. Klar. Wie es sich für Gefängnisfenster gehörte. Milde neun Monate hatte ihm der mehr als gütige, weichherzige, kurz vor dem Ruhestand stehende, abgeklärte Richter aufgebrummt.

Weil er sich reuig gezeigt, bereitwillig mit den Behörden kooperiert und einen überdurchschnittlich guten Anwalt gehabt hatte.

Damit hatte er die Strafe auf ein erträgliches Maß senken können. Neun Monate. Was ist das schon – gemessen an der Ewigkeit? Ein Klacks.

Am blauen Himmel schwebte eine kleine weiße Wolke vorbei. Lautlos. Träge. Und sich immerzu verändernd. Mal sah sie wie ein Wolfskopf aus. Dann wie ein Schaf. Und gleich darauf wie eine liegende Frau – mit wallendem Haar und hoch aufgebauschten Brüsten.

Man weiß die Freiheit erst zu schätzen, wenn man sie verloren hat, ging es dem Häftling durch den Sinn. Ich würde den Aufenthalt hier drinnen bestimmt nicht so gut verkraften, wenn - erstens sein Ende nicht in absehbarer Nähe wäre und ich zweitens nicht so oft Besuch von meiner Familie bekäme.

Aurora, seine Frau, hatte von ihrem immens reichen Onkel, der in Hamburg verstorben war, ein beträchtliches Vermögen geerbt. Das war der Grund gewesen, weshalb Sawatzki nicht länger für Rocco Panzer hatte arbeiten wollen. Er brauchte den kriminellen Nebenverdienst nicht mehr.

Aurora hätte noch ein halbes Jahr beruflich in Washington zu tun gehabt, und nach ihrer Rückkehr hätte die Familie ihr gesamtes Leben neu ordnen wollen. Doch... Wie heißt es so treffend? Der Mensch denkt, Gott lenkt. Aurora Sawatzki hatte Washington vorzeitig verlassen müssen, weil sich jemand um Mercedes, die gemeinsame zwölfjährige Tochter, kümmern musste, während der Vater die Haftstrafe absaß.

„Gibt’s was Interessantes zu sehen?“, fragte jemand hinter Oskar Sawatzki und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

„Hm? Nein. Wieso?“

„Weil du die ganze Zeit aus dem Fenster glotzt“, sagte Holger Strecker, Sawatzkis Mithäftling, ein bislang ziemlich uneinsichtiger, unbelehrbarer und unbekehrbarer Wiederholungstäter.

Er saß bereits zum siebten Mal im Knast. Immer wegen Raufereien im Suff. Nüchtern hatte er sich gut im Griff, aber wenn Schnaps in seinen Adern kreiste und sein Hirn benebelte, rastete er regelmäßig aus.

„Nur eine Wolke, die sich immerzu verändert“, sagte Sawatzki. „Jetzt ist sie ein Schwan. Vorhin war sie ein Alligator. Und davor eine Frau.“

„Hübsch?“

„Wer?“

„Na, die Frau.“

„Märchenhaft.“

„Ist ja sehr unterhaltsam“, brummt Strecker zynisch. Er lag mit angezogenen Beinen auf seinem Bett. Sein Gesicht war aufgedunsen und er hatte die violetten Lippen eines Apoplektikers.

„Mehr hat der Himmel heute nicht zu bieten.“ Sawatzki drehte sich um und setzte sich auf einen von zwei Stühlen.

Holger Strecker nahm seit mehreren Wochen an einer Gruppentherapie teil. Der Psychiater, der sie leitete, sah aus wie Christoph Waltz und war Strecker überhaupt nicht sympathisch. Aber der Mann hatte in ihm endlich die Erkenntnis geweckt, dass es mit ihm so nicht weiter gehen dürfe.

Rauskommen. Volllaufen lassen. Streit anfangen. Einsitzen. Das war doch eigentlich kein Leben. Und deshalb dachte Holger Strecker zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, ob sich das nicht doch vielleicht ändern ließ.

„Weißt du, was ich tun werde, wenn ich diesmal entlassen werde, Oskar?“, fragte Sawatzkis Zellengenosse. Er betrachtete angelegentlich seine abgebissenen Fingernägel.

Oskar Sawatzki antwortete: „Rein in die erstbeste Kneipe und...“

„Falsch.“

„Falsch?“

„Ich möchte nicht noch mal in den Knast“, sagte Strecker. „Ich habe das schon zu oft genossen. Langsam kotzt es mich an.“

„Dann musst du deine Lebensgewohnheiten von Grund auf ändern.“

„Das habe ich vor“, behauptete Strecker, und es schien ihm wirklich ernst damit zu sein. „Meine Großeltern haben ein kleines Häuschen in Henningsdorf. Da kann ich wohnen. Und wenn ich die Finger vom Schnaps lasse, habe ich gute Aussichten, nie wieder gesiebte Luft atmen zu müssen.“

„Das wünsche ich dir“, sagte Oskar Sawatzki aufrichtig.

Ein Aufseher holte ihn aus der Zelle. Er hatte Besuch von Aurea und Mercedes.

*

„Okay“, sagte Rambo/Reuter zu Godzilla/Hambusch, nachdem er sich die Worte seines Freundes gründlich durch den Kopf gehen lassen hatte. An und für sich war er ziemlich einfach gestrickt, ein Mann der Tat. Er hatte sein Hirn in der Faust. Schlug gerne zu. Verschenkte mit Vergnügen Schmerzen. Denken war nicht so ganz sein Ding. Diplomatie auch nicht. „Wir setzen uns also mit dem Adria-Paten in Verbindung und bieten ihm unsere Dienste an.“

„Falsch.“

Harry Reuter machte große Augen. „Falsch?“

„Wir kriechen dem scheiß Spagetti-Fresser nicht in den Arsch, sondern verhandeln selbstbewusst und in Augenhöhe mit ihm“, erklärte Jo Hambusch mit fester Stimme. „Rocco Panzer hat bedauerlicherweise das Zeitliche gesegnet. Da wir aber lange genug für ihn gearbeitet und nach wie vor zu sämtlichen brachliegenden Kanälen Zugang haben, können wir ihn vollwertig ersetzen und dafür sorgen, dass der Drogenhandel in unserer schönen Stadt wieder in Schwung kommt und reibungslos floriert.“

Reuter griente. „Er wird begeistert sein.“

Hambusch wippte mit den Augenbrauen. „Er wird uns küssen.“

„Und wir werden bald in Geld schwimmen“, sagte Reuter entflammt.

„Wer möchte das nicht?“

Reuter schob sein Bierglas vor sich hin und her. „Ich hab’s nicht so mit dem Reden. Das weißt du. Besser, du verhandelst mit dem Itaker. Auch gleich in meinem Namen. Mir wird alles recht sein, was dabei herauskommt. Ich vertraue dir voll und ganz. Wie heißt der Mafioso doch gleich?“

„Folco Barratone. Wohnt in Venedig.“

„Nicht in Mailand?“

Jo Hambusch schüttelte den Kopf. „Da hat Adriano Ravelli, der in Rocco Panzers Auftrag Oskar Sawatzki im österreichischen Spannthal killen sollte, gewohnt.“

 

„Was du alles weißt“, sagte Harry Reuter. Es klang bewundernd.

Hambusch schmunzelte. „Wenn man stets Augen und Ohren offen hält, fliegen einem die Informationen nur so zu.“

„Schön.“ Harry Reuter lehnte sich zurück und spielte einen Film-Paten. Er machte ein Gesicht, als hätte er ein Dutzend Magengeschwüre. „Du setzt dich also mit Folco Barratone in Verbindung und machst ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann“, sagte er mit gewichtiger Miene. „Ich verlasse mich auf dich und hoffe, dass du mich nicht enttäuschst, capisce?“

Hambusch verkniff sich ein Grinsen, nickte und erwiderte: „Si, Don Haraldo.“

*

Es tut gut, eine Familie zu haben, die auch dann zu einem hält, wenn man Mist gebaut hat, dachte Oskar Sawatzki auf dem Weg zum Besuchsraum. Er spürte Rührung in sich aufsteigen und seine Kehle wurde eng.

Es gab Ehefrauen, die die Scheidung einreichten, sobald ihr Mann ins Gefängnis musste. Sofort und ohne Wenn und Aber. Als hätten sie nur auf eine solche Gelegenheit gewartet. Ein Glück, dass Aurea nicht so war.

Sie gab ihm Halt in dieser schweren Zeit, war eine starke Stütze, auf die er sich hundertprozentig verlassen konnte, und dafür konnte er dem Himmel gar nicht oft genug danken. Als er seine Frau und seine Tochter sah, ging ihm das Herz auf. Ich habe in meinem Leben so manches falsch, aber vieles auch richtig gemacht, dachte er bewegt.

Aurea sah heute wunderschön aus. Eigentlich nicht nur heute, dachte Sawatzki. Sie ist immer wahnsinnig attraktiv. Aurea trug die blonden Haare jetzt etwas kürzer. Es passte ihr ausgezeichnet. Mercedes glich mit ihrer langen, gelben Mähne einem süßen Engel. Er schenkte den beiden ein warmes Lächeln. „Hallo, Familie.“

„Wie geht es dir, Papa?“, wollte Mercedes wissen.

„Na ja“, antwortete er achselzuckend. „Sagen wir - gut. Einigermaßen. Der Mensch gewöhnt sich an vieles. Wie läuft es in der Schule?“

„Prima.“

„Sie hat in dieser Woche einige hervorragende Zensuren nach Hause gebracht“, berichtete Aurora.

„Wirklich?“ Sawatzki strahlte vor Freude. „Da bin ich aber mächtig stolz auf dich, Prinzesschen.“

Ein Justizbeamter mittleren Alters stand in der Nähe und gab sich den Anschein, als würde er nichts von dem mitbekommen, was gesprochen wurde.

Oskar Sawatzki gehörte seit vielen Jahren eine gut gehende Boutique. Er hatte sie schon vor der Ehe besessen und sich von Anfang an auf italienische Produkte spezialisiert, weil er fand, dass in Italien die geschmackvollste Mode zu finden war. Mit Chic, Eleganz und Charme.

Da Sawatzki die Ware stets selbst eingekauft hatte, war er sehr oft zwischen Berlin und Mailand hin und her gependelt, und das hatte Rocco Panzer auf die Idee gebracht, ihn als Drogenkurier anzuwerben.

Rückblickend war das ein schwarzer Tag für Oscar Sawatzki gewesen. Aber er gehörte zum Glück der Vergangenheit an. Schwamm drüber.

„Helene Muhs war heute bei mir“, erzählte Aurea.

Frau Muhs – die gute Seele - war Oskar Sawatzkis langjährige Geschäftsführerin. Ein Glücksgriff. Zuverlässig, loyal, fachlich äußerst kompetent. Und Astrid Klenke arbeitete als ebenso tüchtige Verkäuferin in der Boutique.

Sawatzki sah seine Frau abwartend an. Er vermutete, dass da noch mehr kam.

„Sie war verlegen“, sagte Aurea, „druckste eine Weile herum...“

„Was wollte sie?“, fragte Oskar Sawatzki. Ein höheres Gehalt?, dachte er. Sie hat einen Neffen in Frankfurt an der Oder. Er hat da vor zwei, drei Jahren ein Modegeschäft eröffnet. Vielleicht braucht er sie. Möchte sie kündigen? Oder hat sie gesundheitliche Probleme?

„Sie sagte, sie könne sich vorstellen, dass wir die Boutique nicht weiterführen möchten, wenn du entlassen wirst.“

Oskar Sawatzki staunte. „Wie kommt sie darauf?“

Aurea zuckte mit den Achseln. „Sie macht sich halt so ihre Gedanken. Du kommst raus, möchtest eventuell nicht in Berlin bleiben, weil dich hier so viele Leute kennen... Ich habe geerbt... Wir brauchen die Geschäftseinnahmen nicht mehr... Kurz und gut, sie würde die Boutique gerne übernehmen, falls wir kein Interesse mehr daran haben sollten. Sie hat ein bisschen was gespart, möchte uns das Geschäft abkaufen beziehungsweise den Kaufpreis in leistbaren Monatsraten abstottern...“

Sawatzki massierte sein linkes Ohrläppchen. „Ehrlich gesagt, ich habe an so etwas überhaupt noch nicht gedacht. Das ist... Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie denkst du darüber?“

„Wenn du an der Boutique hängst, behalten wir sie“, antwortete Aurea Sawatzki. „Wenn nicht... Brauchen tun wir sie tatsächlich nicht mehr.“

Ihm war klar, dass seine Frau recht hatte. Der Modeladen ging zwar gut, aber mit dem Vermögen, das Aurea geerbt hatte, konnten die Einnahmen natürlich nicht mithalten. Er lächelte. „Ich muss gestehen, das geht mir jetzt ein bisschen zu schnell. Was hast du Frau Muhs gesagt?“

„Dass ich mit dir darüber reden werde. Mehr nicht. Die Entscheidung liegt bei dir. Ganz gleich, wie sie ausfällt – ich werde sie akzeptieren und sie wird mir recht sein.“

Er nickte. „Bestelle Helene Muhs einen schönen Gruß von mir. Sag ihr, ich werde darüber nachdenken.“

Er hing zwar einerseits an der Boutique, andererseits war sie seit Jahren eng mit seiner Tätigkeit für Rocco Panzer verknüpft, und das wollte er nach Möglichkeit bald vergessen. Er hätte die Erinnerung an seine kriminelle Vergangenheit gerne abgestreift wie die Schlange ihre alte Haut.

Und bei Helene Muhs hätte er die Boutique in den allerbesten Händen gewusst. So besehen hatte die Geschäftsführerin gute Chancen, den Laden zu bekommen.

Aber er wollte trotzdem nichts überstürzen, sondern in Ruhe darüber nachdenken, weil man eine solche Entscheidung nicht von jetzt auf gleich übers Knie brach.

Aurea hatte dafür vollstes Verständnis. Als die Besuchszeit um war, sagte Oskar Sawatzki zu Frau und Tochter: „Ich liebe euch und freue mich auf euren nächsten Besuch.“ Er wandte sich an Mercedes: „Pass auf deine Mutter auf.“

Die Zwölfjährige schmunzelte. „Ehrensache, Paps. Auf Wiedersehen.“

Er nickte. „Bis zum nächsten Mal. Ich bin bald wieder bei euch.“

„Das wird ganz groß gefeiert“, sagte seine Frau und blies ihm einen innigen Kuss zu.

*

Ganz Spannthal war auf den Beinen, als die Sommerrodelbahn wieder eröffnet wurde. Ladislaus Weißgärber hatte reichlich Geld in die Hand genommen, um der Feier einen prunkvollen Rahmen zu geben.

Die Blasmusik aus dem Nachbarort verstärkte die Spannthaler Musikanten. Bier und Wein flossen in Strömen. Der köstliche Duft von gegrilltem Fleisch hing in der Luft und für den Abend war ein großes Feuerwerk vorbereitet.

Auch ein Tanzpodium gab es. Für Junge und Junggebliebene. Pfarrer Lura hatte die neue Bahn im Rahmen eines kleinen Gottesdienstes würdevoll geweiht. Ladislaus Weißgärber und Toni Rudofski, der Bürgermeister, hatten sie mit launischen Worten eröffnet, und am heutigen Tag durften alle Festgäste gratis fahren, so oft sie wollten – wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wurde.

Die giftigen Schwestern aßen und tranken, dass sie beinahe platzten, und was sie nicht mehr runterbrachten, verschwand in ihren großen Handtaschen.

Der Pfarrer, Melitta Sägebrecht, seine Haushälterin, und Theodard Gmeiner, der Kaplan, saßen im Schatten eines alten Nussbaums mit der Familie Weißgärber an einem Tisch. Rebekka hatte schlechte Laune, und die ließ sie, wie immer, hemmungslos an ihrem Verlobten aus.

Obwohl die reiche Weißgärber-Tochter nur durchschnittlich hübsch war, hätte sie jederzeit fast jeden jungen Mann in Spannthal haben können (Geld übertüncht ja bekanntlich die meisten Makel), und weil sie das wusste, behandelte sie Leo Fellinger auch stets ziemlich schmissig und von oben herab. Entweder er ließ es sich gefallen – oder er ging. Eine weitere Option gab es nicht für ihn.

Gab er Rebekka den Laufpass, musste er sich gleichzeitig auch vom winkenden Honigtopf, also vom Geld der zukünftigen Schwiegereltern, verabschieden, und das wollte er allem Anschein nach nicht.

Deshalb machte er gute Miene zum bösen Spiel und ertrug zähneknirschend die bisweilen schon mehr als unausstehliche Laune seiner unleidlichen Verlobten.

Da er gut aussah, war sie extrem eifersüchtig, und er hätte nie den Fehler machen dürfen, mit der schönen, schwarzhaarigen, gut aufgelegten Alma Kronsteiger, mit der er als Kind zur Schule gegangen war, zu tanzen, denn damit brachte er das Fass zum Überlaufen.

Rebekka sprang fuchsteufelswild auf und stürmte davon, als er vom Tanzboden zurückkam. Jetzt begriff er erst, dass er Alma besser einen Korb gegeben hätte, als sie ihm die Hand auf die Schulter gelegt und „Tanzt du mit mir?“ gefragt hatte. Warum nicht?, hatte er sich gesagt. Da ist doch nichts dabei... Aber da hatte er sich gewaltig geirrt. In den Augen seiner höchst argwöhnischen Verlobten war etwas dabei. Sogar sehr viel. Er lief Rebekka nach. Das musste er. Das erwartete sie bestimmt von ihm. Am liebsten hätte er sie spinnen lassen und sich hemmungslos betrunken.

Aber das hätte sie ihm mit Sicherheit nie verziehen – und ihre Eltern auch nicht. Für die war ja immer alles richtig, was ihre blöde, verwöhnte, unerzogene Tochter machte.

„Rebekka!“, rief er.

Sie lief noch schneller. „Lass mich!“

„Warte, Rebekka!“

„Verschwinde!“

„So warte doch!“

„Ich hab genug von dir!“, schrie Rebekka, schon weit vom lärmenden Fest entfernt.

„Ich hab doch nichts...“

Sie blieb stehen, drehte sich um, hatte Zornestränen in den Augen. „Verfluchter Weiberheld. Wenn du dich jetzt schon nicht beherrschen kannst...“

„Ich habe mit der Kronsteiger-Alma doch nur getanzt.“

„Ich habe Augen im Kopf. Ich habe alles gesehen.“

„Es war doch völlig harmlos“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Alma und ich kennen einander seit der Schule. Das weißt du doch.“

„Sie ist hinter dir her. Das weiß ich.“

„Unsinn. Alma will nichts von mir und ich will nichts von ihr. Das musst du mir glauben.“

„Ihr Männer seid alle gleich“, zischte Rebekka verächtlich. „Kaum seht ihr ein hübsches Gesicht, schon könnt ihr euch nicht mehr beherrschen.“

„Sei nicht albern. Ich mag doch nur dich.“

„Du magst mein Geld!“, schrie sie ihm wütend ins Gesicht. „Glaubst du, ich bin so blöd, dass ich das nicht weiß? Aber das kriegst du nicht. Du bist ein verlogener, untreuer, triebgesteuerter Taugenichts. Ein gottverfluchter Schürzenjäger. Geh doch zu diesem leichtlebigen, flatterhaften Luder. Ihr passt gut zusammen. Mach ihr von mir aus ein Kind. Mich interessierst du nicht mehr. Gott sei Dank hast du heute deinen wahren Charakter gezeigt. Ich darf dir nicht trauen. Sowie ich mich umdrehe, treibst du es sofort mit einer andern.“

Er trat näher, griff nach ihren Schultern. „So beruhige dich doch, Rebekka.“

Sie schüttelte seine Hände ab und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. „Lass die dreckigen Finger von mir, du mieses Schwein. Fass mich nie wieder an, sonst bringe ich dich um. Ich hasse dich. Ich will dich nie wieder sehen. Ich verfluche dich. Geh mir aus den Augen. Scher dich zum Teufel. Ich bin mit dir fertig.“

„Rebekka, weißt du, was du da sagst?“

„Und ob ich das weiß. Und ich nehme kein einziges Wort davon zurück. Hörst du? Kein einziges!“

Leo Fellinger war geschockt. Er starrte Rebekka Weißgärber fassungslos an. Dies war nicht ihr erster Streit. Manchmal hätte er am liebsten alles hingeschmissen und wäre für immer aus ihrem Leben verschwunden.